22 | Sofie Morin
Das war ein Jahr:
Im Dialog mit Frauen
der Poesie ist
Aufgaben gestellt
die ich mir erfülle
Da ist mehr als das Treiben rundum
Gesichter leuchten heraus und ich
halte meine Mitte ganz still
damit sie da bleiben
Zuneigung verschenkt sich selbst
Außen toben Geschehnisse
die Sendungen sprengen
Wir fassen unser Glück kaum
unbeschadet zu sein
Unsere Uhren tragen rote Nasen
wenn wir Schmerz durchtauchen
Das Schicksal ist milde sonntags
in Zusammenkünften zuweilen ein Gelingen
das in keinen Wochentag je passt
Oder zwischen hochgewachsenen Stämmen Wege
die einsam gut sind
Ich weiß manche durchschreiten Wälder
um Geister zu vertreiben
Ich aber will sie anlocken
in meinen Kreis allesamt
will nichts weiter als Verbindungen
die sich verstehen
auf Wölbungen hin zum Verzeihen
Liebeleien mit Wuchsformen
bestimmen die Monatsfolge:
windberuhigte Schwüre
hellglühendes Verständnis
büschelweises Sprießen
Maultrommeln und ein Flirren
um die Mundränder
Ich kenne diese Melodie
der Hund meiner Kindheit
wird in ihr durchscheinend wie gläsern
Ich huldige den kalten Wintern
die Glaubenssätze verheizen
Von einer Taglichte zu nächsten
frischgepflügte Äcker und Sonnwendfeuer
Die Fackel in meiner Hand entzündet
Gangarten der Fantasie erprobt
Jede Eitelkeit gibt schließlich
dem Schneedruck nach
Das ist alles
Und wenn ich fertiggeschrieben habe
koche ich all meinen Kindern eine Suppe
schreibe unser Zusammensein hinein
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21 | Marina Büttner
Erinnerung
Wir holten das Moos aus dem Wald.
Es ging Richtung Wintersonnenwende.
Die Zeit war rar. Doch das Moos holten
wir immer. Es glitt feucht unter die Haut.
Der Duft, in dem später das Jesuskind lag.
Der Vater hob es vorsichtig aus der Erde.
Der Waldrand stand dämmernd. Wir
gingen nach Feierabend, viel Arbeit war da.
Wir waren zu zweit. Weihnachten kam.
Der Duft des Vaters nach Sägespänen,
der Geruch von Moos. Ich schmückte
die Krippe. Das Kind war ganz nah.
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20 | Guillermo Millán Arana
Eierpunsch
Obwohl wir in derselben Kleinstadt wohnten, sah ich meinen Großvater nur bei bestimmten Familienfesten. Traf trifft es besser, denn ich sah ihn oft. Ich erinnere mich an einen Herbstabend, als ich mit meinen Eltern auf dem Heimweg von einer Gaststätte war, als in einer Seitenstraße eine Kneipentür vor uns aufging und sein scharfes Lachen zu hören zu war. Durch eines der beschlagenen Sprossenfenster sah ich meinen Großvater mit hochrotem Gesicht in einer Gruppe von Männern stehen. Er packte einen jungen Kerl, aus seinem Schützenverein, denke ich, am Kragen, nahm ihn grob in den Schwitzkasten und verpasste dem verlegenen Burschen mehrere Backpfeifen mit der freien Hand. Die anderen schienen sich zu amüsieren, klatschten, johlten meinem Großvater zu. Ich sah hinauf zu Mama. Sie sagte nichts. Dann stupste sie mich an und wir gingen weiter. Ich weiß nicht, ob meine Mutter wollte, dass ich das sehe.
So munter er in der Gesellschaft seiner Freunde war, setzte mein Opa auf Familienfesten sein Schweigen durch. Dafür musste er nichts unternehmen, oder zumindest nicht aktiv, da er mit seinem Naturell für Ruhe sorgte. Für gewöhnlich apathisch, haftete seinem Ausdruck, vor allem zu Tisch, eine gewisse Verärgerung an, ja fast ein unterdrückter Zorn. Die zuckenden Augenbrauen, die zusammengepressten Lippen, das leicht abgewandte Gesicht, der fliehende Blick, der, wenn man ihn erwischte, nur mit einer Art automatischem Misstrauen entgegnet wurde; das alles vermittelte uns anderen Familienmitgliedern die stille Botschaft, im Grunde unerwünscht zu sein, dass er den Abend lieber allein verbringen wollte.
Auch wenn die Stimmung auf solchen Familienfeiern lebhafter wurde, geschah das nur zu seinen Bedingungen. Zu Weihnachten etwa löste sich das Gemüt meines Großvaters nur, wenn es Eierpunsch gab. Obwohl ich ein kleines Mädchen war, konnte ich ausrechnen, wie sich seine Stimmung veränderte, wenn er trank. Zwei Gläschen waren das goldene Maß, dann überkam Opa eine seltsame Rührseligkeit. Das war uns Kindern unangenehm, denn in der Phase des Abends wurde er auf seine Weise zutraulich: Mein Cousin Tommy bekam zum Spaß einen Tritt in den Hintern, mir fuhr er erst mit sanfter Hand durchs Haar, um mir zur Pointe mit einem Jauchzer an den Zöpfen zu ziehen, und Max, der Sohn meiner Tante Sabine, der laut Mama aus einer flüchtigen Liebesnacht entstanden war, nannte Opa „mein kleiner Bastard“.
Beim sechsten Gläschen wurde er allmählich gemein. Er frotzelte über jede unserer Ideen, fast mit einem Krächzen, begleitet von einem Schwung seines gedrungenen Leibes. Schon damals kam mir seine Ausgelassenheit gezwungen vor, als erlaube ihm der Suff, seine höhnischen Zwischenrufe in die Form eines Lachens zu kleiden. Die Erwachsenen stellten sich für gewöhnlich dumm, vor allem nach dem Essen: Die Frauen wandten sich ab, plauderten am Erwachsenentisch, die Männer gingen zum Kindertisch, um Skat zu spielen und zu rauchen, während wir Kinder Zuflucht vor Opa suchten. Wenn er mir viel Angst machte, suchte ich Mama mit den Augen. Stumm erwiderte sie meinen Blick und schaute dann verlegen auf die Tischdecke. Für Oma war es am schlimmsten. Abends, oft waren wir Kinder noch wach, kam unweigerlich die Zeit, in der sie meinen Großvater ins Bett bringen musste. Später, wenn wir Kinder im Flur spielten, hallte sein Schnarchen als Echo seiner Hänseleien aus dem Schlafzimmer.
Nur durch Zufall erfuhr ich, dass Opa den Eierlikör zubereitete, aus dem Oma dann zu Weihnachten den Eierpunsch machte. (In der Verwandtschaft ging man davon aus, dass nur Oma etwas damit zu tun hatte, und jedes Jahr aufs Neue erntete sie aufrichtiges Lob für den guten Punsch. Wenn ich Eier nur rieche, wird mir übel; trotzdem habe ich diesen Eierpunsch oft und gern getrunken.) Einmal, ich war etwa fünfzehn, fuhren wir unangemeldet zu meinen Großeltern. Heiligabend war noch eine Woche hin. Die Englischlehrerin hatte darauf bestanden, den zweiten Teil von Henry IV aufzuführen, und mein Bruder sollte John Falstaff spielen. Mama hatte schleunigst sein Kostüm zusammenzunähen, für das sie Omas Stoffsammlung durchstöbern wollte. Oma stand zunächst ganz verdutzt in der Tür und ich war mir kurz sicher, dass sie uns nicht reinlassen würde. Aber Mama schob sich murmelnd an ihr vorbei und ging auf den Dachboden. Oma bat mich ins Haus, und deutete verstreut mit dem Kopf zur Küche. Bevor ich eintrat, schien sie zu zögern, aber sie tat nichts. Opa stand hemdsärmlig in der Küche. Auf der Arbeitsfläche vor ihm lagen die Zutaten ausgebreitet: Eier, Rum, Puderzucker, ein Glas Wasser, eine Vanilleschote. Fast eindringlich lud er mich ein, einzutreten. Sorgfältig verrührte er Schritt für Schritt alle Zutaten. Aus der Vanilleschote schnitt er mit geübter Hand das Mark heraus.
Er sprach kaum, murmelte gelegentlich vor sich hin, dass man den Fusel aus dem Supermarkt nicht nehmen dürfe, weil man sonst die heilige Jungfrau beschmutze. Oder auch, dass die ganze Welt im Ei stecke. Aber das wirklich Erstaunliche war, ihn so in etwas vertieft zu sehen, so in sich ruhend. Oft habe ich darüber nachgedacht, ob er an jenem Nachmittag sein wahres Wesen offenbarte. Aber auf der Weihnachtsfeier zeigte er sein übliches Gesicht. Diesmal fiel ihm mein Bruder zum Opfer. Mein Opa, der schon beim siebten Gläschen war, grölte ihm zu, er solle doch Shakespeare rezitieren. Mein Bruder antwortete nur: „Fuck you.“ Großvater brüllte vor Lachen. Als mein Bruder später an ihm vorbeiging, schlug ihm Opa so heftig in den Nacken, dass mein Bruder vornüberfiel und erst einmal liegen blieb. Mama sagte nichts, sie sah Opa nicht einmal an. Wir halfen meinem Bruder auf die Beine und gingen sofort heim. Nach dem Vorfall haben wir nur noch im kleinen Kreis gefeiert.
Opa starb ein paar Jahre nach Oma. Mama, die ihn hin und wieder im Pflegeheim besuchte, sagte uns eines Tages am Esstisch, dass es ihm schlecht gehe. Ich sah sie an und hatte das Gefühl, dass sie sich seinen Tod wünschte, aber ich sagte nichts. Einige Wochen später teilte sie uns mit, dass er gestorben sei. Ich glaubte, Erleichterung in ihrem Gesicht zu sehen, und schwieg. Neulich habe ich zum ersten Mal versucht, mit ihr über Opa zu sprechen. Sie sagte, sie wisse genauso viel über ihn wie ich.
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19 | Doris Leeb
Ich sage euch an
Es brennt ein Wutbäuchlein
Erst eins
Dann zwei
Dann dreihundert
Dann vier
Dann steht das Patriarchat vor der Tür
Ist das Kind schon?
Glänzt der Baum schon?
Duftet der Keks schon?
Hat sie eh schon?
Noch nicht?
Na sog amoi!
Wo sama denn?
No de erlaubt se.
Erlauben sie mal.
Sie. sie.
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18 | Chili Tomasson
Die Brücke am Ostufer
Die Kinder spielen Fußball. Sie spielen ohne schreiende Väter neben dem Platz. Sie spielen ohne weiße Markierungen am Spielfeld. Sie spielen mit einem Plastikball auf einer Wiese.
Ich öffne das Fenster in der Küche.
Das Wetter am Wochenende bleibt beständig. Montags fällt die Temperatur unter 20°, aber die Stromleitungen sind intakt.
Wir wohnen in einem Einfamilienhaus am Stadtrand. Die Solarpanele wurden staatlich gefördert und vergangenen Sommer auf dem Dach montiert. Die Einfahrt ist mit hellgrauen Steinen gepflastert und eine schmale Mauer trennt sie an beiden Seiten vom Rasen. Das Gras ist kurz geschnitten und jeden Frühling freue ich mich über die ersten Triebe der Stockrosen.
Seitdem die Brücke gesperrt ist, brauche ich jeden Tag mehr als eine Stunde, um in die Arbeit zu kommen. Der Ausbau der Straßen wurde bereits vor Jahren versprochen, aber die Bauarbeiten haben erst vergangenen Mai begonnen. Ich denke, dass es noch mehrere Jahre dauern wird, bis die Umfahrungsstraße fertiggestellt sein wird.
Im Sommer erscheint mir der Berufsverkehr lauter als sonst. Es ist schon hell, wenn ich auf die Hauptstraße einbiege und ich bemerke, wie sich die Hitze allmählich über den Asphalt legt. Die Luft entfaltet sich langsam und schwer. Im Rückspiegel erkenne ich das Ausmaß der äußeren Bezirke. Sie wachsen stetig und orientieren sich an den Büros im Zentrum und den Fabriken im Süden der Stadt.
Im Sommer habe ich, wie alle anderen, die Fenster unten, während ich an der Ampel warte.
Der Regen zieht nach Südosten ab, von Norden her lockern die Wolken allmählich auf. Mäßiger bis lebhafter Westwind. Die Temperaturen erreichen 17° bis 22°.
Arbeitszeiterfassung:
Arbeitsbeginn: 09.00
Kaffeepause: 11.15
Arbeit: 11.30
Mittagspause: 13.00
Arbeit: 13.30
Kaffeepause: 16.00
Arbeit: 16.15
Arbeitsende: 18.00
Seit vermehrt über Einbrüche berichtet wurde, versperre ich das Garagentor und die Eingangstür hinter mir, wenn ich zu Hause ankomme. Es verursacht keinen Mehraufwand und verschafft Sicherheit.
Ich weiß, dass alle hören, wenn ich nach Hause komme. Trotzdem rufe ich immer nach ihnen, während ich mir die Schuhe ausziehe.
Vom Küchenfenster aus kann ich den ganzen Garten überblicken. Kommendes Wochenende werde ich den Rasen mähen und die Hecke schneiden. Die Stockrosen haben bereits zu blühen begonnen und die Tage sind lang.
Abends erzähle ich von der Arbeit. Wir sprechen über die Prognosen der bevorstehenden Wahlen. Ich schneide das Gemüse und wasche den Salat. Dann essen wir alle gemeinsam zu Abend.
Kühl, trüb, unbeständig. Im Süden sind leichte Regenschauer zu erwarten. Die Schneefallgrenze sinkt hier gegen 2000m Höhe. Ansonsten bleibt es größtenteils trocken. Leichter bis mäßiger Nordwestwind. 13° bis 18°. In 1500m Höhe um 5°.
Bevor ich schlafen gehe, sitze ich noch eine Weile im Wohnzimmer und lese in den Fachmagazinen.
In der darauffolgenden Nacht träume ich erneut:
Vom Ostufer aus sehe ich die Abschussrampen und Raketenfelder. Das Einfamilienhaus steht am Stadtrand.
Die Luftwaffe hat nach eigenen Angaben gestern drei Kampfflugzeuge im Süden des Landes abgeschossen;
oder
Drei Kampfflugzeuge seien mittags in der südlichen Einsatzzone abgeschossen worden.
Die Behörden machten bislang keine weiteren Angaben zu dem Vorfall. Die Zahlen können nicht unabhängig überprüft werden. Die Streitkräfte wehrten zuletzt weitere Angriffe im Süden ab. Dort spielen die Kinder Fußball. Sie spielen ohne schreiende Väter neben dem Platz. Sie spielen ohne weiße Markierungen am Spielfeld. Sie spielen mit einem Plastikball auf einer Wiese.
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17 | Georg Großmann
Der Nachtkrabb
(ein altes Lehrmärchen)
Kinder des Tages
hellt nicht die Nacht
mit dem Weiß eurer
Augen
das Dunkel, das die Welt
umflort
beherbergt böse
Kreaturen
gehorcht den Uhren, den
Liedern der Stunde
und klettert nicht in den Ofen
der Nacht, klettert
in den Alkoven
und macht
die Augen häutig und
still
morgen Früh, wenn Gott
will
–
meidet die Nacht
seid nicht des nachts
im Wald, auf freiem
Felde, wenn die
Geister aus dem
Nebel brechen
wenn der Nachteulenfresser kommt
und schlaflose Kinder
ins hinterste Finster
des dichtesten Waldes
verschleppt
ein Riese, man nennt ihn
den Nachtkrabb
ein tiefschwarzer Vogel
groß wie ein Stadel
geht auf gefiederten
Stelzen
greift mit gefiederten
Fingern
stößt mit seinem Sensenschnabel
rote Höllenschreie aus
schaut mit seinen Kohleaugen
dreht den Federkopf zur Seite
pickt nach euch wie ein
fallender Baum
sieht euch von Weitem
sieht euch von oben
kommt schon geflogen
hört jedes Knistern von
Zweigen
hört jedes Flüstern und
Schweigen
sucht nach den
Kindern, den
sturen
(hört auf die Uhren!)
lässt sich die
Abweichler munden
(folgt brav den Stunden!)
Nachtkrabb, gefiederter
Riese
reibt euch mit Grobsand
Wunden ins Fleisch
reibt euch das Augenlicht
aus eurem Angstgesicht
legt euch die ewige
Nacht in den
Schädel
hält euch im Dunkel
fest, dem ihr
gefrönt
schindet euch
Kinder des Tages
hellt nicht die Nacht
mit dem Weiß eurer
Augen
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16 | POEDU: Wanda & Marie
Wunschliste II
Ich wünschte, ich wäre ein Vogel.
Ich wünschte, dann könnte ich alles sehen.
Ich wünschte, ich wäre eine Giraffe.
Ich wünschte, dann könnte ich ganz weit gehen.
Ich wünschte, ich wäre ein Krokodil.
Ich wünschte, ich lebte im Nil.
Ich wünschte, ich wäre eine Maus.
Ich wünschte, dann wäre ein Loch mein Zuhaus.
Wanda, 8 Jahre alt
***
Ich wünschte.....
Ich wünschte, es gäbe kein Mathe als Schulfach
Ich wünschte, meine Schule wäre in unserem Dorf
Ich wünschte, es gäbe nicht so viele französische Vokabeln
Ich wünschte, ich wäre eine Artistin im Zirkus
Ich wünschte, es gäbe keinen Klimawandel
Ich wünschte, meine Eltern hätten eine Konditorei
Ich wünschte, es gäbe weniger Ferien
Marie, 11 Jahre alt
***
POEDU | Poesie von Kindern für Kinder.
Monatlich gibt ein*e Autor*in online einen poetischen Anstoß.
Dieser Impuls kam von Anke Bastrop:
Poesie und Wünschen sind fest miteinander verbunden, und zwar das ganze Jahr lang. Genau genommen kennt das poetische Wünschen keinen Raum und keine Zeit, keine Bedingungen und keine Grenzen. Stellt euch also vor, euer Wünschen wäre ganz frei. Alles, einfach alles dürft ihr sagen … natürlich auch eure Herzensdingwünsche – alles ist erlaubt ...
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15 | Sonja Grebe
Provinzmond
Klirrend kalt, wolkenlos. Der runde Mond strahlt wie Flutlicht vom Himmel. So stechend hell, dass die Dinge Schatten werfen und sie selbst in scharfer, quarzweißer Klarheit hervortreten, überscharf; ich betrachte entfernte Häuschen durch die Lupe aus gläserner Luft und kann jede Dachpfanne einzeln glitzern sehen. Dunkel schimmern das Gefieder der Krähen, die in der Pappel schlafen, die nassen Steine im Bach, Flaschenscherben an der Regiobus-Haltestelle, Isolatoren an Weidezäunen, Misteln, Hagebutten, die Bugwellen eines Kanalschiffs. Im Weltall-Licht entziffere ich, was mir die Risse und Teerflicken der Landstraße buchstabieren. Das Licht glasiert ausgeblichene Schilder, „Zum Dorfkrug“, „Änderungsschneiderei“, „Schlachterei und Partyservice“, „Spielhalle“, es löscht oder verbläut Farben, es versilbert die Nachtstunden der Füchse, Feldmäuse, Kleinkinder und wem sonst noch mit Uhrzeigern nicht geholfen ist. Alles gleißt still. Unterm Mond wird alles überdeutlich und zugleich unbeschaulich. Der kirschrote Rahmen des leeren Kaugummiautomaten glänzt tollkirschdunkel, die Nietbolzen der Kanalbrücke sind metallische Käferpanzer, der Horizont ist ein Streifen Magnetband. Gartenschaukeln, Bänke, Jägersitze, ein Bauschutt-Container (5 Kubik), Strommasten, Storchennester, die örtliche Motorsirene, der rostige Baukran, freistehende Bäume sind jetzt Skulpturen, rätselhafte Kultobjekte. Die Strahlung ergießt sich in die flächige Weite, sie sickert hinab zu den Knollen und Engerlingen in der Erde, drängt hinein in die Höhlen der Tiere und auch in die Häuser, Boote und Autos der Leute, sie erfasst alles, kennt alles persönlich. Mich genauso. Der Mond sieht mich spazieren gehen. Der Mond sieht mich einen Stein aufheben, von dem ich kurz glaubte, er würde atmen. Da rauscht ein VW Passat – heraldisches Gerät dieser Region – um die Kurve und spuckt Musik. Soweit kein Ereignis. Aber die Musik, die jetzt an mir vorüber schwallt, kommt hier sonst nie vor: 54-46 was my number höre ich Toots & The Maytals singen. Mondweiße Wildschweine würden mich weniger verwundern. „Solche Leute gibts hier?“ Der Mond blinzelt nicht mal. „Wie lange weißt Du schon davon?“, frage ich ihn vorwürfig.
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14 | Karl Johann Müller
nach den Farben der Raureif
im ersten Raureif Bilder meines Sommers
sie spiegeln mein Erinnern an neulich
eine flüchtige Sonne hat sie in den Farben
des Herbstes auf wandelnde und bald
fallende Blätter gezeichnet
die sich im Sinken dem Vergehen nähern
lautlos tropfen sie als Zeichen des Verfalls
von der Gleichmäßigkeit des Zeitenwindes
beständig geschaukelt auf einen Boden
der den Schnee schon auf sich fallen sieht
und du
die du wie ich die Falten zählst im Gegenlicht
des tagsüber tauenden Raureifs
du hast dir dein Haar schon gebürstet
wie ich
wenn die Kälte kommt
möchten wir schön sein
farbig und prächtig wie die Laubbäume
im Oktober
unsere Gedanken sind geerntet
gekeltert
unsere Haut färbt sich dem Ende zu
wo kein Frühling mehr wartet
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13 | Dominik Kohl
Robben
Plötzlich war da ein Kopf im Wasser.
Schwarz gerundet, glänzte
Verlängerung, die fleckigen Steine
verknüpften treibend Algen. Tauchte
unter unter Riffel Oberflächen, wo
Wind ging. Zerriebene, zerstoßene Stücke
Muscheln lagen herum. Ein Stück
weiter wieder derselbe Schädel
oder ein anderer dehnte die Spannung der Wellen.
Kompakter Körper, unsichtbar, streckte sich schnell,
später. Noch einmal
am Ufer. Ebbe. Windstöße
an Stirn. Zusammengeballt das Meer, du
warst nicht allein. Weiter unten
die schräggefallene Seite der Berge.
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