20 | Guillermo Millán Arana

Eierpunsch

Obwohl wir in derselben Kleinstadt wohnten, sah ich meinen Großvater nur bei bestimmten Familienfesten. Traf trifft es besser, denn ich sah ihn oft. Ich erinnere mich an einen Herbstabend, als ich mit meinen Eltern auf dem Heimweg von einer Gaststätte war, als in einer Seitenstraße eine Kneipentür vor uns aufging und sein scharfes Lachen zu hören zu war. Durch eines der beschlagenen Sprossenfenster sah ich meinen Großvater mit hochrotem Gesicht in einer Gruppe von Männern stehen. Er packte einen jungen Kerl, aus seinem Schützenverein, denke ich, am Kragen, nahm ihn grob in den Schwitzkasten und verpasste dem verlegenen Burschen mehrere Backpfeifen mit der freien Hand. Die anderen schienen sich zu amüsieren, klatschten, johlten meinem Großvater zu. Ich sah hinauf zu Mama. Sie sagte nichts. Dann stupste sie mich an und wir gingen weiter. Ich weiß nicht, ob meine Mutter wollte, dass ich das sehe.
So munter er in der Gesellschaft seiner Freunde war, setzte mein Opa auf Familienfesten sein Schweigen durch. Dafür musste er nichts unternehmen, oder zumindest nicht aktiv, da er mit seinem Naturell für Ruhe sorgte. Für gewöhnlich apathisch, haftete seinem Ausdruck, vor allem zu Tisch, eine gewisse Verärgerung an, ja fast ein unterdrückter Zorn. Die zuckenden Augenbrauen, die zusammengepressten Lippen, das leicht abgewandte Gesicht, der fliehende Blick, der, wenn man ihn erwischte, nur mit einer Art automatischem Misstrauen entgegnet wurde; das alles vermittelte uns anderen Familienmitgliedern die stille Botschaft, im Grunde unerwünscht zu sein, dass er den Abend lieber allein verbringen wollte.
Auch wenn die Stimmung auf solchen Familienfeiern lebhafter wurde, geschah das nur zu seinen Bedingungen. Zu Weihnachten etwa löste sich das Gemüt meines Großvaters nur, wenn es Eierpunsch gab. Obwohl ich ein kleines Mädchen war, konnte ich ausrechnen, wie sich seine Stimmung veränderte, wenn er trank. Zwei Gläschen waren das goldene Maß, dann überkam Opa eine seltsame Rührseligkeit. Das war uns Kindern unangenehm, denn in der Phase des Abends wurde er auf seine Weise zutraulich: Mein Cousin Tommy bekam zum Spaß einen Tritt in den Hintern, mir fuhr er erst mit sanfter Hand durchs Haar, um mir zur Pointe mit einem Jauchzer an den Zöpfen zu ziehen, und Max, der Sohn meiner Tante Sabine, der laut Mama aus einer flüchtigen Liebesnacht entstanden war, nannte Opa „mein kleiner Bastard“.
Beim sechsten Gläschen wurde er allmählich gemein. Er frotzelte über jede unserer Ideen, fast mit einem Krächzen, begleitet von einem Schwung seines gedrungenen Leibes. Schon damals kam mir seine Ausgelassenheit gezwungen vor, als erlaube ihm der Suff, seine höhnischen Zwischenrufe in die Form eines Lachens zu kleiden. Die Erwachsenen stellten sich für gewöhnlich dumm, vor allem nach dem Essen: Die Frauen wandten sich ab, plauderten am Erwachsenentisch, die Männer gingen zum Kindertisch, um Skat zu spielen und zu rauchen, während wir Kinder Zuflucht vor Opa suchten. Wenn er mir viel Angst machte, suchte ich Mama mit den Augen. Stumm erwiderte sie meinen Blick und schaute dann verlegen auf die Tischdecke. Für Oma war es am schlimmsten. Abends, oft waren wir Kinder noch wach, kam unweigerlich die Zeit, in der sie meinen Großvater ins Bett bringen musste. Später, wenn wir Kinder im Flur spielten, hallte sein Schnarchen als Echo seiner Hänseleien aus dem Schlafzimmer.
Nur durch Zufall erfuhr ich, dass Opa den Eierlikör zubereitete, aus dem Oma dann zu Weihnachten den Eierpunsch machte. (In der Verwandtschaft ging man davon aus, dass nur Oma etwas damit zu tun hatte, und jedes Jahr aufs Neue erntete sie aufrichtiges Lob für den guten Punsch. Wenn ich Eier nur rieche, wird mir übel; trotzdem habe ich diesen Eierpunsch oft und gern getrunken.) Einmal, ich war etwa fünfzehn, fuhren wir unangemeldet zu meinen Großeltern. Heiligabend war noch eine Woche hin. Die Englischlehrerin hatte darauf bestanden, den zweiten Teil von Henry IV aufzuführen, und mein Bruder sollte John Falstaff spielen. Mama hatte schleunigst sein Kostüm zusammenzunähen, für das sie Omas Stoffsammlung durchstöbern wollte. Oma stand zunächst ganz verdutzt in der Tür und ich war mir kurz sicher, dass sie uns nicht reinlassen würde. Aber Mama schob sich murmelnd an ihr vorbei und ging auf den Dachboden. Oma bat mich ins Haus, und deutete verstreut mit dem Kopf zur Küche. Bevor ich eintrat, schien sie zu zögern, aber sie tat nichts. Opa stand hemdsärmlig in der Küche. Auf der Arbeitsfläche vor ihm lagen die Zutaten ausgebreitet: Eier, Rum, Puderzucker, ein Glas Wasser, eine Vanilleschote. Fast eindringlich lud er mich ein, einzutreten. Sorgfältig verrührte er Schritt für Schritt alle Zutaten. Aus der Vanilleschote schnitt er mit geübter Hand das Mark heraus.
Er sprach kaum, murmelte gelegentlich vor sich hin, dass man den Fusel aus dem Supermarkt nicht nehmen dürfe, weil man sonst die heilige Jungfrau beschmutze. Oder auch, dass die ganze Welt im Ei stecke. Aber das wirklich Erstaunliche war, ihn so in etwas vertieft zu sehen, so in sich ruhend. Oft habe ich darüber nachgedacht, ob er an jenem Nachmittag sein wahres Wesen offenbarte. Aber auf der Weihnachtsfeier zeigte er sein übliches Gesicht. Diesmal fiel ihm mein Bruder zum Opfer. Mein Opa, der schon beim siebten Gläschen war, grölte ihm zu, er solle doch Shakespeare rezitieren. Mein Bruder antwortete nur: „Fuck you.“ Großvater brüllte vor Lachen. Als mein Bruder später an ihm vorbeiging, schlug ihm Opa so heftig in den Nacken, dass mein Bruder vornüberfiel und erst einmal liegen blieb. Mama sagte nichts, sie sah Opa nicht einmal an. Wir halfen meinem Bruder auf die Beine und gingen sofort heim. Nach dem Vorfall haben wir nur noch im kleinen Kreis gefeiert.
Opa starb ein paar Jahre nach Oma. Mama, die ihn hin und wieder im Pflegeheim besuchte, sagte uns eines Tages am Esstisch, dass es ihm schlecht gehe. Ich sah sie an und hatte das Gefühl, dass sie sich seinen Tod wünschte, aber ich sagte nichts. Einige Wochen später teilte sie uns mit, dass er gestorben sei. Ich glaubte, Erleichterung in ihrem Gesicht zu sehen, und schwieg. Neulich habe ich zum ersten Mal versucht, mit ihr über Opa zu sprechen. Sie sagte, sie wisse genauso viel über ihn wie ich.

 

Guillermo Millán Arana

 

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19 | Doris Leeb

Ich sage euch an

Es brennt ein Wutbäuchlein
Erst eins
Dann zwei
Dann dreihundert
Dann vier
Dann steht das Patriarchat vor der Tür

Ist das Kind schon?
Glänzt der Baum schon?
Duftet der Keks schon?
Hat sie eh schon?

Noch nicht?

Na sog amoi!
Wo sama denn?
No de erlaubt se.
Erlauben sie mal.
Sie. sie.

 

Doris Leeb

 

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18 | Chili Tomasson

Die Brücke am Ostufer

Die Kinder spielen Fußball. Sie spielen ohne schreiende Väter neben dem Platz. Sie spielen ohne weiße Markierungen am Spielfeld. Sie spielen mit einem Plastikball auf einer Wiese.

Ich öffne das Fenster in der Küche.
Das Wetter am Wochenende bleibt beständig. Montags fällt die Temperatur unter 20°, aber die Stromleitungen sind intakt.

Wir wohnen in einem Einfamilienhaus am Stadtrand. Die Solarpanele wurden staatlich gefördert und vergangenen Sommer auf dem Dach montiert. Die Einfahrt ist mit hellgrauen Steinen gepflastert und eine schmale Mauer trennt sie an beiden Seiten vom Rasen. Das Gras ist kurz geschnitten und jeden Frühling freue ich mich über die ersten Triebe der Stockrosen.
Seitdem die Brücke gesperrt ist, brauche ich jeden Tag mehr als eine Stunde, um in die Arbeit zu kommen. Der Ausbau der Straßen wurde bereits vor Jahren versprochen, aber die Bauarbeiten haben erst vergangenen Mai begonnen. Ich denke, dass es noch mehrere Jahre dauern wird, bis die Umfahrungsstraße fertiggestellt sein wird.

Im Sommer erscheint mir der Berufsverkehr lauter als sonst. Es ist schon hell, wenn ich auf die Hauptstraße einbiege und ich bemerke, wie sich die Hitze allmählich über den Asphalt legt. Die Luft entfaltet sich langsam und schwer. Im Rückspiegel erkenne ich das Ausmaß der äußeren Bezirke. Sie wachsen stetig und orientieren sich an den Büros im Zentrum und den Fabriken im Süden der Stadt.
Im Sommer habe ich, wie alle anderen, die Fenster unten, während ich an der Ampel warte.

Der Regen zieht nach Südosten ab, von Norden her lockern die Wolken allmählich auf. Mäßiger bis lebhafter Westwind. Die Temperaturen erreichen 17° bis 22°.

Arbeitszeiterfassung:

Arbeitsbeginn: 09.00
Kaffeepause: 11.15
Arbeit: 11.30
Mittagspause: 13.00
Arbeit: 13.30
Kaffeepause: 16.00
Arbeit: 16.15
Arbeitsende: 18.00

Seit vermehrt über Einbrüche berichtet wurde, versperre ich das Garagentor und die Eingangstür hinter mir, wenn ich zu Hause ankomme. Es verursacht keinen Mehraufwand und verschafft Sicherheit.
Ich weiß, dass alle hören, wenn ich nach Hause komme. Trotzdem rufe ich immer nach ihnen, während ich mir die Schuhe ausziehe.

Vom Küchenfenster aus kann ich den ganzen Garten überblicken. Kommendes Wochenende werde ich den Rasen mähen und die Hecke schneiden. Die Stockrosen haben bereits zu blühen begonnen und die Tage sind lang.
Abends erzähle ich von der Arbeit. Wir sprechen über die Prognosen der bevorstehenden Wahlen. Ich schneide das Gemüse und wasche den Salat. Dann essen wir alle gemeinsam zu Abend.

Kühl, trüb, unbeständig. Im Süden sind leichte Regenschauer zu erwarten. Die Schneefallgrenze sinkt hier gegen 2000m Höhe. Ansonsten bleibt es größtenteils trocken. Leichter bis mäßiger Nordwestwind. 13° bis 18°. In 1500m Höhe um 5°.

Bevor ich schlafen gehe, sitze ich noch eine Weile im Wohnzimmer und lese in den Fachmagazinen.
In der darauffolgenden Nacht träume ich erneut:

Vom Ostufer aus sehe ich die Abschussrampen und Raketenfelder. Das Einfamilienhaus steht am Stadtrand.
Die Luftwaffe hat nach eigenen Angaben gestern drei Kampfflugzeuge im Süden des Landes abgeschossen;
oder
Drei Kampfflugzeuge seien mittags in der südlichen Einsatzzone abgeschossen worden.
Die Behörden machten bislang keine weiteren Angaben zu dem Vorfall. Die Zahlen können nicht unabhängig überprüft werden. Die Streitkräfte wehrten zuletzt weitere Angriffe im Süden ab. Dort spielen die Kinder Fußball. Sie spielen ohne schreiende Väter neben dem Platz. Sie spielen ohne weiße Markierungen am Spielfeld. Sie spielen mit einem Plastikball auf einer Wiese.

 

Chili Tomasson

 

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17 | Georg Großmann

Der Nachtkrabb

(ein altes Lehrmärchen)

Kinder des Tages
hellt nicht die Nacht

mit dem Weiß eurer
Augen

das Dunkel, das die Welt
umflort
beherbergt böse
Kreaturen

gehorcht den Uhren, den
Liedern der Stunde
und klettert nicht in den Ofen
der Nacht, klettert
in den Alkoven
und macht
die Augen häutig und
still
morgen Früh, wenn Gott
will

meidet die Nacht
seid nicht des nachts
im Wald, auf freiem
Felde, wenn die
Geister aus dem
Nebel brechen

wenn der Nachteulenfresser kommt

und schlaflose Kinder
ins hinterste Finster
des dichtesten Waldes
verschleppt

ein Riese, man nennt ihn
den Nachtkrabb

ein tiefschwarzer Vogel
groß wie ein Stadel

geht auf gefiederten
Stelzen

greift mit gefiederten
Fingern

stößt mit seinem Sensenschnabel
rote Höllenschreie aus

schaut mit seinen Kohleaugen
dreht den Federkopf zur Seite

pickt nach euch wie ein
fallender Baum

sieht euch von Weitem
sieht euch von oben
kommt schon geflogen
hört jedes Knistern von
Zweigen
hört jedes Flüstern und
Schweigen

sucht nach den
Kindern, den
sturen

(hört auf die Uhren!)

lässt sich die
Abweichler munden

(folgt brav den Stunden!)

Nachtkrabb, gefiederter
Riese

reibt euch mit Grobsand
Wunden ins Fleisch

reibt euch das Augenlicht
aus eurem Angstgesicht
legt euch die ewige
Nacht in den
Schädel

hält euch im Dunkel
fest, dem ihr
gefrönt

schindet euch

Kinder des Tages

hellt nicht die Nacht

mit dem Weiß eurer
Augen

 

Georg Großmann

 

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16 | POEDU: Wanda & Marie

Wunschliste II

 

Ich wünschte, ich wäre ein Vogel.
Ich wünschte, dann könnte ich alles sehen.
Ich wünschte, ich wäre eine Giraffe.
Ich wünschte, dann könnte ich ganz weit gehen.
Ich wünschte, ich wäre ein Krokodil.
Ich wünschte, ich lebte im Nil.
Ich wünschte, ich wäre eine Maus.
Ich wünschte, dann wäre ein Loch mein Zuhaus.

 

Wanda, 8 Jahre alt

***

 

Ich wünschte.....
Ich wünschte, es gäbe kein Mathe als Schulfach
Ich wünschte, meine Schule wäre in unserem Dorf
Ich wünschte, es gäbe nicht so viele französische Vokabeln
Ich wünschte, ich wäre eine Artistin im Zirkus
Ich wünschte, es gäbe keinen Klimawandel
Ich wünschte, meine Eltern hätten eine Konditorei
Ich wünschte, es gäbe weniger Ferien

 

Marie, 11 Jahre alt

***

 

POEDU | Poesie von Kindern für Kinder.
Monatlich gibt ein*e Autor*in online einen poetischen Anstoß.

 

Dieser Impuls kam von Anke Bastrop:

Poesie und Wünschen sind fest miteinander verbunden, und zwar das ganze Jahr lang. Genau genommen kennt das poetische Wünschen keinen Raum und keine Zeit, keine Bedingungen und keine Grenzen. Stellt euch also vor, euer Wünschen wäre ganz frei. Alles, einfach alles dürft ihr sagen … natürlich auch eure Herzensdingwünsche – alles ist erlaubt ...

 

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15 | Sonja Grebe

Provinzmond

Klirrend kalt, wolkenlos. Der runde Mond strahlt wie Flutlicht vom Himmel. So stechend hell, dass die Dinge Schatten werfen und sie selbst in scharfer, quarzweißer Klarheit hervortreten, überscharf; ich betrachte entfernte Häuschen durch die Lupe aus gläserner Luft und kann jede Dachpfanne einzeln glitzern sehen. Dunkel schimmern das Gefieder der Krähen, die in der Pappel schlafen, die nassen Steine im Bach, Flaschenscherben an der Regiobus-Haltestelle, Isolatoren an Weidezäunen, Misteln, Hagebutten, die Bugwellen eines Kanalschiffs. Im Weltall-Licht entziffere ich, was mir die Risse und Teerflicken der Landstraße buchstabieren. Das Licht glasiert ausgeblichene Schilder, „Zum Dorfkrug“, „Änderungsschneiderei“, „Schlachterei und Partyservice“, „Spielhalle“, es löscht oder verbläut Farben, es versilbert die Nachtstunden der Füchse, Feldmäuse, Kleinkinder und wem sonst noch mit Uhrzeigern nicht geholfen ist. Alles gleißt still. Unterm Mond wird alles überdeutlich und zugleich unbeschaulich. Der kirschrote Rahmen des leeren Kaugummiautomaten glänzt tollkirschdunkel, die Nietbolzen der Kanalbrücke sind metallische Käferpanzer, der Horizont ist ein Streifen Magnetband. Gartenschaukeln, Bänke, Jägersitze, ein Bauschutt-Container (5 Kubik), Strommasten, Storchennester, die örtliche Motorsirene, der rostige Baukran, freistehende Bäume sind jetzt Skulpturen, rätselhafte Kultobjekte. Die Strahlung ergießt sich in die flächige Weite, sie sickert hinab zu den Knollen und Engerlingen in der Erde, drängt hinein in die Höhlen der Tiere und auch in die Häuser, Boote und Autos der Leute, sie erfasst alles, kennt alles persönlich. Mich genauso. Der Mond sieht mich spazieren gehen. Der Mond sieht mich einen Stein aufheben, von dem ich kurz glaubte, er würde atmen. Da rauscht ein VW Passat – heraldisches Gerät dieser Region – um die Kurve und spuckt Musik. Soweit kein Ereignis. Aber die Musik, die jetzt an mir vorüber schwallt, kommt hier sonst nie vor: 54-46 was my number höre ich Toots & The Maytals singen. Mondweiße Wildschweine würden mich weniger verwundern. „Solche Leute gibts hier?“ Der Mond blinzelt nicht mal. „Wie lange weißt Du schon davon?“, frage ich ihn vorwürfig.

 

Sonja Grebe

 

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14 | Karl Johann Müller

nach den Farben der Raureif

im ersten Raureif Bilder meines Sommers
sie spiegeln mein Erinnern an neulich
eine flüchtige Sonne hat sie in den Farben
des Herbstes auf wandelnde und bald
fallende Blätter gezeichnet
die sich im Sinken dem Vergehen nähern
lautlos tropfen sie als Zeichen des Verfalls
von der Gleichmäßigkeit des Zeitenwindes
beständig geschaukelt auf einen Boden
der den Schnee schon auf sich fallen sieht

und du
die du wie ich die Falten zählst im Gegenlicht
des tagsüber tauenden Raureifs
du hast dir dein Haar schon gebürstet
wie ich
wenn die Kälte kommt
möchten wir schön sein
farbig und prächtig wie die Laubbäume
im Oktober
unsere Gedanken sind geerntet
gekeltert
unsere Haut färbt sich dem Ende zu
wo kein Frühling mehr wartet

 

Karl Johann Müller

 

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13 | Dominik Kohl

Robben

Plötzlich war da ein Kopf im Wasser.
Schwarz gerundet, glänzte
Verlängerung, die fleckigen Steine
verknüpften treibend Algen. Tauchte
unter unter Riffel Oberflächen, wo

Wind ging. Zerriebene, zerstoßene Stücke
Muscheln lagen herum. Ein Stück
weiter wieder derselbe Schädel
oder ein anderer dehnte die Spannung der Wellen.
Kompakter Körper, unsichtbar, streckte sich schnell,

später. Noch einmal
am Ufer. Ebbe. Windstöße
an Stirn. Zusammengeballt das Meer, du
warst nicht allein. Weiter unten
die schräggefallene Seite der Berge.

 

Dominik Kohl

 

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12 | Laura Kind

Schwestern

Wind kommt auf. Ich spüre die Steine unter den Sohlen, das Salz auf meinen Lippen. Das Licht bricht sich in den Kristallen und verbrennt meine Lippen, bis sie kleine Bläschen bilden. Doch das ist später. Jetzt schmecke ich noch das Salz und fühle den Wind, die Erde unter den Füßen. Der Weg ist eng und ich muss ausweichen, als wir von einer Gruppe Wandertouristen überholt werden. „Amis“, sagt Jasna und ich nicke, was sie nicht sehen kann. „Michigan“, sage ich und denke, dass ich noch nie in den USA war. Ich schaue an mir herunter, auf meine Tchibo-Sporthose und die Meindl-Wanderschuhe. Dann hefte ich den Blick wieder auf den Rücken der Schwester. Sicher setzt sie einen Fuß vor den anderen. Ihr Schritt ist zügig und ich muss mir Mühe geben mitzuhalten.
„Alles okay da hinten?“
„Alles okay.“
„Komm, wir machen eine Pause.“
„Nicht nötig.“
Sie muss sich nicht umdrehen, damit ich ihre Zweifel im Gesicht sehen kann, die hochgezogenen Augenbrauen, die gerunzelte Stirn. Sie ist die Sportliche von uns beiden, egal wie viele Kilometer ich joggen gehe und wie viele Kilos ich abends nach der Arbeit im Gym stemme. Jasna läuft vorneweg und ich laufe hinterher. Ihre Füße finden ohne Zögern den nächsten Stein und ich setze meinen Fuß auf genau dieselbe Stelle. Manchmal gehe ich extra einen schwierigeren Weg, um nicht in ihre Fußstapfen zu treten. Doch meist wirft mich das dann ein paar Meter nach hinten und Jasna muss auf mich warten. Die Sonne bricht durch das Geäst und sprenkelt den Weg vor mir mit zuckenden Lichtern. Der Rosmarin wächst hier in üppigen Büschen. Der Oleander leuchtet im Staub. Ab und an blitzt das Blau des Meeres durchs Grün.
Ich spüre, wie meine Waden krampfen. Mein BH-Träger reibt schmerzhaft über einen Mückenstich. Es war Jasnas Idee, diesen Urlaub zu machen. Dabei haben wir eigentlich genug zu tun. Die Wohnung muss ausgeräumt werden und das kann dauern. Der Vater war ein Sammler. Er hat alles Mögliche konservieren wollen: Korken, Zuckertütchen aus Cafés, in denen er mit Mutter war, alle Ausgaben der Zeit. Doch Jasna hat darauf bestanden: „Jetzt, wo wir nur noch zu zweit sind. Da wäre das doch gut für uns, meinst du nicht?“, hat sie gesagt. Ich höre noch ihre aufgesetzte Fröhlichkeit durch den Telefonhörer. Das ist ihre Stimme, wenn sie sich selbst überzeugen will, wenn sie mir und sich sagen will, dass alles in Ordnung ist. Und dann ist es meine Aufgabe schnell einzustimmen, um das zu bestätigen. „Okay“, habe ich gesagt und meine Stimme nahm den Klang ihrer an und wir sagten beide „Schön.“, und legten auf.
Der Weg wird immer steiler. Die Sonne steht höher am Himmel und brennt mir im Nacken und auf der Kopfhaut. Ich hätte einen Hut mitnehmen sollen. „Willst du meinen?“, hat Jasna im Hotel gefragt, bevor wir losliefen. Ich musste nicht antworten. Die Schwester wusste auch so, dass ich ablehnen würde. Jasna wirft mir einen Blick zu. „Ganz schön anstrengend, was?“ Sie blickt mich dabei fröhlich an und sieht überhaupt nicht angestrengt aus. Mein T-Shirt klebt an meinem unteren Rücken. Ansonsten ist alles trocken: Der Staub unter meinen Fußsohlen, das Geäst, wie es knackt, wenn ich es zur Seite schiebe, meine Kehle, denn ich habe natürlich zu wenig Wasser eingepackt.
„Hier ist es.“ Meine Schwester steht auf einem Plateau und deutet mit dem Finger auf den Abgrund. „Schön, nicht wahr?“ Die Felsen schneiden scharf in den blauen Himmel, der über dem Azur des Wassers verblasst. Gewaltige Wassermassen schlagen gegen die Steilküste, doch hier oben ist nichts davon zu hören. Der Wind legt sich über meine Ohren, verschließt sie vor jedem Geräusch. Mit der nächsten Böe verliere ich kurz das Gleichgewicht. Die Angst vor dem freien Fall ist ein kraftvolles Lehnen gegen den Wind, verzögert um eine halbe Sekunde, die mich vor mir selbst erschrecken lässt.
Jasna steht direkt neben der Abbruchkante. Der Wind wirbelt ihre Haare durcheinander, so dass ich ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen kann, wie damals, kurz bevor wir ins Meer sprangen. Ich erinnere mich an den Sog, der an meinen Beinen, an meinem ganzen Kinderkörper riss, spüre noch die Strömung, die mich herumwirbelte, als wäre ich kein Kind, sondern bereits Schaum geworden. Ich erinnere mich an die Angst, die sich in mir breitmachte, mir den Atem nahm, ebenso wie das Wasser. Ich sah die Schwester, die das Wettschwimmen gewonnen hatte, natürlich hatte sie das, und die jetzt zum Strand schwamm. Das nächste, an das ich mich erinnere, ist das Gesicht des Vaters, in das ich Wasser spuckte.
Jasna blickt mich jetzt erschrocken an. „Vorsicht!“, ruft sie. Dann zieht sie mich zu sich. „Du musst aufpassen!“ Ich schüttele den Kopf. „Ist doch alles gut“, doch mein Herz klopft in der Kehle, so dass sich die Worte ganz dünn machen müssen, um am Herzen vorbeizukommen. „Nichts passiert.“
Jasna holt tief Luft. „Weißt du, ich habe keine Lust, dass du auch…“
„Was?“
„Wir sind nur noch zu zweit.“
„Und was ändert das?“, will ich sagen, aber ich zucke nur mit den Schultern und laufe an der Schwester vorbei. Auf dem Geröll rutsche ich ein paarmal weg, verlangsame meine Schritte aber nicht. Am Ende des Weges bleibe ich stehen. Ich setze mich auf einen Stein und blicke auf den Hafen. Die Schiffe liegen sanft schaukelnd nebeneinander. Der Wind hat sich beruhigt. Das Wasser liegt wie ein ausgebreitetes blaues Tuch vor mir, nur dann in Falten geworfen, wenn jemand mit seiner teuren Yacht in den Hafen steuert.
Ein Schatten läuft über den Weg und bleibt vor mir stehen. „Deutscher“, sagt Jasna.
Ich betrachte den Mann, der seine Jolle in den Hafen fährt. „Vielleicht“ sage ich.
„Kommst du mit schwimmen?“
Ich schüttele den Kopf und stehe auf. Dann gehe ich zum Hotel und packe meine Sachen.

 

Laura Kind

 

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11 | Kerstin Hatzi

Glitzer im Gesicht

Schillern ist ein schwaches Verb, sagst du. Und ich nicke, obwohl wir beide etwas vollkommen anderes meinen.
Das ist eine Geschichte, die Sie so oder so ähnlich schon tausendmal gehört haben. Aber man glaubt ja immer, man selbst sei etwas Besonderes, oder?

Also: ICH
Ich bin in einer Stadt, die sehr nah an der Stadt ist, die einmal meine war. Ich bin in einer Stadt, die oft als pittoresk oder malerisch, manchmal auch nur als charmant beschrieben wird. Ich lasse mich davon nicht beirren. Denn: Es ist eine Stadt wie für mich gemacht. Eine mit der genau richtigen Anzahl an Menschen, zu viele, um ganz zu verschwinden, zu wenige, um nie wieder aufzutauchen. Eine mit ausreichend Gassen, um sich zu verlaufen und einer Sprache, die ich nicht spreche. Ich bin seit elf Tagen in dieser Stadt und war noch nicht beim Amt. Habe bisher keinen Supermarkt von innen gesehen, die Wohnung nicht eingerichtet, mit niemandem so etwas wie ein Gespräch geführt. Aber ich habe ein Café gefunden, eines mit durchgesessenen Polstermöbeln und Plastikblumen am Tisch, wo es immer irgendwie nach Rauch und Frittierfett riecht, obwohl keine Speisen serviert werden. In diesem Café trinkt nie, wirklich nie jemand Kaffee, sondern nur Bier und Wein und wenn gar nichts mehr geht, dann einen Kurzen.
Und so sitze ich jeden Abend in dem Café, das eigentlich eine Bar ist, und trinke ein Glas Wein, rauche, schreibe und frage mich: Bin ich jetzt offiziell Autorin oder nur ein Klischee?

Und DU…
Du sagst: Du hasst Menschen, aber liebst deine Freund:innen.
Du isst seit fünf Jahren kein Fleisch, aber Leberkässemmel einmal im Monat muss einfach sein.
Du findest Montage schmecken salzig und Donnerstage sind blau.
Du kannst das Meer nicht riechen und schwitzt nur an der Nase.
Du rechnest mit deinen Fingern und kannst bis heute kein Rad schlagen. Und es ist dir egal.
Du bist lieber laut als leise. Zu spät als zu früh. Zu viel als zu wenig. Mehr Bauch- als Kopfmensch.
Du liest Romane nie, wirklich nie zu Ende, aus Prinzip, sagst du und funkelst mit deinen grünen Augen, die manchmal blau, manchmal grau sind.
Manchmal glaube ich, alles über dich zu wissen. Jeden Schritt und jeden Atemzug vorhersehen zu können.
Aber wo du jetzt gerade bist, was du tust, denkst oder fühlst, das weiß ich nicht.

Also: ICH
Liege da, Arme und Beine von mir gestreckt, liege da und starre an die Zimmerdecke, liege da und schwitze in mein Leintuch, liegt einfach da, in diesem, meinem Zimmer, das sich fremd anfühlt, in dieser, meiner Wohnung, die noch kein Zuhause, in der Gerüche noch nicht vertraut, Geschichten noch nicht Einzug gehalten haben.
Mein Blick wandert durch den Raum und bleibt an meinem Leben hängen, das in 6 Umzugskisten, 2 Koffer und 4 Ikea-Tüten passt. Vor zwei Wochen und drei Tagen in der hintersten Ecke des Zimmers abgestellt, seit zwei Wochen und drei Tagen nicht mehr angerührt.
Schreibtisch, Klappstuhl, Schrank, Bücherregal, das ohne Bücher eigentlich streng genommen nur ein Regal ist. Alles an seinem Platz, alles so wie es die Mieterin vor mir verlassen hat. Nur die feine Staubschicht, die ist neu.
Als ich meiner Mutter vor drei Tagen am Telefon von dem Umzug erzählte, nannte sie ihn ein „mutiges Projekt“. Ich wollte sie korrigieren. Wollte einwerfen, dass es sich hierbei um nichts Geringeres als um mein Leben handelt. Aber ich schwieg. Für meine Mutter ist seit der Scheidung alles ein Projekt: Töpferkurs, Darmreinigung, Mutterschaft. Mein Vater war nicht zu erreichen. Also schrieb ich ihm eine SMS, schrieb, dass ich raus musste, aus der Wohnung, der Stadt, sogar aus dem Land. Er antwortete per Mail. Schrieb, ihm tue das alles schrecklich leid für mich, aber, und das müsse er jetzt auch mal sagen als mein Vater, er müsse sagen, dass ihn das alles nicht wundere, eine Expertin für das Leben sei ich schließlich noch nie gewesen.

Und DU…
Wenn du lachst, bebt der ganze Körper. Die Mundwinkel ziehen nach oben, die Nasenlöcher weiten sich, die Augen werden zu schmalen Schlitzen. Wenn du lachst und prustend deinen Kopf nach hinten wirfst, wenn du lachst und mit den Händen auf deine Schenkel klopfst, drehe ich mich beschämt zur Seite.
Wenn du einen Raum betrittst, nimmst du ihn ein. Du machst das nicht absichtlich. Aber du machst es und bist in Sekundenschnelle mit allem eins. Mit jedem Menschen, jeder Zimmerpflanze, jedem Molekül. Wenn du einen Raum betrittst und in deinem Element bist, alles und jeden in dich aufsaugst, raubst du mir die Luft zum Atmen.

Also: ICH
Ich sitze in dem Café, das eigentlich eine Bar ist, und scrolle mich stundenlang durch alte Fotos am Handy. Ich sehe diese Frau, Anfang/Mitte Dreißig.
Die Frau isst Döner, vegetarisch, aber mit Zwiebeln, viel Zwiebeln
und trinkt Cola, nicht light, sondern normal.
Die Frau reist allein durch Vietnam und streichelt Esel in Marokko
Sie gewinnt im Backgammon
und zockt im Casino
Die Frau knutscht Fremde
und tanzt barfuß in Clubs
Sie trägt Glitzer, oft und viel Glitzer im Gesicht.
Und ich erkenne die Ähnlichkeit, ich kenne die Frau, aber ich weiß, ich kann das nicht sein. Ich kann das nicht sein, weil ich weiß, was ein Foto nicht ist:
ein Abbild,
ein Ausschnitt,
ein Dokument der Wirklichkeit.

Ich sitze in dem Café, das eigentlich eine Bar ist und schreibe in mein Notizheft. Ich schreibe: Was es bedeutet zu gehen, Doppelpunkt. Ich schreibe:
Du wirst nicht essen.
Du wirst nicht schlafen.
Du wirst nachts Geister jagen.
Du wirst nicht eine, sondern 20 Hände brauchen, die dich halten und die ersten Meter tragen.
Du wirst in dich zusammenfallen und immer weniger und weniger, aber alle werden sagen: Gut sieht sie aus.
Du wirst nicht alles, aber das meiste in Frage stellen.
Aber am Ende wird es besser sein.

Weil ich nicht Schritt halten kann
und du eine 5er Pace hast.
Weil ich neben dir immer ein bisschen weniger Feministin bin
und du immer nur du.
Weil ich irgendwann mehr sein möchte als nur eine Aneinanderreihung von Möglichkeiten
und du doch nur in deiner Inkonsequenz konsequent bleibst.

Und dann erinnere ich mich wieder, an den Moment:
Drei Tage bevor ich die Wohnung, die Stadt, ja sogar das Land verlassen musste.
Wir stehen im Badezimmer. Es ist schon hell, wir waren noch nicht im Bett, wir haben wie so oft die Tanzfläche zu spät verlassen.
Schillern ist ein schwaches Verb, sage ich und nicke. Schaue in den Spiegel. Sehe meine grünen Augen, die manchmal blau, manchmal grau sind. Sehe die kleinen Schweißperlen auf der Nase. Sehe zu viel Farbe, zu viel Glitzer, zu viel von dir. Nur mich – mich sehe ich nicht.
Das ist eine Geschichte, die Sie so oder so ähnlich schon tausendmal gehört haben. Das ist eine Geschichte, die sich so oder so ähnlich oder ganz anders zugetragen hat. Und ich denke mir, ich will das niederschreiben. Will mich aufs Papier bringen. Neu verfassen. Aber ich finde den Ausdruck nicht. Alles schon gesagt.
Und trotzdem weiß ich irgendwie: Ich bin noch nicht auserzählt.

 

Kerstin Hatzi

 

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