Der Nachtkrabb

(ein altes Lehrmärchen)

Kinder des Tages
hellt nicht die Nacht

mit dem Weiß eurer
Augen

das Dunkel, das die Welt
umflort
beherbergt böse
Kreaturen

gehorcht den Uhren, den
Liedern der Stunde
und klettert nicht in den Ofen
der Nacht, klettert
in den Alkoven
und macht
die Augen häutig und
still
morgen Früh, wenn Gott
will

meidet die Nacht
seid nicht des nachts
im Wald, auf freiem
Felde, wenn die
Geister aus dem
Nebel brechen

wenn der Nachteulenfresser kommt

und schlaflose Kinder
ins hinterste Finster
des dichtesten Waldes
verschleppt

ein Riese, man nennt ihn
den Nachtkrabb

ein tiefschwarzer Vogel
groß wie ein Stadel

geht auf gefiederten
Stelzen

greift mit gefiederten
Fingern

stößt mit seinem Sensenschnabel
rote Höllenschreie aus

schaut mit seinen Kohleaugen
dreht den Federkopf zur Seite

pickt nach euch wie ein
fallender Baum

sieht euch von Weitem
sieht euch von oben
kommt schon geflogen
hört jedes Knistern von
Zweigen
hört jedes Flüstern und
Schweigen

sucht nach den
Kindern, den
sturen

(hört auf die Uhren!)

lässt sich die
Abweichler munden

(folgt brav den Stunden!)

Nachtkrabb, gefiederter
Riese

reibt euch mit Grobsand
Wunden ins Fleisch

reibt euch das Augenlicht
aus eurem Angstgesicht
legt euch die ewige
Nacht in den
Schädel

hält euch im Dunkel
fest, dem ihr
gefrönt

schindet euch

Kinder des Tages

hellt nicht die Nacht

mit dem Weiß eurer
Augen

 

Georg Großmann

 

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