freiVERS | Frau Sara

STROM II

Strömen
ohne
mein Zutun.

Einfach raus aus mir.

Meine Begrenzung wird still, an der Peripherie des Körpers kommt alles zur Ruh.
Die Ruhe dehnt sich aus.
Ich spüre mich, beim Warten.

Ich nehme mich wahr, als grosses Stück Menschenfleisch, ganz unaufgeregt & ergeben,
warte ich, nehme die Stösse & Wellen in mir zur Kenntnis, staune, wie ich Frau, es geschehen lassen muss. Wie meine Weiblichkeit zu sich nimmt, sich vorbereitet & wieder gehen lässt.

Im Rhythmus,
unsichtbar aber nicht heimlich.

Ich sitze da & das Leben strömt aus mir heraus.

Meine Gebärmutter arbeitet,
zuverlässig, ohne mein Zutun.

Ich sitze da, die Welt aussen rückt ab von mir. Ich bin da mit meiner innersten Höhle.
Ich spüre mir beim Arbeiten zu.

Ich habe ein Wunder in mir drin.

 

Frau Sara

 

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freiTEXT | Angela Regius

als es anfing mit dem zu hause bleiben hatte ich angst dass es wieder so sein würde wie damals mit dem essen und dem essen und dem   . die mangelnde struktur teil des problems und arbeit eine antwort mit ihren prozessen und räumen die standardisiert sind wegen gesundheitlichen erkenntnissen und den kernarbeitszeiten. never change a running system aber was läuft denn überhaupt und was ist bloße kompensation ein anderes ventil für etwas das tiefer sitzt das nicht zu lösen ist sondern abgearbeitet werden muss mit am besten antrainierter methodik. ich esse und esse nicht sondern liege auf dem sofa aktualisiere kaue an den nägeln fahre mit den fingern durch haare und fühle mich oft als wäre aufstehen eine unstemmbare angelegenheit. ich esse und esse nicht aber ob das so wäre wenn du nicht hier wärst mit mir in einer wohnung ob ich tatsächlich stärker geworden bin oder einfach nur das bild aufrecht erhalte weil da jemand ist der es sieht.

 

Angela Regius

 

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freiVERS | Anke Werner

Ausflug ins Grüne

Der Zündschlüssel löst sich,
als nächstes der Gurt,
schon stehe ich abseits des Autos.
Den letzten Gegenverkehr abgewartet
und zügig die Straße überquert.
Die Schritte werden schneller,
fliegen übers Feld
bis zum Waldrand,
an erste Büsche reihen sich Bäume
und nehmen mir Tempo.
Ich höre sie hupen,
aber hier findet mich niemand.
Irgendwer wird sich um den Stau schon kümmern.
Ich knicke Zweige,
trete nach Laub,
keine Euphorie,
nur nach Hause kommen,
zielsicher suche ich mein Nest.
Ein Bär hauste im Winter darin.
Ich kann ihn noch riechen
und fühle das Moos,
voll fremder Haare,
aber das macht mir nichts.
Die Geräusche und das Gefühl sind unverändert.
Meine Kleidung behalte ich am Körper,
noch darf sie bleiben,
mit der ersten Wäsche im Bach wird sie lästig werden.
Letztes Mal sah ich ihr nach,
wie sie dem Gewässer folgend entschwand.

 

Anke Werner

 

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freiTEXT | Viviane Kern

Die Entsorgung

I

Von meiner Wohnung zur Straße sind es 137 Schritte und 52 Stufen, ich zähle jedes Mal genau, um die Länge meiner Schritte einschätzen zu können und brauche meist exakt diese Anzahl. Habe ich mehr Schritte, ist dies ein handfestes Indiz dafür, dass ich gedankenversunken durch die Welt laufe und dies meine Beine hemmt, habe ich weniger, besteht die Gefahr, dass ich mich zu sehr durch den Tag hetze.

Kaum betrete ich die Straße, versuche ich leblose Dinge in hierarchische Kategorien einzuordnen und überlege, was diese in mir auslösen. Ein Mistkübel steht auf der gedanklichen Leiter weiter unten als vergleichsweise ein Auto, bedingt durch die Assoziation mit Schmutz, Ekel und Abfall. Dass in Mülleimer all jene Dinge gestopft werden, die man nicht braucht, deprimiert mich. Zugleich entfacht der Anblick die Neugier in mir, was wohl alles darin stecken könnte. Eine Ode an die Freude singe ich innerlich, wenn ein Mistkübel ungewollt aufgegangen ist und der ganze Müll wüst und entblößt auf der Straße liegt. Der halb ausgetrunkene Kaffee vermischt sich mit dem Papier, das die Flüssigkeit absorbiert, gepaart mit nicht identifizierbaren Essensresten und einem bunten Berg aus Plastik, das den rinnenden Kaffee nicht aufsaugen kann. Plastik ist beständig, nimmt nichts auf, manchmal sehne ich mich danach. Mülleimer müssen geleert werden, irgendwann platzen sie aus allen Nähten und bereits ein kleines Teilchen würde sie zum Überlaufen bringen. Leert man die eigenen Mülleimer nie, geht man von alleine daran kaputt. Kaum verlasse ich meine Wohnung, sehe ich Menschen, deren Mülleimer so groß sind, dass man es ihnen von außen bereits ansieht.

Zu den Mülleimern gehört auch das Wort entsorgen, das ich schön finde. Ich werde entsorgt, von meinen Sorgen befreit, ich kann diese abschütteln und loswerden, sie werden entleert – einfach so - für mich. Es ist befreiend, etwas in den Mistkübel zu werfen und nie wiederzusehen. So setze ich Fuß für Fuß vor mich, spüre wie meine Sohle den festen Grund berührt, wieder emporgehoben wird und gegen die Luft ankämpft, die kein Gewicht hat.

An der Ecke eines Wohnhauses verdorren Blumen vor lauter Hitze und fehlendem Wasser, die Stängel werden bereits leicht braun und beginnen sich zu verbiegen. Die Blumen werfen ihre Blüten ab und versuchen verzweifelt, sich das Leben zu retten.  Blumenstiele sind für mich saftig, die Blüten sollen duften, Farbe tragen, um der Welt einen Hauch von Schönheit zu verleihen. Ein Mann lehnt an einer Hauswand und zieht an einer Zigarette. Das Papier verwandelt sich mit dem Tabak in Asche und kleine Teilchen davon fliegen durch die Luft. Der Mann hält den Rauch kurz in seinen Lungen, bis er diesen genüsslich ausstößt, den Rhythmus der Stechuhr für einige Zeit durchbrechend. Der Rauch treibt aufwärts, als wäre er nie hier gewesen, in den Kondensstreifen-freien Himmel, die Luft ist sehr trocken.

Ich gehe die Straße entlang weiter, zähle meine Schritte, alle Geräusche, die zu mir hervordringen, nehme ich intensiv wahr: Stimmen, Motoren und ich sehne mich nach Wasser und Kälte. Der Schweiß tropft mir von der Stirn auf meine Schulter und rinnt den Oberarm langsam herab, ich kann spüren wie er kurz innehält, bevor er auf den Asphalt tropft und in diesem Moment ein kleiner Fleck auf dem Gehsteig hinterlässt. Er wird aufsteigen und verdunsten. Was wohl alles diesen kleinen Teil des Gehsteigs schon berührt hat? Ein Mann, der hinter mir geht, steigt genau auf meinen akkurat hinterlassenen Fleck und verwischt meine Spuren.

II

Ich setzte mich in das Kaffeehaus, in dem ich immer sitze. Zweiter Tisch von links genau der rechte Stuhl, hier kann man das tägliche Geschehen gut beobachten. Ich betrachte die einzelnen Gesichter, die vorbeieilen und obwohl es die Geschwindigkeit der passierenden Leute nicht wirklich möglich macht, mehr als einen flüchtigen Blick auf deren Ausdruck zu werfen, habe ich das Gefühl, man könne Jahre darin lesen.

Verharrend in meinem Beobachten passiert etwas Suspektes, fast Bedrohliches, mit dem niemand gerechnet hat: Ein Mann schaut in alle Richtungen und versucht sich vor einem Mistkübel zu positionieren, dass sichergestellt ist, dass niemand seinen verdächtigen Vorgang sieht. Unter seiner Jacke holt er, sein Plan wirkt ab diesem Zeitpunkt nicht mehr penibel durchdacht, den wer trägt bei dreißig Grad im Schatten eine Jacke, ohne die Intention, etwas verbergen zu wollen, einen Sack hervor, der zu groß ist um in die kleine Öffnung des Mistkübels zu passen. Während er sich halb auf die Mülltonne legt und sich gegen den Sack stemmt, kommt sein Blut in Wallung und sein Gesicht errötet. Der Sack will nicht hineinpassen, als wäre ihm bewusst, hier geschieht eine tätliche Entgleisung.

Der Mann beginnt sein Gesicht zu verziehen, ich meine sogar zu erkennen, dass er vor sich hinmurmelt. Er blickt wieder nach links und rechts, um ja unentdeckt zu bleiben. Jetzt beginnt das ganze Geschehnis zu eskalieren und trägt sich wie folgt zu: Dem Mann ist bewusst, dass sein Sack nicht in die Öffnung passt, legt diesen bedächtig am Boden, fast zärtlich, um dann viermal fest mit dem Fuß auf eine genaue Stelle zu steigen. Er hebt den Sack wieder auf, greift hinein und versucht den Inhalt zu zerreißen, doch die Kohäsionskraft des Gegenstandes trotz ihm. Er presst den Inhalt kraftvoll zusammen, dieser scheint jedoch gummiartig wieder in seine alte Position zu springen. Noch einmal fordert er den Mistkübel heraus und probiert den Sack durch die Öffnung zu befördern, erfolglos. Jetzt beginnt er richtig wütend zu werden und stößt einen Schrei aus, es hört sich an wie:

„Scheiß Mistkübel“, und tritt dagegen.

Einmal mit dem Fuß und da dies nicht zu reichen scheint, schlägt er mit beiden Fäusten oben auf den Deckel.

Was jetzt passiert, war vorherzusehen: Der Mistkübel öffnet sich und entleert die Schwere, die an ihm haftet. Freude, schöner Götterfunken! Wie angewurzelt steht der Mann da, als er merkt, was sein Wutausbruch für Konsequenzen hat. Er eilt so schnell er kann mit seinem Sack davon.

III

Erst jetzt merke ich, wie die Wespen einen Festschmaus vor meinen Augen genießen: Meine bestellte Limonade, ich habe noch keinen Schluck getrunken. Ich bezahle und mache mich auf den Heimweg, von der Straße zu meiner Wohnung sind es 137 Schritte und 52 Stufen, ich zähle sie pedantisch genau. Lange denke ich an diesen Mann und hoffe, dass er irgendwann diese Last des Sackes loswird, die er sich von der Seele reißen wollte. Manchmal sehe ich Menschen, deren Mülleimer so groß sind, dass man es ihnen von außen bereits ansieht.

 

Viviane Kern

 

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freiVERS | Sarah Claire Wray

die schwarze putzfrau sitzt nicht mit am tisch feat. faschisten blei

manchmal weiß ich nicht warum
die Leute mich so angucken
wie sie mich angucken.

ich weiß nicht
findet ihr mich
wegen meiner hautfarbe unglaubwürdig?

glaubt ihr
ich sei die putzfrau
wenn ich mit am tisch sitze und nicht
nach meinem namen gefragt werde
wo alle anderen sogar
einen feuchten händedruck bekommen

ich weiß nicht
hab’ ich keinen namen
weil ich bin nur eine von vielen
mit der hautfarbe
und den namen könnt ihr euch eh nicht merken?

und im gespräch da wendet ihr nie
das Wort direkt an mich
seht hastig weg wenn doch
ein höflicher augenkontakt
das mindestmaß an nähe
zwichen fremden ist.

ich kann euch nicht mehr zuhören
weil eure worte mir wie das kalte blei der faschisten
abartig distanziert vorkommen
weil euer sprechen
nicht ein sprechen mit mir ist
nur über mich hinweg

 

Sarah Claire Wray

 

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freiTEXT | Olav Amende

Olav Amende - Mittag. Fügnis.

Der 12-Uhr-Glockenschlag weitet sich in der Stadt. Vom Friedhof bis zur Seniorenresidenz, die der stilvoll gekleidete Gruftie-Altpunker mit Sisters of Mercy im Ohr zum Beginn seiner Schicht betritt; von der Kleingartenanlage, in der der ehemalige Vorstand die beiden fremden Spaziergänger auf sicherer Distanz hält, bis zum Wasserturm, auf dessen Gesims sich ein weißes Täubchen niederlässt und dabei von niemandem erblickt wird. Der 12-Uhr-Glockenschlag schwebt über den versteinerten Wellen des Marktplatzes und auf diesem steht heute eine Gulaschkanone in Grün. Betrieben wird die grüne Gulaschkanone von einer Rentnerin – einstige Köchin in einer Oberschule oder einem Kindergarten oder in einem VEB-Großbetrieb, der Papiersackfabrik vielleicht. Unterstützt wird sie von ihrer Enkeltochter. Gerade ist Pause. Das Mädchen übt sich im Radschlagen. Sie schlägt die Räder quer über den gesamten Marktplatz, so lange, bis ihr schwindelt und sie in Folge dessen aufs Hinterteil fällt. Da hupt ein von rechts kommendes Auto einem Kontrahenten von links hinterher und bremst nicht ab. Morgen wird das in den „Groitzsch-Pegauer Nachrichten“ nachzulesen sein, wenn es diese noch gäbe. Im Blumenladen haben sich die alten Frauen zum Schwatzen versammelt, während der Florist das Kleingeld zählt, das sie ihm in die Tasche seiner Schürze stecken und eine ihrer Freundinnen nebenan beim Metzger an der Theke zur Aufbesserung ihrer Rente Metthalbbrötchen zubereitet, sehr zur Freude zweier junger Männer. Am Rathaus klopft ein Lehrling Steine – ein Quadratmeter ergibt eine Stunde, schätzt er und blickt auf das Trassierband in zwanzig Meter Entfernung. In der Zwischenzeit ruft sein Großvater zwei durch die Anlage des Kleingartenvereins „Naturfreunde 1907“ e. V. streifenden jungen Männern entgegen: „Was gibt es hier Interessantes?“ Die Stille, die zwischen dieser Frage und der Gegenfrage: „Was gibt es für Sie Interessantes?“ klafft, ist das Echo des 12-Uhr-Glockenschlags, der Moment, in dem sich das Täubchen auf das Gesims des Wasserturms niederlässt oder sich von diesem erhebt, der Gruftie-Altpunker aus seinem Ledersakko in den weißen Kittel schlüpft, die ehemalige Großköchin den Kanoneninnenraum umrührt, ein Besucher der Groitzscher Buchhandlung hinter einer Reihe Schulpflichtlektüre ein verstecktes Buch entdeckt und das Mädchen ein Rad zu viel schlägt.

Zwei Arbeiter der Stadtreinigung sitzen in ihrem Wagen und schlürfen Erbsensuppe. Das Mädchen stellt sich an den Rand der Dreierstufen und lunzt zu den Schreibenden auf der Parkbank. Einer der beiden schaut mal hin, mal weg, mal hin, bis er endlich begreift, dass das Mädchen darauf wartet, dass er ihr zuguckt, wenn sie über die Stufen jumpt. Gut, schaut er eben wieder hin. Das Mädchen grinst, beugt sich zurück, der Lehrling erhebt den Fäustel, die Arbeiter pusten auf ihre Löffel, das Mädchen springt. Der ehemalige Vorstand des Kleingartenvereins „Naturfreunde 1907“ verschließt seinen Schuppen und murmelt, während sich das Täubchen in die Luft erhebt, der Pfleger über die Hand eines alten Mannes streicht, sich einer der beiden jungen Männer auf der Bank eine Faser Mett aus den Zähnen zieht, und das Mädchen auf dem Bauch landet. Es feixt. Die Großmutter rührt noch einmal die Kanone um.

Im Buchladen holt einer der beiden Schreibenden Prousts „Auf der Suche nach der usw.“ hervor. Die Verkäuferin tritt heran und sagt: „Ach, der. Der ist hier hängengeblieben.“ Der 12-Uhr-Glockenschlag verhallt, das Weiß der Taube löst sich ins Weiß der Wolken und die ehemalige Großköchin reicht ihrer Enkeltochter eine Schüssel mit Erbsensuppe.

 

Olav Amende

 

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freiVERS | Martin Peichl

Blackout Musil

Martin Peichl

 

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freiTEXT | Magdalena Maier

Glück

Ich stehe vor meinem Teich und stell mir vor, er wär das Meer. Also voll Salz und Fische und mit Sand am Rand. Wenn jemand die Blätter vom Apfelbaum mit Booten oder Wellen austauschen würde, wäre die Transformation perfekt. Was will man sonst von einem Meer? Wasser, Salz, Boote, Fische, Wellen, Strand.

Leider ist mein Teich kein Meer. Gestern war der Himmel grau, heute ist er blau und mein Teich spiegelt die Wolken, weil er glaubt, er sei ein Spiegel. Mich spiegelt er nicht. Die Katze vom Nachbarn fällt durch die Hecke und landet trotzdem auf allen Vieren. Dass ich regelmäßig stolpere und hinfalle, rechtfertige ich dadurch, dass ich nur zwei Beine habe. Mit zwei als Back-up würde ich auch nicht stürzen. Die Katze vom Nachbarn kitzelt inzwischen meine Waden mit ihrem Schwanz. Die Katze ist schwarz. Ich stell mir vor, dass das Glück bringt.

Aus Reflex trete ich das Tier, als es mich zu Kratzen beginnt. Das Geräusch, das dem kleinen Körper entflieht, würde bei einem Menschen tief unten aus der Kehle kommen. Ein Fluch fällt mir aus dem Mund und jagt die Katze in die Flucht. In meiner Haut ist eine Linie, die rote Perlen aufzufädeln beginnt. Ich stelle mir vor, es wären Rubine. Leider schmelzen sie unter meinem Blick und rinnen in meine Socken.

Egal, die muss ich sowieso waschen, weil ich jetzt einen Schritt in den Teich hinein mache. Dass das Wasser in der Wunde nicht brennt, verunsichert mich. Ist das nicht normalerweise so bei Salzwasser? Meine Schuhe werden vom erdigen Boden verschluckt und ich sehe sie nicht mehr. Der zweite Schritt fällt mir schwer, weil sie im Morast eingesunken sind und mit dem anderen Fuß bleibe ich stecken, stolpere, würde auf allen Vieren landen, wenn ich nur 4 Beine hätte. Aber so klatsche ich mit meinem ganzen Körper in den Teich hinein.

Mein Gewand ist schwer an meiner Haut, bewegt sich träge vor Nässe, klebt an mir und gleichzeitig schwimmt es von selbst. Meine Schuhe sind aus blei und erschweren meine Brustschwimmbewegungen. Fast kann ich es nicht glauben, also ich schon nach kürzester Zeit am anderen Ende des Teichs angekommen bin. Ist das Meer nicht größer?

Die Sonne scheint an diesem Ufer. Der Sand ist ziemlich grobkörnig und manch einer würde behaupten, es wäre Kieselsteine, die ich letzten Sommer hier aufgeschüttet hätte, aber ich weiß, dass es Meeressand ist. Weil man am Strand nicht mit nassen Kleidern steht, ziehe ich das T-Shirt aus und werfe es ins Wasser. Dann die Schuhe, schließlich die Socken. Die Hose geht unter, als ich sie nachschmeiße, die Unterhose schwimmt. Die Brise, die in dieser Bucht weht, ist kühl, aber sie trocknet die Wassertropfen an meinem Körper. Nur die Haare bleiben länger nass und kleben als Coolpack an meinem Nacken.

Die Hecke zum Nachbarn ist hoch. Die Fenster vom anderen Nachbarn sind mit Rollläden verschlossen. Obwohl sie beide immer zu Hause sind, sehen sie mich nie, wenn ich hier nackt stehe. Kein Wunder, ich bin ja auch am Meer. FKK-Bereich, da schaut man nicht hin. Die Katze sitzt am anderen Ufer und beschnuppert meine Unterhose, die es dort drüben angeschwemmt hat. Bringt meine Unterhose jetzt Glück?

Bis meine Haare trocken sind, dauert es noch eine Weile. Ich setze mich in den Sand und beginne eine Burg zu bauen. Manch einer würde sagen, es sei eine Kieselpyramide, aber manch einer würde auch sagen, die Luft würde hier nicht nach Meer schmecken. Manch einer würde so einen blauen Himmel wegen der Rollläden gar nicht bemerken. Er würde nicht sehen, dass im Sonnenschein heute ein Meer in meinem Garten rauscht. Er würde seine Wäsche waschen und die dunklen Wolken am Nachmittag argwöhnisch beäugen, bevor er die Wäscheständer über Nacht doch lieber wieder ins Wohnzimmer stellt. Er würde im Regen von Morgen die Gartentür nur zum Stoßlüften öffnen und wenn er aus dem Fenster im ersten Stock schauen würde, würde er seufzen. Seufzen über den seltsamen Nachbar, der wieder und wieder einen Handstand vor dem Teich versucht und wieder und wieder scheitert und im Wasser landet.

Was der Nachbar nicht weiß, ist, dass ich Morgen eine Schnitzelgrube in meinem Garten finden werde. Dass es regnet, macht das Ganze ein wenig unangenehm, aber einen Handstand wollte ich immer schon lernen. Die Katze leistet mir an Regentagen selten Gesellschaft und so langsam frage ich mich, ob sie tatsächlich Glück bringt, oder ob sie mir das nur von ihrem Besitzer leiht. Weil dann müsste ich es ja irgendwann zurückgeben. Und darauf habe ich keine Lust.

 

Magdalena Maier

 

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freiVERS | Dennis Hannemann

Gleichheit

Und hier kommt einer der
nicht weiß wie viel Pfand er braucht

um die Parkbank zu bezahlen
die ihn nachts vor Kälte und Kampfhunden schützt

und hier kommt eine die
nicht weiß wer sie zur Ärztin schickte

die ihr anstatt der Behandlung
eine Karte für Shakespeare schenkte

und hier kommt einer der
nicht weiß ob die Mutter noch lebt

beim letzten Besuch da nannte sie ihn
den Sohn einer anderen das Messer zur Hand

(zu Sigmar Polke: Liberté, Egalité, Fraternité, 1988)

Dennis Hannemann

 

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freiTEXT | Jasmin Gerstmayr

Der dritte Wunsch

Ich wische über mein Phone, nach rechts, rechts, rechts. Währenddessen fällt mein Blick auf meinen Bonsai-Baum. Ich habe ihn gestern gedüngt, nur ein klein wenig, denn wenn man es zu gut meint mit den Dingern, dann sind sie beleidigt. Genauso ist es mit den Frauen. Alle wollen sie den Bad Boy mit dem Dreitagebart. Aber wehe, man ist in den richtigen Momenten dann nicht lieb und sanft. Ha, ein Match. Endlich mal wieder. Ich schaue mir ihre Profilbilder an. Sie hat raspelkurze Haare und trägt schwarze weite Sachen. Eigentlich nicht mein Typ, ich mag lange Wallemähnen, die man den Mädels aus dem Gesicht streichen kann, bevor man sie küsst. Wenigstens ist ihre Figur ganz ok. Vielleicht ein bisschen zu wenig Busen. Naja. Hast du morgen Lust auf ein Treffen, schreibe ich ihr. Gern, antwortet sie fast sofort. Ich befühle die Erde meines Bonsais. Sie ist noch feucht. Stolz streiche ich über seine kleinen Blätter. Ich habe wirklich ein Händchen dafür.

Ich bin vor ihr da, wie sich das gehört, denn eine Dame lässt man nicht warten, auch wenn die, die jetzt kommen wird, wohl keine klassische Dame ist. Zumindest von der Frisur her. Ich stelle mich vor das Lokal und zünde mir einen Tschick an. Da biegt auch schon ein Mädel um die Ecke, mit glattrasiertem Kopf. Sie trägt einen schwarzen Mantel und kommt direkt auf mich zu. Lukas, stellt sie fest, ohne eine Miene zu verziehen. Ihre Augen schauen ganz nett aus, groß und bernsteinfarben. Freut mich, sage ich und gebe ihr Küsschen auf die Wangen. Dabei bemerke ich, dass sie ein wenig größer ist als ich, obwohl sie keine High Heels trägt. Den Rest des Abends werde ich auf Zehenspitzen verbringen, soviel steht fest. Ich dämpfe meine Zigarette aus und schnippe sie lässig davon. Sie hebt ein wenig die Augenbrauen. Ich tue so, als würde es mir nicht auffallen, und halte ihr die Tür auf.

Es ist recht voll, und wir setzen uns erst mal an die Bar. Ich will ihr aus dem Mantel helfen. Geht schon, sagt sie. Sie trägt lockere, schwarze Sachen, wie auf den Fotos. Naja. Bier passt, fragt sie mich. Ich nicke, und noch bevor ich die Initiative ergreifen kann, bestellt sie zwei Bier. Ich kenne keine Frauen, die Bier trinken, sage ich. Ich kenne keine, die es nicht tun, meint sie gleichgültig. Sie schiebt mir mein Bier hin. Die nächste Runde geht auf mich, sage ich mit fester Stimme. Schon gut, antwortet sie. Sie nimmt einen großen Schluck von dem Bier und seufzt zufrieden. Es schmeckt auch wirklich herrlich. Sie wischt sich mit dem Handrücken den Schaum von der Oberlippe. Also, was machst du so, fragt sie mich. Ich nenne den Namen der Firma, bei der ich ihm Controlling tätig bin, und erläutere die grundlegenden wichtigen Aufgabenbereiche meiner Position. Aha, grinst sie, stolz drauf, gell. Es ist das erste Mal, dass ich sie heute lachen sehe. Sie hat schöne Zähne, perfekt aneinandergereiht. Mein Gesicht wird ein wenig heiß. Na, und was machst du, frage ich kühl. Sie ist in der Erstbetreuung von Flüchtlingen tätig. Klingt spannend, sage ich, und das meine ich auch so, obwohl ich mir irgendwie nicht wirklich vorstellen kann, wie das ist, als junge Frau mit so vielen fremden Männern. Ob die einem nicht auf die Pelle rücken. Ich halte aber lieber den Mund. Wahrscheinlich schüchtert sie die Typen sowieso alle ein. Schöne Profilbilder hast du übrigens, sage ich stattdessen. Sie hört mich aber nicht, denn sie beugt sich über den Tresen und bestellt noch zwei Bier. Passt das, fragt sie mich, obwohl sie eh schon bestellt hat. Ich nicke ein wenig verwundert. Sie lehnt sich plötzlich zu mir, nahe zu mir. Ihr Atem riecht nach etwas Minzigem und ein wenig nach Bier, aber nicht unangenehm. Wenn du drei Wünsche frei hättest, sagt sie mit leiser Stimme, wofür würdest du dich entscheiden. Ich finde die Frage irgendwie merkwürdig, bei einem ersten Date. Darüber habe ich noch nie nachgedacht, sage ich. Es stimmt zwar nicht, aber egal. Sie scheint meinen Widerwillen zu bemerken, denn schnell sagt sie: Gleiche Rechte für alle, und genügend Zeit für meine Malerei. Sie macht eine Pause. Den dritten Wunsch, meint sie dann, den würde ich mir aufheben, denn man weiß nie, was noch kommt. Klingt vernünftig, sage ich und nehme noch einen Schluck von meinem Bier. Eigentlich kann ich auch einfach drauflosreden, ich sehe sie sowieso nie wieder. Irgendwie ist es ja auch lustig, auf solche Frauenfragen zu antworten. Ich wünsche mir ein kleines Haus, irgendwo im Grünen, und zwei Kinder, sage ich. Ich erkläre ihr, wie wichtig es ist, dass das Haus einen großen Garten hat, denn ich möchte mein eigenes Gemüse anbauen. Ich warte darauf, dass sie lacht. Ich bin nicht ungeschickt mit Pflanzen, verteidige ich mich schon mal. Habe ich das behauptet, sagt sie, und erzählt von den Anbauversuchen auf ihrem Balkon, Chilis, Heidelbeeren, Minigurken. Nur die Tomaten, die gehen mir immer ein, meint sie achselzuckend. Du darfst sie nicht direkt in die Sonne stellen, erkläre ich, das mögen sie nicht. Sie brummt irgendetwas Unverständliches. Gehen wir eine rauchen, sagt sie dann.

Draußen beginnt sie, sich mit irrer Geschwindigkeit eine Zigarette zu drehen, und hält sie mir hin. Danke, sage ich und fische mein Feuerzeug aus meiner Hosentasche. Ich nehme einen tiefen Zug. Es ist keine besonders klare Nacht, man sieht nur ein paar Sterne. Trotzdem irgendwie schön. Wir sagen beide nichts. Nach einer Weile dämpft sie die Zigarette aus, im Aschenbecher auf dem Stehtisch. Irgendwie habe ich plötzlich das Bedürfnis, mich zu rechtfertigen, dass ich eigentlich sonst meinen Tschick nicht einfach auf den Boden werfe, aber dann lasse ich es doch. Magst du mir deine Wohnung zeigen, sagt sie mit sanfter Stimme und nimmt meine Hand. Hm, das ging ja flott. Klaro, sage ich perplex und ein wenig dümmlich. Ich denke schnell nach, ob meine Wohnung in einem vorzeigbaren Zustand ist, und gratuliere mir selbst zu meinem Ordnungssinn. Nur das Poster mit dem Playboyhäschen über dem Sofa könnte mir Probleme bereiten. Egal. Ich streichle ihre Hand, den ganzen Heimweg lang. Sie ist ganz weich.

Nach dir, sage ich. Sie zieht sich rasch ihre Schuhe aus und geht ins Wohnzimmer. Für ihre Größe hat sie unerwartet zarte Füße. Fast niedlich. Sie lässt sich auf das Sofa fallen, als wäre es ihr eigenes. Ich muss grinsen. Cooles Bild, sagt sie dann, und deutet auf das Playboyhäschen mit den Megatitten. Ich kann nicht erkennen, ob sie das jetzt sarkastisch meint, darum sage ich lieber nichts. Sie steht wieder auf, tritt dicht an mich heran und flüstert: Was war der dritte Wunsch. Ohne meine Antwort abzuwarten, geht sie vor mir auf die Knie, zieht mir die Jeans herunter und nimmt meinen Schwanz in den Mund. Herrlich. Ich stöhne.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, bin ich erstaunlich gut drauf. Kein Kopfweh, keine Gliederschmerzen. Naja, waren ja auch nur zwei Bier. Der Platz neben mir ist leer, darum gehe ich in die Küche, nur in Boxershirts. Soll sie mein feines Sixpack ruhig auch mal bei Tageslicht sehen. In der Küche ist sie aber nicht, und auch nicht im Bad. Schnell schaue ich bei den Schuhen nach. Ihre sind nicht mehr da. Ich seufze. Ich greife nach meiner Jeans und ziehe mein Phone aus der Hosentasche. Keine neue Nachricht. Wie, sie bläst mir einen, wir haben Sex, und sie haut einfach ab. Echt jetzt. Genervt wandere ich zurück ins Bett. Irgendwie fühle ich mich doch ein wenig müde. Ich schließe die Augen und döse ein bisschen und denke an mein kleines Haus mit dem Garten. Die Wiese streift meine Waden. Ein Junge und ein Mädchen spielen Fußball. Sie kreischen unbeschwert. Ich beuge mich über eine Tomatenstaude. Es hängen einige glänzende Früchte dran. Abendessen, ruft sie plötzlich. Sie trägt ein schwarzes Kleid und steht barfuß auf der Wiese. Ihre Füße sind wirklich niedlich, die Zehen ganz klein. Ich gehe zu ihr hin, ein wenig auf Zehenspitzen, und lege meinen Arm um sie. Sie lehnt sich gegen mich. Die Tomaten werden, sage ich. Ich spüre ihr Lächeln.

Als ich wieder aufwache, checke ich zuallererst mein Phone. Keine neue Nachricht. Ich überlege, ob ich ihr schreiben soll. Warum nicht, denke ich mir dann. Ich begnüge mich mit einem simplen: Danke für den schönen Abend. Kuss, Lukas. Schnell absenden. Ich stehe langsam auf und trotte zu meinem Bonsai ins Wohnzimmer. Er schaut noch immer prächtig aus, allerdings hat er über Nacht zwei braune Blätter bekommen. Beunruhigt zupfe ich sie ab. Dann fällt mein Blick auf die Wand über dem Sofa. Ich traue meinen Augen nicht und trete näher heran. Das Poster mit dem Playboyhäschen fehlt. Stattdessen klebt da ein Post-It: Danke, würde mir die gern selbst aufhängen. Mit Smiley. Ungläubig schüttle ich den Kopf und lasse mich auf das Sofa fallen. Dann checke ich mein Phone, wieder. Keine neue Nachricht.

 

Jasmin Gerstmayr

 

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