ZZZ 12/12 | Sven Heuchert

Geboren 1977 in der rheinländischen Provinz. 1994 dann Ausbildung, seitdem in Arbeit. Erste Kurzgeschichte „Zinn 40“ noch in der Schule. Mit neunzehn Umzug nach Köln. Liebe, Reisen, kleine Niederlagen, große Niederlagen. Rückkehr in die Provinz. Keine Preise.

Sven ist Teil von Zweifel zwischen Zwieback, der Kurzprosa-Anthologie zur 20. Ausgabe des mosaik. Sein Text "Neuware" ist einer von 12, die anonym ausgewählt wurden, sich in diesem Band zusammenfinden und im Herbst 2016 erschienen sind.

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Grand Hotel Abgrund

Im Badezimmer roch es nach Desinfektionsmittel, und der Spiegel hatte einen Sprung. Er versuchte, sein Gesicht so in Position zu bringen, dass es durch den Sprung geteilt wurde. Es gelang ihm nicht. Er ging zurück in sein Zimmer und setzte sich auf das Bett. Er konnte den Lattenrost spüren.

Später an der Hotelbar bestellte er Genever und Bier. Der Junge hinter dem Tresen hatte rote Haare und Akne. Er servierte die Getränke achtlos und verschüttete ein wenig. Beide sahen auf den dunklen Fleck, der sich auf der Theke ausbreitete. Der Junge kratzte sich an einem Pickel und zuckte mit den Achseln. „Auf welchen Namen?“
„Kurt Schneider.“ Schneider sah sich um. Im Fernseher ein Boxkampf, in der Luft der Geruch von schalem Bier und Erdnüssen. Er trank den Genever in einem Zug. Einer der Boxer ging K.O, und die Stimme des Kommentators überschlug sich. Schneider überlegte, aber er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal einen Boxer gesehen hatte, der so schwer ausgeknockt worden war. Der Junge brachte neuen Genever. Diesmal verschüttete er nichts. Nach einer Weile betrat ein Mann die Bar, er trug Arbeitskleidung und einen Hut, den er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Er ließ zwischen sich und Schneider einen Hocker frei und bestellte Bier.
„Auf Durchreise?“, fragte er in den Raum hinein, und Schneider nickte.
Der Mann lächelte. „Kommen Sie von weit her?“ Schneider zuckte mit den Achseln. „Wie man’s nimmt.“

[gesamter Text im freiTEXT vom 6. März 2015]

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An der Glut

Wir zündeten die neuen Zigaretten an der Glut der alten an,
eine nach der anderen. Ich hatte seit zehn Jahren nicht
mehr geraucht, und dann gleich vier oder fünf, direkt auf
Lunge. Aber ich musste nicht mal husten. Unglaublich
eigentlich. Als hätte ich nie etwas anderes getan. Es
brannte nur ein wenig auf der Zunge. Keine Frage, das war
ihre Schuld, das mit dem Rauchen. Doch es war Sommer, und
ich nahm es eben nicht so ernst.

Da hatten wir das mit den Steinen schon hinter uns. Sie hat
mir diese Stelle gezeigt, ganz hinten, ganz weit entfernt
von den anderen, und wir legten unsere Hände auf die Steine
und spürten ihre Kälte. Wir hörten die anderen noch, ein
Summen, das uns daran erinnerte, dass wir Menschen waren –
Menschen in Kleidung und mit Manieren, aber die Steine und
der Geruch unserer Haut erinnerte uns auch noch an etwas
anderes. Randvoll waren wir damit.

[gesamter Text in mosaik14]


ZZZ 11/12 | Marlene Schulz

*1961, Studien des belletristischen und journalistischen Schreibens, Stipendiatin am Institut für kreatives Schreiben in Bad Kreuznach, Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften im deutschsprachigen Raum und Anthologien sowie in mehreren Schulbüchern des Cornelsen Verlags. 2015 Nominierung für den Mannheimer Literaturpreis der räuber `77.

Marlene ist Teil von Zweifel zwischen Zwieback, der Kurzprosa-Anthologie zur 20. Ausgabe des mosaik. Ihr Text "morning has broken" ist einer von 12, die anonym ausgewählt wurden, sich in diesem Band zusammenfinden und am 2. Dezember 2016 erschienen sind.

Morning has broken

Nie wieder sah ich ihn. Er war elf, genau wie ich, damals. Kam einfach nicht mehr zur Schule. Sein Platz blieb für ein paar Tage leer, dann setzte Frau Hohenadel jemand anderen darauf.

Ferdi hatte blaue Augen, hell wie Gletschereisbonbons. Zwei Bänke vor und eine Reihe neben mir saß er. Wenn er sich meldete, sein Arm kerzengerade nach oben schoss und er ihn mit der anderen Hand abstützte, schaute er sich manchmal nach mir um.

Wir hatten uns ein einziges Mal verabredet. Es war der Sommer, bevor er nicht mehr kam. Nachmittags um drei Uhr, an einem Freitag. Ich hatte mein gestreiftes Kleid angezogen, das einen Reißverschluss bis zum Bauchnabel hatte. Der Rock war in Rot gehalten, die Streifen im Oberteil rosa und ein bisschen weiß. Der Reißverschluss hatte einen münzgroßen Ring. Ich steckte gerne den Finger hinein und zog den Verschluss rauf und runter. Ich hatte ein wenig Angst, dass Ferdi daran ziehen könnte. Heimlich schlüpfte ich in die schwarzen Lackschuhe, die im Schuhschrank standen und die ich nur sonntags anziehen durfte zum Kindergottesdienst. Meine rote Handtasche mit dem goldfarbenen Drehschloss nahm ich mit. Unser Treffpunkt war die Bank auf dem Spielplatz. Niemand spielte im Sand, als ich dort saß und auf Ferdi wartete. Niemand schaukelte oder schubste für sich selbst das Karussell an.

Abwechselnd stellte ich die Handtasche auf meine Oberschenkel und auf die Bank. Malte mit meinen Lackschuhen Furchen in den Sand. Ein paar Mal öffnete ich den Verschluss meiner Tasche und sah das gebügelte Schnäuztuch mit aufgedrucktem Schneewittchen. Zwei Lutschbonbons lagen auf dem weißen Plastiktaschenboden. Ich wollte Ferdi eines davon abgeben. Er war über der Zeit. Die Kirchturmuhr schlug. Vor einer Viertelstunde waren wir verabredet. Das Warten wurde lang. Ich entschied: Noch fünf Mal Tasche aufmachen, dann.

Das erste Mal. Jetzt Taschentuch auseinander und wieder zusammen falten, Tasche zumachen, einen großen Kreis mit dem rechten Fuß in den Sand malen, einen kleinen mit dem linken. Wieder verwischen. Tasche öffnen, Bonbons in die Hand nehmen, wieder fallen lassen. Tasche schließen. Die Schuhe aneinander klopfen. Den Reißverschluss ein bisschen nach unten ziehen, wieder zurück, Tasche öffnen, Taschentuch unter die Bonbons, Tasche schließen, ein Rechteck in den Sand, Tasche öffnen, Tasche schließen, Kopf nach rechts, links, Ohren gespitzt, Tasche öffnen, ein Bonbon auswickeln, in den Mund schieben und Schluss. Tasche schließen. Beim Weggehen: Bonbonpapier in den Mülleimer.

[...]

Auszug aus Zweifel zwischen Zwieback


ZZZ 10/12 | Katrin Theiner

Katrin Theiner, 1981 in Steinheim (Westfalen) geboren. Hat 2006 den Sprung aus der Provinz nach Berlin geschafft – mit einem Magister in Germanistik und Medienwissenschaft in der Tasche. Sie arbeitet als Texterin und Schreibcoach und veröffentlicht online und in Literaturzeitschriften. Aktuelle Texte sind in der„Trashpool“ und in „Das Prinzip der sparsamsten Erklärung“ zu finden. Sie war Finalistin beim Literaturpreis Prenzlauer Berg 2016 und veröffentlicht im Herbst 2016 Erzählungen beim Hamburger Literatur Quickie Verlag.

Katrin ist Teil von Zweifel zwischen Zwieback, der Kurzprosa-Anthologie zur 20. Ausgabe des mosaik. Ihr Text "Die Dunkelheit störte, die Locken auch" ist einer von 12, die anonym ausgewählt wurden, sich in diesem Band zusammenfinden und am 2. Dezember 2016 erschienen sind.

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Buchstabierte Blumen

Vielleicht könnte ich ihre Welt besser verstehen, wenn ich in ihren Schuhen laufen würde.  

Aber ich lasse sie schlafen. Durch die getönten Scheiben sah alles, was nichts mit uns zu tun hatte, nutzlos aus. Verlassene Fabrikhallen, übersonnte Weiden, breitschultrige Wassertürme und dahingekleckerte Häuser. Spargelfelder schmissen sich vor uns hin, Wolkenschwärme malten fliehende Schatten auf zu große Felder. Wir fuhren die Strecke zum vierten Mal. Tim und ich. Zweimal hin, zweimal zurück. Vorbei an dem Bahnübergang mit den gelben Schranken, daneben die verhüllten Tennisplätze, gleich das Rapsfeld mit den Gülletanks, die spitz zum Himmel zeigten. Der Zug glitt zu leise über die Schienen. Mir fehlte etwas. Das Rumpeln, die Geräusche, das Knacken von Lautsprechern. Irgendwas Echtes, am besten was zum Anfassen oder Riechen. Vielleicht etwas, das in der Hand schmolz, sich auflöste, einen klebrigen Film auf der Haut hinterließ. Etwas, das zu mir gehörte, wie Nowitzki zu den Mavericks. Etwas, das mir das Gefühl geben konnte, noch in meinem Körper zu stecken, diesem Ding, das ich immer für zu Peter Parker gehalten hatte – vor dem Spinnenbiss. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt roch alles nach ihr. Und über ihren Duft hatte ich mein Lakers-Trikot gezogen, die Nr. 24. Das hielt ich für das mindeste, auch wenn es das alte Trikot meines Vaters war, das er mir dagelassen hatte, an dem Tag, als er ausgezogen war. „Mach was draus“, hatte er gesagt und mich angeschaut, als warte er auf eine Entschuldigung für die letzten vierzehn Jahre.

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Wind, Kind, Blind, Rind

Polly, so möchte sie genannt werden, habe ich in einem Forum für Allergiker kennengelernt. Erst schrieb ich mir mit Ellen, die unter kreisrundem Haarausfall und einer pelzigen Zunge litt und gerade dabei war, einer Unverträglichkeit gegen Zitrusfrüchte und vielleicht auch gegen ein neues Waschmittel auf die Schliche zu kommen, aber auf ihrem Profil-Bild hatte sie dieses typische Verena-Gesicht; schmales Kinn, pädagogisches Lächeln, durchsichtige Zahnkanten, massenweise Wirbel am Haaransatz, und so sehr ich mich auch bemühte, es fühlte sich einfach falsch an, sie nicht Verena zu nennen. Irgendwann schrieb sie, ich solle doch an einer Pekannuss ersticken, ich sei geisteskrank und seitdem hat sie nicht mehr geantwortet. Gestern schrieb mir Polly und erzählte von Nährstoffmangel, Brust-Migräne, einer abgebrochenen Darmsanierung und ihrer Liebe zu Nirvana. Ich beichtete ihr, dass mein Schnäuzer alleine dafür dient, die Blätterkrokanthaut in meinem Gesicht zumindest zwischen Nase und Mund zu unterbrechen und dass Schließfrüchte aller Art mein Tod seien. Come as you are, schrieb sie und heute treffen wir uns.

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theinerLandschaft zum Verschwundensein

Der Herr Onkel war tot. Den Mund voll brauner Fichtennadeln, den Bart auch, als hätte er einen zu großen Löffel Suppe in sich hineingeschaufelt, bei dem die Nudeln zwischen seinen Lippen wieder rauskamen. Oder als hätte er vor Hunger seine eigenen Bäume gefressen und war an Rinde, Harz und Zapfen erstickt. Die Tannenschonung hatte angefangen ihn zu beerdigen, warf Sand auf seinen muffigen Kompostsarg aus Ästen und Laub, aber bevor der Wald den Grabstein setzen konnte, den letzten Spruch aufgesagt hatte, und der Herr Onkel hätte es verabscheut, das Gefasel um Himmel, usw. usf., hätte geschrien, mit Gott und so hätten nur Arschkriecher was am Hut, und bevor die Bäume hinter der Lichtung an der Grabstätte für immer für Ruhe sorgen konnten, hatte ein Waldarbeiter seine Leiche in moosgrünen Gummistiefeln im Unterholz entdeckt.

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ZZZ 9/12 | Petrus Akkordeon

herr petrus akkordeon wurde am 27.september.1971 in berlin steglitz geboren. neben unzählbaren bildern und zeichnungen, graphiken, objekten und aktionen schreibt herr akkordeon auch. seine texte vertreibt er auf unterschiedliche weise. in verschiedenen verlagen  hat er drei dutzend bücher veröffentlicht. zum teil vom ihm geschrieben und zu einem teil von ihm illustriert. studien der philosophie, psychologie,religionswissenschaften an der fu-berlin und sehr lange kunst an der hdk.berlin bei f.w.bernstein

Petrus ist Teil von Zweifel zwischen Zwieback, der Kurzprosa-Anthologie zur 20. Ausgabe des mosaik. Sein Text "wer rollt den stein" ist einer von 12, die anonym ausgewählt wurden, sich in diesem Band zusammenfinden und im Herbst 2016 erschienen sind.

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komm komm komm
wir zerstören die stadt
wie losgerissene einhörner
und staub
bedeckt alles
und staub
schütteln wir
aus unseren echsenpanzern
und wieder staub
wenn wir uns grausam
küssen
das unsere geweihe brechen
es rieselt
meine liebste
dein pony
die katze minka sowieso
sitzen auf einer
immergrünen weide
amseln lächeln
und die leute
vegessen
die stadt


 

portrait petrus sw

der morgen riecht nach sandelholz
und er möchte kirschblüten würgen
soviel von zuviel
und der tod
kuschelt sich dichter
er riecht nach kater
und ist eigentlich sehr schön
ein weiteres jahr gefressen
und ratten
flügelschlagsexplosionen
und ich wache auf
eine schneeflocke schmilzt
und zwischen den dörfern
alles nur schwarzer nebel
ich möchte
das ende der welt
in das amaturenbrett
deines autos kratzen
lasse es aber
wird, wenn ich recht habe,
niemand lesen

 


Jahresrückblick 2016 - Teil 1: Was passiert ist.

Es war im Frühjahr und ein Autor meinte: "Glaub mir: 2016 wird DAS Jahr!" Wir waren skeptisch. Aber er hatte recht. Was für 1 Jahr.

Was im ersten Halbjahr passiert ist, haben wir im Halbjahresbericht schonmal zusammengefasst. Im Schnelldurchlauf:

Wir hatten vorgelegt. Doch das zweite Halbjahr wusste nachzulegen - wenngleich auch anders...

 

Die mosaik-Klausur

Im Sommer begannen wir einen Prozess, der langsam zu seinem Abschluss findet. Wir luden euch alle ein, euch an der Umgestaltung des mosaik zu beteiligen. Es bildete sich ein kompetentes und engagiertes Team heraus, das in der Folge viele Neuerungen diskutieren und schließlich auch umsetzen konnte. 2017 wird vieles überraschend anders werden - bald gibt es mehr Infos dazu...

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Neue Lesungen

Anfang Oktober: KulturKeule goes Pop. Anfang November waren wir zu Gast bei den ersten Wissenstagen Salzburg, betreuten die Leselounge und das Rahmenprogramm, u.a. mit Lesungen mit Lisa Viktoria Niederberger, Marko Dinic und Tobias Roth. Einen Monat später organisierten wir den Gemeinschaftsstand der Literaturzeitschriften bei den Kritischen Literaturtagen, schlossen neue Kontakte und stellten mit einer Lesung von Lisa Viktoria Niederberger, Veronika Aschenbrenner und Andreas Reichelsdorfer die gemeinsame Anthologie - Zweifel zwischen Zwieback - vor.

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Bücher, Bücher, Bücher

Jaja, Zweifel zwischen Zwieback, die Jubiläumsprosaanthologie zur 20. Ausgabe des mosaik hat uns das ganze Jahr begleitet und war im Dezember endlich da! Kurz davor erschien auch Idealismus und Kulturpräkariat, die Studie zeitgenössischer junger Literaturprojekte von Josef Kirchner - mit Essays von Marko Dinic und Max Czollek. Gleichzeitig erschien auch mosaik21 - der Schwerpunkt auf Übersetzungen geht weiter! Und dann war da noch roll, jene Kurzprosaanthologie in ungewöhnlichem Format mit sieben wunderbaren Texten zu eben diesem Thema. Und um die literarische Vielfalt zu manifestieren dann auch noch eine Lyrikanthologie mit Namen Lyrik für alle!

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Lyrik für alle!

Vom 7. bis 11. Dezember 2016 fand in Salzburg die dritte Babelsprech-Konferenz unter dem Motto „Lyrik für Alle!“ statt. Es nahmen 28 Lyriker*innen aus 7 Ländern teil (Deutschland, Schweiz, Österreich, Liechtenstein, Südtirol/Italien, Slowenien, Ukraine). Mit Babelsprech.Salzburg hat die Stadt „wenn nicht die größte, so doch die großartigste Lyrikveranstaltung erlebt, die hier je stattgefunden hat“ (Josef Kirchner). Damit trägt die Konferenz auch einer Entwicklung Rechnung, die Salzburg in den vergangenen Jahren zum Zentrum junger Gegenwartsdichtung in Österreich gemacht hat.

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An zwei Konferenztagen standen Diskussionen über die Möglichkeiten und Aufgaben zeitgenössischer Lyrik neben lyrischer kollektiver Praxis im Fokus. Die Diskussionen waren getreu dem Motto „Lyrik für Alle!“ in einem Blog (betreut vom Erfurter Lyriker Mario Osterland) und einem Live-Stream mitzuverfolgen. Bei den abendlichen Live-Veranstaltungen im Markussaal präsentierte sich die Gegenwartslyrik in ihrer ganzen Vielfalt zwischen Musik, Performance und Text.

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Was wird 2017 bringen? Wir planen schon eifrig. Stay tuned...

ZZZ 8/12 | Silke Vogt

Silke Vogt wurde 1966 in Hannover geboren, studierte bis 1992 in Bonn Geographie, Volkswirtschaft und Städtebau. Mitte und Ende der 90er Jahre war sie für insg. drei Jahre in Japan. Seit 1999 wohnt sie im Westerwald, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die Dissertation wurde 2001 beim Deutschen Institut für Japanstudien (DIJ) publiziert. Zur Zeit ist sie “schreibende Hausfrau” und hat erste Lyrik- und Kurzprosabeiträge in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht.

Silke ist Teil von Zweifel zwischen Zwieback, der Kurzprosa-Anthologie zur 20. Ausgabe des mosaik. Ihr Text "Unzweifelhafte Zwieback-Geschichten" ist einer von 12, die anonym ausgewählt wurden, sich in diesem Band zusammenfinden und am 2. Dezember 2016 erschienen sind.

 

Unzweifelhafte Zwiebacks-Geschichte(n)

Zweifel zwischen Zwieback - ein zweifelhaftes Thema? Nein, weltbewegend, wie einige Stippvisiten in verschiedenen Epochen der Menschheitsgeschichte beweisen. Chronologisch aufbereitet, damit der rote Faden zweifelsfrei erkennbar ist, kein geneigter Leser vor zu viel Neigung aus dem Gleichgewicht kommt, wobei er sich auf der globalen Universalreise verzweifelt verkrümeln könnte, unterwegs aufgepickt wird wie bei Hänsel und Gretel. Hier geht es nicht um Märchen, sondern um nackte, de facto zugleich anziehende Tatsachen. Anzügliche lassen wir weg.

Das am längsten zurückliegende Ereignis verdient ebenso die Bezeichnung historisch wie hysterisch. Es widerfuhr dem Erfinder des Zwiebacks, einem antiken Griechen Namens Πυρά, gelesen Pira, was, nomen est omen (kleiner Exkurs ins Lateinische), wahlweise „Feuerstelle“ oder „Scheiterhaufen“ bedeutet. Nicht bloß Name, zugleich Berufsbezeichnung, war er doch als versierter Bäcker berühmt für seine leckeren Brote, die nach wohltemperiertem, zeitlich minutiös, nein, sekundiös dosiertem Backen eine unvergleichliche Saftigkeit aufwiesen. Kein Konkurrent konnte ihm das Mehl reichen, was manch einen zum Konkursenten degradierte. Mit der Zeit schürte das, analog zum Feuer, auch den Neid.

Eines unglückseligen Tages ließ der größte Nebenbuhler einen metaphorisch-finalen Rettungsschuss in den Ofen los: Er lenkte das Genie mit einer schier endlosen Geschichte über unglaublich günstige Kornbezugsquellen derart geschickt ab, dass der Superbäcker, ganz Feuer und Flamme, alle Brote in der Hitze des Gefechts, in diesem Falle Ofens, vergaß. Tatsächlich schaute er erst wieder nach ihnen, als sie das Doppelte der üblichen Zeit darin geschmort hatten, eingegangen in die Geschichte als „Doppler-Effekt“. Rein mathematisch betrachtet, worin die alten Griechen schon seit Adam riesig sind, war der Teig quasi zweimal gebacken worden. So blieb ihm nur, knochentrockene, hellbraune, fast steinharte Gebilde aus der Glut hervorzuholen, und das, obwohl er sonst nichts anbrennen ließ. Die Dauer der Backzeit dauerte ihn zutiefst, mit höchst fatalen Folgen.

Unser Grieche war nicht nur antik, zugleich auch äußerst antiquiert, weshalb er Neuerungen jeglicher Art zweifelnd, dem von ihm zwangserfundenen Zwieback sogar verzweifelnd gegenüberstand. Für ihn als Mann von Ehre, die damals noch viel zählte (eins, zwei, drei, viele), bot sich nur ein vertretbarer Ausweg an: er musste aus dem Weg, weg. Minimal zwiespältig biss der Zwiebäcker todesmutig in eines der misslungenen Etwasse hinein, brach dabei einen unter Kollateralschaden zu verbuchenden Schneidezahn ab und spülte das Zwieback-Zahn-Blutgemisch, für uns heute schier unglaublich, mit einem Schierlingsbecher hinunter.

[...]

Auszug aus Zweifel zwischen Zwieback


ZZZ 7/12 | Ulrich Moebius

Geboren 1964 in Bonn, studierte Sonderpädagogik, Erziehungswissenschaften und Geschichte in Hamburg und Colorado, arbeitet seit 1992 als Lehrer in Berlin und lebt in Kreuzberg. Reist viel und gern. Schreibt Kurzgeschichten und Skizzen.

Ulrich ist Teil von Zweifel zwischen Zwieback, der Kurzprosa-Anthologie zur 20. Ausgabe des mosaik. Sein Text "Home sweet Home" ist einer von 12, die anonym ausgewählt wurden, sich in diesem Band zusammenfinden und im Herbst 2016 erschienen sind.

 

Home sweet home

Sein Blick blieb auf dem Display des Telefons hängen, als könnte von dort noch ein Nachsatz kommen. Arun hatte gerade mit seiner Mutter telefoniert. Es war das übliche Sonntags-Ritual. Wenn es irgendwie ging, rief Arun seine Mutter nach dem Frühstück an. Das passte meist. Seine Mutter versuchte dann im Haus ihres Bruders zu sein. Hier gab es seit einem Jahr einen Anschluss. Es hatte lange gedauert, bis sich Aruns Mutter daran gewöhnt hatte, mit ihm zu telefonieren. Sie war nicht ungestört bei ihrem Bruder, aber so konnten sie gut Kontakt halten. Seinen Schwestern fiel das leichter – sie schickten ihm mittlerweile Nachrichten über Skype, wenn sie in einem der Internetcafés der Stadt waren.

Aruns Mutter hatte sich anfangs schwer getan, aus der Distanz mit ihm zu reden. Die Zeitverschiebung betrug 5 Stunden. Sein Leben in Deutschland war ihr fremd. Es waren immer wieder die gleichen Fragen, die sie stellte.

Heute war es anders gewesen. Heute hatte sie nicht gefragt, heute hatte sie ihm erklärt, was sie für ihn geplant hatte, wenn er im Juli nach Battambang käme. Sie war in ihrem Eifer nicht zu bremsen gewesen. In ihrem Kopf hatte sie sich schon alles ausgemalt. Lange hatte sie auf diesen Tag gewartet.

Martin werkelte draußen im Garten, Arun sah ihn durch die Fenster in der Erde buddeln. Er war ganz eifrig dabei, Ordnung in den noch frischen Garten zu bringen. Mit kräftigen Armen grub er voller Tatendrang ein Beet um. Fast zwei Jahre wohnten Arun und er nun in diesem Reihenhaus in Teltow. Der Garten war Martins Sonntagsritual.

Arun spürte, dass er rausgehen und ihm helfen sollte, blieb aber am Telefon stehen.

Das Gespräch mit seiner Mutter wiederholte sich in seinem Kopf. Er versuchte die Worte zu begreifen. Warum hatte er ihr nicht widersprochen? Alles drehte sich. Wörter in Khmer, Deutsch und Englisch... und dann immer wieder ihr Name: Srey Leak! Srey Leak, das perfekte Mädchen. Hatte er sie schon einmal gesehen, so wie seine Mutter es gesagt hatte?

[...]

Auszug aus Zweifel zwischen Zwieback


ZZZ 6/12 | Lea Wintterlin

Lea Wintterlin studierte Philosophie und Germanistik in Tübingen und Berlin. Sie besuchte regelmäßig Schreibkurse am Tübinger Studio Literatur und Theater und nahm 2013 am Autorenkolleg der FU Berlin bei Lukas Bärfuss Teil. Sie arbeitete in einem Waschsalon, als archäologische Grabungshelferin und seit 2015 als freie Rezensentin für das Philosophiemagazin.

Lea ist Teil von Zweifel zwischen Zwieback, der Kurzprosa-Anthologie zur 20. Ausgabe des mosaik. Ihr Text "Das Fahrrad" ist einer von 12, die anonym ausgewählt wurden, sich in diesem Band zusammenfinden und im Herbst 2016 erschienen sind.

 

Das Fahrrad

Manchmal habe ich das Gefühl, dass F sein Fahrrad mehr liebt als mich. Er kann sich noch genau an das Datum erinnern, an dem er es gekauft hat, aber der Tag, an dem wir zusammen gekommen sind, stellt ihn jedes Jahr wieder vor eine Herausforderung. Ich richte es meistens so ein, dass ich zwei Wochen, bevor es so weit ist, ab und zu davon spreche. Ich erwarte nichts Bestimmtes an unserem Jahrestag. Ich will gar keine Blumen oder Schokolade oder irgendein spezielles Abendessen oder so, alles was ich will ist ein kurzes Hochschauen aus dem ewigen Vorwärts des Alltagstrotts, ein Stehenbleiben vielleicht, ein Zur-Seite-gucken, wer da eigentlich neben einem läuft, wessen Hand man hält, ein kurzes „Hey, schön, dass du da bist. Schön, dass wir in diesem riesigen Leben aufeinandergetroffen sind, wir kleinen Mäuse, wir, wir beide.“ Ein kurzes Aufmerken. Mehr will ich gar nicht.

Der Tag, an dem F sein Fahrrad gekauft hat, war ein Donnerstag im Mai, der 24. um genau zu sein. So steht es in der Diebstahlversicherung, die er abgeschlossen hat. Seine größte Angst ist es, dieses Fahrrad zu verlieren. Es ist ein schönes Fahrrad, keine Frage, und teuer war es auch. Eines dieser neuen, hippen, ganz leichten, etwas altmodisch aussehenden Rennräder, mit so einem geschwungenen Lenker, wie heißt der denn gleich, nach irgendeinem Tier mit Hörnern. Ich mag das Fahrrad auch sehr, obwohl ich nicht darauf fahren kann, es ist zu hoch. Es gibt leider keinen Gepäckträger, auf dem F mich ab und zu mitnehmen könnte, alles Überflüssige wurde an diesem Fahrrad weggelassen, um Gewicht zu sparen. Es ist ganz leicht und F trägt es jeden Nachmittag, wenn er von der Arbeit kommt, nach oben zu uns in den vierten Stock, und jeden Morgen wieder herunter. Nachts steht es bei uns im Wohnungsflur.

Anderthalb Jahre ging es sehr gut mit dem Fahrrad. Wenn es Winter wurde, kaufte F sich Anstecklichter und dickere Reifen mit mehr Profil. Jedes Vierteljahr ölte er die Kette nach. Manchmal muckte das Fahrrad auf, aber er fand immer irgendwie eine Lösung, ich weiß nicht genau wie, mit Fahrrädern kenne ich mich nicht gut aus. Er schraubte daran herum, fluchte ein bisschen bei uns im Flur, wo das Fahrrad umgedreht auf einer Menge Zeitungspapier stand und nachher wusch F sich die ölverschmierten Finger im Bad und alles war wieder gut.

Aber dieses Jahr im April geschah etwas völlig Verrücktes.

[...]

Auszug aus Zweifel zwischen Zwieback


ZZZ 5/12 | Arne Kohlweyer

Arne Kohlweyer wurde 1981 in Wolgast (Insel Usedom) geboren und wuchs in Berlin-Hohenschönhausen auf. Er studierte Filmregie an der FAMU in Prag, sowie zuvor Fotografie in Graz, Literaturwissenschaften in Frankfurt/Oder und Filmtheorie in Göteborg. Arne ist zweifacher Teilnehmer von Berlinale Talents und Alumni des Torino Film Labs. Er hat bereits mehrere Kurzfilme und TV-Auftragsproduktionen als Autor und Regisseur realisiert und werkelt gerade an seinem Langfilmdebüt.

Arne ist Teil von Zweifel zwischen Zwieback, der Kurzprosa-Anthologie zur 20. Ausgabe des mosaik. Sein Text "Sandbankräuber" ist einer von 12, die anonym ausgewählt wurden, sich in diesem Band zusammenfinden und im Herbst 2016 erschienen sind.


ZZZ 3/12 | Lisa Viktoria Niederberger

Lisa Viktoria Niederberger, geboren 1988 in Linz, lebt und arbeitet in Salzburg. 2014 gewann sie den Wettbewerb „Wir lesen uns die Münder wund“ und veröffentlichte ihren Text „Die Kunst des Eischlofns“ in „X“, der Kurzprosaanthologie des mosaik. Veröffentlichungen in diversen Zeitschriften und Anthologien.

Lisa ist Teil von Zweifel zwischen Zwieback, der Kurzprosa-Anthologie zur 20. Ausgabe des mosaik. Ihr Text "Pelzchen" ist einer von 12, die anonym ausgewählt wurden, sich in diesem Band zusammenfinden und im Herbst 2016 erschienen sind.

Die schwachsinnige aber trotzdem irgendwie schöne

Geschichte mit dem Herrn L.

Der Herr L. hat noch nicht einmal wirklich seinen Schwanz wieder in der Hose, als ich schon das Mikrofasertuch in der Hand habe und anfange, die Abdrücke von meinem Busen vom Klavier zu wischen. Und als ich mich dann auch anziehe, meine Unterhose suche, die da irgendwo auf dem Boden herumfliegt, und schnell im dem Spiegel, der mitten im Verkaufsraum hängt, schaue, ob ich eh nicht so durchgefickt aussehe, wie ich mich fühl, da hat er schon den Hut auf, und die Zigarette im Mund, grinst mich so komisch an, wie er jeden Mittwoch um kurz nach halb drei grinst, wenn er seine Mittagspause bei mir im Laden verbracht hat. Und als ich ihm dann die Tür aufsperre, das Schild, das draußen hängt, von „Geschlossen“ wieder auf „Treten Sie ein“ ändere, da will ich ihn schon fast noch einmal küssen, aber er sagt, spinnst, doch nicht auf der Straße, wenn uns wer sieht. Und dann, etwas weicher, war aber schön. Unklug, aber schön.

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Die Kunst des Eischlofns

I glaub, wenige Fraun beneiden ihrn Freind. I tua des scho. Aber ned auf Gründn, die jetzt so auf der Hand liegn. Weila mehr Bier vertragt ois i, oder straffare Schenkel hot ois i, obwoi a weniga Sport mocht und bessa verdiend ois i.

Schenare Hoa hot a a. Gemein is des, dabei woschs ma i mit Schampoo und Spülung und oim und er netta mit Duschgel. Und er schaut aus, wie so a fucking Schampoo Model und i ned.

Aber um des geht’s ned. Es geht um was, des nu banaler is, ois schene Hoa.

Nämlich is einschlofn. Er legt si hin und schloft ein, innerhoib von kane zehn Minuten hearst des regelmäßige Atmen von seim  - is es jetzt ingessiv oda egressiv, i hobs scho moi gwusst, owa i hobs vergessn – Luftstrom, der da aus seina Lung außa und wieda eina geht. Und i lieg daneben. Putzmunta. Und eifasüchtig. Auf sei Fähigkeit des Instant-Eischlofns quasi.

Und dann geht’s los. Er liegt da und schloft und i lieg daneben und schlof ned und fang an, dasin oschau. Des geht recht guad, weil i seid  zwa Jahr z faul bin, dass i ma Vorhäng kauf. Und wann ma dann die richtige Zeit im Monat ham und da Mond sche hö is, wei ka Nöwe und so und in da Stodt sowieso imma irgendwo a Liacht brennt, donn siag i na a mittn in da Nocht ziemlich guad. Und i hab n scho so oft aus Langeweile beim Schlofn beobachtet, dass i ois was, wos ma von so am schlofadn Mo, eigentlich wissn ko. Wo die Hand liegt, wo de Deckn hingheart, wie ma des Eischlofphasenatmen vom Tiefschlofphasnatmen unterscheidn ko. Ob a an Oibtraum hot, an feichtn, oder grad gar kan.

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Ursprünglich bin ich nicht in mein Lokal gegangen um zu schreiben, sondern bin dort gewesen und hab während des Arbeitens Zitate von Gästen aufgeschrieben – am Anfang noch auf der Rückseite von Bestellblöcken. Irgendwann saß ich dann alleine, spätnachts, schreibend dort an der Bar. Und mittlerweile gehe ich bewusst hin.

Ich schreibe auch gerne im Zug oder in anderen Lokalen – das Schreiben in öffentlichen Räumen mit Unterbrechungen und Inspirationen von außen hat auf meinen Stil und die Themen aber einen positiven Einfluss. Es ist weniger der Raum als die Leute darin, die mich beeinflussen und als Stichwortgeber fungieren.

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Buchpräsentation am 2.Dezember in der ARGEkultur