freiVERS | Unda Maris
18. Februar 2018Lyrik,freiVERSUnda Maris,Literatur
Novemberhesperiden
Es war im drůsen Spätherbst
daß mal wieder so einiges gemağgolokkerte
und das Laub behehlebęnde
in die Gegend diffundierte
Im Prater wurstelte die Plebs
so vor sich hin, behelfmichnich, aber kregel
Keckernde Krähen behůdelten den Himmel
und schærwanzten die ein oder andere
Eulenspiegelei über die Szenerie
Melechnitòth lagen die Fahrgeschäfte im Südosten
beharnischt zwar, aber ohne Lach oder Sang
Hier und dort noch ein Echo
von glottermōgelndem Sprechmichdoch
Und in der Geisterbahn schließlich
— unheimlich ist es zu sagen —
ein von Mirespiłłiden verlassener Sarg
Unda Maris
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freiTEXT | Ronir Mina
16. Februar 2018freiTEXT,Literatur
Ein Tag im September
Als ich heute morgen aus dem Haus trat und das Gartentor aufsperrte, fiel mir noch nichts Außergewöhnliches auf.
Erst als ich mich umdrehte um meinen Weg in die Stadt anzutreten, sah ich, dass der gesamte Weg von Fischen übersät war.
Es waren hauptsächlich Forellen und Brassen, mit weit aufgerissenen Mündern und stumpfen Augen. Auffällig waren blutige Striemen, die sich quer durch ihre Kopfpartie zogen.
Kurz bildete ich mir ein aus dem linken Augenwinkel noch ein Zucken, ein Zappeln eines Fischschwanzes wahrgenommen zu haben, ein letztes Aufbäumen noch vorhandener Lebenskraft.
Sonst war alles still.
Bei meinem Weg in die Stadt sah ich kaum Menschen. Eine ältere Frau kehrte die Straßen vor ihrer Haustür. Ihr gesamter Vorgarten war voller Hechte. Als sie mich sah, kehrte sie sich rasch um und schloss die Türe hinter sich.
Je weiter ich ging, desto mehr schien es mir, als wäre ich der einzige Mensch auf Erden. Keine Straßenbahn fuhr mehr, die Geschäfte waren geschlossen. Mit Menschen kam ich nicht in Berührung, abgesehen von ein paar wenigen dunklen Schatten an den Straßenecken. Als sie mich sahen, verschwanden sie jedoch und zogen sich in die dunkleren Ecken der Stadt zurück.
Ich ging die Herrengasse entlang, als ich plötzlich in einer Seitengasse, die mit Garnelen bedeckt war, einen Mann mit oranger Warnweste stehen sah. Er trug Brille und Klemmbrett und schien sich etwas zu notieren. Als ich Anstalten machte, mich zu ihm hinzubewegen, fuchtelte er wild mit den Armen und wies mich an, stehenzubleiben.
"Was machen Sie denn da?" schaffte ich es zu fragen, während er wild damit beschäftigt schien einen Bereich mit Klebeband abzusperren. Meine Worte trugen einen eigenartigen Nachhall. Dennoch war ich im selben Moment als die Worte meinen Körper verließen, unsicher ob ich die Frage überhaupt gestellt hatte. Er sah zunächst unsicher aus, ob ich eine Antwort wert wäre, dann schien er sich zu fassen und setzte eine gewichtige Miene auf. Er sei vom Ministerium, teilte er mir mit, und seine Aufgabe sei es, die vorhandenen Fische zu klassifizieren und in nach Größe zu ordnen. Generell beschränkte sich das Fischvorkommen auf die Familie der Lippfische, die Garnelen in der Gasse seien jedoch ein neuer Fund. Dies bedeutete wahrscheinlich, dass ihm eine nähere Verwandtschaft zwischen Garnelen und Lippfischen entgangen sei, viel konkreter und drängender war jedoch die Frage, ob er die Garnelen in der Größenaufstellung und dem Säulendiagramm berücksichtigen sollte, oder nicht. Gliederfüßer zählten schließlich, strenggenommen, nicht einmal zu den Wirbeltieren, die zu klassifizieren er den Auftrag hatte. Als ich ihn von den Brassen in meiner Wohngegend in Kenntnis setzte, die seiner Lippfisch-basierten Theorie grundlegend widersprachen, winkte er mich ungeduldig fort, als hätte ich ihn bei etwas Wichtigem gestört.
Der Rückweg erwies sich als anspruchsvoller als gedacht. Die Fische hatten alles, was sie jemals an Anmut an sich gehabt hatten, verloren. Stattdessen hatten sie begonnen einen starken Verwesungsgeruch von sich zu geben. Sich einen Weg durch die Fische zu bahnen, war ebenfalls schwieriger geworden. Einige waren, wahrscheinlich durch meine eigenen Fußtritte, schwer beschädigt worden und präsentierten ihre offenen, aufgeplatzten Wunden der steigenden Mittagssonne.
Ich wollte nicht warten, bis die Fliegen kamen, und legte die Strecke nach Hause so schnell wie möglich zurück. Als ich mich jedoch noch einmal umdrehte und die Stadt mit ihren tausenden und abertausenden Fischen dampfend vor mir liegen sah, musste ich zugeben, dass ich nie Schöneres gesehen hatte.
mosaik25 – Eisvogelkarosserien
15. Februar 2018Lisa Viktoria Niederberger,Anne Bünning,Marko Dinic,Caren Jeß,Martin Piekar,Felix Ebert,Peter.W.,Holger Dauer,Philipp Böhm,Janis Elsbergs,Tobias Roth,Jonathan Perry,Alisha Gamisch,Lasse Jürgensen,Enno Ahrens,Maddalena Vaglio Tanet,Kinga Toth,Marlies Blauth,Lisa Krusche,Philipp Kampa,Barbara Rieger,Sascha Preiß,Nicola Quaß,Valentin Feneberg,Caca Savic,mosaik-Zeitschrift,Nicoletta Grillo,mosaik - Zeitschriftmosaik25
mosaik25 – Eisvogelkarosserien
Intro
Würde uns jemand vermissen?
Das Damoklesschwert, das aktuell über vielen Institutionen der freien Kunstszene in Österreich hängt, ist eigentlich ein Säbel. Unsicherheiten bezüglich der finanziellen Grundlage aufgrund des Regierungswechsels sind allgegenwärtig. Die Angst greift wieder um sich.
Und das mosaik? Es ist kein Geheimnis, dass eine kostenlose Zeitschrift, Lesungen, Bücher und noch vieles mehr nur mit Geld aus der öffentlichen Hand finanzierbar sind. Zwei Fragen drängen sich auf: Müssen wir Angst haben? Und: Wie sollen wir uns positionieren?
„zittere nicht fürchte dich nicht“ (Kinga Tóth, S. 42)
Zunächst: Wir bewundern mutige Schritte wie beispielsweise den von Kabeljau und Dorsch, mal eine Saison auszusetzen, wenn das Geld fehlt; wir beobachten besorgt die finanziellen Schwierigkeiten von anderen Projekten, aktuell etwa bei Fixpoetry. Dennoch arbeiten und planen wir weiter, denn euer Interesse an unserer Arbeit schärft unsere Blicke und motiviert uns, tagtäglich nach vorne zu schauen, wenn es um spannende neue Stimmen in der Literatur- und Kulturszene geht.
Das mosaik ist unpolitisch. Das war lange Zeit unsere Prämisse. Irgendwo in der Ferne hallen noch die letzten Worte der Politolog*innen nach – „Alles ist Politik!“ –, aber wir wollten uns bewusst nie positionieren. Wenn dies Autor*innen oder Redakteur*innen von uns tun, soll es uns Recht sein, das Projekt allerdings hat keine politische Position. Immer öfter allerdings die Fragen: „Stimmt das überhaupt noch?“ und: „Kann/darf man heute keine Position haben?“
„Wir Dichter sind Lügner, – ja, aber wir gebens offen zu. Trotz gegen die Kälte.“ (Gespräch Piekar-Roth, S. 58)
„Warum Kunst?“, fragt Veronika Atzwanger vor ihrer Kunststrecke und findet ihre persönliche Antwort, die sich jede*r wahrscheinlich irgendwann zurechtgelegt hat oder zurechtlegen muss. Und unabhängig von der politischen Großwetterlage, dem Kontostand oder der Windrichtung, die einen trägt oder bremst: Diese subjektive, universelle Antwort funktioniert immer. Immer wieder aber auch: „Warum mosaik?“ Und obwohl wir die Antwort zu kennen glauben, die Unsicherheit bleibt: Gibt es Erschütterungen, die diese Antwort nichtig machen würden? Sind wir durch die politische Nicht-Positionierung austauschbar? Würde uns jemand vermissen?
Inhalt
Alle graben Gräber
- Enno Ahrens: Die Winter
- Holger Dauer: Vielleicht eine Erinnerung
- Sascha Preiß: Vor der Irrfahrt
- Philipp Böhm: Unter dem Strand
- Nicola Quass: es ist nicht winter
- Marlies Blauth: Illustration
Hilflose Menschlein
- Felix Ebert: Anleitung zum langsamen Tod
- Lasse Jürgensen: Bulgarorszag
- Caren Jeß: Und im Hintergrund der kleine Danny (6) küsst sein Spiegelbild
- Lisa Krusche: Alpen I
- Alisha Gamisch: Ein Ort außerhalb allem
- Marlies Blauth: fünfminutenheimat
- Marlies Blauth: Illustration
Ungefragt aufgelöst
- Valentin Feneberg: murxen, knarzen, tremolieren
- Philipp Kampa: An das Wippen der dürren Äste im Wind
- Anne Bünning: live your dream abgekratzt
- Jonathan Perry: Warnung vor der Pielach
- Barbara Rieger: nicht ich – ich nicht
Kunststrecke von
BABEL – Übersetzungen
- Kinga Tóth: huszonhetedik ének/Lied siebenundzwanzig, negyvenharmadik ének/Lied dreiundvierzig (Ungarisch & Deutsch)
- Caca Savic: Ohne Titel/Senza Titolo (ins Italienische von Nicoletta Grillo)
- Maddalena Vaglio Tanet: Il lago di Lindow/Der See bei Lidow (Aus dem Italienischen von Tobias Roth)
- Nicoletta Grillo: Feierabend (Aus dem Italienischen von Tobias Roth
- Jānis Elsbergs: Rīta kafija/Morgenkaffee (Aus dem Lettischen von Patricius d’Suicidius)
Kolumnen
- Peter.W. – Krieg und Möbel, Hanuschplatz #13
- Marko Dinic – Jugolokale, Lehengrad #4
Buchbesprechung
- Lisa-Viktoria Niederberger – . Rezension Simone Hirth – Bananama (Kremayr & Scheriau)
Interview
- „Man kann die Schönheit nicht den Krämern überlassen.“ – Gespräch Tobias Roth & Martin Piekar
Kreativraum mit Mario Osterland
freiVERS | Michael Pietrucha
11. Februar 2018Lyrik,freiVERSMichael Pietrucha,Literatur
Samenkorn Zeit
Ich habe dir Zeit gegeben,
du hast sie mit den Augen geküsst,
habe sie unterwegs aufgehoben,
bevor sie unter meinem Schuh verschwunden wäre,
sie abgewogen; das Sonnenlicht von oben
und das Mikroskop hier unten sagten,
es sei ein Samenkorn, und geschoben
in ein Kuvert stecktest du es ein.
Ist denn das Samenkorn zu einer Ranke
auf deinem Fensterbrett gewachsen?
Michael Pietrucha
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freiTEXT | Markus Streichardt
9. Februar 2018freiTEXT,ProsaMarkus Streichardt,Literatur
Provisorium
K., der gerade ins Taxi gestiegen ist, sieht einen Mann auf sich zukommen und dann mit den Fingerknöcheln gegen die Autoscheibe klopfen. Er fragt ungläubig: „Ist er das?“, und noch ehe K. antworten kann, brüllt er lauter: „Ja, das ist er! Das ist er!“ K. starrt regungslos in das entsetzte Gesicht, starrt in zwei stecknadelgroße Pupillen und einen weit aufgerissenen Mund. Er zählt drei Plomben, ehe das Taxi losbraust.
K. dreht sich um und ist überrascht, wie viel Aufmerksamkeit der Zwischenfall verursacht hat. Passanten halten ihre Handys in seine Richtung, als würden sie Fotos machen, während der Mann, der ihn angeschrien hat, aufgeregt telefoniert.
Als das Taxi abbiegt, richtet K. den Blick wieder nach vorn und lässt sich tiefer in den Sitz fallen. Nimmt der Tag gar kein Ende?, fragt er sich genervt. Immer kommt mir was in die Quere. Erst die Flugverspätung und dann noch Schienenersatzverkehr am Bundesplatz. Zwei Busse für eine rappelvolle S-Bahn und das im Hochsommer, na geht’s noch?!? „Ja, aber ist gut für unser Geschäft“, antwortet der Taxifahrer, was K. irritiert. Habe ich laut gesprochen?
„Außer die Spinner steigen zu uns ins Taxi. Genau wegen denen hab‘ ich meine Schicht gewechselt. Nachts ist es nicht mehr auszuhalten in Berlin. Zu viele Verrückte“, flucht der Taxifahrer und fügt mit weicherer Stimme hinzu, „auch zu viel Elend.“ „Kommt das oft vor?“, fragt K. und erhofft sich Ablenkung. „Inzwischen jede Nacht. Früher is so ne Type mal am Wochenende aufjetaucht, hat nen bisschen Radau jemacht und war dann wieder wech. Kenn‘ mich da aus, weeß wovon ick rede. Bin Urberliner. Vor 56 Jahren hier jeeborn, aufjeewachsn und nie rausjehkommn, wie ick zusagen pflege.“ K. grinst und denkt, ich ja, ich bin rausgekommen und habe die weite Welt gesehen.
Wegen Sanierungsarbeiten verengt sich die Fahrbahn auf eine Spur. Der Verkehr stockt. Die Stille setzt K. zu. Er bittet, das Radio einzuschalten. Mit überdrehter Stimme kündigt der Moderator den nächsten Song an: A horse with no name von America. Die Musik erfüllt ihren Zweck und bildet ein angenehmes Hintergrundrauschen. Während K. im Viervierteltakt auf die Knie trommelt, beobachtet er, wie eine Walze langsam den aufgetragenen Asphalt der Fahrbahn verdichtet und zwei Bauerarbeiter mit Besen hinterher fegen. Mit diesem beruhigenden Bild vor Augen möchte er am liebsten einschlafen und den Tag vergessen.
Die Musik wird jäh unterbrochen: »Der aus der psychiatrischen Anstalt Entlaufende wurde zuletzt in einem Taxi auf der Bundesallee Richtung Friedrich-Wilhelm-Platz gesehen. Die flüchtige Person ist ca. 1,85m groß und schlank. Die Haare sind schwarz und kurz geschnitten. Er hat inzwischen seine Kleidung gewechselt. Er trägt ein dunkelblaues Jackett und eine schwarze Hose. Wie er sich aus dem gesicherten Bereich der Psychiatrie befreien konnte, ist weiterhin ungeklärt …«
K. weiß, er ist gemeint. Die aufkommende Panik versucht er mit rationalen Argumenten kleinzuhalten. Die Personenbeschreibung trifft auf jeden x-beliebigen Mann zu, denkt er angestrengt, der 1,85m groß ist, bei C&A einkaufen geht und Sport treibt. Vor anderthalb Stunden bin ich erst in Tegel gelandet. Das lässt sich leicht nachprüfen und - verdammt, ich sitze hier nur wegen diesem blöden Schienenersatzverkehr. Der Rollkoffer!, fällt ihm schlagartig ein, niemand flieht mit einem Rollkoffer! Die Vorstellung, wie er den Polizisten verschwitzte Hemden und seinen Kulturbeutel vorführt, belustigt ihn. Sein Grinsen erstarrt aber zur Grimasse, als sich sein Blick mit dem des Taxifahrers im Rückspiegel trifft. K. will die Sache klarstellen, aber dann glaubt er, eine Bewegung des Fahrers zum Handschuhfach auszumachen. Er brüllt „STOPP!“, reißt im nächsten Moment die Tür auf und springt hinaus. Dann läuft er in die entgegengesetzte Richtung davon.
Ich muss auf die Nebenstraßen ausweichen, überlegt K. verzweifelt, bevor mich der Mob fängt und massakriert. Er versucht langsamer zu laufen, aber sobald er mehr als zwei Personen auf sich zukommen sieht, macht er kehrt und zieht das Tempo an. Unterwegs wirft er sein Jackett achtlos fort.
Er flieht in die Kleingartenkolonie „Sonnenbad“, rennt die verschlungenen Pfade entlang, solange bis er sich hinter einer dichten Hecke wiederfindet. Er hört sich laut atmen und presst beide Hände auf seinen Mund.
Nach einigen Minuten steht K. vorsichtig auf, blickt sich um. Er ist auf einem verlassenen Grundstück. Der Rasen ist stellenweise verbrannt. Dahlien, Nesseln, Zinnien und Sonnenhüte säumen den Weg zum Bungalow - ein in L-Form gehaltener Flachbau mit Holzverkleidung und überdachter Steinterrasse. Im Hintergrund stehen zwei Apfelbäume, groß und mächtig, deren Äste die Außenfassade der Gartenlaube streifen. Ein verwunschener Ort, denkt K., bis ihm der Geruch von Grillfleisch und Brennspiritus in die Nase steigt und ihn an die Wirklichkeit erinnert.
Er geht zum Bungalow und rüttelt an der Tür. Verschlossen. Unter der Gartenbank entdeckt er neben Wassereimern und angerosteten Gießkannen einen halbvollen Bierkasten. Die Flaschen sind alle leicht staubig. K. pfeift. Irgendwo findet sich bestimmt ein Zweitschlüssel, denkt er, und ich komme rein.
K. füllt einen Eimer mit kaltem Wasser und legt einige Bierflaschen hinein. Dann schlendert er durch den Garten, inspiziert die Gemüsebeete und macht aus einer Laune heraus den Rasensprenger an. Gebannt verfolgt er, wie die Düsen um ihre eigene Achse rotieren und Sprühwasser im hohen Bogen ausstoßen. Das rhythmische Klicken der Automatik vermischt sich mit Kindergeschrei in der Ferne.
Dann zieht er seine Kleidung aus. Ganz selbstverständlich erst Schuhe und Socken, dann Hose und Hemd.
Während K. im selbst geschaffenen Sommerregen steht, wird ihm klar, dass die Geschehnisse, die zu seiner Verwechslung geführt haben, problemlos rekonstruiert werden können. Ich weiß, wer ich bin, denkt er und die Anderen werden es auch.
Trotzdem stellt er sich vor, wie es wäre, sich hier eine Zeit lang zu verstecken. Ich würde die reifen Tomaten und Auberginen vom Schneckenbefall befreien und ernten. Ich würde mir den Bungalow gemütlich einrichten und jeden Abend ein Lagerfeuer machen. Ja, das würde ich. Vielleicht wäre es nur ein Leben im Provisorium, denkt er, aber dieses Leben täte mir zur Abwechslung gut.
Auf diese Aussicht gönnt sich K. das erste gekühlte Bier.
Markus Streichardt
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freiVERS | Lütfiye Güzel
4. Februar 2018Lyrik,Lütfiye GüzelfreiVERS,Literatur
man lebt nicht jeden tag
-
eine spinne mit den augen
verfolgt
mit gutem gewissen
ihr netz nicht zerstört
dann obst von den bäumen
geschüttelt
& drei runden geweint
Lütfiye Güzel
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Jahresrückblick 2017 - Finanzen, Freu(n)de und Familie
29. Dezember 2017Jahresrückblick,Bericht,BudgetKulturszene
Was für 1 Jahr! Wir müssen uns kurz halten, denn dieses Jahr quoll ja fast über vor lauter spannenden Projekten und neuer Literatur. Aber ein kleiner Rückblick muss sein!
-
Zunächst das Geld. Wie sind wir 2017 zu Cash gekommen?
- je 5000 € kamen von den Kulturabteilungen der Stadt Salzburg, des Landes Salzburg und des Bundeskanzleramtes
- etwas mehr als 1100 € stammen aus Verkaufserlösen, also von euch - Vielen Dank dafür! <3
- knapp 500 € sind Mitgliedsbeiträge - die Familie sozusagen.
- nochmal knapp 500 € kommen von der StV Germanistik an der Universität Salzburg
klein&laut, das erste Treffen junger Literaturzeitschriften im Mai 2017 in Salzburg
-
Und wofür haben wir es ausgegeben?
- rund 7500 € gingen als Honorare an Autor*innen und Projektmitarbeiter*innen
- etwas weniger als 6500 € haben wir für Druckkosten für die Zeitschrift und Bücher ausgegeben
- ein wenig mehr als 1300 € gingen für den Versand drauf
- nicht ganz 1000 € haben wir für Material (Veranstaltungseqipment, Verpackungsmaterial,...) ausgegeben
- knapp 700 € haben wir für Werbung und Marketing ausgegeben
- der Rest sind Gebühren, Spesen etc.
Die 5-Jahres-Feier im Jänner 2017 in der Academy Bar
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Und was haben wir jetzt eigentlich gemacht?
- über 100 Texte von knapp ebensovielen Autor*innen haben wir als freiTEXT, freiVERS oder im Advent-mosaik veröffentlicht, der meistgelesenste davon kam von Sigune Schnabel
- 20 Veranstaltungen haben wir in Salzburg organisiert, im Herbst zum ersten Mal BABEL
- 3 Ausgaben der Zeitschrift mit Texten von über 80 Autor*innen sind erschienen, im Sommer haben wir nochmal ordentlich über die Zeitschrift nachgedacht und nachjustiert
- 3 Bücher sind in der edition mosaik neu erschienen, darunter unsere ersten beiden Kunstbücher, [disposed] und opera publica
- 1 Lesereise mit 4 Lesungen und Diskussionen hat uns im Februar durch ganz Deutschland geführt
- 1 Konferenz: Mit klein&laut im Mai haben wir das erste Vernetzungstreffen junger Literaturzeitschriften organisiert
Zu Gast bei Land in Sicht in Köln im Zuge der Lesereise im Februar 2017
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Und was ist sonst noch so passiert?
- knapp knapp knapp werden sich die 50 000 Besucher*innen auf unserer Homepage nicht ausgehen (Stand vor Veröffentlichung von diesem Beitrag: 49 592)
- Wie jedes Jahr; unsere Top-Suchbegriffe des Jahres: zweimal wurde nach „mosaik am see“ gesucht - vielleicht eine neue Veranstaltungsidee? - auch schön: „Gebäude steht leer“ - aber unser Favorit: „Amazon“
- Und schließlich war es unser erstes Jahr als Verein. Wir haben viel gelernt, viel gearbeitet, viel gefeiert. Die Familie wächst zusammen!
Auch du kannst dabei sein!
Du willst es ganz genau wissen?
Den ausführlichen Bericht des Jahres 2017 findest du >> hier <<
-
Vielen Dank allen, die mitgearbeitet haben, allen Autor*innen und Künstler*innen, allen befreundeten Projekten und allen, die uns über das Jahr hindurch unterstützt und motiviert haben!
Auf ein mindestens so spannendes Jahr 2018!
euer mosaik.
Der Vorstand des mosaik Dezember 2016 - Oktober 2017. Mehr zum Team hier.
Und das Titelbild erinnert uns an den Wissenspark, unser Ein-Tages-Festival mit der Wissensstadt im Mai 2017.
24 | Kinga Tóth
24. Dezember 2017Lyrik,Kinga TothLiteratur
„Tür auf, Tür zu“
vater wäscht sich
mutter kocht
fremde an der tür
nachtkäfer surren
grillen draußen
fremde an der tür
man sagt nichts hier
wenn sie fliehen
pfeifen die hahnsirenen
‘drauf blieb der topf
kocht über leert sich
mutter vater
fremde
Kinga Tóth
Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
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23 | Nicola Huppertz
23. Dezember 2017Lyrik,Advent-mosaikNicola Huppertz,Literatur
tag vor heiligabend
zufällig
zwischen zwei eiligen schritten
lege ich den kopf in den nacken
und sehe wie sich die möwe
vom frühlingsmilden wind
davontragen lässt
ihr schmaler Körper
ohne gewicht
vor wolken aus hauchzarten
lamettafäden
am hellblau des himmels
während hier unten
zwischen läden und lichter-
ketten
noch immer die gesetze
der schwerkraft gelten
und die der saison
weshalb ich meinen blick abwende
und weiterhaste
der stillen zeit
entgegen
Nicola Huppertz
Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
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22 | Stefan Heyer
22. Dezember 2017Lyrik,Stefan HeyerAdvent-mosaik,Literatur
Seine Freunde konnte er nicht fragen
Viel geblieben war nicht von Aleppo. Die meisten Gebäude zerstört. Auch seine Freunde waren weggegangen. Geflohen aus der Stadt. Oder gestorben. Geschossen wurde nicht mehr. Das war auch alles. Das Leben? Musste weitergehen. Letztes Weihnachten hatten sie in der zerstörten Kirche gefeiert. Es war kalt gewesen. Ohne Dachstuhl. Heizen hätte da nicht geholfen. Aber sie hatten gefeiert.
Sein Vater hatte Arbeit. Hatte Glück gehabt. Vater stellte immer noch Seife her. Wenn er Olivenöl bekam. Und Lorbeer. War nicht leicht, die Sachen zu bekommen. Strom gab es wenig. Ein paar Stunden am Tag. Oft war der Strom plötzlich weg. Wasser gab es auch nicht immer. Das nervte am meisten. Das eine oder andere Haus wurde wieder aufgebaut.
Letztes Jahr hatte Jiro sich zu Weihnachten ein Stück Seife gewünscht. Was sollt er sich dieses Jahr wünschen? Seine Freunde konnte er nicht fragen. Es war kein Krieg mehr in der Stadt. War das jetzt Frieden? Sein Vater konnte es ihm nicht beantworten. Sie lebten. Sie hatten zu essen. Nicht immer. Manchmal hatte er Hunger. Eigentlich fast immer. Wenn kein Wasser aus der Leitung kam, musste er immer Kanister schleppen. In der Nähe gab es ein Kloster. Wenn er Hunger hatte, ging er manchmal hin. Die Schwestern hatten auch nicht viel. Doch sie gaben ihm immer etwas.
Mehl war immer knapp. Großvater würde gern mehr Brot backen. Doch sein Ofen blieb oft kalt. Holz gäbe es schon genug. Oder irgendetwas anderes zum Heizen. Doch Brot ohne Mehl konnte auch Großvater nicht backen. Süßigkeiten hatte er schon lange nicht mehr gebacken. Womit auch. In den Geschichten von Großmutter war Jiro zuhause. Auch wenn das Elternhaus nicht mehr stand. Sie erzählte wunderschöne Geschichten, Märchen. Aleppo muss schön gewesen sein. Das Leben muss schön gewesen sein. Früher. Als es keinen Krieg gegeben hat.
Er hatte keine großen Träume. Nachts war es jetzt immer still. Und dunkel. Schwarze Ruinenstadt. Überall zerschossene Häuser. Oft wurde er wach in der Nacht. Kroch zu Großmutter ins Bett. Liebte ihr weißes Haar. Vielleicht sollte er sie fragen, was er sich wünschen könnte zu Weihnachten. Jiro konnte lesen und schreiben. Zumindest ein bisschen. Er konnte jetzt wieder zur Schule gehen. Es gab Container. Die Kirche war immer noch eine Ruine. Noch hatte sie keiner aufgebaut. Schnee würde es dieses Jahr wohl auch nicht geben. Großmutter erzählte ihm manchmal vom Schnee. Schnee müsste herrlich sein.
Stefan Heyer
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