freiTEXT | Alexander Kerber

immer wieder schön, das ende der welt

mosaiksonntag. wir sind alle sternchen, steinchen, kies. im getriebe steckt der kies und macht, dass die zahnräder der bürokratie nicht mahlen. da braucht man dann öl. öliges öl so ganz grau oder braun, zwei farben, die sich meistens sehr ähnlich sind.

am bürosonntag ist man von blattwerk eingedeckt. sortier die blätter schon, komm! trau dich, ordnung zu machen. siehst du? in die folie mit dem blatt und abheften. alphabetisch? papperlapapp! unsinn, sag ich dir. sortier nach dem datum.

meldebescheinigung hier, mahnung da. bankkonto, betriebskrankenkasse, gesundheitskarte, tan-liste. michael burnham sagt engage. pilzsporen in lungen und kopf.

arno denkt an die ukraine und masturbiert zum piktogramm des sternzeichen löwe.

rundfunkbeitrag, beitrag zur gesellschaft, wir sind papierhaufen, wir sind unterlagen, nummern, einsortieren, abheften. der schattenkönig war eine dunkle aber erhabene gestalt. seine haut bücherseiten. was für ein nachtmahriger albtraum eine gestalt aus diesen blättern wäre. gewerkschaft für erziehung und wissenschaft. wissenschaftliche buchgesellschaft. diba diba du. bkk-vbu.

schneid dir die finger nicht wund am papierschnitt, sagt die mutter. der tote vater ist ein ablagestapel von akten. aktenzeichen ungelöst, der fernseher ist allgegenwärtig. fiona kauft sich einen waschsalon und nimmt eine hypothek auf ihr haus auf. monika stirbt. frank ist immer noch nicht tot. debbie ist dumm, lip macht dumme sachen. die sachlage ist folgende: du bist begraben unter papier, das du nicht beschrieben hast. dabei bist du doch nur auf der suche.

frank und lip suchen auch nämlich alkohol. deine zitternde hand sucht kaffee und kippen. gut für die gesundheit ist das beides nicht.

die große gesundheit sagt nun aber folgendes: sei die große krankheit, die große überwindung, der große tod.

tot ist man länger als lebending, denkt man sich. denken ist dann auch vorbei. schreiben ist vorbei. atmen, so schwer es auch fallen mag, ist dann auch vorbei. lebensabseits.

im abseits steht man dann mit einer katze an der leine, die schnurrende sprache. sie ist nämlich kein hund wie elfriede sagt, sie ist und war schon immer eine katze. statt neun hat sie unendlich viele leben. unendlich viele perspektiven. unendlich viele mosaiksteinchen fell, die glitzern im halbschatten.

im halbschatten steht man im abseits, am ende ganz allein. wie es immer ist. auch die sprache spendet keinen trost vor sprachlosigkeit. leben ist einübung in die große einsamkeit, die am ende des absatzes steht.

Alexander Kerber

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mosaik24 – Erlebniswelt Heizen

mosaik24 – Erlebniswelt Heizen

Intro

„Heiz ein und zieht euch warm an!“

„Wenn die Leute unsere Texte haben wollen, dann geben wir sie ihnen.“

Christine Haidegger spricht im Interview (S. 62) über die Gründung ihrer Literaturzeitschrift vor vierzig Jahren recht pragmatisch aus, was Beweggrund und Motivation für vieles sein kann: Die Nachfrage. Ein fehlendes Angebot. Ein Vakuum. Doch was, wenn es die Nachfrage nach etwas Bestimmten nicht gibt, nicht geben kann, da niemand weiß, dass etwas existiert, das man begehren kann. Ist das die Aufgabe von Kunst? Nachfragen zu befriedigen, die nie ausgesprochen worden sind?

Solche Fragen und ähnliche haben wir uns in den letzten Monaten regelmäßig gestellt – im Hinblick auf das bisher Erlebte, den status quo und die Ziele, die wir mit dem mosaik hatten und haben. Sind uns noch einmal klarer geworden, warum wir was wie machen. Haben an der einen oder anderen Schraube gedreht um zum Beispiel die Zeitschrift hoffentlich noch interessanter zu machen.

„Wir kleben. Wir lösen uns ab. Wir kleben. Alles, was von uns bleibt, sind unsichtbare Rückstände.“

Martin Peichl vergleicht den Zusammenhalt in einer Beziehung mit einem Post-It (S. 10). Und auch wir fragen uns nicht zum ersten Mal: Was bleibt von unserer Arbeit. Die physische Zeitschrift landet im Altpapier oder zerfällt langsam im Archiv – die achso bleibende und beständige Printpublikation bleibt bei einzelnen Autor*innen in einer Zeile im Lebenslauf bestehen: „Veröffentlichung in diversen Literaturzeitschriften.“

Es sind – wie so oft – nicht zuletzt die persönlichen Kontakte, die motivieren. Die Diskussionen mit Autor*innen und Rezipient*innen, die Unterhaltungen nach Lesungen, die Wertschätzung in den Mail-Konversationen. Ein Wort, das immer häufiger fällt: Dringlichkeit. Manche Texte werden nicht geschrieben, weil sie jemand lesen will, manche müssen einfach raus, auch wenn niemand auf sie wartet. Und bald kann man sich kaum noch vorstellen, wie man jemals ohne sie existieren konnte.

„dies ist kein gedicht über den zu kurz gedachten zusammenhang von sprache und denken. dies ist im besten fall: ein loch im papier, das groß genug ist, um durchzuwollen.“ – Xú Yìn / Lea Schneider (S. 42)

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Inhalt

  • Laurenz Rogi – Wie ich den Osorno bestiegen habe
  • Kerstin Meixner – Die Geschichte meines Vaters, arabische Version
  • Marianna Lanz – hasen
  • Martin Peichl – Entdecker
  • Julia Knaß – fixierungspunkte
  • Safak Saricicek – humanspaghetti
  • Chistian Lange-Hausstein – Wie eine Wespe
  • Robin Krick – Der Schwerfällige
  • Alexander Kerber – Im Hals klafft eine Wunde
  • Nikola Huppertz – schuhe
  • Sebastian Görtz – Industriekultur
  • Slata Roschal – o.T.
  • Illustrationen von Lisa Köstner
NEU: Kunststrecke von Daniela Kasperer
BABEL – Übersetzungen
  • Krista Scözs – am paralizat/sunt un om al exceselor (Aus dem Rumänischen von Yevgeniy Breyger)
  • Julia Grinberg – Paradisischer Fernblick | Zweimal über Phantome (Russisch und Deutsch)
  • Anna Hetzer – Funkhaus Nalepastraße (Ins Italienische von Nicoletta Grillo)
  • Kathrin Bach – Ocker (Ins Italienische von Nicoletta Grillo)
  • Marco Mantello – Dopo l‘ultimo (Aus dem Italienischen von Tobias Roth)
  • Agata Spinelli – Lungo il Freilichtmuseum (Aus dem Italienischen von Tobias Roth)
  • Xú Yìn – 秋访金陵 (aus dem Chinesischen von Lea Schneider)
Kolumnen
  • Peter.W. – Die Brille, Hanuschplatz #12
  • Marko Dinic – Nachts, Lehengrad #4
Buchbesprechung
  • Lisa-Viktoria Niederberger – Ein Ort in den Bergen. Rezension „Tau“ von Thomas Mulitzer (Kremayr & Scheriau)
Interview
  • Papier erbetteln, Manuskripte schmuggeln. Josef Kirchner, Christian Lorenz Müller im Interview mit Christine Haidegger
Kreativraum mit Thomas Mulitzer

mosaik22 – alles ist abgekaut

mosaik22 – alles ist abgekaut

Intro

„Wir sitzen in der Sonne, trinken Kaffee und gucken vor uns hin. Es stinkt ein bisschen, weil jemand die staubige Elektroheizung für draußen angemacht hat, damit es warm wird. Warm war es schon vorher und es hat gut gerochen, jetzt nicht mehr.“

Matrosenhunde machen den Anfang einer ungewöhnlichen mosaik. Einer Ausgabe im Zwischenstadium. Im Aufbruch begriffen. Wir fragen uns – mehr als je zuvor: Was kann Literatur leisten? Was ist die Zukunft des geschriebenen Wortes? Wohin führt die Tradition des gedruckten und gebundenen Textes? „alles ist abgekaut hier.“ – Ronya Othmann spricht uns aus der Seele: „hol die wäsche rein, sonst wird sie alt.“

Das mosaik ist in einem Übergangsstadium. Die Redaktion wurde vergrößert, das Programm um Lesereihen, Workshops, Bücher und Online-Veröffentlichungen erweitert. Die Sensibilität für neue Ansätze ist da und eure Qualität in den Texten ist Ansporn für uns, qualitativ ebenbürtig zu arbeiten. Doch wo führt das alles hin?

Das wird unter anderem in der ersten Konferenz zeitgenössischer Literaturzeitschriften – klein & laut –  im Mai in Salzburg diskutiert. Wie bei Idealismus und Kulturpräkariat, der Studie zeitgenössischer Literaturprojekte, bereits herausgearbeitet wurde, führt auch hier der Weg hin zu mehr Zusammenarbeit, Vernetzung, gemeinsamer Aktionen.

„Literatur ist ein Raumschiff, das uns hilft, den trivialen Erscheinungen unserer Gesellschaft zu entkommen.“ – Pola Oloixarac

Der Blick nach außen wird wichtiger: BABEL holt diesmal Stimmen aus Slowenien und Estland in die uns bekannte Sprache und schickt vertraute Stimmen ins Italienische. Kai Hilbert holt im Gespräch mit der argentinischen Autorin Pola Oloixarac eine digitale Zukunft in ein analoges Jetzt. Und in den Texten der Autor*innen der fünften Geburtstagsfeier des mosaik wird die Fragilität der Worte der Gegenwart deutlich.

Doch was das alles zu bedeuten hat, das weiß Tibor Schneider:

„das magische. lyroplyrodon
hat gesprochen:
its all about. Porn“

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mit:

Renate Aichinger, Carolyn Amann, Veronia Aschenbrenner, Petra Feigl, Sara Hauser, Alexander Kerber, Daniel Ketteler, Luca Kieser, Sascha Kokot, Cornel Köppel, Jonas Linnebank, Matrosenhunde, Ronya Othmann, Jessica Sabasch, Tibor Schneider, Sabine Schönfellner, Simon Stuhler, Chili Tomasson, Vasilis Varvaridis und Matthias Weglage

Übersetzungen von Texten von:
  • Uros Prah (aus dem Slowenischen)
  • Vesna Liponik (aus dem Slowenischen)
  • Margit Lohmus (aus dem Estnischen)
  • Asmus Trautsch (in das Italienische)
Mit Auszügen aus:
  • KulturKeule XXII – 5 Jahre mosaik
Buchbesprechung:
  • Alke Stachler:  Chronographe Chronologien I (hochroth) von Kenhah Cusanit
Interview:
  • Kai Hilbert mit Pola Oloixarac über ihren Roman „Kryptozän“
Kolumne
  • Peter.W. – Hanuschplatz
Kreativraum mit Sarah Oswald