freiVERS | Melissa Tara Nielsen
Portugal
Hast du gelächelt
als ich mein Shirt ausgezogen habe
Sonne auf meinen Brüsten
Musik aus der Küche
Wein auf deiner Zunge
Qualm aus deinem Mund
Hattest du das
Universum im Blick
Sind meine Sommersprossen
auf dich heruntergefallen und
in deinen Bauchnabel getropft
Hattest du Haare
auf deiner Brust
meine oder deine
Hattest du deinen Gürtel noch an
deine Jeans
Wie lange
Wellen von der Küste
Hattest du
Schweiß auf deinen Lippen
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Lise Reingruber
ein gestrandeter wal
meeresblau das wasser
in der badewanne
ein gleitender sockenfussel
gleich einem schwarzen vogel
um meinen körper
planlos schwebend
irgendwann dann
das badewasser ablassen
und liegen bleiben
mein körper schwer
immer schwerer — am ende
ein gestrandeter wal
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Sebastian Sokołowski
der kern
ich habe mit meiner vermutung
recht behalten
die rückseite des mondes
birgt keine geheimnisse
keine zu erforschende prähistorie
die der mantel des vergessens deckt
die nackte kraterlandschaft
in unmittelbarer nähe
der endlosen leere
sagt niemandem was
wie die olympischen weltenlenker
die längst kein teufel mehr
fragt wer original
wer abbild ist
ich schreibe den ersten satz
niemals so dass
der leser unbedingt
den zweiten lesen will
es findet sich immer
jemand der das körnchen
wahrheit verzerrt
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Mark Monetha
Streifzug durch Athína
Das Ferne sieht er mit inniger Vertrautheit an
je ferner das Schiff am Hafen der Horizont
und auf steinerner Mauer
Jahrtausende Marmor
gestreifte Katze im Schatten bald
Füße im Staub, bald Nase
Hinten im Hof der Bleiwurz
gewachsen durch Fensterläden
Parterre ein alter Hellas
zugewachsen die Stirn
die Lippen am Krug
sitzt er da
Grün ist es, grau und pastell
entlang der Straßen
Orangenbäume in Frucht
dass sie fallen und platzen:
brechen in süßem Saft
Das Pflaster poliert
von Sohlen Dekaden
Gedanken Jahrhunderte
achtsamen Fußes
drei Stockwerke hoch
die Wandmalerei:
ein Mädchen mit Vorschlaghammer
Die Wäsche frisch
auf dem Balkon
vor grauen Läden: hier wird gelebt!
mit allen Gliedern
Fremde Füße im Park
darin Olivenbäume
in silbergrünem Glanz
und Rascheln im Strauch
Von den Hügeln das Meer
weißer Teppich, Mosaik,
die Häuser gelegt auf das Land
und das Meer voller Blau
voller Meer
so nah das Fremde das Ferne
dass es wandert schon
in den Glanz zweier Augen
dahinter
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Moritz Reiffers
Gletschermusik
Die aneinander vorbeistreichenden
Ineinander sich verschiebenden
Gegeneinanderschlagenden noch
Vom ewigen Schnee halb bedeckten
Schrillflächen des Gletschers schillern
Erstarrt im schnellen Licht. Kein Geräusch
Noch. Später
Zirpt wohl alles immer schon knirscht schnarrt
Schurrt und plätschert unsichtbar
Hinter uns her hoffnungslos
Langsam durch die ungeatmete Luft.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Fynn Bastein
Kuppelkirche
Wenn ich ganz genau hingucke,
läuft die Welt ein bisschen langsamer und Menschen steigen von ihren Fahrrädern,
als würden sie eine Kirche betreten.
Wenn ich ganz genau hinhöre,
ist es auch leiser.
In der Bibliothek wurden wir einmal ermahnt,
seitdem flüstern wir nur noch miteinander.
Manchmal flüstern wir so laut,
dass ich dich über einen ganzen Raum hinweg verstehen kann.
Du sagst du möchtest auch lernen wie man die Welt leise und langsam macht,
wie sie weich und sanft wird.
Es hilft
sich an Orte zu setzen, die sich nicht verändern,
die Augen zu schließen und die Vergangenheit vorbeilaufen zu lassen,
jeder einzelnen zu winken.
Es hilft
genau hinzuschauen,
so genau, dass die Grashalme vor deinen Augen verschwimmen
und du eigentlich gar nicht mehr genau guckst.
Es hilft
deine eigene Hand zu halten, als wäre sie eine andere.
Es hilft
Kirchen zu betreten, als würde man vom Fahrrad absteigen
und dort nicht zu flüstern
sondern nur in sehr lauten Räumen,
wenn man Schwierigkeiten hat sich zu finden.
Vielleicht hilft es auch die Zukunft vorbeilaufen zu lassen
und zu winken
aber nicht Hallo zu sagen.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Sigune Schnabel
Winterkind
Über eine Wiese
mit Frostblumen laufe ich, weiß,
dass nur der Wohnzimmerboden blüht.
Im dumpfen Licht wachsen mir Gräser
über den Kopf.
Bäume versinken im Nebel.
Auf ihrer Haut keimt Moos.
Ich bin ein Tier
und nähre mich vom Winter,
grase ihn ab und klinge
nach Landschaften und Eis.
Ich singe leise.
Mutters Stimme hält den Schnee zusammen.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Michael Spyra
Der Mond im Fernsehapparat
Wie ein Ballon, ein Lampion, so schwebt er
mal mehr mal weniger und widerstrebt der
Tendenz zu fallen, Erdanziehungskraft
und trotzdem immer da, in Geiselhaft.
Der Fremde also, Fremdling und Begleiter,
mit Staub bedeckt, meteoritbeschneiter,
derselbe immer, Einzelgängermond,
wie eben schon und gleich noch mal betont.
Der Pockennarbige, im All ergraute,
der immer von derselben Welt beschaute,
das Accessoire aus einer andern Welt,
bewundert, abgemalt und angebellt,
gesichtet und besichtigt, überwunden,
die immer gleiche Bahn auf seinen Runden.
Die scharfe Sichel und das volle Rund,
von Swinemünde bis nach Swapokmund.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Manon Hopf
ich suche ein trauer
wort für den ausbleibenden
schnee
das unvollständigkeits
erleben ob es mehr als drei
generationen braucht
bis der schnee schnee ist
von gestern eine neue semantik
gefunden
wurde für die augen ob
zukünftige fluten
das jahr abschließen können
mitreißen wie eine decke
weißer schnee this too is
water ob wir neue metaphern finden
für winter über wintern
wenn selbst unsere leichen
nicht mehr erkalten
wenn das frösteln wie eine erinnerung
über uns kommt beim öffnen
der brummenden kühlschranktür
ich weiß nicht wo ich über
wassern werde die hand
ins eisfach gelegt dort habe ich
eine leere
krippe aufgebaut neben
einer handvoll baby cheeses
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
23 | POEDU: Mira – Regina – Inga
Die Wunschliste
Ich wünschte, hinter unserem Haus stünde ein Pferd und dieses Pferd gehörte mir.
Ich wünschte, es hätte eine goldene Mähne.
Ich wünschte, es würde mich in den Wald tragen.
Ich wünschte, ich würde in eine Welt gelangen, die noch nie zuvor jemand betreten hat.
Ich wünschte, dort gäbe es Trauben, so groß wie Fußbälle.
Ich wünschte, dort gäbe es Bücher in allen Sprachen.
Ich wünschte, ich könnte sie verstehen.
Mira, 11 Jahre alt
***
Ich wünschte, ich hätte ein Buch mit vielen Geschichten, das ich nie zu Ende lesen könnte.
Ich wünschte, ich könnte den Binärcode auswendig, dann könnte ich mit Robotern in ihrer Muttersprache sprechen.
Ich wünschte, ich hätte eine Traummaschine, mit der man sich die Träume aussuchen kann, ich hätte dann keine Alpträume mehr.
Ich wünschte, es gäbe Reginerischland wirklich, dort wäre ich die Königin.
Ich wünschte, Süßigkeiten wären gesund.
Ich wünschte, ich lebe in der Villa Kunterbunt.
Ich wünschte, ich könnte in die Zukunft schauen, aber ich wüßte nicht, welche Geschenke ich bekomme.
Regina, 9 Jahre alt
***
Ich wünschte, ich dürfte den ganzen Tag nur lesen.
Ich wünschte, dass ich eines Tages um die Welt reisen würde.
Ich wünschte, ich würd' in London leben.
Und ich wünschte, ich könnte anderen Menschen helfen und Freude bringen.
Inga, 14 Jahre alt
***
POEDU | Poesie von Kindern für Kinder.
Monatlich gibt ein*e Autor*in online einen poetischen Anstoß.
Dieser Impuls kam von Anke Bastrop:
Poesie und Wünschen sind fest miteinander verbunden, und zwar das ganze Jahr lang. Genau genommen kennt das poetische Wünschen keinen Raum und keine Zeit, keine Bedingungen und keine Grenzen. Stellt euch also vor, euer Wünschen wäre ganz frei. Alles, einfach alles dürft ihr sagen … natürlich auch eure Herzensdingwünsche – alles ist erlaubt ...
>> mehr POEDU-Texte auf mosaikzeitschrift.at
>> zum Bestellen: POEDU – das Buch und POEDU – das zweite Buch
Das Advent-mosaik begleitet dich mit ausgewählt schönen Texten durch die Vorweihnachtszeit.
Jeden Tag kannst du ein neues Türchen öffnen: