du und ich in wien im advent.
Eines trüben morgens,
die vorhänge waren noch geschlossen
und das zimmer dämmrig kalt,
setzte ich mich ruckartig im bett auf,
denn mir war eingefallen,
dass ich eine woche zuvor
zwanzig euro am theaterparkettboden gefunden hatte
und das bedeutete nämlich,
dass ich umsonst die ganze letzte woche schlecht gelaunt
auf der suche nach einem bankomaten gewesen war
denn in den kleinen cafés,
in die ich vorgehabt hatte zu gehen,
konnte man ausschließlich mit bargeld bezahlen.
da es dort aber keinen bankomaten gab,
bekam ich auch keinen kaffee
von einem kleinen café.
Ich setzte mich also ruckartig mit diesem gedanken auf,
schüttelte den üblichen morgenschwindel ab
und ich sagte zu dir,
denn du bist aufgewacht, weil ich mich so ruckartig aufgesetzt hatte:
„heute morgen bin ich aufgewacht und hatte kein blut mehr im gesicht.“
und du hast mich angeschaut,
mit deinen noch halb geschlossenen schläfrigen augen,
dein ohr in den polster gerdrückt und “was?” gemurmelt,
und ich darauf
“ach nichts”
und du
“mhm”,
das war so schön.
Dann hast du dich langsam angezogen
und ich hab dir zugesehen,
es ist ein nasser tag gewesen,
denn es hatte den ganzen morgen geregnet,
und bist an der haltestelle vor dem kindergarten,
an der du dich immer über die kindergruppen ärgerst,
in den bus gestiegen und von zuhause weggefahren.
Der bus stand im stau,
wegen des regens,
aber auch wegen der leute,
und da stiegen zwei vom alter gekrümmte frauen mit krücken zu.
die verabschiedeten sich dann lange voneinander,
sie sahen sich sonst nämlich nie
und das war sehr schade,
aber vielleicht würde man sich ja bald mal
auf einen kaffee
in einem kleinen café treffen
und die eine musste zwei die andere drei stationen fahren.
Als der bus dann aber kurz geführt wurde
und sie beide an derselben station aussteigen mussten,
gab es nichts mehr zu sagen
über die enkel oder das wetter
und man hatte sich ja auch schon
verabschiedet und wieder verabredet,
also bist du mit ihnen in ihrer peinlichen stille gestanden.
Ich aber bin dagegblieben
und habe versucht mich so zu wundern,
wie du dich immer über mich gewundert hast,
wenn ich gesagt habe,
dass ich irgendwie das gefühl habe,
dass die halben stunden zwischen dreiviertel und viertel
viel schneller vergehen,
als die zwischen punkt und halb,
wenn ich so am küchenfenster sitze,
den rest deines kalten und viel zu starken kaffees trinke,
rauche und darauf warte, dass der regen schwächer wird
oder die nachbarskatze sich blicken lässt
und die Minuten zwischen dreiviertel acht und viertel neun zähle.
Ich rauche eigentlich immer,
wenn du nicht da bist,
so wie der vater immer trinkt,
wenn meine mutter geht,
weil ich dann daran denken muss,
dass du das hasst
und ich es mag,
wenn du sagst,
dass du das hasst.
Und wenn der regen
dann fast ganz aufgehört hat
und die sonne durch die wolkendecke bricht,
gehe ich vielleicht zum museumsquartier
und warte und schaue den gestressten menschen zu
dort, wo kleine blaue schafe
oder food trucks
oder ziehharmonika spielende pferde
unter der weihnachtsbeleuchtung stehen.
Und wenn eine halbe stunde zwischen elf und halbzwölf vergangen ist,
treffe ich im museumsquartier vielleicht eine frau,
die mir sagt,
während sie ihren terminkalender wieder einsteckt,
dass sie das jetzt schon etwas nervt,
oder so,
wenn ICH das gerne SO machen möchte,
also wenn ich das so machen will,
dann kann ich das gerne so machen,
sie findet das jetzt auch nicht schlecht oder so,
aber sie weiß auch nicht,
ob sie MIR das falsch kommuniziert hat,
denn sie dachte schon,
dass wir das JETZT alles zusammen ausmachen.
Aber wenn ICH das jetzt lieber nicht ausmachen will,
dann ist das natürlich auch voll ok und passt voll für sie.
Und zu der barista,
die in dem starbucks,
in den die frau gerne gehen wollte,
weil sie heute noch garkeinen kaffee getrunken hat
und ihr morgen dann immer ganz schrecklich ist,
lattés ausgibt,
sagt sie dann,
nachdem sie ihren kaffee nach dem ersten schluck angewidert abgestellt
und dann auch zurückgebracht hat,
vielleicht so etwas wie,
dass es ja auch nicht so schwierig sein kann,
SOJAmilch
in einen kaffee latte mit
SOJAmilch
zu geben
auch wenn sie keine unverträglichkeit hat,
man sollte sich mal vorstellen,
sie hätte eine,
aber milch sei einfach so ekelhaft,
weil sie so einen grauslichen geschmack im mund macht
und weil sie früher oft am bauernhof gewesen sind
dann denkt sie sofort
wenn sie die milch nur riecht,
schon an die kuh
und den stall
und das ist ekelhaft.
Und ich nicke recht viel
und sage „mhm, mhm“
und starre der barista später,
während sie eine neue latte macht,
die ich für die frau holen gehe,
auf die lippen weshalb sie,
unangenehm berührt,
unter der theke mit den füßen
zur last christmas dauerschleife
zu wippen beginnt.
Und wenn ich den neuen kaffee
dann zu dem tisch,
an dem die frau wartet, bringe,
entschuldigt sie sich
für ihren kurzweiligen ausbruch,
das ist nämlich sonst so garnicht ihre art
und ich schüttle meinen kopf
und sage so etwas wie
“nein, bitte, das ist total lebensecht”
und die frau sagt nichts
und starrt für einen augenblick durch mich hindurch
während sie am kaffeetassenrand der sojalatte nippt,
und entscheidet sich wohl
dass das keine beleidigung war.
atmet laut aus und sagt
„ach du”.
es ist nämlich nicht so leicht mit mir,
denn ich bin wie meine mutter.
Wenn die frau die tasse abstellt
und einen moment lang dem kaffehaustreiben zusieht
greife ich in meinen rucksack
schiebe ein kleines packet über den tisch
und sage so etwas wie:
„grüße von der mama“
und die frau beißt die zähne zusammen und murmelt:
„oh wie lieb das wäre doch gar nicht notwendig gewesen, das hätte ja gar nicht sein müssen, da werd ich ihr gleich eine SMS schreiben.“
Dann bin ich durch die stadt losgelaufen,
ich weiß nicht mehr wohin,
bis es dunkel war und ich verloren gegangen bin,
irgendwo in den übergängen wiens,
in denen es nach pferdepisse
und manchmal auch nur nach pisse riecht
und den donauwalzer spielt.
Und du bist am abend
mit dem bus zurückgefahren,
aber der bus musste eingezogen werden,
weil ein alter wiener,
der aus weihnachtsvorfreude
auf ein fest mit der ganzen familie
besonders gut gelaunt war,
zuerst lautstark
“hearst, mach die tür auf, du komiker!”
richtung busfahrer schrie
und dann auch
als dieser keine anstände machte
die tür während der fahrt für den mann zu öffnen
auch auf diese eintrat bis sie kaputt war
und der fahrer alle aussteigen ließ.
Im ersatzbus wolltest du
dann an der haltestelle vor dem kindergarten aussteigen,
hattest aber aus versehen
eine station zu früh auf den aussteigeknopf gedrückt
und musstest jetzt überlegen,
ob du auch eine station früher aussteigen sollst,
und den rest zu fuß gehen,
weil die tür sonst ja für niemanden aufgehen würde
und der bus vielleicht umsonst stehengeblieben wäre,
und dir das vor den anderen leuten unangenehm ist.
aber ein alter mann ist aufgestanden und ausgestiegen
und du hast aufgeatmet.
Und als ich wieder zuhause war,
habe ich eine kerze auf dem
schon im letzten jahr nicht mehr schön gewesenen kranz,
den du nicht weggeworfen hast,
weil du meintest,
dass der shabby chic look wieder im kommen ist,
ein wort dass ich dann gegooglet habe,
angezündet,
denn heute ist erster advent.
Und dann bist auch du heim
und durch die tür gekommen
und da bin ich gesessen
und hab dich angeschaut
und gefragt
„na wie war dein tag”
und du sagst
„anstrengend”
und ob ich
„zwischendurch mal an dich gedacht habe”,
und ich sage
„nein, aber ich hab meine tante getroffen”
und dann frage ich dich, ob du kühe ekelhaft findest,
und du schüttelst den kopf und murmelst leise:
„was?”,
lachst und umarmst mich.
Und wenn du dann vorsichtig eine hand auf meinen rücken legst,
dort wo die schulterblätter zusammenlaufen,
flackern nur noch kerzenflamme
licht und schatten um uns durch den raum
und es riecht nach harz und wachs und feuer.
Und später, wenn es draußen wieder stärker zu regnen beginnt
und der früchtetee uns süßlich heiß auf den lippen brennt,
werden wir gemeinsam in die flamme starren
und etwas summen,
das wir von früher kennen,
eine melodie,
die schon fast nicht mehr zu uns gehört.
Sara Maurer
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