Druck nach Unten/ Trixi

„Ey Trixi, du siehst so geil aus. Du leuchtest richtig. Ich glaub, wenn du frei bist, schillerst du am meisten.“

Ich lächel und nicke, versinke in den merkwürdig aufdringlichen Farben, im Beat. Wir stehen mitten auf der Tanzfläche und unsere nassgeschwitzte Haut berührt sich. Unangenehm. Sie fasst mir mit der Hand an den Hinterkopf, als ob sie mir einen Kuss aufzwingen wollen würde. Sie kommt so nah an mich heran, dass ich sie riechen muss, und hören, weil die Musik ja sonst zu laut ist. Ich muss sie hören.

„Du bist so eine, dich muss man immer freilassen, ne? Bloß nicht festhalten,“ und während sie das sagt, rutscht sie mir mit ihrer Hand in den Nacken.

„Sag mal Trixi, wieso hast du überhaupt n`Kind bekommen?“

Mein Körper bewegt sich nicht mehr. „N`Kind?“

Ich zucke die Schultern: „Keine Ahnung!“

Ich will doch bloß tanzen. Warum fragt sie überhaupt, was geht sie das an?

„Druck nach unten. Seit der Geburt meiner Tochter habe ich immer so einen Druck nach unten.“

Die Therapeutin schaut mich nachdenklich an und fragt dann:

„Hast du dich jemals gefragt, ob du dein Kind liebst?“

„Nein, ich mein, ist doch klar, dass man sein Kind liebt! Der Druck kommt von der Gebärmutter.“

„Warst du mal beim Arzt?“

„Nein. Ich mag keine Ärzte“

Ich lehne mich übers Waschbecken und bilde mir ein, dass eine Spinne über meine Hand läuft, dabei war es vermutlich nur ein Schatten. Oder ein Haar. Oder eine Spinne. „Sandra, hast du die Spinne gesehen?“

„Was für ne Spinne, Trixi?“

„Ach, keine!“

„Lass mal was zu trinken holen!“

„Ne, ich glaub ich habe genug. Ich glaub, ich fahr gleich nach Hause!“, während ich das sage, sehe ich schon wieder diese kleine Spinne. Diesmal auf der anderen Hand. Sie ist so klein und flink, ich kann sie nicht im Auge behalten.

„Trixi, du hast endlich mal Ausgang. Ziad wird sich schon gut um die Kleine kümmern. Ich hol uns was. Du brauchst das!“ Du. Brauchst. Das. Was? Wirklich?

Sie schiebt mich an die Bar.

Ich schaue auf die Uhr, es ist drei. Um drei wird Mia meistens wach und will zu uns ins Bett. Um sechs will sie Frühstück. Das sind bloß noch drei Stunden.

Sandra schiebt mir nen Wodka zu.

„Habt ihr schon mal als Familie Urlaub gemacht?“

„Nein!“

„Warum?“

„Kein Geld!“

„Was macht dein Mann?“

„Er ist neu in Deutschland, er arbeitet nicht!“

„Fehlt dir das?“

„Dass er arbeitet? Manchmal fehlt es mir, dass sich jemand um mich kümmert, also finanziell! Ziad kümmert sich hervorragend um mich und Mia.“

„Gibt es denn kulturelle Differenzen?“

„Nein, bei Ziad und mir ist alles in Ordnung. Bloß…“

„Ja?“

„Manchmal fehlt er mir so… ohne Mia!“

Wir stehen wieder auf der Tanzfläche. Die Welt ist ad absurdum geführt, unter dem Alkohol keine Welt mehr, sondern ein Traum, einer ohne Mia und Ziad. Sie fehlen mir n` bisschen, aber der Typ hinter mir gefällt mir ganz gut, er legt mir die Hand um die Hüfte, zieht mich an sich heran. Seine Hand gleitet bis zwischen meine Beine, mitten auf der Tanzfläche. So was hätte ich auch betrunken früher nicht gemacht. Aber ich will den Mann. Jetzt und sofort. Ich mach das. Wir treffen uns auf der Toilette.

„Ich habe mal einen Text zu deiner Frage geschrieben.“

„Zu welcher Frage?“

„Ob ich meine Tochter liebe! Soll ich ihn vorlesen?“

„Gerne!“

„Als du vor einem Jahr geboren wurdest, lagst du vor mir und ich wusste nicht, wer du bist. Dabei wusste ich das, als du in meinem Bauch warst noch ganz genau, da habe ich dich noch gespürt, dich berührt, du warst mit mir, in mir. Ich war so verliebt in dich.

Bei der Geburt stellte ich mir nur noch die Frage: Was zur Hölle ist das? Über die Schmerzen hat man ja schon viel gehört. Aber das sind keine Schmerzen, das ist die Hölle. Irgendwann stieg ich aus. Die Schmerzen zu stark, fern ab von der Realität. Ich wollte mich verabschieden, von der Realität, in eine Zwischenwelt. Irgendwo da, wo ich mich nicht mehr spüre, weil ich es nicht mehr ausgehalten habe. Da habe ich dich aber auch nicht mehr gespürt und da bin ich geblieben. Da bin ich immer noch. Ich spüre dich nicht. Ich spüre Mia nicht. Aber da ist trotzdem Liebe und die ist unendlich groß und es hört sich verrückt an, aber die Liebe macht mir die größten Vorwürfe. Als würde sie mir zurufen: Ich bin da, warum spürst du mich bloß nicht? Warum liebst du sie nicht genau so, wie du sie in deinem Bauch geliebt hast?“

„Trixi, das auf deiner Hand vorhin war keine Spinne, das war ne Motte, auf der Toilette sind ganz viele kleine Motten.“ Motten? Motten mögen das Licht. Ich auch! Ich vermisse das Licht, ich vermisse die Sonne. Aber ich habe nie Zeit mich zu sonnen. Zu viel Sonne ist nicht gut für Mia. Ich geh zurück auf die Toilette und schlage alle Motten tot. Schlage sie tot und schreie. Ich schlage um mich und schreie und schreie und schwitze und ich will sie doch lieben aber ich kann nicht weil ich mein altes Leben zurück will das schreie ich und sie kommen und stehen im Türrahmen dieser Clubtoilette und starren mich an wie eine Wahnsinnige was ist denn mit der die ist ja verrückt hat wohl zu viel gesoffen so schmeißt sie doch endlich raus raus mit ihr.

Das Krankenhauslicht ist so kalt geworden. Ich kann nicht mehr. Ich habe keine Kraft mehr. Sie muss endlich raus, holt sie zur Hölle aus mir heraus.

„Ziad?“

„Yes my dear!“

„What you think? What if Mia never existed? Would we still be lovers?“

Carina Plinke

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