mosaik32 - passende Kleidung hilft

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Ihre festen Territorien
  • Peter Sipos – die fabrik
  • Karin Pitz – sucher
  • Kerstin Meixner – Das Glück der Stadtfüchse
Störgrößen
  • Sabine Abt – dringlichkeit
  • Christian Künne – Irrtumswahrscheinlichkeit
  • Johannes Bruckmann – Das Pokerturnier
Der Übertritt
  • Suse Schröder – Nicht auf der Höhe
  • Iseult Grandjean – Gleich warm
  • Lea Schlenker – Die Liebe zur Bestie
  • Grit Krüger – Unser Coach
Kunststrecke von Kollektiv Extasier
BABEL – Übersetzungen

Träumen georgische Fische manchmal auf Deutsch? Gibt es im Ukrainischen ein Äquivalent zum deutschen Wort ‚Entfremdung‘? In welchem Film spielte Nicole Kidman den Geist, der dachte, er sei ein Lebender, und wie lautet der Titel nochmal im Kroatischen? Unsere Rubrik Babel ist nicht nur ein Sammelsurium der vielen, uns zuflatternden Sprachen, sie ist auch der Punkt, an dem sich Fragen sammeln, die zu stellen wir uns in einer anderen Sprache nie zugetraut hätten. So gesehen bieten wir auch keine Antworten. Allein die Literatur ist unser Anliegen, und dass diese uns manchmal mehr fragend zurücklässt, soll uns hier als Anreiz dienen, mehr Fisch zu sein als Geist in Menschengestalt.

  • Lesyk Panasiuk – ЕКСПОНАТ / Das Exponat (Unkrainisch)
  • Lesyk Panasiuk – ТІЛЬКИ Б СОН / Nur ein Traum (Ukrainisch)
  • Dino Pešut – Moja mama kao Penelope Cruz u onom filmu / Meine Mama als Penelope Cruz in diesem einen Film (Kroatisch)
  • Dino Pešut – Ja kao Nicole Kidman iz onog filma / Ich als Nicole Kidman in diesem einen Film (Kroatisch)
  • Željana Vukanac – crna deca putuju / Schwarze Kinder reisen
  • Teona Komakhidze – მისი ღიმილი გადაიქცა ოქროს კარიბჭედ […] / sein Lächeln wurde zum goldenen Tor […] (Georgisch)
[foejәtõ]

„Idealismus zahlt keine Fixkosten“, stellt Lisa-Viktoria Niederberger in ihrer Streitschrift über die Rolle von Frauen im Literaturbetrieb fest. „Eine Aufforderung, Erwartungen zu hinterfragen, als Schreibende, als Publikum, als Veranstaltende.“, stellt uns Katherina Braschel vorab. Und Anna Ilin macht sich Gedanken zur Rolle der Frau in der Hausarbeit, bevor uns Julia Knaß in die Literaturmetropole Wolfsberg entführt.

Kreativraum mit Mercedes Spannagel

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freiTEXT | Kerstin Meixner

…dann kriecht man eben

Am Eingang des Friedhofs: Plötzliche Kindheitserinnerungen. Gedankenstakkato. Die erste Woche an einer neuen Schule und die damit verbundene Einsamkeit. Ein Junge auf dem Gipfel eines Schuttberges, der zu weiteren Kindern an dessen Fuß herabspricht. Assoziation des erwachsenen Ichs: Als habe er uns in eine Revolution führen wollen. Damals, mit neun Jahren: Noch kein Wissen über Aufstände. Blankes Staunen über den da oben. Das Gefühl der unter den eigenen Händen und Füßen herabgleitenden Trümmer ist wieder da. Der verbissene Wettkampf darum, den steilen Gipfel der gesprengten Lagerhalle zu erreichen, die aufgeschüttet vor ihnen liegt. Links und rechts die Schatten von Gleichaltrigen, die es ebenfalls versuchen. Er selbst noch hartnäckiger und unnachgiebiger ringend als sie, denn er ist neu in der Siedlung und verspürt in sich den Drang, sich vor den anderen behaupten zu müssen. Vielleicht ist es das beständige Knirschen der kleinen Steine, die auf dem Friedhofsweg ausgesät sind, unter seinen Schuhen, das ihn zurück an jenen Ort bringt.

Hendrik war damals nicht sofort mit ihnen losgerannt, als sie beschlossen hatten, den Berg zu stürmen. In einem gleichgültigen Trab war er ihnen auf das Fabrikgelände gefolgt und hatte vom Fuß des Hanges aus gelassen ihre fruchtlosen Versuche beobachtet, gegen die Trümmerteile anzukämpfen, die ihnen auf allen Seiten entgegenrutschten. Nach und nach hatten sie alle aufgegeben. Als letztes auch er selbst. Und plötzlich hatte Hendrik doch Anlauf genommen, sich auf der steilen Schräge merkwürdig flach auf alle Viere ausgestreckt und in dieser fast robbenden Haltung bald unter ihrem Jubel die Spitze des Schutthaufens erreicht. Später am Abend hatte er ihn gefragt, wie er es bis nach oben geschafft habe. Das erste Gespräch bester Freunde. »Wenn nichts mehr geht, dann kriecht man eben«, hatte Hendrik geantwortet. Mit schiefgelegtem Kopf.

Zwei Wochen später waren sie zum ersten Mal gemeinsam in Schwierigkeiten geraten. Sie hatten im Wald einen Stützpunkt für eine Bande errichten wollen, die zu gründen sie beabsichtigten. Hendrik hatte darauf bestanden, dass dieser nur perfekt sein würde, wenn sie ihn mit einigen Trümmerteilen vom alten Fabrikgelände ausstatteten. Dort jedoch hatte sie der neue Wachmann des Grundstücks erwischt und sofort zur Rede gestellt. Ob sein Freund wirklich nicht gewusst hatte, dass man auch Müll nicht einfach mitnehmen durfte, hatte er nie erfahren. Man hatte bei Hendrik überhaupt nie so genau gewusst, wo dessen Geschichten endeten und die Wahrheit begann.

Schon am Abend waren sie allen Warnungen zum Trotz wieder an der Fabrik gewesen. Das Hoftor war fest verschlossen und er selbst wäre sofort wieder nach Hause gegangen, aber Hendrik war, seinem Lebensmotto treu, so lange um das Gelände herumgeschlichen, bis er eine Stelle gefunden hatte, an der er unter dem Zaun hindurchkriechen konnte, wenn er sich nur eifrig genug bemühte. Als ihn der strenge Wächter am darauffolgenden Tag zu den fehlenden Stücken befragte, hatte sein bester Freund nur unschuldig zu diesem aufgeschaut und gesagt, er hätte die Schuttstücke wohl gerne haben mögen, doch die Mauern seien leider zu hoch für ihn gewesen.

Die Erinnerungen haben ihn über den Hauptweg des Friedhofs bis zu einer Abzweigung begleitet. Abschnitt B, Gang 3, Reihe III. Wie der Geheimcode für eine Bande, die es an ihrem Stützpunkt nie gegeben hatte. Stattdessen: Verbrannte Schulbenachrichtigungen. Blutsbrüderschaft. Freie Nachmittage. Vormittage auch. Irgendwann Mädchen. Streit darum sowieso, aber man kann vieles teilen. Heimat unter einem flachen Dach aus Trümmerteilen. Dann waren sie ihr entwachsen.

Gemeinsam beendeten sie die Schule und während er selbst seinen Zivildienst in einem der Altenheime der Stadt ableistete, entschied Hendrik sich für die Bundeswehr. Er hatte den Freund nicht verstehen können, aber Hendrik hatte nur gelacht und gesagt, dass man es dem deutschen Heer kaum vorenthalten dürfe, den weltbesten Durch-den-Dreck-Kriecher endlich persönlich kennenzulernen. Es war seit ihrem neunten Lebensjahr das erste Mal gewesen, dass sie nicht mehr in der gleichen Siedlung gelebt hatten und es hatte auch keine Rückkehr mehr zu diesem Status gegeben. Als der andere zwei Jahre später endgültig aus der Kaserne zurückgekehrt war, hatte er selbst schon zusammen mit seiner damaligen Freundin in der nächstgelegenen Großstadt gewohnt. Die Zeit des Teilens war vorbeigewesen. In mehr als einer Hinsicht. Einmal noch hatte Hendrik ihn abgeholt und sie waren gemeinsam heimlich in das alte Fabrikgelände eingestiegen, doch das Hindurchkriechen unter Zäunen hatte für ihn als angehenden Studenten den Reiz verloren gehabt. Auch Hendrik hatte bald darauf seine Taschen gepackt und sein Talent, auch dort noch weiterzukriechen, wo der Verstand einem sagte, dass nichts mehr zu erreichen sei, in der Welt erprobt. »Für den Sommer«, hatte er gesagt und war doch nur noch zu Weihnachten oder runden Geburtstagen in die Heimat zurückgekehrt und stets innerhalb von einer Woche wieder verschwunden. Umso überraschter war er daher im vergangenen Jahr gewesen, als Hendrik ihn kurz nach Neujahr angerufen und gefragt hatte, ob er ihn ins Krankenhaus fahren könne. Er hatte sofort zugesagt und war wartend auf dem Gang geblieben. Warum, das wusste er bis heute nicht. Niemand hatte ihn darum gebeten. Mit ernsten Gesichtern hatten zwei Ärzte ihren Patienten aus dem Behandlungszimmer begleitet. Auch, ob die Diagnose dieses Tages für Hendrik wirklich eine Neuigkeit gewesen war, gehörte zu den Dingen, bei denen er nicht sicher war, wo die Wahrheit begann und dessen Geschichten endeten.

Sie hatten noch einmal ihre alte Hütte im Wald besucht. Sie waren unter den fast eingestürzten Wänden hindurch in das Innere des Unterschlupfs gekrochen und hatten den Nachmittag weitestgehend schweigend verbracht, bis Hendrik plötzlich gefragt hatte, ob wohl der Wachmann von damals noch lebe und ob sie ihm nicht die Trümmerteile zurückbringen wollten. Tatsächlich hatten sie den Mann in ihrer alten Siedlung wiedergefunden. »Ich habe immer gewusst, dass du das warst«, hatte er nüchtern festgestellt und ausgesehen, als habe er in diesem Moment eine Art Frieden mit dem Freund geschlossen. Drei Wochen später war Hendrik gestorben.

Die letzten Meter sind die schwersten. Keine Kindheitserinnerungen mehr, stattdessen Erinnerungen an die Beerdigung. Er hatte den Sarg tragen wollen, aber es nicht gekonnt. Er hatte zur Andacht gehen wollen, aber nicht gewusst wie. Schließlich war er doch gegangen und am Rand geblieben.

Der Weg ist jetzt fremd. Zu selten hier gewesen. Verdrängung funktioniert so sehr, dass man Besuche am Grab vergisst. Rückkehr nur an besonderen Tagen. Stärkeres Vermissen des Jugendfreundes, als des Mannes, der gestorben ist. Diffuse Schuldgefühle. Noch einmal nur: Verbrannte Schulbenachrichtigungen, Blutsbrüderschaft, Heimat unter Trümmerteilen und irgendwann Mädchen - - Aber man kann nicht zu den freien Nachmittagen zurück. Zu den Vormittagen auch nicht.

Am Grab steht Hendriks Großmutter und versucht, mit ihrem Gehstock etwas am oberen Ende der Fläche zu erreichen. Sie erkennt ihn sofort. Unter der dichten Hecke liegt ein ausgebranntes Grablicht, das wohl der Wind dorthin geweht haben muss. Er bietet seine Hilfe an, sie nickt. Er betritt mit einem langen Schritt vorsichtig die vom Regen der vergangenen Nacht noch leicht rutschige Steinplatte in der Mitte der rechteckigen Ruhestätte. Von hier versucht er aus der Hocke heraus, die umgestürzte Kerze zu erreichen, aber es gelingt ihm nicht, also lässt er sich vorsichtig weiter auf seine Knie nieder und streckt sich merkwürdig flach über das Grab aus, bis er den kleinen, roten Plastikzylinder an der Hecke erreicht hat. Sein Hemd streift die feuchte Erde und als er sich wieder aufrichtet und vorsichtig die kleinen, schwarzen Klümpchen von seiner Brust abklopft, sieht er Hendriks Großmutter entschuldigend an. Die alte Dame aber nimmt ihm lächelnd die ausgebrannte Kerze aus der Hand und sagt: »Wenn nichts mehr geht, dann kriecht man eben.« Sie legt dabei den Kopf schief.

Kerstin Meixner

freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
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mosaik24 – Erlebniswelt Heizen

mosaik24 – Erlebniswelt Heizen

Intro

„Heiz ein und zieht euch warm an!“

„Wenn die Leute unsere Texte haben wollen, dann geben wir sie ihnen.“

Christine Haidegger spricht im Interview (S. 62) über die Gründung ihrer Literaturzeitschrift vor vierzig Jahren recht pragmatisch aus, was Beweggrund und Motivation für vieles sein kann: Die Nachfrage. Ein fehlendes Angebot. Ein Vakuum. Doch was, wenn es die Nachfrage nach etwas Bestimmten nicht gibt, nicht geben kann, da niemand weiß, dass etwas existiert, das man begehren kann. Ist das die Aufgabe von Kunst? Nachfragen zu befriedigen, die nie ausgesprochen worden sind?

Solche Fragen und ähnliche haben wir uns in den letzten Monaten regelmäßig gestellt – im Hinblick auf das bisher Erlebte, den status quo und die Ziele, die wir mit dem mosaik hatten und haben. Sind uns noch einmal klarer geworden, warum wir was wie machen. Haben an der einen oder anderen Schraube gedreht um zum Beispiel die Zeitschrift hoffentlich noch interessanter zu machen.

„Wir kleben. Wir lösen uns ab. Wir kleben. Alles, was von uns bleibt, sind unsichtbare Rückstände.“

Martin Peichl vergleicht den Zusammenhalt in einer Beziehung mit einem Post-It (S. 10). Und auch wir fragen uns nicht zum ersten Mal: Was bleibt von unserer Arbeit. Die physische Zeitschrift landet im Altpapier oder zerfällt langsam im Archiv – die achso bleibende und beständige Printpublikation bleibt bei einzelnen Autor*innen in einer Zeile im Lebenslauf bestehen: „Veröffentlichung in diversen Literaturzeitschriften.“

Es sind – wie so oft – nicht zuletzt die persönlichen Kontakte, die motivieren. Die Diskussionen mit Autor*innen und Rezipient*innen, die Unterhaltungen nach Lesungen, die Wertschätzung in den Mail-Konversationen. Ein Wort, das immer häufiger fällt: Dringlichkeit. Manche Texte werden nicht geschrieben, weil sie jemand lesen will, manche müssen einfach raus, auch wenn niemand auf sie wartet. Und bald kann man sich kaum noch vorstellen, wie man jemals ohne sie existieren konnte.

„dies ist kein gedicht über den zu kurz gedachten zusammenhang von sprache und denken. dies ist im besten fall: ein loch im papier, das groß genug ist, um durchzuwollen.“ – Xú Yìn / Lea Schneider (S. 42)

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Inhalt

  • Laurenz Rogi – Wie ich den Osorno bestiegen habe
  • Kerstin Meixner – Die Geschichte meines Vaters, arabische Version
  • Marianna Lanz – hasen
  • Martin Peichl – Entdecker
  • Julia Knaß – fixierungspunkte
  • Safak Saricicek – humanspaghetti
  • Chistian Lange-Hausstein – Wie eine Wespe
  • Robin Krick – Der Schwerfällige
  • Alexander Kerber – Im Hals klafft eine Wunde
  • Nikola Huppertz – schuhe
  • Sebastian Görtz – Industriekultur
  • Slata Roschal – o.T.
  • Illustrationen von Lisa Köstner
NEU: Kunststrecke von Daniela Kasperer
BABEL – Übersetzungen
  • Krista Scözs – am paralizat/sunt un om al exceselor (Aus dem Rumänischen von Yevgeniy Breyger)
  • Julia Grinberg – Paradisischer Fernblick | Zweimal über Phantome (Russisch und Deutsch)
  • Anna Hetzer – Funkhaus Nalepastraße (Ins Italienische von Nicoletta Grillo)
  • Kathrin Bach – Ocker (Ins Italienische von Nicoletta Grillo)
  • Marco Mantello – Dopo l‘ultimo (Aus dem Italienischen von Tobias Roth)
  • Agata Spinelli – Lungo il Freilichtmuseum (Aus dem Italienischen von Tobias Roth)
  • Xú Yìn – 秋访金陵 (aus dem Chinesischen von Lea Schneider)
Kolumnen
  • Peter.W. – Die Brille, Hanuschplatz #12
  • Marko Dinic – Nachts, Lehengrad #4
Buchbesprechung
  • Lisa-Viktoria Niederberger – Ein Ort in den Bergen. Rezension „Tau“ von Thomas Mulitzer (Kremayr & Scheriau)
Interview
  • Papier erbetteln, Manuskripte schmuggeln. Josef Kirchner, Christian Lorenz Müller im Interview mit Christine Haidegger
Kreativraum mit Thomas Mulitzer