freiTEXT | Veronika Aschenbrenner

freiTEXT_Illus5-3

Kratzendes Rücken

Ich habe dich heute gekauft
weil die Krokusse so schön
und meine Lippen …

Blüten tragen
meine Lippen Blüten tragen
und von dir umschlungen werden wollen
bevor sie welk werden
und bei der leichtesten Berührung
nach unten fallen

ich habe dich gekauft
weil die Angst zu groß
versetzt zu werden
aber du mich nicht versetzen kannst
nicht einmal verletzen kannst

ich sage dir Worte
flüstere zu
was nicht wahr ist
aber im Moment wahr ist
und als der Moment vorbei sein wird
als er vorbei
da sind sie welk geworden
und alle fallen sie ab
und sie krachen nicht auf den Boden
sie fallen nicht auf den Boden

kratzendes Rücken von Stuhlbeinen
plötzlich in die Stille

ich habe dich heute gekauft
weil die Krokusse so schön
und meine Lippen …

Veronika Aschenbrenner

freiTEXT ist eine Reihe literarischer Texte. Freitags gibts freiTEXT.
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textTage 2015 - Einsendeschluss!

Logo_TextTage

Ein Gedicht, dem der Rhythmus fehlt; eine Kurzgeschichte ohne passenden Schluss; Krimifiguren, in denen zu wenig Leben ist – wer literarische Texte schreibt, steht vor vielen Fragen und Problemen. Die textTage wollen darauf Antworten geben und Lösungswege aufzeigen.

Unter der Leitung der Münchner Autorin und Lektorin Karin Fellner werden wir zwei Samstage lang vorher eingeschickte Teilnehmertexte diskutieren, immer in fairer und entspannter Atmosphäre. Neben der gemeinsamen Arbeit am Text soll auch der kollegiale Austausch über das Schreiben / den Literaturbetrieb nicht zu kurz kommen.

Die Veranstaltungstage liegen fünf Wochen auseinander. Es ist also genügend Zeit, die eigene Erzählung, die Fantasy-Geschichte oder Romanpassage auf das Gehörte hin abzuklopfen und zu überarbeiten, bevor sie noch einmal besprochen wird.

Termine: 28. März | 2. Mai
Anmeldeschluss: 16. März 2015

Alle Informationen hier und im Flyer.


Jüdischer Cowboy-Humor aus Texas

 Ein zerfurchtes, faltiges Gesicht mit einem breiten Schnurrbart, die obligatorische Zigarre im Mund, ein schwarzer Cowboyhut; die wohl coolste Cowboyhut-Oberlippenbart-Kombination seit dem legendären Lee van Cleef betrat am 1. März 2015 die Bühne des kleinen Saals im Linzer Posthof.

kinky-friedman

Kinky Friedman im Posthof, Linz, 1. März 2015
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freiTEXT | Sven Heuchert

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Grand Hotel Abgrund

Im Badezimmer roch es nach Desinfektionsmittel, und der Spiegel hatte einen Sprung. Er versuchte, sein Gesicht so in Position zu bringen, dass es durch den Sprung geteilt wurde. Es gelang ihm nicht. Er ging zurück in sein Zimmer und setzte sich auf das Bett. Er konnte den Lattenrost spüren.

Später an der Hotelbar bestellte er Genever und Bier. Der Junge hinter dem Tresen hatte rote Haare und Akne. Er servierte die Getränke achtlos und verschüttete ein wenig. Beide sahen auf den dunklen Fleck, der sich auf der Theke ausbreitete. Der Junge kratzte sich an einem Pickel und zuckte mit den Achseln. „Auf welchen Namen?“
„Kurt Schneider.“ Schneider sah sich um. Im Fernseher ein Boxkampf, in der Luft der Geruch von schalem Bier und Erdnüssen. Er trank den Genever in einem Zug. Einer der Boxer ging K.O, und die Stimme des Kommentators überschlug sich. Schneider überlegte, aber er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal einen Boxer gesehen hatte, der so schwer ausgeknockt worden war. Der Junge brachte neuen Genever. Diesmal verschüttete er nichts. Nach einer Weile betrat ein Mann die Bar, er trug Arbeitskleidung und einen Hut, den er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Er ließ zwischen sich und Schneider einen Hocker frei und bestellte Bier.
„Auf Durchreise?“, fragte er in den Raum hinein, und Schneider nickte.
Der Mann lächelte. „Kommen Sie von weit her?“ Schneider zuckte mit den Achseln. „Wie man's nimmt.“
Der Mann nahm den Hut ab und legte ihn direkt neben Schneiders Bierglas. Über seinen Kopf zog sich eine Narbe, die kurz hinter dem Haaransatz in einem scharlachroten Mal endete. Der Mann strich mit den Fingern über die Hutkrempe und nahm einen Schluck Bier.
„Unfall“, sagte er dann. „es war ein Unfall.“
Schneider senkte den Blick und sah auf den Rand seines Bierglases.
„'n paar Jahre her, bin in 'ne Maschine geraten, die Heu macht. Hatte Glück.“ Der Mann klopfte sich mit den Fingerknöcheln gegen die Stirn. Schneider hob das Glas an die Lippen. Der Rothaarige nickte.

Frisches Bier wurde serviert. Niemand sprach. Schneider trank und sah gelangweilt auf den Bildschirm. Pferderennen. Der Ton war irgendwann leise gestellt worden. In der Bar war es jetzt ruhig. Nur ab und an Motorengeräusche, kaum wahrnehmbar. Scheinwerferlicht erhellte für einen Augenblick die gesamte Hotelfront, und dann wieder Dunkelheit. Er fand, dass der Moment, in dem die Dunkelheit zurückkehrt, die ganze Wahrheit zeigt. Immer stand man im Schatten, niemals im Licht, niemals so ganz. Ein wenig vom Schatten blieb immer. Der Rothaarige blätterte in einer Illustrierten. Der Mann mit der Narbe hielt sein Bierglas mit beiden Händen umschlungen und hatte die Augen geschlossen. Schneider betrachtete die Narbe und das scharlachrote Mal. Der Mann hatte wirklich Glück gehabt. Dann legte er einen Schein auf die Theke und stand auf.
Der Mann mit der Narbe hielt ihn am Arm fest.
„Mein Junge liegt seit gestern im Koma“, sagte er, „und sie wissen nicht, ob er wieder aufwacht.“

Schneider sah den Mann an. Er sah direkt auf das scharlachrote Mal und sagte: „Es tut mir sehr Leid.“

Später im Zimmer öffnete Schneider das Fenster. Es roch nach Regen. Die Straße schimmerte in der Dunkelheit. In einiger Entfernung konnte man das Blinken des Nottelefons erkennen. Er ließ die Hände auf das Fenstersims sinken und beugte sich vor. Er konnte die Umrisse seines Wagens auf dem Parkplatz erkennen. Dann legte er sich auf das Bett, sein Kopf sank tief ins Kissen ein. Er lag eine Weile so da, stand schließlich auf und ging ins Badezimmer. Im Spiegel immer noch der Sprung. Er fuhr ihn langsam mit dem Zeigefinger nach und betrachtete sein Gesicht. Er hatte sich sehr lange nicht mehr rasiert. Morgen, dachte er, und machte das Licht aus.

Sven Heuchert

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freiTEXT | Sabine Roidl

freiTEXT_Illus19

ABC

Alles auf Anfang. Auf Ausführungen besessen besserer Champions und Chansonnetten darf die einfache Ernte eimern. Der das geschrieben hält es fest in Fingern fragt frigide ganz gut gegangen. Oder? Neidisches Nicken. Halte häufig heiteres Hi Hi Hi hinter herzzerissenen Händen im jaulenden Jammertal. Konkurrenzlos kopfkrank kann man Nächsten leben lassen. Nehme nachher mehr mit ohne Pardon. Pochende Reinheit quillt reuelos. Suche ständig steuernde Silbe; schenk mir eine. Soll sie sein schief schnief sichtbar, schützenswert. Sprache ist Stellwerk im Strudel, süchtigmachend taumelt sie talwärts, wir Träumer sind verdammt für immer. Verfluchte Wahrheit vermeidend, wohliges Wiegen unseres Unwissens. Verstehst nix von was weil warum. Wütendes Wort wird Yachthafen zerhäxelter Zundergeschichten, zartbitter: zurück auf Anfang.

Sabine Roidl

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Vor dem Bureau # 1: Auf hoher See

Nostalgiealarm! Bekannte Gesichter in jung. Wer wissen möchte, wie z.B. Peter.W. 2007 ausgesehen hat... Read more


freiTEXT | Nico Feiden

freiTEXT_Illus16

Tramperliebe

Ich ging stundenlang an einer Landstraße entlang, ohne das ein Auto anhielt, litt unter der Hitze dieser südlichen Sonne, während der Schweiß aus jeder Pore meines Körpers tropfte.

Als ich schon aufgeben wollte, hielt ein kleines Auto und eine junge Frau lächelte mir entgegen. Ein braun gebrannter Engel, der sich in diese südliche Dürre verirrt hatte.

Ich stieg ein und wir brausten los, während der Staub hinter uns in einem Wirbel aus Erregung zitterte.

Der Vorderreifen des Wagens schmiegte sich sanft an den Mittelstreifen der verlassenen Landstraße an und am Fenster zog die Wildheit der Natur wie ein verschwommenes Polaroid vorbei.

Es war eine wunderbare Fahrt, Clara so hieß sie, erzählte mir von ihren Reisen, von ihrer kleinen Modeboutique in Florenz. Sie redete und redete mit ihrer zarten Stimme und ich hörte Ihr gerne zu. Ich sah sie verlegen an, während das Licht sich auf ihrer braun gebrannten, verschwitzen Haut verlor.

Vielleicht war es, weil ich lange nicht mehr mit einer Frau gesprochen hatte, aber sie kam mir so unwirklich vor, so vollkommen, so wundervoll ...

Für ihr Lächeln wäre ich tausend Tode gestorben, Gott war sie schön.

Sie redete und ich hing gebannt an Ihren feurigen Lippen, hörte jeden Ton wie eine Symphonie des Himmels in meinen Ohren erklingen.

Sie fragte, ob ich einen Platz zum Schlafen hätte, und bot mir an bei ihr zu nächtigen. Ich lehnte dankend ab, denn der Ruf der Ferne lockte mich weiter Richtung Süden.

An einer Kreuzung verabschiedeten wir uns, sie gab mir einen Kuss; einen sanfteren und innigeren Kuss hatte ich nie bekommen und ich schwebte noch tagelang in dem zauberhaften Schleier der Verliebtheit über die staubigen Straßen Italiens, mit der tragisch schönen Erkenntnis, dass ich sie nie wieder sehen würde ...

Nico Feiden

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freiTEXT | Karin Seidner

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Ahnungen

Der frühe Abend, an dem der Hochsommer in den Herbst überging, warf sie in die Heuwiese. Wolkentiere gaukelten kühle Ahnungen in die Ferne. Noch lagerte Hitze in allen Poren . Hufgeräusche schmolzen in sattgrünem Blätterrauschen. Die Geschmeidigkeit ihrer Glieder hatte das Firmament berührt und der Atem sich mit dem Goldglanz gepaart. Feuchtigkeit breitete sich unter ihre Sohlen.

Später würde der Vollmond das Übrige dazu tun.

Karin Seidner

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