freiTEXT | Peter Sipos
Schnee bei uns
Schon als ich dich kennenlernte, wusste ich, dass es niemals klappen wird zwischen uns. Wir leiden einfach beide zu viel. Wenn wir miteinander schlafen, dann sagst du oft, du fühlst dich wie eine Heldin, aber ich glaube du bist keine Heldin. Ich kann diese Sprüche nicht leiden und das solltest du wissen. Die Sonne scheint heute und es liegt Schnee auf unserem Grundstück, was eigentlich nicht sein kann, aber bei uns liegt immer Schnee. Wir sitzen im Garten und du willst nicht reden. Ich finde immer, dass du etwas mies drauf bist, wenn die Sonne scheint, aber du schließt nur die Augen und sagst, du wärst sonnenempfindlich, was nach meinem Empfinden nicht stimmt. Ziehen wir weg von hier, sage ich, ich kann diesen Schnee nicht mehr haben, ich sage das schon ewig. Ach, hör auf, sagst du, ich finde es schön hier, wir haben sogar Eiszapfen. Und ich bin genervt, weil du das immer machst: mich ablenken, wenn ich melancholisch werde. Das ist nicht wahr, sagst du dann und ich erkläre dir: Hör zu, Mell, du musst endlich aufhören, mir zu sagen, wer ich sein darf, du sprichst so selten gut zu mir. Und nach einer Weile frage ich: Hast du Hunger? Es ist anders, wenn ich esse, weil ich brauche Essen, damit ich nicht friere. Ich kaue den Salat und sage: wir müssen etwas ändern. Als ich dann aufgegessen habe, sitzen wir am Küchentisch und wir sind weiterhin nicht verheiratet. Es geht zu Ende mit uns, das weiß ich schon lange. Was soll man schon tun, frage ich. Du nickst, wie vorgestern auch schon. Ein verwachsenes Ehepaar wäre auch nicht schön, sage ich, weil ich vermute, dass du dasselbe denkst. Wir sind kein Ehepaar, sagst du. Ich finde, das war jetzt taktlos, sowas Eindeutiges zu sagen. Es ist kalt, sagst du, es war schon immer kalt in diesem Haus. Wieso bist du schon wieder so gereizt, frage ich indem ich dich über den Tisch hinweg streichle, mit der flachen Hand. Wir lachen heute schon gar nicht. Hallo, ich gehe jetzt, sage ich, weil du mich nur dann in Frieden lässt, wenn ich Quatsch rede. Das Lügen ist meine Spezialität, sage ich. Das Lügen ist nicht deine Spezialität, sagst du, wenn schon ist das Lügen deine Allergie. Und es ist endlich etwas dabei in deinen Worten, etwas das mitklingt, wie wenn eine Brise auch noch riecht, das heißt gut riecht, egal. Komm gehen wir jetzt endlich nach Hause, könnte ich dir befehlen aber wir sind ja noch Kinder, wir sind noch Kinder im Herzen, da brauchen wir keine Kinder kriegen. Es ist alles so chaotisch mit dir, hätte ich sagen können, als wir uns kennenlernten, damals, als wir hier einzogen. Aber stattdessen habe ich nur Unsinn geredet und meine Lippen gespitzt, wie auch heute. Spitze Lippen machen mich scharf, sagtest du einmal und ich weiß nicht warum, aber dieser Satz blieb immer in meinem Kopf. Eine Liebe ist das nicht. Wir blinzeln. Mell, rufe ich und du schaust kurz zur Decke hinauf, Mell, wir müssen gehen jetzt, unser Flugzeug startet. Ich verlasse dich, sagst du dann. Ich bin kein richtiger Mensch, ich mache alles schlimmer, ich habe keine Ambitionen und wenn ich hinfalle, dann bleibe ich liegen, weil von alleine aufstehen werde ich sicher nicht. Mell, lass uns gehen, Mensch, wenn wir den Flug verpassen, dann bleiben wir hier, was machen wir dann? Du schaust mit zusammengezogenen Augenbrauen auf meinen Brustkorb. Wenn du nur in meine Augen schauen würdest, dann könnte ich dich überzeugen, mit mir zu fliegen. Aber wir bleiben im Haus, das eigentlich schon immer nur ein Nebenhaus war. Das Nebenhaus von irgendeiner Fabrik oder so. Vielleicht kommt der Schnee von da. Wenn alles so bleibt, sage ich, dann ist es aus zwischen uns. Du machst die Tür zum Garten auf, also packe ich meinen Koffer. Dann schaust du mir dabei zu, weil du mich bestimmt vermissen wirst. Ich habe jetzt gepackt, sage ich und drehe mich zu dir um. Rauchen wir eine, fragst du und ich fühle mich, als hätte ich eine Scheidung hinter mir. Zumindest hasst du mich nicht. Draußen blickst du mir noch hinterher, dann nimmst du einen Kieselstein aus dem Schnee und wirfst ihn in die Ferne.
freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Martin Gericke
alter Spielplatz am Meer
alter Spielplatz am Meer,
verwuchert vom Moos
und der Gischt, umspült
von den Scherben, den
modrigen Schrauben und
kleinem Geäst. Der glitschige
Sand, zerfließt zwischen den
Zehen wie Brei, versinkt in
den weicheren Schichten,
barfuß pieksendes Schlendern,
auf Muscheln und Kiesel, wie
abgeriebenes Schleifpapier und
federndes Köcheln unter den
Fersen, wie waberndes Treibgut,
wie Wandern am Meer.
Und vor uns ein leergelaufener
Turnschuh, brüchiges Leder in
Falten, vergraben im Burghof
der Krebse, Geflutetes, Quietschen,
im Wind, die Scharniere, hinter
der Bucht, die verrostete Schaukel,
blättrige Haut an den Stangen, die
Kette verwildert, mit ausgekugelten
Armen und hängendem Kopf.
Wir kehrten zurück, an den Strand,
unsern Ort des Vergessens, ans Meer.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiTEXT | Karsten Sirach
Der Nachlass
Nach den von ihm persönlich gemachten Angaben hat Patient X - jung, kräftig, groß - über Jahre hin von ihm so genannte niedere Tätigkeiten ausgeübt, schreibt der Nachtarzt der Charité spät am Abend in seinen Bericht. Überleben!, sagte Patient immer wieder und: Hören Sie das! Welche Tätigkeiten, dazu gibt es keine weiteren Angaben. Er könne sich nicht mehr erinnern, was er wann wo und wie lange getan habe. Er wisse auch nicht mehr, wie er heiße oder wo er herkomme oder wo er wohne. Patient kam ohne Papiere. Angehörige konnten daher keine ermittelt werden. Patient hat sich selbst eingeliefert, nachdem er bemerkt habe, dass er die Verrichtung alltäglicher Handlungen kaum noch bewältigen kann und demnach auch die Fähigkeit zu jeder Art von Beschäftigung nicht mehr besitze. Dafür hat Patient keine Erklärung. Nur, dass jeder ergriffene Gegenstand sich schon nach kurzer Zeit seiner Aufmerksamkeit entziehe. Auch seinen Händen. Und auch jeder Mensch, mit dem er ins Gespräch kommen würde, wäre nach kurzer Zeit schon aus seiner Aufmerksamkeit verschwunden. Auch jedes Bild, jeder Ort, jeder Vorgang. Hören Sie das!, sagte Patient immer wieder und: Angst! Die üblichen Untersuchungen wurden durchgeführt. Auch verschiedene Experimente. Keine Spuren von Missbrauch. Weder geistig noch körperlich konnte eine Beeinträchtigung festgestellt werden. Beim Entlassungsgespräch hat Patient X sich um einen Posten als Nachtwächter beworben, schreibt der Nachtarzt der Charité früh am Morgen in seinen Bericht. Seine Bewerbung wurde aber auf Grund der oben genannten Tatsachen abgelehnt.
freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Sarah Claire Wray
mutter
dir zu ehren
wie du
in der stille
der kühlen nacht
gekrümmter rücken
beine
übereinander geschlagen
eine zigarette
jeden Abend
am offenen fenster
rauche ich
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiTEXT | Tara Meister
Was bleiben
im grünen bett der hügel, darauf ein Mahagonitisch zum abendmahl gedeckt zwei stühle und ringsumher wird gierig das abendlicht verschluckt vom blättermeer, der Dschungel wächst
einander gegenüber sitzen am mahagonitisch Vater und sohn, der Vater deckt und stellt und
richtet, bis alles ist wie er es will und es sein soll und der sohn folgt mit blicken den bewegungen
versucht sie sich einzuprägen, im kopf nachzuahmen, er weiß, der Vater sieht den Dschungel nicht
und er will Vater sein, der sohn,
und nicht sehen
im abendlicht glänzt das silberbesteck, der Dschungel nicht
aber er raunt, wispert und während die augen den Vater sehen hört der sohn wie sich die bäume räkeln feuchte pflanzenarme strecken
ein rascheln von auf laub tappenden tatzen
der blick auf das dickicht ist verborgen von den schultern des Vaters und er wagt nicht, der sohn
wagt nicht sich zur seite zu lehnen, um daran vorbei zu sehen, blickt auf den Vater
die teller, den krug und hört dabei wie der Dschungel wächst und näher kommt
ein vogel schreit, er zuckt zusammen der Vater mahnt mit strengem blick
der sohn errötet beschämt, erregt
tatzen kratzen irgendwo
der Vater nimmt den krug, ein kleiner wasserfall, der Vater fängt ihn mit den gläsern auf
kein einziger tropfen schafft es über den rand
dämmerung über dem hügel, noch ist es nicht beinahenacht, zwei vögel schreien
ein letzter prüfender blick des Vaters über den gedeckten tisch, gewissenhaft
und der sohn schaudert als wäre er selbst das messer über das gerichtet wird, ob es richtig liegt
die hände auf dem tisch versucht der sohn sich daran festzuhalten aber es sind nur hände
an sein ohr dringen leise lockrufe aus dem dickicht, singende vögel obszöne düfte
die aus dem Dschungel gekrochen kommen, auf den hügel zu
lassen den sohn die blumen des Dschungels sehen, die farben haben die zu viel sind
grell und voll und einfach nur farbe zu sein scheinen, gar nicht mehr blumen
und zwischen ihnen rennen allerlei tiere, die auch bunt sind, federn und fell
alles rennt im Dschungel der wächst, der sohn sitzt, rutscht auf dem großen stuhl hin und her
um seinen platz zu finden
und der Vater faltet die hände, drei vögel schreien in den wipfeln ein rascheln
der sohn versucht die blumen nicht zu sehen, sucht ein anderes rascheln
das der stoffserviette des vaters, aufgefaltet, weiß auf dem schoß
auf dem der sohn sich jetzt sitzen sieht, das kind und er denkt, dass man von dort keine bäume sieht
weil der kopf nicht über den mahagonitisch ragt
jetzt ist der sohn zu groß für den rand des tisches oder der tisch zu niedrig
er hört wie sich die baumriesen strecken, schamlos dem himmel entgegen
aber noch einmal wirkt auch der Vater groß im dämmerlicht, den Dschungel im rücken
und sein schatten fällt lang
sie essen langsam kalt werdendes wild, im dickicht tanzen die vögel federkleider knistern
der sohn denkt daran, dass einmal in einen apfel gebissen wurde
und danach wollte man nicht mehr nackt sein
und nun, wer war nun nackter? der Vater in seinen kleidern oder die vögel des Dschungels
die ihre bunten federn trugen um zu beeindrucken, sich zu behaupten
der sohn isst das fleisch, das in seinem mund bereits zu den früchten des Dschungels wird
die äste der bäume wachsen, strecken sich weit, bis die ersten blätter den sohn im nacken kitzeln
auf der stirn des Vaters eine einzelne schweißperle die hinabrinnt an der schläfe über die wange
aber keine träne ist, denn der Vater will den Dschungel nicht sehen, den Dschungel der wächst
so essen sie ein letztes mal zu abend
den feuchten händen des sohnes
immer wieder drohen ihnen messer und gabel zu entgleiten
der Dschungel wächst neue pflanzen drängen sich durch den boden jetzt ist es beinahenacht
neue tieren bevölkern das unterholz, die teller sind leer
und wie nun die dunkelheit kommt, gehen alle scheinwerfer an im Dschungel
das neonlicht stürzt sich durch die blätterdecke und ist dabei so hell
dass der Vater die augen schließt und da erhebt sich der sohn und weint, weil er wünschte
der Vater hätte den Dschungel wirklich nie gesehen
freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Philipp Rhensius
Discount
Keira, warum hältst du deinen Kopf so schräg
warum trägst du diese Kette
warum sagst du nichts
die Lippen geschlossen zum unverfänglichen Code
Ja, Chanel hat deinen Körper gekauft
aber sehnst du dich nicht nach Freiheit?
Wie die Menschen wochenends im Cafe
mathematisch angeordnet
die Reste der Kuchen
wie Nachhbildungen von Schlachtfeldern vor ihnen
Auch sie Gefangene der Fiktion
so wie du
Keira
Wusstest du, dass 75 % aller Menschen aus 80 % Wasser bestehen
Und sie dennoch lieber schweben als fließen?
Dass sie lieber einzeln sind als Teil des Ganzen?
Die Freiheit, die du fürchtest
Keira
Ist gebunden an Verträge, die niemand unterschrieben hat
Jetzt wird's schmutzig
Der Krieg in Jemen hat 60.000 Tote gefordert
Drei Millionen Vertriebene
Und diese Leuten hier
Verdoppeln Schönheit
Oder simulieren Demokratie
Keira, warum hältst du deinen Kopf so schräg?
Du bist Wasser und Wasser muss fließen
Mach es ihnen vor
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiTEXT | Christoph Michels
in schnitten
die scheibe herunter, zum ineinander, kreuzend, sich verflechtend, im immer neuen, und von allen seiten, damit kein blick dahinter. in diesem rauschen, das sich monoton, seit stunden, legt es sich grau, als ob nie wieder etwas anderes - -
ein lkw, der langsam näher, zum dröhnen, im nebeneinanderher und wie angehalten:
der fahrer, angezogenes knie, aufgestützter ellbogen, hält er eine kippe, der rauch senkrecht. sein grauer bart, der tatoowierte oberarm, die augen geradeaus. plüschwürfel an der windschutzscheibe. und der rauch senkrecht und er unbeweglich, jeder in seinem.
scheibe still asphalt regen wimper angst, fließend, gespiegelt, zerschnitten.
und der wald sich dann doch, hinter der leitplanke, im flimmern, baum neben baum gestellt, im berechneten, ihre reihen, endlose reihen und alles in ihre struktur:
wald felder windräder, ein dorf, zur unvorstellbarkeit verflacht, die wiesen von hecken getrennt, ein tankstellen-hinweis auf einem anhänger in ein feld gestellt, reihen aus solarpanelen, schwarz zu silber, im vorbei, nebeneinander aufgereihte kühe.
zwei rehe, mit gesenkten köpfen im zerregneten gras, als ob auch sie dort hingestellt.
der versuch den blick zurück, der sich dann im flimmern der leitplanke und erst im horizont der felder wieder still.
als der bus bremsend, gekurve, betonklötze und der regen jetzt senkrecht die scheibe, das grau zerschneidend, der sich zusammenziehende blick, zum stechen ins hirn.
anhalten anfahren anhalten, „keine pause, gleich weiter, dankeschön“, aussteigende die in den gepäckfächern, dann durch die wartenden. einsteigende lassen andere auf dem parkplatz, in ihrem flach, das immer gleiche, sich kein name im beton.
die ruhe dann, als jeder auf seinem platz, dass sich die stadt noch immer im kopf, in jedem ihrer geräusche, verschachtelt, nicht mehr auseinander, zum hintergrund – dann vom anfahren geschluckt.
und der asphalt sich wieder, in seinem geradeaus, im ewigen hintereinander der autos, lastwagen, die sich zu viehtransportern, tanklastern, kühlwagen, reisebussen und die lichter des gegenverkehrs in der windschutzscheibe zerstreut, zum ungefähren – eine autobahnbrücke in weitem bogen und die vergangenen tage dann entfernt, jeder von ihnen zur anstrengung, als ob kein einziger mehr möglich. //
schon lange gefallene blätter, die unter den platanen, den zusammengeklappten sonnenschirmen, auch sie schon lange, und das laub, über das kopfsteinpflaster geweht, um diese skulptur, die dort, in der mitte des platzes: tanzende vor einem klavierspieler. grau in grau. laub. regen. nur wenige, die unbewegt, als ob es genauso vorgesehen, und ich mit ihnen, langsam zum teil dieses platzes, jeder in seinem, nicht anders zu denken, wo das licht, wo das grau, hin und zurück getauscht, die gleichzeitigkeit jeder sekunde und der platz im regen und der nachmittag ein ende.
nur das holz des tisches. und wie sie die weiße porzellantasse und sich dann wieder hinter den tresen stellte. blicke, die näher. und die kaffeetasse und im regen gingen welche über den platz und waren unvorstellbar. und dazwischen dieses, das sich nicht, nicht in ihr stehen. wie ich weggefahren, wie ich zurückgekommen war. wie köpfe über pappbechern, mateflaschen, kein gesicht, die augen ins grau, auch das so vorgesehen.
am gesundbrunnen war er eingestiegen, hatte sich neben mich gesetzt. das türkis seiner jacke im augenwinkel. dann mir gegenüber, sein kinn, das sich spitz aus seinem gesicht, abgezehrt in falten, adern, die sich über seine stirn, seine haare dünn und zerschwitzt. er trug eine zerrissene jeans und diesen türkisenen anorak, die zu langen ärmel, die ihm über die hände. als sein blick meinen und das grün seiner augen, wie direkt es, aus diesem gesicht heraus, überdeutlich, „you have a good soul“, in einem klar, wie es dort zwischen uns. andere schauten herüber, ein stehender drehte sich um, ohne dass er seinen blick von mir, „you know, i come from a planet where everything is green, everything” und irgendetwas an ihm, seine augen verändert, das grün, tiefer vielleicht, saß ich, ohne es zu verstehen, in den blicken der anderen, in seinem. er zog eine bürste aus seinem leinenbeutel, den grünen plastikgriff einer bürste ohne borsten, hielt er ihn mir, langsam kreisend, vors gesicht, mit konzentrierten augen, die kein einziges mal von mir, „ihre seele ist rein – gute menschen sind selten geworden“, er lächelte, steckte die bürste zurück und seine augen dann nachdenkend: „ich kam nicht alleine, ich kam mit einem jungen, der heulte wie ein wolf – er konnte ein stein sein, ein see, oder ein baum, er konnte jeder vogel sein. seine augen waren genauso grün wie meine, aber er ging nur rückwärts. er sagte, dass wir beide gemeinsam so alles sehen könnten. ich habe bloß noch seinen seinen seelenvermesser. he is the moon – – .“ als er mit zusammengekniffenen augen in seiner tasche, ein klapphandy, es dann zurück: „sie werden bald anrufen – jedes jahr rufen sie an, die philharmoniker, weihnachtssaison – meine stimme ist von einem anderen stern, sagen sie“ und sein lachen, die weißen zähne, die aufgerissenen augen, sich immer weiter, in dieses grün. und er zog eine lesebrille, einen zerknickten zettel aus seinem beutel, die brille umständlich aufsetzend, stand er dann, sich räuspernd, den blick über die brille ins leere, fing er an zu singen. fröhliche nacht. wie er dort in der mitte des wagens, in den blicken der anderen, geflüster, gelache, aber er weiter sang, die brust herausgestreckt, den kopf erhoben, sang er es zu ende. und stand, noch immer, im rattern der bahn und seine augen noch einmal auf mir: „take care, my son“. er gab mir die hand und stieg aus. und die leere, unter ihren blicken, versunken, in enge und ich stand dann an einem bahnsteig und wusste nicht, weshalb ausgerechnet dort. ich erkannte es wieder, aber das grau des bahnsteigs war wie in papier gewickelt, jeder stein, jeder mülleimer, alles entfernt. ich ging treppen herunter, oder hoch, stand vor einer straßenlaterne, um jeden einzelnen aufkleber, jede vermisstenanzeige, jeden abreisszettel, aber die buchstaben waren nur flimmern. die hauptstraße herunter, die von den bahnschienen zerteilt, lief ich vom bahnhof weg. das durcheinander der autos, im gehupe, aber auch das nur entfernt, wie in den worten eines anderen, die fassaden, die sich über dem gehweg, der immer breiter, jeder in seiner entfernung, war unerreichbar geworden. ein backshop, der früher ein gemüseladen, dann zehn meter weiter dieser gemüseladen. und konnte in keine der seitenstraßen, hätte es von oben, wie eine straße in die nächste, um einen anderen weg zurück zu finden. unvorstellbarkeit, diese straße, diese stadt, in welchen gedanken. die augen im starren festgehalten, als eine alte, die in einer mülltonne wühlend, sich dann zu mir: „hier, weitergehn, weitergehn alter – sonst kriegste nochn arsch voll heute, weitergehn“ und sich erst dann der blick lösend und sie sich wieder zur mülltonne.
und ich ging denselben weg zurück, nahm die bahn, köpfe ohne gesichter, jeder könnte jeder, wie sie sich im grau – und stand dann auf demselben platz, von dem aus ich losgefahren war, stand, als ob es das erste mal. aber der backshop und der alte, der neben dem eingang, mit seinem hund, in decken gewickelt. das kleingeld, seine hand gekrümmt, zerfurcht, er bedankte sich leise – es war so vorgesehen.
von raum zu raum zu gehen, ohne dabei irgendetwas hinter sich, ohne irgendein bild, immer wieder in neuem, gegen jeden schnitt.
und ich ging, quer über den platz, längst gefallene blätter, im regen und das gelb und ich ging hinein. ihr bild in der scheibe, das sich vor das grau des platzes, als ob kein bild mehr außerhalb, jedes nur noch aus mir heraus, in geschlossenen augen, sich eines ins nächste. kaffeereste, eingetrocknet. und sie stand noch einmal neben mir, nahm die tasse und sagte etwas vom grün, vom winter. mit einem blick, in dem etwas unentschiedenes und ich konnte sie verstehen. aber was, in welchen worten, in dieses stehen, ließe sich nichts ändern.
das holz des tisches und der wind den regen gegen das fenster, das langsam beschlagend, und weiter auf sich begrenzt, zu aussichtslosem, ging ich dann. noch einmal den blick, aber nur noch die umrisse sitzender, verschwommenes, sich fremd und unvorstellbar und auch sie, unwahrscheinlich geworden. //
der regen jetzt seitlich, gegen die scheibe klatschend. wie vergessenes, das losgelöst und zusammenhangslos, sich jetzt zurück. von stein zu stein. keine einzige mauer. und doch jeder stein, vorgesehen. in jedem bild, dieses reisens, ständig sich und nirgendwo, nur der erste gedanke: für immer verloren.
strommasten, die dunkel aus den feldern heraus, enten, die zu weißen flecken, die dämmerung sich in den bus, zu gespiegeltem, sich vor alles näherkommende, das zu bekannt noch, doch zerschnitten, jeder raum gesehen, jedes bild, jedes wort, ist wahllosigkeit.
jemand fängt an zu husten, ein telefon klingelt, der langsamer werdende bus.
und kein weiteres wort mehr hören zu können. //
freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Freya Morisse
Bevor man aus dem Haus geht, überprüfen:
ist das Smartphone da
sind die Schlüssel da
ist das Geld da
ist das Wetter da
ist das vorhergesagte Wetter da
ist die Hose da
hab‘ ich eine Hose an
ist der Standort da
ist mein Standort da
hab‘ ich Datenvolumen da
hab‘ ich Akku da
ist die optimale Route da
gibt es Hindernisse
wo sind Hindernisse
wie viele Minuten
wie viele Minuten hab‘ ich noch
ist die Zeit da
läuft die Zeit
stopp‘ ich die Zeit
sind die Pläne da
hab‘ ich Pläne (welche Pläne)
hab‘ ich Listen (wozu Listen)
kann ich heute Haken machen (schlagen)
ist das Licht da
ist das Blaulicht da
sind die Motoren da
sind die Sirenen da
sind die Flüsse da
fließen die Flüsse
bewegt sich die Stadt
beweg‘ ich mich zuerst
ist mein Körper da
ist mein Körper wach
ist Pelz auf meiner Zunge
hab‘ ich Mundgeruch bekämpft
ist mein Magen da
ist mein Magen leer
ist mein Ziehen da
ist mein Pochen da
ist mein Schweiß da (stink‘ ich jetzt schon)
sind meine Muskeln da
sind meine Muskeln wach
sind meine Füße da
hab‘ ich den Füßen Bescheid gesagt
hab‘ ich die Füße aufgeweckt
ist mein Zimmer da
ist im Zimmer Nacht
hängt im Zimmer Schlaf
ist mein Bett da
ist mein Bett gemacht
ist mein Bett noch warm
klebt Schlaf im Laken
find‘ ich die warme Stelle
sind die Träume da
sind die Träume
fortsetzbar
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiTEXT | Daniel Resca
13A
Flaute. Stille Schwüle erdrückt die Stadt, der Hochsommer ist angekündigt eingetroffen, grelles Licht auf den Straßen, weiße Fassaden reflektieren die Strahlen. Der Körper sitzt da von der Welt gespalten, die Verwirrung ist im Kopf sichtbar, sie kreist frustriert um sich selbst ohne sich selbst zu fangen, sie verwandelt sich in Wut und droht hochzugehen, sie droht zu entweichen, sie will zerstören, die angestaute bittere Kraft, sie bahnt sich den Weg hoch, vom Bauch Richtung Hals, sie hat den Weg gefunden, sie ist kanalisiert, sie ist im Hals, sie bleibt stecken. Der Ausgang ist verschlossen, die Lippen sind verriegelt, sie können keinen Laut rauslassen, nicht jetzt, nicht hier im Bus. Der 13A fährt seine gewohnte Strecke, noch vier Haltestellen bis zur Endstation, die Lippen fangen an zu zittern, sie spüren den Druck, sie wollen nachgeben, nur noch drei Haltestellen, nur noch – Ah! Die Blicke heben sich von den Smartphones. Die Wut löst sich in Luft auf und verliert sich in der Welt. Die Augen starren noch, wandern bald aber wieder zu ihren Bildschirmen. Draußen scheint die Mittagssonne, stille Schwüle erdrückt die Stadt, der Hochsommer ist angekündigt eingetroffen.
Erschienen in: ecetera, Nr. 80, St. Pölten 2020. ISSN 1682-9115
freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiTEXT | Stefanie Marek
Sagt alles ab
Stell dir vor, dass die Apokalypse kommt, aber eine Welt, die untergeht, ist es bisher noch nicht. Stell dir vor, ab morgen sind alle Veranstaltungen abgesagt, verschoben, abgeblasen und storniert. In ein paar Tagen schon werden sie ganz verboten sein. Stell dir vor, es kommt ein Krieg mit einem Feind, den keiner sieht und die Veranstaltungen, die sind die ersten, die eine nach der anderen aus dem Kalender fallen, wie erschlagene Fliegen vom Fensterglas. Es gibt auch andre Tote, solche die geatmet und gelebt haben, aber die Eventleichen sind die, die dich als erstes treffen, weil du sie als erstes selber sterben siehst.
Sagt alles ab, ist die Devise, um Himmels Willen, sagt alles ab!
Ist das jetzt auch das Ende für so viele, die du kennst, werden es bald Künstler-Fliegen sein, die aus den Kalendern fallen, wenn sie versuchen noch zu retten, was bald nicht mehr zu retten ist? Sagt alles ab, denn unsre Zeit, die ist jetzt umgebucht.
Du sitzt in einem menschenleeren Zug und dort, wo du jetzt hinfährst, kommen ab morgen keine Leute mehr zusammen. Es ist alles abgesagt, nur das eine, das noch nicht. Es ist das heute Abend, das Konzert von einer Freundin, das ihr allererstes ist. Sie hat schon jahrelang davon geredet, sich dort oben hinzustellen, hat es so unbedingt gewollt und es dann nie getan. Stell dir vor, schlussendlich hat sie sich getraut, hat wochenlang vor dieser Bühne Angst gehabt und jetzt ist alles abgesagt. Nur dieser letzte Abend nicht, an dem sie allein mit der Gitarre im Gepäck die Solo-Vorband stellt. Dass du kommst, steht schon so lange fest und du kommst obwohl du ein schlechtes Gewissen hast, weil du sie unterstützen willst und weil das Gewissen schlechter wäre, wenn du zuhause bleibst.
Sagt alles ab, nein jetzt noch nicht. Nur dieser eine Abend noch.
Stell dir vor, die Welt wie wir sie kennen, die steht plötzlich ganz gespenstisch still. Sie hat sich so erschrocken in ihrer so gewohnten Eitelkeit, hat sich vorher nicht einmal von der Gewissheit stören lassen, dass sie in ein paar wenigen Jahrzehnten wirklich untergeht. Was sind schon wenige Jahrzehnte? Doch mindestens genug, um ein paar Kleinigkeiten zu verändern, die keinen wirklich stören und keinem wirklich helfen. Sagt alles ab, schreien die Kinder, um deren Zukunft es hier geht, sagt alles ab, wir bitten euch! Ihr seid doch naiv. Was stellt ihr euch denn bitte vor, ihr, die ihr nichts von der realen Welt versteht? Sagt alles ab, ist doch absurd. Und jetzt ist alles abgesagt, aber nur fast. Und du musst aufpassen, dass ihr euch nicht umarmt, dass du das Händeschütteln jedes Mal ganz brav verpasst.
Stell dir vor, es sind nur knapp zwanzig Leute hier in diesem Raum und sie spüren, dass ab morgen alles anders wird, dass sie irgendwie schon jetzt zuhause sein sollten. Zwanzig sind neunzehn zu viel und ab nächster Woche wird das auch so verordnet sein, auch wenn das jetzt noch keiner weiß. Stell dir vor, ihre Finger zittern und sie ist so nervös, das erste Lied gelingt ihr nicht so ganz, aber du siehst da etwas flackern in ihren Augen und etwas an ihrem Gesicht ist anders als sonst. Es ist ein Song von ihr und sie singt ihn zum ersten Mal vor Publikum.
„Sagt alles ab“, das schreit ein Schriftzug auf dem T-Shirt eines Sängers, der nachher noch auf dieser Bühne steht. Alle wippen mit und sie bewegen sich ein bisschen zur Musik, aber niemand tanzt, weil niemand richtig ausgelassen sein kann. Sagt alles ab, schreit mir das T-Shirt immer wieder ins Gesicht. Es ist ein Scherz. Sagt alles ab!
Aber vorher spielt sie noch ein Lied, ein Lied, ganz kräftig und ganz laut und nicht für dich, oder für ihre Mutter, die auch gekommen ist, und nicht für irgendjemand sonst. Es ist ihr Song und in ihrem Gesicht, da siehst du etwas, durch das du plötzlich ganz verwundert bist. Du siehst sie innen drinnen, dort wo ihre Stimme herkommt, siehst sie ganz so wie sie vielleicht wirklich ist.
Stell dir vor die Apokalypse kommt, zumindest fühlt es sich ein bisschen danach an und Ausgang gibt es noch, aber das auch nicht mehr so lang. Du hörst diese Gerüchte, wirst jeden Tag mit tausend richtigen und falschen Nachrichten bombardiert und weißt schon nicht mehr was du glauben sollst und ganz leise, langsam wirst auch du jetzt mit der Angst der andren infiziert, weil plötzlich nicht mehr sicher ist, was morgen noch passiert.
Von den andren Sängern bekommst du nicht viel mit, obwohl sie gute Stimmen und gute Texte haben, aber in deinen Ohren flirrt es und du kannst dich nicht mehr konzentrieren. Sag alles ab und komm nach Hause – deine Eltern haben in der Pause angerufen. Du kannst doch nicht, dein Job und deine Wohnung, dein Leben in der Stadt. Du willst nicht weg. Sag alles ab. Denn andere Leben nur als deins, die stehen jetzt auf dem Spiel.
Und sie spielt ihr erstes Lied am Ende noch einmal und dieses neu gespielte, alte Lied, auf dieser Bühne, auf der sie jahrelang nicht stehen konnte und auf der sie jetzt schlussendlich steht, bevor morgen alles untergeht, ist besser noch bei dieser zweiten Chance, viel besser als beim ersten Mal.
Sagt alles ab, denn es ist besser so. Doch wir sind bald zurück. Die Bühne bleibt nicht ewig leer. Dass unsre zweite Chance so sein wird wie die erste, das hoffe ich ganz ehrlich nicht. Doch diese Freundin von dir und auch alle andren haben wir nicht abgeschrieben und nicht abgesetzt. Wir warten bis ihr wiederkommt.
Sagt alles ab – für jetzt.
freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? schreib@mosaikzeitschrift.at