freiTEXT | Marlene Gölz
Arbeitsdienst
Aspern/NÖ, 1942
Ich war 18. Eine trostlose Gegend. Rundherum: gar nichts. Das Lager, ok, da muss ich durch, dachte ich. Die Leiterin hat zu mir gesagt: Du, da ist ein Ehepaar, Bauern, die haben gerade eine Tochter verloren. Das wär was für dich. Da schick ich dich hin. Na servus, dachte ich. Gut, ich hab meine Sachen gepackt und bin hin. Auf dem Hof: Nichts. Nichts zu sehen, nichts zu hören. Ich hab geklopft, keine Reaktion. Dann bin ich ins Haus, bin in die Küche. Niemand da. Von der Küche die nächste Tür, stand ich schon im Stall, direkt daneben. Die Kühe von hinten. Dann hör ich ein Klopfen. Ganz regelmäßig. Es kam vom Hof. In der Tür war ein kleiner Spalt, da hab ich durchgeschaut. Stand da ein Mann, mitten im Hof, und hackte Holz. Das wird der Knecht sein, dachte ich und bin hin zu ihm. Grias di, sagte ich. Bist du der Knecht? Na i bin da Bau´, sagte er und ich dachte: Das fängt ja gut an. Er hat mir gleich aufgetragen, ich sollte den Hof kehren, und den Stall. Sauber aber, sagte er, sauber müsste ich das machen. Ich sags dir, ich hab den Stall geputzt und gewischt, dass die Kühe ausgerutscht sind, so sauber.
Einmal musste ich auf dem Feld Disteln stechen, den ganzen Tag. Nicht mit einem Spaten, sondern mit dem Taschenmesser. Bei brennender Hitze. Ich konnte nicht genug arbeiten bei denen. Am Abend schimpfte mich die Lagerleitung, weil ich zu spät heimgekommen bin. Du musst schon pünktlich sein, hörst du? sagten sie. Aber ich hatte keine Uhr, wir durften keine Armbanduhr tragen bei der Arbeit. Da hat die Bäuerin eine Küchenuhr gekauft, mit aufs Feld genommen und in die Ackerfurche gesteckt. Aber weißt du was? Da konnte sie nicht ticken, die Uhr, in der Furche. Bin ich wieder zu spät gekommen. Das war was. Bald war ich die Einzige, die eine Armbanduhr tragen durfte. Waren keine guten Leut, dieses Ehepaar. Und mir hat gegraust, beim Essen. In der Küche sind die Hühner herumgerannt und zu Mittag stand ein großer Topf in der Mitte, alle haben draus gegessen. Und wenn sie fertig waren, haben sie den Löffel noch mal ordentlich abgeschleckt und ihn zurück in die Schublade gelegt. Ich hab mir aus dem Lager meinen eigenen Löffel mitgenommen, eingewickelt in ein Geschirrtuch, jeden Tag.
Irgendwann kam ein Bauer vom Nachbarort ins Lager, der sagte: Wir brauchen dringend eine, aber eine die sich nicht vor Tieren fürchtet. Das ist meine Chance, dachte ich und hab mich gemeldet, obwohl ich ja kaum Erfahrung hatte. Da bin ich dann hingekommen, zu den nächsten Bauern. Liebe Leut. Bei denen konnte ich bleiben. Haben einen Korb mitgenommen aufs Feld, eine Jause und was zu trinken. Und das mit den Tieren, das hab ich ganz gut hingekriegt. Hat sich sogar herumgesprochen. Einmal musste ich ein Kalb zu einem anderen Bauern treiben, quer durch den Ort. Mitten auf dem Marktplatz ist es stehen geblieben, es wollte partout nicht weitergehen. Es ist ja nicht so leicht, die gehen ja nicht immer wenn sie sollen. Ja was mach ich jetzt, sagte ich mir. Da stand ich, links den Strick, rechts einen Stock. Aber ich kann das Kalb ja nicht schlagen, dachte ich. Dann ist mir eingefallen, was sie immer gesagt haben: Wenn eine Kuh nicht gehen will, einfach den Schweif raufdrehen. Na das hab ich gemacht. Du, das Viech hat einen Satz getan, mir ist ganz anders geworden. Der Strick hat sich immer enger um mein Handgelenk gezogen und irgendwann war der Strick halt aus. Und da hab ich Hilfe gerufen weil ich es nimma halten konnte. Dann sind zwei Männer gekommen, die haben mich gehört, und begleitet.
Bald ist ein anderer zum Hof, der hat nach mir gefragt. Du kannst doch mit Tieren, sagte er. Da ist eine Kuh, die will nicht in den Wagon, Schlachttransport, wir brauchen Leut. Bin ich halt mit. Als ich den Stall betreten hab, stand da keine Kuh sondern ein Riesenstier mit Scheuklappen. Mir ist ganz anders geworden. Ich eh so klein, stand ich da, mit meinen Zöpfen, und sollte den Stier dazu bringen mitzugehen. Da hab ich einfach zu reden begonnen. Damit er sich an meine Stimme gewöhnt. Hab ihm irgendwas erzählt, und bin dann langsam immer nähergekommen. Und als ich dann vor ihm stand, hab ich ihm vorsichtig die Hand auf die Stirn gelegt, ihn gestreichelt und immer weitergeredet dabei. Und dann ist er mitgegangen mit mir. Bis zum Wagon. Bei dem Ehepaar bin ich geblieben, bis zum Schluss. Die waren gut zu mir.
Viele Jahre später, ich war längst verheiratet und meine zwei Buben erwachsen, war ich mit meinem Mann mal in dieser Gegend. Du, wenn wir schon da sind, sagte ich zu ihm, schaun wir doch, ob das Lager noch steht. Das Lager stand nicht mehr. Aber den Bauernhof haben wir gefunden. Ich bin ausgestiegen aus dem Auto, mein Mann ist sitzengeblieben, bin zur Tür und hab geklopft.
Bist du der Bauer hier?, hab ich gefragt.
Und er: Ja, der bin ich.
Kennst mi nu?
Freilich, hat er gesagt, du bist die Öfried.
Er hat immer Öfried gesagt zu mir, nicht Elfriede.
Deaf i einakuma?
Kum eina, hat er gesagt.
Wir haben uns so gefreut, uns zu sehen. Er war lieb. Aber es war auch traurig, weil es war so armselig in der Stube. Seine Frau hat ihn verlassen und alles mitgenommen. Die hat ihn ruiniert, die hat ihm alles genommen. Sein Selbstvertrauen, weißt du. Wir haben uns die Hand gehalten, der Bauer und ich. Und irgendwann kein Wort mehr geredet. Nach einer Weile bin ich aufgestanden, zurück zum Auto, zu meinem Mann.
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mosaik27 – Grakughch.
mosaik27 – Grakughch.
INTRO
Über das Gefallen zu schreiben ist ein schwieriges Unterfangen. Über das Gefallen in der Kunst zu schreiben ist ein unmögliches Unterfangen. 270 Wörter haben auf dieser Seite noch Platz – das geht sich aus!
„Sie betrachtet sich selbst, ihr Gesicht, das ihr irgendwie fremd vorkommt. Die Arme wirken künstlich platziert. Das muss sie das nächste Mal anders machen.“ – Bastian Kresser
Wir sehen uns schon mit Fragen nach der Schönheit des Covers dieser Ausgabe konfrontiert. Warum habt ihr so ein ekelerregendes Cover gewählt? Manchen wird es (trotzdem?) gefallen, andere werden sich damit zufriedengeben müssen: Weil.
Jetzt diskutieren wir aber vor jeder Ausgabe über hunderte literarische Kunstwerke und entscheiden uns für eine Handvoll davon. Persönliche Geschmäcker sollten bei dieser Auswahl außen vor gelassen werden, brechen selbstverständlich ständig durch. Es ist allerdings eine schwierige Gratwanderung zwischen gefallen und gefällig. Letzteres geht anscheinend in der Kunst gar nicht. Und so wählt man Texte aus, die nicht gefallen – und andere nicht, die es tun. Und zack! sind wir in der Diskussion, was Kunst leisten soll/ kann/darf/muss.
„Ab und zu mag ich es auch mal, Dinge nicht zu verstehen!“ – Peter.W.
Und gleichzeitig fühlt man sich ständig in einer Rechtfertigungsschuld: Warum dieser Text, aber nicht jener? Auf diese und ähnliche Fragen antworten wir mit für richtig empfundenen Argumenten. Doch manchmal wissen wir selbst nicht, warum wir Entscheidungen auf bestimmte Weisen treffen – in der Retrospektive wird das erschreckend deutlich. Vielleicht muss man sich eingestehen, dass die Kunst den Argumenten manchmal voraus ist: Was man mit Logik (noch) nicht in Worte fassen kann, das geht durch Kunst oft besser.
„Wonach Schatten schmecken? Er lacht. Nach Staub natürlich. Man müsse ihn verwandeln, darin liege die Kunst.“ – Marlene Gölz
Warum hier dieser Text steht und kein anderer? Weil.
Euer mosaik
Inhalt
Lichtwellenleiter
- Katharina Körber – Menschen
- Markus Grundtner – Da sucht einer sein Glück
- Natalia Breininger – Entropie
- Babet Mader – Suppengrün
- Jörg Kleemann – Aus dem Stand
Bodentreppen
- Mariusz Lata – nicht mehr sein
- Sigune Schnabel – Mein Leben trägt Bürokleidung
- Ann-Christin Kumm – Wird grün, wird gelb
- Marcel Pollex – Die Baustelle
- Johanna Müller – Das Leuchten der Hemdkrägen bei Nacht
- Andreas Hippert – Graureiher
Fernsehbilder
- Peter Paul Wiplinger – Du böses Kind
- Bastian Kresser – Fältchen aber keine Falten
- Wolfgang Wurm – Beschämt; drei, zwei, eins
- Markus Leitgeb – Keine Zugfahrt
- Marlene Gölz – Schattenschlucker
Kunststrecke von Molly May Lewis
BABEL – Übersetzungen
- Gatuduvan – Det blixtrar till ibland / Es blitzt manchmal auf – En stilla eftermiddag i september / Ein stiller Nachmittag im September
- Jelena Anðelevski – Panter zna da ste ga otrovali / Panther weiß, dass ihr ihn vergiftet habt
Kolumne
- Peter.W.: Hüte aus Fischhaut, Hanuschplatz #14
Essay
- Samer Schaat – Fragilität der Welt
Buchbesprechung
- Thomas Ballhausen: Obdach für Gespenster
Interview
- „Das muss man mal so knallhart sagen.“– Marko Dinic beim Halleschen Dichterkreis
Kreativraum mit Niklas L. Niskate
15 | Marlene Gölz
in den betten liegen kinder
in den kleidern vom vortag.
auf dem nachttisch
leere packungen medikamente.
ihre hände presst sie
gegen die schläfen
ihres verweinten,
zuckenden gesichts.
statt frühstück gibt es wasser.
die augen der kinder sind verklebt.
bevor der älteste den kindergarten betritt,
bleibt er stehen. streicht sich die haare glatt
und knöpft sein hemd bis oben hin zu.
Marlene Gölz
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freiVERS | Marlene Gölz
es fließt
alles zusammen
genommen
sind die
archive des selbst
eine inbesitznahme
einzelner aspekte
von punk
Marlene Gölz
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