22 | Nico Feiden

winterfremde

wir teilten diesen  morgen
auf
der atem beschlug die fenster
von der kühle sprachen die fahnen im wind
zu zittern lag in ihrer natur.

jenseits der luft lernten wir zu schreien
was nicht gesagt werden konnte:
vielleicht halten die farben den schlaf zurück
dann, am abend zieht die kälte ein
während kippen schneeflocken vergiften

überwintern zu zweit
in der provinz oder der periepherie
als ahnung der stimmen
an den masten
die flaggen flüstern gebete
noch ohne nation.

manchmal wenn die autobahnen
schweigen
hören wir das knistern in der luft
atmen die leere
folgen fremden fußabdrücken im schnee
und ahnen nur,
dass es unsere eigenen sind.

Nico Feiden

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21 | Alexander Rall

Antiquariat Unverzagt

Die Deutlichkeit mit denen der Staub
zwischen den Buchdeckeln qualmte

Wo finde ich, fragte ein Kunde
fantastische Literatur

Ich fühlte mich auf meinem Stuhl
wie plötzlich gezeichnet
die anderen Stühle begannen zu scharren
Blätter rätselten leise

In dem späten Abendhimmel dort
in dem Buch zwischen den schwarz-weiß
glühenden Feldern

Alexander Rall

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20 | Lütfiye Güzel

Wieder

Vortrieb. Auftrieb. Widerstand. Schwerkraft.
Ich sehe durch das Fenster. Meine Beine über Kreuz.
Das Herz nicht mehr zu retten.
Eine mittelgroße Tasche ordentlich im Gepäckfach verstaut.
Die Fensterklappe offen.
Beim Start. Bei der Landung.
Ein schneller Überblick.
Von außen. Von innen. Nur weg hier.
Nichts mehr aufräumen. Nichts mehr reparieren.
Die Wespen auf dem Mohnbrötchen beobachten.
Ganz normal „Guten Tag!“ sagen mit
fester Stimme und dabei innerlich
zerrüttet. Nicht nur angeschlagen.
Ausgehebelt.
Für immer und drei Stunden.
Heiße Tränen bei der Mittagsmeditation,
so unter dem Etagenbett, leise, allein.
Halb Mensch, halb Käsestange.
„Escritora“ steht da neben der Tastatur.
Meine Botschaft ist keine.
Kein Platz mehr für Sentimentalitäten.
Die Lage zu ernst. Das „Ich“ ist vorbei.
Alle fahren Panzer.
Den Vögeln Brotstücke auf die
Fensterbank legen.
Manchmal Dankbarkeit ernten.
Manchmal nicht. Dann liegen die Stücke
am Abend noch da und dazwischen ein
bisschen Vogelscheiße, wie Senf.
Vortrieb. Antrieb.
Widerstand.
Widerstand.
Widerstand.
Widerstand.
Widerstand.
Widerstand.
Wieder.
Widerstand.

Lütfiye Güzel

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19 | Stephanie Divaret

Die Welt ist alles, was der Fall ist.
Ludwig Wittgenstein

Die besten Momente hatte der Friedensstifter
in seinem Rattenloch.
Unversehens sprang er aus dem Licht :
Berühre meine Seele nicht! : ins Dunkel.
Wochenlang umkreiste er die Frage
nach dem richtigen Moment.
Fatale Hilfsarbeiter schwirrten wohl herbei,
flüsterten ein, brachten ihm Spezereien.
Dann rief die Menge: Holt ihn!
Bunte Hüte flogen, Licht floss und wogte
auf goldnen Dächern.
Geblendet hob er also mählich seine Hand
(ob er sie segnen sollte?).
Stille. Bis er sprach.
Der Trost kandierte ihre Herzen,
ein süßes Meer aus Zuversicht.
Bis jener, mit dem schwarzen Hund,
Hand vor der Brust, kurz, trocken, zischte:
Fass!
Die Schwerkraft tat ihr Übriges.

Stephanie Divaret

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18 | Anna Neuwirth

darüber liegt eine schicht

in ihrer schachtel liegen zehn Sterne

ihre wurzeln sind nicht ausgegraben
sie stecken fest im boden
ausgraben bedeutet der stamm würde umfallen

da wo früher ein zahn war ist jetzt ein loch
die türen lassen sich nicht wieder schließen
die fenster wurden nie geöffnet

es ist hell genug
sie findet auch ohne brille nach hause

Anna Neuwirth

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17 | Harald Kappel

Vergessen und Erinnern

Hunde bellen
in kühlem Fell
mit glühenden Pfoten
sie wissen nicht
warum Ewige Lichter
in Novembern
auf den Gräbern brennen
schon bald
fällt dunkler Tau herab
neblige Streifen
schon bald
nisten Schatten
hinter unseren Lidern
wir wissen nicht
warum die Tiere
in Novembern
an den Gräbern bellen
kosmetisch
erinnern wir
sanfte Haut
und Ewige Uhren
wir wissen nicht
wir wissen nichts

Harald Kappel

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16 | Stefan Heyer

mitternachtsimbiss

wörter fallen, wörter, auf den weg gemacht, farne überwuchern,
ochs und esel mager, rothkos orange verläuft ins dunkle violett,
die saiten des basses schlagen in die tiefe, die geschenke gesucht,
wind verweht, ins unendliche wächst der kirchturm, du flüsters
in mein ohr, lippenbekenntnisse, morgentau legt sich ans
fenster, das himmelsgewölbe, ein sternenzelt, die sterndeuter
packen ihre sieben sachen für die lange reise, der weg ist weit
und unbestimmt, aufgegangen der stern, bittersüß deine küsse
in der nacht, bethlehem noch weit, currywurst zur stärkung,
mitternachtsimbiss, starker kaffee, das firmament leuchtet

Stefan Heyer

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15 | Marc Späni

Natürlich machen wir nicht auf

Wenn sie mit ihrer roten Kappe durch die Straße geht, verfärben sich die Fassaden der Wohnhäuser ins Dunkelbraune, die Feuerleitern ziehen ihre Sprossen ein und die Klimaanlagen halten die Luft an. Katzen, Hunde, Mäuse und Ratten stecken bereits in Mauerritzen und wir, die wir hinter den matten Scheiben wohnen, seit Ewigkeiten schon, im Wohlfühl-Licht vollautomatischer Beleuchtungssysteme, wir richten uns auf wie Nagetiere, lassen die EBook-Reader, Smartphones, Spielkonsolen und Fernbedienungen sinken und horchen mit angehaltenem Atem.

Zwar vermuten wir, dass sie zum Sanatorium am Ende der Straße will, zu diesem mächtigen weiß getünchten Komplex mit den großen Fensterfronten und dem von Zitterpappeln gesäumten Park, wo wahrscheinlich diejenigen leben, die ihre Wohnungen hier aufgegeben haben, freiwillig oder unter Zwang, das vermuten wir, reden es uns ein, obwohl wir genau wissen, dass sie sich bisweilen auch einen der Hauseingänge vornimmt, in einen Innenhof einbiegt oder in eine der schmalen Gassen mit den Müllcontainern. Natürlich können wir nicht wissen, was sie eigentlich tut, hier bei uns und in den weiten Bogengängen des Sanatoriums, in den Aufenthaltsräumen, Fernsehzimmern, Krankenstationen und Appartements – was wir wissen, haben wir aus den Medien, auch die grässlichen Bilder von den Tatorten; die Nachbarn (diejenigen, die noch da sind) ergänzen, was sie zu wissen glauben, im Flüsterton. Natürlich sagen wir uns, es sei nicht erwiesen, dass sie dafür verantwortlich sei, sie mit ihrer roten Kappe, dass sie das alles angerichtet haben soll, ohne eine Spur von Skrupel oder Mitleid, dafür mit chirurgischer Effizienz und maschinenhafter Präzision. Nicht selten sind unter den Opfern auch Tiere, was das Ganze nicht besser macht.

Mit jeder verlassenen Wohnung steigt die Gefahr für die Zurückgebliebenen, das wissen wir natürlich, und wir sagen uns immer wieder, dass wir nicht öffnen würden, wenn es klingelte oder klopfte, auf gar keinen Fall; dass wir in Schockstarre verharrten, bis die Schritte sich wieder entfernen, auch wenn es heißt, dass sie bisweilen nur auf einen Tee vorbeischaut, Geschichten von früher erzählt, sogar eigene Plätzchen mitbringt und die Katze streichelt.

Früher, als wir den Kindern noch Märchen vorlasen, um sie auf das Leben vorzubereiten, von Geißlein, die am Ende doch gerissen werden, geschändeten Prinzessinnen und Hexen, die Kinder fressen, da haben wir jeweils schnell und atemlos weitergelesen, bis die Schritte auf dem Pflaster nicht mehr zu hören waren. Heute stellen wir manchmal den Fernseher lauter, und wenn dort wieder dieselben Schreckensmeldungen ausgestrahlt werden, die wir mit ihr in Verbindung bringen könnten (die vielleicht aber auch von jemand ganz anderem handeln), dann schalten wir um auf eine Telenovela, einen Historienfilm oder, wenn es sein muss, auf den Shoppingkanal, wo sie dermatologische Pflegesets, Schlankheitsgürtel und batteriebetriebene Zen-Brunnen verkaufen, und sollten sie für einmal nur handgeschmiedete Japanmesser oder Profi-Kettensägen bringen, dann wenden wir uns eben den Dingen zu, die wir uns über die vergangenen Monate ins Haus bestellt haben: Ich habe eine Modelleisenbahn Spur H0 um Polstergruppe und  Salontisch gelegt, zwei miteinander verbundene Kreise, digitales Stellwerk, Landbahnhof mit 12V-Beleuchtung – der Fernseher liefert passende Landschaftsbilder –, Elsa ihrerseits telefoniert seit Tagen auf einem neuen Smartphone mit ihrer Schwester, die zwei Straßen weiter wohnt.

Ein einziges Mal hatten wir nach draußen gehen und uns vergewissern wollen, dass Rotkappe wirklich zum Sanatorium geht, aber schon im Treppenhaus haben die Nachbarn uns aufgehalten, uns beschworen, stattdessen ihr neues Dolby Surround-System zu bestaunen,  die ergonomische Sprudelmatte für die Badewanne oder den Elektro-Haubengrill mit Niedergarfunktion. Ob wir, raunen sie, die Sache mit Woolfe denn nicht mitbekommen hätten. Woolfe, der Kriminalist, habe dem Morden ein Ende setzen wollen, Woolfe, den wir alle aus dem Lokal-Fernsehen kennen. Aber dann habe man ihn in einem Schacht gefunden, mit aufgeschnittenem Bauch.

Elsa und ich, wir sagen uns immer, dass wir einfach nicht zur Tür gehen würden, sollte sie vor unserer Wohnung auftauchen, auch wenn sie nur zum Tee kommt, Geschichten erzählt und Plätzchen mitbringt, die überraschend gut schmecken sollen, besser noch als die gekauften. Während der ICE im Maßstab 1:87 nach vier Runden unter dem Fernsehmöbel den Orientexpress überholt, hören wir ein Klopfen: ein feines, höfliches Klopfen, kein Donnern mit dem Türknauf, kein Schrillen der Klingel, nur ein feines, diskretes Klopfen; wir wissen nicht, wer es ist, aber wenn wir durch den Spion schauen würden, was wir natürlich niemals täten, sähen wir den Zipfel des roten Käppchens.

„Ich geh schon“, sagt Elsa, und ich nicke stumm.

Marc Späni

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14 | Gloria Ballhause

Der Tanz

Die Blätter einer Kastanie rascheln über meinem Kopf im goldgelben Schein der Sonne. Überall liegen stachelige Fruchtschalen herum. Die Stacheln sind schön, denke ich und dann patsch, patsch, patsch. Er taucht aus dem Nichts auf. Ich sehe, wie seine geschwollenen Füße auf die unregelmäßig verlegten Steinplatten klatschen, direkt auf mich zu, oder besser gesagt: im Zickzack um die stacheligen Fruchtschalen herum, aber mit einem unmissverständlichen Ziel – die Bank, auf der ich sitze. Er plumpst neben mich. Ohne zu zögern greift er nach dem Becher Automatenkakao, den ich neben mir abgestellt habe.
„Ey…!“, rufe ich.
Keine Reaktion. Der Barfüßige nimmt noch einen Schluck aus dem Becher. Aber wenigstens die Bank verteidigen, denke ich. Ich verschränke die Arme vor der Brust und blicke geradeaus. Minuten vergehen ohne ein Wort. Dann ist meine Pause zu Ende. Als ich aufstehen will, rollt sich vor meinen Füßen ein Satz aus wie ein neu gekaufter Teppich.
„Warum sind die Menschen, wie sie sind…“
Ich drehe mich zu ihm. Der Barfüßige ist jung. Anfang Zwanzig vielleicht, aber nicht viel älter. Sein dunkelbraunes Haar ist akkurat geschnitten. Die Striemen auf seinen Wangen sind frisch.

„Warum trägst du keine Schuhe?“, frage ich. Ein Teppich gewebt aus Menschheitsfragen ist mir zu viel. Der Barfüßige schiebt seine Unterlippe vor, als würde er schmollen. Er bietet mir etwas von meinem Kakao an. Ich schüttele den Kopf. „Behalte ihn“, sage ich. Er trinkt in einem Zug den Becher aus. Um die Kakaoklümpchen vom Boden des Bechers zu erwischen, stochert er mit seinen Fingern darin herum. Als der Becher leer ist, schmeißt er ihn in den Mülleimer neben der Bank.

„Ich tanze jetzt. Deshalb habe ich meine Schuhe weggeworfen. Ich will tanzen“, sagt er abrupt. Vor meinem inneren Auge sehe ich dicht aneinander gedrängte Menschen. Das Licht zuckt. Mittendrin tanzt der Barfüßige gedankenverloren. Von der Decke regnet es Konfetti.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich weiß nur, dass ich etwas sagen sollte, aber auch nicht wem. Die Sonnenstrahlen versiegen. Der Geruch von ungewaschenen Hosen und einsam auf den Straßen verbrachten Nächten steigt mir in die Nase. Ich zünde mir eine Zigarette an.
„Kann ich mal einen Zug von deiner Zigarette haben?“, fragt er. Er nimmt sich nacheinander zwei Zigaretten aus der Schachtel, die ich ihm hinhalte. Eine davon verschwindet in seiner Hosentasche.

Wir rauchen schweigend.
Meine Füße gleiten wie von selbst aus meinen flachen Halbschuhen. Ich schiebe sie mit den Füßen ein Stück von mir weg.
„Wie sollten die Menschen sein?“, frage ich.
Der Barfüßige überlegt, „Wie du und ich“ antwortet er. Er bläst Kringel in die Luft und lacht. „Sie sollten wie du und ich sein.“
Ein kleiner Strauß Fältchen ergießt sich von seinen Augen bis zu den Schläfen. Wir rauchen die Zigarette auf und dann noch eine. Die Blätter der Kastanie rauschen in unsere Stille. Nach einer Weile gleiten meine Strumpfhosenfüße wieder in die Schuhe. Ich gehe zurück in die
Bibliothek. Unter meinen Sohlen knacken die Fruchtschalen und ich rede mir ein, dass flache Damenhalbschuhe ihm nicht hätten helfen können.

Gloria Ballhause

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13 | Markus Grundtner

Müll, aber schön

„Wir müssen über deine Tassen reden“, sagt Klaudia. Ich besitze kein einheitliches Set, alle auf einmal erworben. Meine Tassen habe ich im Laufe der Jahre angesammelt. „Die sind einfach unästhetisch“, sagt Klaudia.

Das mag sein, dafür kann ich mein Leben anhand meiner Tassen erzählen: Meine älteste Tasse ist schwarz – mit einem roten Stern darauf, das Rot fast weggewaschen. Die Tasse meiner Jugend: Sonntagmorgens habe ich verkatert Kaffee getrunken und mir vorgestellt, etwas zu sein, was ich nicht bin, und etwas werden zu können, was ich niemals werden kann.

Außerdem besitze ich eine Tasse mit einem Goldzeisig darauf. Neben dem Jus-Studium bin ich durch die Natur gezogen, um Vögel zu fotografieren. Ich habe nie gelernt, den Apparat unter Ausnützung all seiner Möglichkeiten zu verwenden. Wenn es das Schicksal will, mache ich ein gutes Bild. Fotografie ist mein Ersatz für Glücksspiel.

Ich habe eine Tasse aus dem Kafka-Museum in Prag. Ich habe mit „Vor dem Gesetz“ zu lesen begonnen und werde nicht aufhören, bis ich Kafka verstanden habe. So viel kann ich mittlerweile sagen: Wenn Kafka wüsste, dass sein Gesicht heute auf Tassen gedruckt wird, käme er zur Überzeugung, in seiner eigenen Prosa gelandet zu sein.

Dann sind da noch viele Tassen von Menschen, die meinen, das Büro wäre ein Ort für mich, um Spaß zu haben. Sie haben mir Spruchtassen geschenkt, dass es nichts Heimtückischeres gebe als Montag, nichts Ersehnenswerteres als Freitag und das einzig Wahre im Leben Kaffeetrinken sei.

All meine Tassen packe ich in eine Schachtel, denn im Dezember übersiedeln wir. Am Umzugstag fällt genau diese Schachtel als einzige von vielen im neuen Stiegenhaus die Treppe hinunter. Alle meine Tassen zerbrechen. Klaudia spricht von einer Verkettung unglücklicher Umstände, sie entschuldigt sich. Den zweiten Teil glaube ich ihr.

Am Weihnachtsmorgen stolpere ich im Schlafzimmer über eine braune Schachtel, die ich für den letzten Umzugskarton halte. Ich öffne sie: Tatsächlich sind Klaudias Weihnachtsgeschenke für mich darin.

Ein wenig später blicke ich aus dem Wohnzimmer auf die Straße und trinke Tee aus einer meiner neuen Tassen. Sie sind aus Emaille: Spezialanfertigungen, auf denen die Vögel Mitteleuropas abgebildet sind. Jeder Vogel trägt neben dem Schnabel eine Sprechblase mit einem eigenen Kafka-Zitat.

Vor dem Wohnzimmerfenster schwebt ein zerrissenes Stück Cellophan vorbei, dreht seine Kreise im Wind und funkelt in der Wintersonne. „Wahrscheinlich die Verpackung von einem Geschenk“, sage ich zu Klaudia, die mich von hinten umarmt.

„Stimmt“, sagt sie, „Müll, aber schön.“

Markus Grundtner

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