POEDU International – Oster-Spezial

Mein Haus

Mein Haus ist ein Garten, in dem die Blumen bunt sind
Mein Haus ist wie eine Violine, die Liebeslieder spielt
Mein Haus ist ein Paradies und das Paradies ist mein Haus
Mein Haus schmeckt nach Schönheit, die Menschen verzaubert
Mein Haus riecht nach Liebe, die Verlobten anzieht
Mein Haus klingt nach Vertrauen, das die Leute runter macht
Mein Haus ist wie ein Raspberry-Love-Smoothie, der dich an heißen Tagen retten kann
Mein Haus ist wie ein Erdbeer-Cheese-Cake, der nur mit Liebe gegessen werden kann
Mein Haus ist ein Samstagmorgen, an dem die Sonne scheint
Mein Haus ist weiß und kann die Herzen der Verlobten kühlen

Karim

(17 Jahre alt)

 

POEDU | Poesie von Kindern für Kinder. Monatlich gibt ein*e Autor*in online einen poetischen Anstoß.

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Die Aufgabe diesmal kam von Christoph Wenzel und aus der POEDUwerkstatt in Deutsche Internationale Schule Dubai:

Stell dir vor, du müsstest anderen dein Zimmer, einen Lieblingsort etc. beschreiben, dürftest dafür aber nur einen Gegenstand, eine Farbe, ein Geräusch usw. benutzen: „Wenn mein Zimmer ein Geräusch wäre…“. Fasse die gefundenen Beschreibungen dann noch etwas genauer: „Mein Zimmer ist eine Blume, die das ganze Jahr blüht“. Und dann verschiebst die beiden Halbsätze je um einen nach unten.

 

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freiTEXT | Katharina Peham

Quallengarten

I.

Der Geruch von alten Intercity-Zügen, der im Stoff sich sammelt, das Mädchen neben mir, mit einem Buch von Satre; die Täler, in denen wir uns durchgraben; eine Ahnung, dass es dich für mich gibt.

Deine tränenden Augen, der Ausdruck darin, den ich mit Schmerz verwechsle; es ist Gleichgültigkeit auf ganzen Ebenen. Meine Gedanken sind heute ein Kettenkarussell, du bist der einzige Fahrgast. Wir sind andre geworden; jeder Gedanke an dich ist ein kalter Entzug.

Aus deinem Mund wachsen Bäume, ich bin Schmetterling, ich bin Falter. Ich wohne zwischen deinem Geäst, suche Sinn und Blatt gleichermaßen, ich finde nur mich darin, ich denke an die letzten Sommerwinde und begreife den Herbst; ich weiß: die Lebensdauer von Schmetterlingen variiert zwischen einem Tag und einer gewissen Anzahl von Monaten.
Sie schreiben weiter, Liebe ist der Kommunismus im Kapitalismus, wir haben so viel gemeinsam. Mir eine Welt vorstellen, in der wir kein Wirtschaftssystem brauchen, und daran regelmäßig scheitern. Zwischen uns herrscht immer ein bisschen mehr Nachfrage als Angebot, die 800m von der U-Bahnstation und deiner Wohnungstür eingerechnet.

Langsam verfallen wir zu einer Masse und werden zum Grundriss eines Kreuzworträtsels. Deine Finger verknoten sich in meinem Haar; ein Zeichen, dass du bleiben kannst, wenn du möchtest; ich beharre nicht auf Benennungen; deine Unanständigkeiten sind mir lieber. Ich denke uns als Dichtpflanzung, wir können Weinreben sein, wenn du magst, oder Apfelbäume. Ich gebe dir Aussicht, Wein, Mund, Welt, Öl, den kleinen Finger, Übermut, Kissen, die ganze Hand, Vorgärten, Straßenbahnen, Fernbedienungen, Anleitungen, hundertprozentige Schokolade, Jahreszeiten, mich.

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II.

Dich in einem alten, flachen Shirt sehen und bemerken, dass du gerne rot und blau trägst. Eine Sicherheit gewinnen und dann nach deiner Lieblingsfarbe fragen. Ich habe diesen Herbst eine neue liebste Farbe, die Mischung all der Blautöne rund um deine Pupillen. Meine Gedanken an dich nicht mehr festhalten zu vermögen, seit du mich überall angefasst hast, es genauso die ganze Zeit haben wollen. Du hast deine Denkfalte auch im Schlaf, ich frage deine Träume, worüber sie nachdenken. Wir haben noch nicht angefangen, uns unsere Traumlandschaften zu erzählen, deinen Kopf zwischen meine Hände nehmen und so an das kommen, was sich hinter deine Stirn befindet. Den Wunsch auf meinen Lippen haben, mit dir in einen Quallengarten zu spazieren und uns von dem Meer umspülen lassen, ich will dir mein Meer zeigen, alles davon und doch habe ich so Angst, dass du darin nicht schwimmen magst. An die Quallen denken, die uns hineingelassen haben, an die Schatten, die du hinter mir entdeckst. In deine Arme schwimmen, wir würden warm werden, selbst zwischen den Stürmen, das weiß ich. Wir würden singen und schweigen gleichermaßen, am Grund des Meeresbodens ruhen, mein Herz schwappt über, es erzeugt Wellen, so gewaltig, dass du jede davon spürst.

Auf deinem Schoß sitzen, und dich um Liebe bitten, so als wäre es ein Gegenstand, der sich in Hosentasche ansammelt und herausgegeben werden kann. Mein Abenteuer auf See fortsetzen und zur Piratin werden, dein Schiff entern wollen, deine Besatzung beobachten, deine Munition nicht kennen, ich denke, es wird schwierig an dein Backboard zu kommen, das Ruder zu übernehmen, du bist ein stolzer Kapitän.

Im Regen zum Hafen marschieren, wo meine Schiffe warten, die mich westwärts bringen, meine Hände in deine legen in deiner Jackentasche, ich liebe das, musst du wissen. Du erzählst mir von den letzten Plünderungen und Eroberungen, ich versuche, nicht gekränkt zu sein. Da sind deine Geschichte, eine Offenbarung und deine unausgesprochene Angst, dass ich nie wieder deine Stadt ansteuern werde. Ich bewundere dich für diesen Mut und verstehe deine Zweifel in diesem Moment, ich will nicht mal mehr an Bord, sondern aus meinen Schiffen Kontore bauen und gänzlich bei dir bleiben. Wir werden eine erfreuliche und reiche Insel abgeben, da bin ich mir sicher.

Diesmal kommst du auf meine Insel und du staunst über das große Kraftwerk darauf. Ich erzähle dir von Büchern, die ich gelesen habe, und es scheint dich nie zu langweilen. Wir sind 30 und 33, reden von links und von rechts, von den jungen Linken und warum es so wenig alte gibt. Wir stehen in der Mitte und halten uns aneinander fest, ich klammere, als wir über die Brücke schlendern, ich komme nicht umhin, dich sehr festzuhalten, damit der Wind dich nicht wegtreibt, so lieb hab ich dich just in diesem Moment. Wir fahren in ein Stück westwärts und essen Kuchen und trinken Kaffee und du freust dich so, dass dein Stück auf dem Teller selbst gemacht ist und ich, dass du da bist und mit mir in der Sonne sitzt. Am Abend weihst du mein neues Bett ein, ich denke an Fleabag, I fucked the priest, ein bisschen bist du ihm schon ähnlich.

Deine Stadt ein zweites Mal ansteuern und Angst davor haben, wie sie ohne dich ist. Bei Ankunft überall nach dir suchen, rundherum dunkelgrauen Masken oder rosa-roten entdecken und rote, blaue Shirts und graue Shorts, der Hafen ist menschenvoll und du nicht da. Ans andere Ende der Stadt treiben und Spuren von dir suchen und schmunzeln, weil ich einen Mann mit einem Burrito auf einer Bierbank entdecke. Mich in den Gesprächen der anderen verlieren und dich so sehr vermissen, mein Herz legt mehr Knoten zurück als jedes unserer Schiffe.

Deine Stadt ein drittes Mal ansteuern und Angst davor haben, dass du nein sagst, wenn ich dich um Quartier bitte. Eine Bejahung deinerseits, ein Freudensprung meinerseits, mir fällt ein Stein vom Herzen, als du auf der gegenüberliegenden Seite des Zebrastreifens stehst, du hast mich wie versprochen abgeholt, und ich liebe deine Zuverlässigkeit mit diesem Moment. Du bist ein anziehender Kapitän mit dem weißen Shirt, das von einem Zeitalter berichtet, das es schon lange nicht mehr gibt. Mit dir später die Hügel umkreisen, die sich in deiner Wohngegend befinden. Über der Autobahn stehen und überlegen, ob wir auf ein paar Fahrzeuge spucken sollen. Ich fühle eine Verrücktheit zu zweit, und liebe es jetzt schon, wie albern wir sind. Ich mag so sehr, dass du mich zum Lachen bringst und dass wir zwangsläufig über Ernstes reden, obwohl ich manchmal ins Schweigen rutsche, weil ich staune, mit welchem scharfen Verstand du gesegnet bist. Dich in der Sonne beobachten, wie glücklich du bist, ich habe die Ahnung, wir sind beide selten so unbeschwert.

Am Abend zu einer Verpflichtung müssen und auf dich warten bis dein Schiff anlegt, weil ich einen Text über dich im Gepäck habe. Ich würde ihn nicht nur den anderen, sondern gerne dir vorlesen, und weniger darauf bauen müssen, dass du bald kommst. Meine Arbeit ist getan, ich warte auf dich, die Nervosität steigert sich ins Unermessliche, meine Angst, dass du nicht mehr kommst, ist groß. Ich denke an meinen Rucksack hinter deinen Türen, ein kurzer Gedanke daran, dass ich die Sachen nie wieder sehen werde, ich habe dir noch nicht erzählt, wie häufig ich vor verschlossenen Türen in deiner Stadt gestanden bin. Du kommst und bedauerst deine temporäre Abwesenheit, redest über Chinesisch als Lebenseinstellung, über Bücher und über deinen Lieblingskontinent. Ich bin so stolz, neben dir zu sitzen und dich zu haben für diesen Moment und schäme mich, an deiner Zuverlässigkeit gezweifelt zu haben. In deinem Bett knipse ich Fotos von mir, weil ich keine Erinnerung daran habe, je so ein glückliches Gesicht von mir gesehen zu haben, ich halte mich für diesen Moment fest, während du in einer anderen Sprache Unstimmigkeiten klärst. Der letzte, warme Sommertag ist es für dieses Jahr gewesen, das wissen wir beide noch nicht, als ich frühmorgens im Regen zum Hafen laufe.

 

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Katharina Peham

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freiVERS | Alexander Rudolfi

über der vielbefahrenen straße drehen die tauben ihre kreise zwischen den häusern, im sturzflug, im steigen; bevor sie abrupt ihre meinungen ändern und sich teilen und auf dem selben dach landen und die kreuzung in einen zustand versetzen, der etwas ortloses gellen hört, das vorgegangen sein muss, als wäre ein apfel vom baum und auf die straße geschlagen; was die straßen nicht kümmert und was die kreuzung nicht kümmert und nicht den verkehr unter der roten ampel übertreten sog sündenfall.

der lärm wenn sie aufgescheucht auffliegen und fragen, was einem rhythmus folgt, der immer gleich bleibt, bleibt, wie einsen und nullen den binärcode in den dioden entlang; und die jahreszeiten vorübergehen in richtung des salzwasserleuchtens, an die Äquatorlinien einem baumsterben entgegen, an dem massen durch magnetfelder marschieren, und standortregister bewegungen diktieren, wenn die ampel umschaltet, auf grün auf rot auf grün.

aber die tauben verlassen die stadt nicht, auch nicht wenn es herbst wird und die anderen vögel sich in pfeilzeigern bewegen, und sich auf einen punkt richten der irgendwo außerhalb, hinter der stadt, liegt in richtung der allgemeinen struktur solcher zeichen, nach dem wiederkehren, dem wiedererkennen und der imitation auf bildschirmen, die außerhalb unserer reichweite liegt, weil wir glauben etwas neues zu schaffen, aber nicht sagen können, was wirklich gleich bleibt, wenn sich doch ständig, ununterbrochen alles verändert, vorwärtsgeht, von einem ins andre verhandlungen führt – und warum, - und in welchem verhältnis eigentlich zu einander.

wie? wenn die feldlinien ihre wirkung verlieren? wie? wenn die tauben über der vielbefahrenen straße auf einmal beginnen nach süden zu fliegen? wie? wenn der sündenfall sich zuletzt nicht ereignet hat und der apfel am baum bleibt, weil keine bewegung mehr existiert, wenn sich folglich nichts mehr verändert und alles zwischen den ampeln,
berechenbar ist?

 

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Alexander Rudolfi

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freiTEXT | Christoph Michels

dem verzicht

der morgen lässt die stadt, bevor er sie, muss der morgen durch die stadt, muss die konturen, bevor er den tag vorweg. der morgen dem tag, lässt sich schritt in schritt den nächsten stein. und dem stein der beton. dem beton das grau. das grau die stadt ins hirn. wo das auge hohl, die stirn zerrissen. die gleise abwechselnd und das bild jeder welt, der abwesenheit.

wo die augen in vorbeigewehtem parfum. das parfum vom dreck, der dreck das gleis, der dreck die treppen tief, der dreck die treppen hoch, das holz, das grün der bank. der dreck das warten zerfressen. das warten den kopf voll, das warten den kopf schwer, gesicht in gesicht verstummt. dem atem vorgeschoben, um es hinter sich. aus dem weg, geh mir aus dem weg, den hohlen augen zusammengesetzt mit jedem wort weiter: dass es liebe, diese nazis, diese beiden nazis, die sich da in ihrer liebe, gottgegebener liebe, von jesus gegeben, jesus christus der ihnen seine liebe, die liebe dieser finsteren nazis, diesen sex-nazis, diesen sex-menschen, die überall, überall diese sex-maschinen, in diesem sex-staat, in der sex-ddr, dass die erziehung zum sozialistischen menschen lüge, dass der mensch keine gefühle, dass der mensch bloß ficken, diese sex-menschen, diese sozialistischen sex-maschinen, die sich alle gegenseitig ficken müssen - - die stille des verhallens, des wartens, der augen die den boden. die stille des näherkommens, eine flasche zwischen den zähnen, der suff ihr ins auge, der suff ihr ins bein. ihre augen ins papier, die finger die flasche aus den zähnen, die finger das papier von der säule: drei bis vier zimmer, studentin - eine studentin vier zimmer - vier zimmer, was ist denn das für eine scheiße, eine studentin, vier zimmer - ich brauche eins, ein zimmer, ein verficktes zimmer, diese verfickten studenten, diese sex-studenten, diese sex-nazis, die finger die flasche in die zähne, die finger das papier in die gleise, die hand die flasche in den boden, in den bahnsteig gebrüllt: WAS FÜR EIN VERFICKTER DRECK DAS – IST DAS ALLES? OB DAS ALLES IST?

dem beton das dunkel, das dunkel dem hell, das hell dem morgen.

die häuser schnell, das blau darüber.

den fingern der dreck, sich wohin – sich – hinter sich - -

einem schmierigen die augen voll. den augen die fäule, das gelb seiner zähne.

einer jungen blond der ansatz schwer, blond die blässe den brüsten das kleid. ihr kleid im hell, ihre augen die leere dem fenster dahinter.

wo der schweiß die haare in die stirn, der schweiß die hose ans bein, der schweiß das hemd gefleckt, wo hände kreuzend schwielig hart.

die dächer flirrend, die stadt beendend.

die junge ihr blond zusammen.

der schmierige die augen überall.

der jungen die augen ins nichts.

dem schmierigen die spucke im hals.

der jungen die arme verschränkt.

dem schmierigen die zunge schnell.

der jungen die brüste verdeckt.

dem schmierigen die augen geheftet.

dem schmierigen dann die nächste station.

der jungen sich finger aus finger entspannend.

dem schmierigen die tür ins gesicht.

der jungen die augen zurück.

das blau des waggons still. das dunkelblau des teppichbodens, das meerblau der wände, das königsblau der sitze, das himmelblau der kopfpolster. das blau des waggons lässt das nachmittagsblau blass.

die büsche flimmernd, die vorstadt flach.

das schweigen der gesichter aus der stadt heraus.

was sich im dahinter, hüllen sich wohin - -

die sonne einen der bahnsteige in flecken. das licht die leere zerbrochen, der leere eine frau die arme weit die augen geschlossen ins licht. auge haar gesicht.

die bäume schneller, die stadt vorbei.

die sonne den schweiß in den waggon. der schweiß die finger aneinander, der schweiß die blicke schwer, der schweiß das hemd geöffnet, die gänge eng und keinem ende bei.

wo die felder weit, die stadt ins klein.

ins gefasel dem gang sich zwischen die polster gehängt:

dass man selbstverständlich alles mit allem, aber ob das dann auch so zusammengehe -

dass der sohn ein rotzlöffel, ein schnösel der die eigene mutter übervorteilt -

dass die tochter ein stück möbel sondergleichen -

dass man immer schon sonntags zum pilzesammeln nach eberswalde.

und die wiesen weiter, die stadt entfernt.

wo der atem dem blau die weite. der weite, dem weitesten feld, jeder feldweg entgegen. und die felder die wiesen die hecken die angehäuften steine als schon da. irgendeiner ruhe sich. und der wind die wiesen zum mühlenrad. der wind teilnahmslos wie die nacht, über jeden baum jeden strauch jeden stein. schiebt der wind die beine weiter. und der feuerstein lässt die hände und der feldweg die schritte.

bis den feldern die gärten, den wiesen die häuser. ihre vollen gärten grün und grün und gelb. jedem grün.

und die weite die fabrikschornsteine dem kirchturm gleich. die schornsteine stillgelegt, den kirchturm blass ins blau. wo dem kirchturm das dorf verlassen.

und dem asphalt die sonne, dem asphalt jeder riss und sie an der bushaltestelle. ihrem braun die augen noch fern, ihren armen das nichts. aus diesem moment in den nächsten, und es immer nur dieser eine, wenn der eines anderen zum eigenen und umgekehrt und dann vergangen und nicht mehr nachzuvollziehen. der kürze des moments verhangen. als ihr dann die augen weit, dass es dieser sommer und: willkommen in der provinz, dahingelacht die arme die luft, die haare den wind.

der wind ihre schritte schnell und ich im hinterher, kein blick kein wort, die wiesen der weg das dorf sich hinter uns. bis das dorf klein, lässt es noch die schornsteine und das blass des kirchturms. und erst jetzt ihren atem, schritt um schritt. und ihr arm dem wasser:

wo dem weiß der segel das blau, den segeln fest der wind, zur schau gestellt. dem wind im dicken schilf.

dem horizont das wasser, wie dem kirchturm der backstein.

und das wasser matt, die stadt gelöst.

und ihr der blick abhanden: dass der wind ein fisch in aufgelhobenen linien, in wasserfarbenen konturen, in ungeahnten umrissen. dass nur der wind ohne gesicht.

und der wind die pappeln ins flimmern. der wind die pappeln höher. und ihr summen dem rauschen: dass man ein lied ein bild den silberpappeln im wind. das bewegen der pappeln, und der wind ihre arme ihr haar dazu. wo die ruhe ihrer augen. wo der weg im sand vom wasser weg und die pappeln hinter sich.wo der weg vom feldweg zum waldweg. die fichten dürr und in reihe gestellt. die fichten tief, die stadt entblößt.

aber ihr die stimme dumpf: dass alles feld, jeder baum, alles einer berechtigung - -

und die finger den waldboden tief.

und die finger einen zapfen.

und die nase den harz.

und sie sich herunter, die augen im gegenüber, die augen nah und die härchen ihrer arme. und in ihrem näher, auszuweichen dem erstaunen dann vibrieren lässt auch mich das braun ihrer augen haare zu einem punkt ihrer stirn der das wasser den wind das haar in sich und mich und eine träne dann der haut wie einer verbindung bei. von minuten und stunden und tagen. vom morgen zum abend. angehalten. bis ihr langsames zurück ihren augen das lächeln ihren armen die härchen sich, unterschieden, wie von einem neuen an - -

und der wald den bäumen die wurzeln blank. wo ihr die füße nackt, die augen. ihren händen die wiesen der wald. hände arm verzicht. und der wald sich aus seiner verlassenheit, dem weit eines weihers. dem weiher die sonne, dem weiher der morast. der morast die füße, das wasser die brust, die sonne die köpfe, die hände das wasser flach. wo jemand am ufer, dem geschrei der vögel und wir den geräuschen kommend gehend jedes einzelne – wie es durch die sonne den weiher die fichten. dem wasser unberührt. dem wasser nur die haut, auge dem auge, dem atem die nähe. dem atem vertraut. die nähe haut in haut, dem atem schnell, dem zittern der haut, jedem geruch. aber der haut schon der abend, der haut schon ein anderes und das wichtigste nicht zu erinnern.

und ihren augen dann: die weite dem verzicht, in jeder einzelheit, dem aufgelösten tag. und sich nichts verstellt. der sicherheit hierher und ihre augen dann entfernt - sich wer wohin gehüllt – lässt mich der stadt zurück - -

und ihre stimme dann schon dünn, dass der sommer einem manchmal unendlich, aber dass er ein faden, dessen ende ganz sicher - - und ihr schatten dann von den scheunen im stein. wo den schwalben der abend. den schwalben die scheunendächer die bögen enger. und der bahnhof vernagelt, vom fahrscheinautomaten ersetzt. wo das abendgelb dem morgen recht, dem abgelaufenen tag ins bild. wo das abendgelb die häuser tief, jedes gartentor jeden zaunpfahl dem eigenen ende vor. dem beton dem stahl dem dreck. lässt das abendgelb sie noch kurz erreichbar scheinen. bis das dämmern dem tag. und das dunkel schnell, die stadt von vorn. damit die nacht in ihrer teilnahmslosigkeit darüber hinweg - - -

 

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Christoph Michels

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freiVERS | Alexander Weinstock

Punk in München. Am Stachus,
mit stachligem Leder. Gegerbtes
Gesicht vom System und der Kälte,
skeptische Patches und nippelgepiercte
Haltung – dieser Diogenes
blinzelt aus seinem Dosenbier hervor,
hält die Hand auf und reibt sich
an den Verhältnissen,
dass sie was abwerfen, klirrend,
und dann verschwinden.

 

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Alexander Weinstock

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POEDU - Text des Monats März

Einmal war ich mal
bei einem Wasserfall
Und dann habe ich mich
auf einen Stein gesetzt.
Fühlt sich gut an
wie Wärme in meinem Herz.
Die Vögel singen schön
und ein Regenbogen
erscheint über dem Wasserfall.

Dagon

(9 Jahre alt)

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.Die Aufgabe diesmal kam von Wolfgang Schiffer und aus der POEDUwerkstatt in der Stadt Worms zum Welttag der Poesie 2022:

„Es ist nicht selbstverständlich, als Kind einfach seinen Lieblingsplatz besuchen zu dürfen. Wir denken an alle, die das im Augenblick nicht können: Ganz bestimmt hast auch Du einen Lieblingsplatz, zu Hause oder draußen in Deiner Umgebung, an dem Du Dich besonders gerne aufhältst. Oder Du erinnerst Dich an einen solchen Platz."

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freiTEXT | Suse Schröder

Aufschnitt und Stulle

Die Aspikscheiben glitzern im Neonröhrenlicht wie noch vor Wochen die Augen der Wurstfachverkäuferin Helga Keun. Müde erfüllt sie Mengenangabenwünsche. Müde nimmt sie den Mettspachtel, keilt ihn in die rosa Masse, wirft exakt 250 Gramm aufs Glanzpapier, schlägt auf die Koteletts ein, notiert Ausstände auf der Bestellliste. Den Besteckkasten entleert sie mit geschlossenen Augen. Müde gleiten ihre Schweinsäuglein über die Auslagen. Frau Keun zieht die Schulterblätter zusammen. Neulich nach Feierabend hatte sie sich im Spiegel betrachtet, im Großen. Der Deckenfluter zeigte den Verfall ihres Fleisches. Wie Gänseflügel hatte Frau Keun gedacht, mit ausgestrecktem Hals beim Schulterblick. Seit Herberts Berentung vor fünf Wochen hatten sich ihre Proportionen verschoben. Ob das an Herberts Schnittchen lag?

Von unten krabbelt eine Hand über die abgerundete Tresenfront herauf, hinterlässt Schlieren, die bis zum Feierabend warten müssen. Frau Keun drückt eine Wiener in eine Kinderhand. Vor den Feiertagen schwärmt die Kundschaft herein wie zum Schlussverkauf. Herberts Schnitten werden zu Hasenbroten: Käse - Schmelz-, Frisch-, Ofen-, Kochkäse, körniger Käse, Quark selten. Zeitgleich mit der Rente wurde Herbert zum Vegetarier, schob Helga immer häufiger von sich: „Du riechst nach Blutwurst!“, wenn sie sich mit gespitzten Lippen und Streicheleinheiten näherte.

Helga Keun verschwindet in der Schlauchküche, setzt sich ab, stützt die Arme auf das kühle Sprelacart. Sie fängt die Spitzengardine, zieht sie zur Seite. Die Meyers küssten schon wieder wie wild. Helga wischt mit den Zeigefingern über ihre Augenringe, bettet die Stirn auf ihre Arme, schleckt unterm Tisch den Belag von ihren Schnitten. Ihre Zungenspitze spürt den Käselöchern nach. Sie kaut genüsslich, schiebt die glitschigen Reste aus ihren Hauern, ehe sie einen neuen Happen nimmt. Als Herbert in die Küche schlurft, schnarcht Helga bereits. Er streicht ihr sanft über den Rücken: „Ach, mein Gürkchen“, säuselt er in ihr Seufzen hinein.

Am nächsten Morgen liegen neue Stullen bereit: ausgestanzte Käseherzenschnitten mit Senfkleeblättern. Heute wagt sie es, klopft beim Filialleiter: „Herr Jungspund, Sie erinnern sich? Helga Keun?“

„Wurst, ne?“

„Ja, nein, also… Mein Mann, Sie wissen ja.“

„Nee, was? Kommen Sie zum Punkt.“

„Also, mein Mann,…“

„Frau Keun, sagen Sie es frei von der Leber weg“, bei den Worten springt Jungspunds rechter Mundwinkel zur Seite. „Das ist gut, das notier ich mir – Fleischfachverkäuferin mit Fleischvokabeln ansprechen. Also? Frei heraus!“

„Also, …“

„Frau Keun!“

„Ich möchte zur Käsetheke wechseln! So!“

„Frau Keun, Sie vertreten Wurst. Schauen selber aus wie eine, das passt! Aspik, Mett, Hühnerkeulen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, es gefällt mir, was ich sehe! Da nehm ich doch gern noch 100 Gramm mehr von der Gesichtswurst. Und noch was: Sie berechnen zu knapp. Legen Sie gern ab und an einen Finger dazu, fällt gar nicht auf, dann klappt das auch mit dem Umsatz!“ Frau Keun weint. Von der Pfandannahme zum Milchspeiseeis zur Fleischtheke. Ein Neuanfang kam nicht in Frage, so kurz vor der Rente. Sie wischt sich über die Augen, richtet sich auf, spürt die Wulst, die sich zwischen ihren Schulterblättern formt. Der Filialleiter flitzt um den Schreibtisch herum, packt sie genau dort: „Mhm, Bratwürste! Legen Sie mir bitte welche zurück. Ich schau dann später mal vorbei.“ Wie eine Grillzange packt seine Hand die Wulst. Herr Jungspund entlässt sie mit einem Klaps oberhalb der Hüfte: „Und von der Schwarte noch ein Kilo, danke.“

Frau Keun tapst zur Theke, ihre Schultern hüpfen, sie kippt zu Boden. Maggi, die neue Kassiererin eilt zu Hilfe. Helga jault als hätte ihr jemand ein Stück Fleisch herausgeschnitten. Wie ein halber Hammel sackt sie in Maggis Arme. Gemeinsam straucheln sie im schmalen Thekengang als würden sie eine flotte Sohle über die Fliesen schieben.

Aus dem Büro des Chefs schallt Gelächter. Herr Jungspund tritt auf, betupft mit den Zeigefingerknöcheln seine Augenwinkel, das Gesicht puterrot. „Alles in Ordnung? Ich hätte dann gern zwei Würste.“ Frau Keun presst ihre Wutfaust auf die Waage. „Das macht dann 12,50 Euro.“

„Für zwei Würste?“

„Ja, zum Wohle der Filiale, um Fleischeswillen, ja!“

Frau Keun wirft sich den Mantel über. Mit steifen Knien und einem Ziehen in den Hüften stakst sie zum Bus, zieht sich die Stufen zu ihrer Wohnung hinauf. „Herbert, ich bin‘s“. Herbert kommt, seine Nasenflügel flattern: „Bratwurst“, sagt er und zieht sich zurück. Helga legt die Käsebrotherzen auf seinen Platz. „Für morgen und das Kommende“, schreibt sie mit Tomatenmark auf die Tischplatte. Als Herbert an diesem Abend in die Küche schleicht, füllen sich seine Augen mit Tränen. Als er den Aufschnitt riecht, würgt er. Er beugt sich vor, schaut Helga in den offenen Mund. Ein Wurstzipfel liegt still in ihrer Wange. Käsereste strampeln sich Herberts Speiseröhre hinauf, klumpige Spucke sammelt sich, sprudelt heraus auf Helgas Pantoffeln. Er geht zu Bett.

Kurz vor Arbeitsbeginn schreckt Helga aus dem Schlaf, findet die breitgeschobene Brockenmasse auf und unter ihren Pantoffeln. Der Geruch hängt in den Gardinen, über dem Gewürzregal. Aus dem Spiegel grinsen sie Wurstfetzen an, der breiigen Masse am Fußboden nicht unähnlich. Auf Sockensohlen schleicht sie aus der Wohnung.

Hinter der Wursttheke wirft sich Frau Keun genau abgemessene Leberkässtücke in den Rachen, schiebt Wiener nach, aber die Fleischlust fordert mehr. Jeden Tag bringt sie jetzt Nachschub, den sie anderen in Rechnung stellt, versteckt ihn in der Tiefkühltruhe im Keller, legt ihn daumesdick auf Herberts Stullen.

Herbert schweigt, Helga hat ihren Aufschnitt. Die Monate bis zur Rente formt sie Mettigel und Wurstpralinen in Aspik, Spieße und Schnecken, nimmt sich hier und da einen Zipfel, nie das ganze Steak. Ihren wurstfreien Ruhestand feiert sie ausufernd. Sektkorken knallen, Käseröllchen und Spieße zirkulieren durch die Regalreihen.

Freudig schwingt Helga die Wohnungstür auf: „Geschafft! Ich bin wurstfrei!“ Herbert sitzt am Küchentisch. Eine angebissene Käsesemmel liegt auf seinem Teller, nahe seines Haaransatzes. Kein strahlender Empfang, kein Wort, keine Atmung. Helga tickt mit ihrem Zeigefinger an seine Schulter, kippt gegen die Wand. Tot! Helga grinst semmelbreit, bevor es sie trifft, zu Boden wirft, sie geschüttelt wird von Erinnerungen an Auf- und Käseherzenverschnitt.

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Suse Schröder

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freiVERS | Otto Dvoracek

Nichts Anderes

Es hebt sich alles auf, bis sich alles erledigt hat
Die Landschaften heben sich auf, es kann nichts
Anderes sein als das: ein Nachspiel (ein Nachbild)
Als eine Auflösungserscheinung, als der Mensch
Danach, es hat nichts Anderes zu geschehen
Als das: einen Raum belasten und den Raum
Wieder herstellen, ein gleiches Haus wieder
Herstellen, ein Einfamilienhaus, ein Mehr-
Familienhaus, es ist Ablenkung von allem
Es muss Ablenkung sein, es kann nichts Anderes
Sein als das: ein gleiches Haus in die Landschaft
Stellen und nichts gemeinsam haben
Mit der Landschaft, die zusammenhängt mit
Getrocknetem Gras, mit breiten Landebahnen
Der Mensch danach und das gleiche Haus sind
Gerade noch sichtbar, jeder bringt sein Fleisch
Jeder findet sein Gold, es kann nichts Anderes
Sein als das: ein Austausch oder eine Austausch-
Verweigerung unter der Aschensonne, und jeder
Stürzt heim, heim in seine Landschaft, es hat sich
Alles erledigt

 

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Otto Dvoracek

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freiTEXT | Laura Kind

Radschlag.

Die Frau kramt fahrig in ihrer Handtasche. Luca hält ihr ein Ticket hin: „Das macht dann fünf Euro, bitte.“ Ihre Tochter, vielleicht zehn Jahre alt, zerrt an dem handtaschenfreien Arm. Die Mutter sagt „Moment, bitte“, mehr zu dem Kind als zu ihm. Luca wartet geduldig, ungeduldig zerrt dabei das Kind am Kleid der Mutter. Sie lässt einen Schlüsselbund und ein benutztes Taschentuch fallen und entschuldigt sich. „Passend haben Sie es nicht?“ „Nein“ und entschuldigt sich erneut. Luca nimmt den Zehneuroschein, die Kasse klickt, das Kind rennt schon vor. Luca gibt der Frau das Restgeld und wirft einen Euro in die Trinkgeldkasse. Er schaut kurz rüber zur Schwester, die das Rad bedienen soll, doch Giulias Augen kleben auf dem Bildschirm ihres Handys. Luca drückt einen Knopf, „Alle einsteigen bitte!“ Die Stimme eines anderen gibt die Worte wieder, die er ins Mikrofon spricht und die Lautsprecher fordern die Gäste auf, sich festzuhalten. „Spaß, Spaß, Spaß! Jetzt geht’s los!“ Die Musik von Vaters CD übertönt das Schreien des Kindes, ob vor Freude oder kurzfristig auftretender Höhenangst ist ungewiss, die Mutter winkt dem Kind mit der einen Hand und kramt mit der anderen immer noch in der Handtasche. Nach drei Umdrehungen fällt das Kind der Mutter um den Hals, ruft „noch einmal!“, doch die Mutter schüttelt den Kopf, verspricht Eis und denkt an Ruhe. Das Mädchen nickt, Luca ist überrascht von der schnellen Einsicht. Die letzten Gäste des Abends lassen das Riesenrad und die Lichter hinter sich. Selbst bei Marco ist nichts mehr los. Später kommt der Vater vorbei und fragt, wie das Geschäft denn so läuft. Giulia schaut weiter auf ihr Handy, Luca zuckt mit den Achseln. Der Vater öffnet die Kasse und nickt zufrieden. Er sieht nicht die Leere des Parks, nicht die fünfzehn Euro und die drei Gäste, die sich hinter dem mitgebrachten Wechselgeld verbergen. „Na, ein Stündchen lohnt es sich bestimmt noch!“ Luca nickt. Vielleicht würden später noch ein paar betrunkene Jugendliche vorbeikommen, ein Liebespaar oder sonnenbeschwipste Urlauber, die darauf hoffen, dass der See im Dunkeln der Nacht doch noch zu einer Sehenswürdigkeit wird, zumindest aber zur Kulisse für Romantik und große Gesten. Einmal, vor ein paar Jahren, gab es einen Heiratsantrag. Luca hat zwanzig Euro Trinkgeld bekommen und das Rad zehn Minuten angehalten. Er hat die CD des nervösen Gastes eingelegt und denselben Song dreimal hintereinander abgespielt. Die anderen Gäste hatten sich beschwert. Doch die Lautsprecher sprachen lauter als die anderen Gäste sich beschweren konnten. Dann hat es an dem Abend für die Bürger ein Feuerwerk und Kondensstreifen in grün-weiß-rot am Himmel und für Luca viel Trinkgeld und mehr Gäste als sonst gegeben. Am Wochenende hat er seine damalige Freundin zum Essen auf der Piazza eingeladen und ihr gesagt, dass er sie liebt. Sie liebte ihn nicht, das fand er jedoch erst drei Monate später heraus.

Das Riesenrad ist 51 Meter hoch, doch was die Menschen immer wieder anlockt ist nicht die Aussicht, die mit der Höhe, sondern das Hochgefühl, das mit der Erinnerung an Kindheit kommt. Die letzte Saison war denkbar schlecht, kaum Touristen, kaum Umsatz. Und selbst als man durfte: Riesenradfahren war etwas für gute Zeiten, für vergangene Zeiten, oder die, die noch in der Zukunft lagen und für die man gerade nicht die Fantasie besaß. Das Unglück lag nicht nur in den Ereignissen, sondern vor allem dazwischen: In den Momenten zwischen den Männern in den Imkerkostümen und den vereinzelten Nachrichten aus der Klinik. Das Dazwischen war der Vater vor dem Herd, nichtwissend wohin mit den Armen und der Angst, das waren die Anrufe, die nicht durchgestellt werden konnten und das allmähliche Erblinden der Fenster und Weiterscrollen im Newsfeed, der immer dieselben Bilder zeigte. Als Luca die Lichter des Riesenrads löschen wollte, hat der Vater ihn angefahren: „Sie kann das spüren. Die Lichter müssen leuchten und das Rad muss sich drehen!“ Als die Mutter wieder nach Hause dufte, ist der Vater mit ihr zum See gefahren. Luca hat der Mutter beim Einsteigen geholfen und dann das Rad zur Hälfte gedreht. Er hat Gianna gespielt, weil die Mutter einmal auf einem Konzert gewesen war. Sie hatte ein Plakat gekauft und es im Wohnzimmer aufgehängt, wo es durch Vaters Zigaretten vergilbte. Nun saßen sie oben, ganz klein in ihrer Kabine, bis der Vater ihm zuwinkte und er das Rad wieder nach unten drehte. Die Mutter sei nun müde und müsse sich hinlegen. Im Schein der Lichter sah das Gesicht der Mutter noch fahler aus. Am Stand nebenan hat Luca sich weiße Zuckerwatte gekauft und mit Marco vom Zuckerwattestand ein Bier getrunken. Eine ganze Weile lang haben sie schweigend dagesessen und aufs Wasser geschaut. Luca nahm einen Schluck von seinem Bier. Es war lauwarm. „Das geht nicht mehr lange gut.“ Marco nickte. „Wem sagst du das.“ Mit dem Morgengrauen ist er dann heimgekehrt, hat die Fensterläden aufgerissen, um Licht und Luft hineinzulassen und Kaffee aufgesetzt. „Wir könnten das Rad verkaufen.“ Er stellte Satz und Kaffee auf die Plastiktischdecke, beides klebte noch daran, als er die Hand nach der Tasse ausstreckte und einen Schluck trank. „Die Leute sind schon davor immer weniger gekommen.“ „Es hat immer mal schlechtere und mal bessere Zeiten gegeben.“ „Und seit ich denken kann gibt es nur noch schlechte.“ Der Vater schaute besorgt die Mutter an, die gerade etwas Kaffee verschüttet hatte. Luca nahm einen Spüllappen und wischte den Kaffee und die Wörter, die er noch sagen wollte, weg. Die Bedenken blieben. „Nein Luca, die Leute werden schon wieder kommen. Es ist einfach schwierig im Moment. Für alle ist es schwierig.“ Luca zuckte mit den Achseln. „Ich dachte nur. Wir könnten auch einen Bootsverleih oder sowas machen. Für reiche Leute, die sich einen schönen Tag auf dem See machen wollen.“ Die Mutter hustete und verschüttete noch mehr Kaffee. Der vorwurfsvolle Blick des Vaters drängte ihn nach draußen, er hörte noch den Vater sagen „Komm, Tesoro, leg dich noch etwas hin und ruh dich aus.“. Wie schnell die Stimme kippen konnte, wie schnell sie brüchig wurde, wie schnell Brüche entstanden, dachte Luca noch. Das war heut früh.

Jetzt sitzt Luca am Steg, einer, der noch niemandem gehört und damit jedem, also auch Luca. Er hat gerade das Fahrgeschäft zugemacht. Giulia ist schon seit Stunden weg. Sie hat seit ein paar Monaten eine Setkarte in einer Agentur und nun ihren ersten Job für eine Modekette. Einmal würde sie nach Mailand gehen. Jetzt läuft sie aber noch mit den Tüten der Modekette über die Seepromenade.  Sie trägt dabei hohe Schuhe und eine aufwändige Frisur und den Kopf erhoben. Manchmal trifft Luca sie auch in der Fußgängerzone, wenn er sie fragen will, ob sie mit ihm abends die Kasse macht. Aber sie wird zu ihrem Freund gehen und Luca wird allein die Kasse machen und den Eltern nichts sagen, nicht, dass Giulia nur noch einmal die Woche die Kasse macht, nicht, dass ihr Bild in einer Kartei ist, nicht, dass die Gäste ausbleiben und auch nicht, dass sie bald eh schließen müssen, wenn sie nicht verkaufen. Die Lichter flirren wie tagsüber die Hitze über dem Asphalt. Wenn es richtig heiß ist, kleben die Schuhsohlen am Boden fest, das fühlt sich dann an als sei man in Kaugummi getreten. Luca beobachtet ein paar Touristen, wie sie von der letzten Fähre schwappen, wie ihr Strom auf die Piazza fließt, wo sie essen, trinken, bett- und weinschwer in ihre Hotelzimmer gehen, sich auf den Betten mit den ihnen unverständlichen Decken fallenlassen, so wie sie ihren Müll überall fallen- und liegenlassen. Sie waren schnell wiedergekommen. Die Zeit hatte nur kurz angehalten, dann hatte sie sich weitergedreht. Luca kauft sich eine Focaccia und ein Bier. Er geht auf die Piazza und trifft ein paar Freunde, die er lang nicht mehr gesehen hat. Seine Ex-Freundin ist auch da. Er spricht kurz mit ihr. Morgen wird er Giulia nach Mailand für ein Casting fahren und sich bei einer Werkstatt um eine Ausbildung bewerben. Er wird erst spät abends zurück sein. Das Riesenrad wird stillstehen und niemand wird an der Kasse sitzen, um das Geld eines Fahrgastes entgegenzunehmen. Der Vater wird mit der Mutter einen Bootsausflug machen und erst vom See aus bemerken, dass das Riesenrad im Dunkeln liegt. Die Gischt wird das Wasser marmorieren und die Mutter wird schwere Beine und leichte Gedanken haben. Sie wird sagen, dass sie Bootsfahren liebt und die Haare und ihr Lachen dem Wind überlassen.

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Laura Kind

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freiVERS | Fabian Lenthe

Das Aufgehen der Sonne
Ist längst nicht mehr
Als eine durchschnittliche Leistung

Ich teile eine Tablette
In zwei Hälften

Und sehe ihr dabei zu

 

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Fabian Lenthe

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