freiVERS | Slata Roschal

Мой голос слаб
И первой не подам руки.
На улицу я выхожу, как на расстрел.
Беги, мой мальчик, миленький, беги,
Пока луну, повесив, не сожгли,
Пока витрины, ставни глаз и лба, сильны
И не посмеют нас еще заметить.
Из пены вышли, в пене и помрем.
А кто-то вены вздумал в ванне поминать,
То в глаз, то нежно, в нос и в рот
Стук конный, неперченый ямб слагать.

 

Ich habe eine schwache Stimme
Und geb als Erste nicht die Hand.
Wie zur Erschießung geh ich auf die Straße.
Mein lieber Junge, lauf doch, lauf,
bevor der Mond gehängt ist und verbrannt,
bevor Vitrinen, unsrer Stirn und Augen Läden
noch stark sind und man es nicht wagt, uns zu bemerken.
Aus Schaum gekommen, enden wir im Schaum.
Und jemand kam im Bad drauf, seine Venen zu gedenken,
ins Auge mal, mal zärtlich, in die Nase, in den Mund
ein Hufgeklapper, ungewürzten Jambus zu verfassen.

Slata Roschal

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freiTEXT | Steffen Roye

Bob Dylan im Beinbereich

Das letzte Mal bin ich Autoscooter gefahren, da war ich zwölf oder vierzehn. Dann war die Kindheit vorbei, und nur in Hollywoodfilmen fahren auch die Erwachsenen gelegentlich damit, begleitet von einem gitarrenlastigen Soundtrack, und es sind die Pausen dieser Filme, ein Ausatmen im Einatmen, und sie lachen dann und rammen sich absichtlich und haben Spaß wie die Kleinen, und was sich neckt, das liebt sich.

Ich muss daran denken, weil ich mich in den Kreisverkehr eingefädelt habe und seither um das Denkmal fahre, wie Geier um ihre Beute kreisen, nur dass ich nicht weiß, was mir Beute sein sollte. Ich drehe Runde um Runde und überlege, wohin ich aus dem Kreisverkehr herausfahre: zu den Eltern, die es schon immer gewusst haben; oder zu Robert, der allerdings gerade mit seiner Freundin zusammengezogen ist; oder zu Heidi, die in der Kantine schon oft ihre mütterliche Hilfe angeboten hat.

Die Autos kreisen auf ihren Bahnen. Obwohl es auf Mitternacht geht, ist einiges los. Von rechts kommen weitere Autos hinzu, bremsen ab und stürzen sich kaltschnäuzig in den Strudel, und dann werden Blinker gesetzt, und sie lassen sich an einer anderen Stelle wieder aus dem Strudel fallen, und wie das alles funktioniert und ineinandergreift, dieses Treffen und Kreiseln, das erinnert mich an meine Kindheit und den Autoscooter auf dem Rummel, nur dass man es hier vermeidet, einander zu rammen, weil das Spiel sonst vorbei ist, wo es früher umso beherzter weiterging.

Ich stelle das Radio an. Irgendein Quotenhit – weg. Nachrichten, immer fünf Minuten früher, auch um diese Zeit – fort. Eine Bigband – das muss dieser Sender sein, der den ganzen Tag das Beste aus den Vierzigern und Fünfzigern spielt und lange vor der Musik aufhört, bei der die anderen anfangen. Duke Ellington fordert gerade: Take The A-Train. Und während die Lichter um mich kreisen und rechts ein Auto an mir vorbeizieht und im Innenring ein Motorrad bedrohlich schräg in der Kurve liegt, finde ich, dass zu einer nächtlichen Fahrt durch meine Stadt nichts besser passt als diese ollen Swingkamellen.

Und ich sehe in die beladenen und von den Straßenlaternen ausgeleuchteten Autos, und die Musik im Radio schiebt etwas zusammen, ein Mosaik, plötzlich erscheint alles klar und doch wie durch eine ungeputzte Brille, und es wundert mich nicht, dass vor mir und neben mir alle Fahrer exakt den Ellington-Rhythmus auf Lenkräder und Fahrertüren trommeln.

Es erscheint alles klar und es wundert mich nicht seit dem kleinen Stau vor fünfzehn oder zwanzig Minuten, beim ehemaligen Luxor-Filmpalast, wo die Stadt, wenn man sich aus den Außenbezirken einsaugen lässt, erstmals etwas Konzentriertes hat mit der breiten und zugleich in die Bausubstanz hineingequetschten Straße, mit den mäandernden Straßenbahnschienen und den Mietskasernen aus der Gründerzeit und den Ampelkreuzungen und dem umgitterten Park und den drei Tankstellen und der verfallenen Brauerei auf der rechten Seite, an deren Stelle seit fünf Jahren ein Baumarkt entstehen soll. Vorn hatte es offensichtlich einen Unfall gegeben: Blaulicht flickerte und schlug an die Fassaden wie auf Kinoleinwände. Auf dem Fußweg standen Leute, ein paar trugen Overalls in Signalfarben, aber sie schienen es nicht eilig zu haben. Der bisher locker fließende Verkehr verengte sich im Reißverschlussverfahren auf eine Spur. Diszipliniert ließ der eine dem anderen die Vorfahrt: wie das alles funktioniert und ineinandergreift. Rechts neben mir zog langsam ein Saab vorbei, und ich schaute unwillkürlich hinein. Ein Mann hielt das Lenkrad mit der Linken fest umklammert, den Blick geradeaus. Auf seinem Beifahrersitz stand, von den Straßenlaternen leidlich angestrahlt, ein ficus benjaminii, der seine Zweige immer wieder nach dem Fahrer ausstreckte, als wollte er ihn necken, doch der Fahrer starrte geradeaus und wischte die widerborstigen Zweige gleichmütig beiseite. Und dann entdeckte ich auf seinem Rücksitz, ungleichmäßig angeleuchtet, Umzugskartons und etwas, das aussah wie ein Vogelkäfig, und ein Stapel Bücher lehnte an der Scheibe.

Der Saab zog an mir vorbei, ich aber musste bremsen und kurz halten. Dass die eigentlich behinderte Spur wieder einmal die schnellere war! Wie in einem Fernsehgerät wurde ein Passat eingeblendet, eine Frau saß darin, auf ihrem Beifahrersitz erkannte ich (als Silhouette) einen Grammophontrichter, und auf dem Rücksitz, der langsam in mein Blickfeld kam, war eine Art Garderobenständer platziert und ein undefinierbarer Berg, vielleicht Wäsche, obenauf etwas, das wie ein Paar Ski aussah und in den einsehbaren Kofferraum hineinragte, in dem außerdem eine Kommode verstaut war.

Jetzt schaute ich gezielt. Mein Vordermann hielt den Arm aus dem Fenster und klopfte einen Rhythmus auf die Fahrertür, und im Kofferraum erkannte ich die Umrisse eines Kontrabasses und einer Staffelei und eines Fahrrades.

Langsam fädelte ich mein Auto durch das Nadelöhr und zog an einem Polizei-BMW vorbei und an zwei Fahrzeugen, die ein bisschen Blechschaden verursacht hatten. Fast fuhr ich meinem Vordermann auf die Stoßstange, weil ich mich zu sehr auf die Unfallwagen konzentrierte und auf den Globus und den Katzenkorb, die auf einem der Autodächer abgestellt waren, und auf den Pudel, der auf einem der Fahrersitze stand und die vorbeifahrenden Autos ankläffte, und auf all den schemenhaft sichtbaren Hausrat, der die Hinterachsen der Unfallwagen nach unten drückte, als wären sie zu dieser Stunde noch unterwegs zu irgendeinem Flohmarkt.

Der Katzenkorb auf dem Autodach brachte mir in Erinnerung, dass auch ich einen ähnlichen Eindruck auf jene machen musste, die Zeit fanden, in meinen Wagen hineinzuspähen. Meine Yuccapalme stand auf dem Rücksitz und wippte wie ein Wackeldackel, und sie teilte sich den Platz mit einem Seesack voller Hosen und Hemden und T-Shirts und Unterwäsche und Socken und Sportsachen, und den Kofferraum füllte neben anderem mein Lieblingssessel, eine Bücherkiste und die geerbte Standuhr, auf dem Beifahrersitz stand meine Stereoanlage, und davor, im Beinbereich, hatte ich meinen Laptop und meine Schallplattensammlung deponiert, Bob Dylan und Bruce Springsteen hat man eben als Vinyl, genau wie einiges von dem gitarrenlastigen Material, das in Hollywoodfilmen Szenen untermalt, in denen Erwachsene beispielsweise mit dem Autoscooter fahren, und es sind die Pausen dieser Filme, ein Ausatmen im Einatmen, und sie lachen dann, die Erwachsenen, und rammen sich absichtlich und haben Spaß wie die Kleinen, und was sich neckt, das liebt sich.

Merkwürdig, dass die drei Jahre mit Maria in einem einzigen Auto Platz haben. Einem Auto, das ich schon fuhr, als wir uns damals im Fitnessstudio kennenlernten. Und eigentlich kam das alles nicht überraschend, immerhin konnte ich einen geordneten Rückzug antreten, obwohl ich im ersten Moment auf alles gefasst war. Dabei hatte ich Maria mehrmals gewarnt, dass mir irgendwann der Kragen platzen würde, wenn ihre verdammte Katze meinen Lieblingssessel weiter als Kratzbaum, dieses Mistvieh!

Nun also fahre ich um das Denkmal, wie Geier um ihre Beute kreisen, nur dass ich nicht weiß, was mir Beute sein sollte. Ich drehe Runde um Runde und überlege, wohin ich aus dem Kreisverkehr fahre. Wie das hier alles funktioniert und ineinandergreift, das erinnert mich an meine Kindheit und den Autoscooter auf dem Rummel, nur dass man es hier vermeidet, einander zu rammen, weil das Spiel sonst vorbei ist, wo es früher umso beherzter weiterging. Und nur in Hollywoodfilmen fahren auch die Erwachsenen gelegentlich damit, und es sind die Pausen, und was sich neckt … Und ich sehe in Autos voller Koffer, Grünpflanzen, Möbel, Kartons, Vogelkäfige, Grammophone, Fahrräder, Instrumente und Schallplattensammlungen, und die Musik im Radio schiebt etwas zusammen, ein Mosaik, ein Puzzle, und es wundert mich nicht, dass vor mir und neben mir alle Fahrer auf Lenkräder oder Fahrertüren exakt den Rhythmus von Take The A-Train trommeln, das inzwischen beim Finale angekommen ist. Und das abgelöst wird durch Judy Garland, die leichthin das Verkehrsmittel wechselt: Fly Me To The Moon. Und die Fahrer ziehen an mir vorbei mit melancholischem Blick, und mit manchen kreise ich drei oder fünf Runden, bevor sie sich zum Ausfall entschließen, und manche wissen offenbar sofort, wo sie diese Nacht unterkommen können.

Steffen Roye

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mosaik20 - was jetzt passiert...

 

Kaum ist der Einsendeschluss vorbei, vergisst man leicht darauf. Doch wenn eure Arbeit endet, beginnt unsere erst.

 

Was ihr gemacht habt:

Ihr habt uns wunderbare, höchst unterschiedliche Texte, Fragmente, illustrierte Prosa und ganze Kurzprosareihen geschickt - alles zum "Thema" Zweifel zwischen Zwieback. Dort kommt der Junge von der Zwieback-Packung vor - und die Zwieback-Brösel im Bauchnabel.

-

Was wir jetzt tun:

Alle Texte wurden anonymisiert und standardisiert und so der Jury übergeben. Ungefähr 500 eng bedruckte DIN A4-Seiten sind das... Diese jungen und fähigen AutorInnen und Menschen aus dem Literaturbetrieb werden in den nächsten Tagen eure Texte studieren, drüber diskutieren und uns anschließend eine begründete Auswahl präsentieren.

Und dann geht der Spaß erst so richtig los:

  • Lektorat
  • einheitliche AutorInnenfotos und -biographien
  • Layout, Satz & Grafik
  • Drucklegung
  • Buchpräsentation
  • #famefamefame

 

Was ihr jetzt tun dürft:

Hände hinter dem Kopf verschränken. Geduld haben. Oder die Zeit nutzen und Schreiben und Lesen:


freiTEXT | Hey, Palsson!

Salzeis

„Heppa, Heppa, Hepal! So morsche Pfoten und wo hast du deine richtigen Handschuhe gelassen?“ Und ich lache, denn für die Beiden könnte es doch nicht besser gehen. Die alte Lochsocke pufft sich über links und an der anderen hängen deine Kleinstfinger. Ganz schön heiß hier! Gestern im Straßenglück die flitzende Bekanntschaft mit offenen Armen geschnappt und spendiert, dass sich die Flammen fetzten.
Mein Trinkgeld hattest du unter den Tisch geschlagen, weil dein Stolz brüllte. Und danach, das übliche Dankbare mit den Gläsern und auf Matratzen. Der abscheuliche Rauschmorgen geht mir davon, als du mich durch die Tür fragst: „Ist es okay, wenn ich in deine Dusche pinkel?“

Hey, Palsson!

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freiVERS | Renate Aichinger

#einbrennen

seele
verkühlt

herzen
blickdicht verschlossen

sterbekerzen
verflackern die sicht

totaugen
stechen blicktief die iris

er
reichen uns trotzdem nicht

Renate Aichinger

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freiTEXT | Merle Müller-Knapp

Märtyrer

Hallo, ich bin Dirk. Ich bin eine Made. Ich rette deinen Knochen, dein Bein, vielleicht rette ich sogar dein Leben.

Geboren wurde ich in einem Labor. Inakzeptabel, denkst du jetzt vielleicht, Hygiene-Desaster oder Fahrlässigkeit. Zeit für einen Facebook-Post? Nein, tatsächlich steht mein Leben im Zentrum des eben genannten Labors.

Ich bin keine Otto-Normalmade, meine Heimat liegt fern von Biotonne oder Kothaufen. Ich bin Produkt bewusster Anzucht. Das Ei, dem ich mich entwand, lag auf dem Boden einer Plastikschale und tatsächlich war es ein Mensch, der mein Ei dort neben vielen anderen Eiern arrangierte.

Jetzt bin ich einen Tag alt und wurde soeben verpackt. Zusammen mit Barcode, Mindesthaltbarkeitsdatum und einigen hundert anderer Maden bin ich auf dem Weg zu dir. Mein Etikett stellt klar: ich bin steril, sowohl was meine Keimflora als auch meine Fortpflanzungsfähigkeit angeht.

Wäre ich eine Otto-Normalmade, ich würde mir vermutlich grade ordentlich den Bauch vollschlagen. Kompost oder Tierkadaver, wer weiß. Stattdessen hungere ich. Ich warte auf dich.

Wäre ich eine Otto-Normalmade, nach 20 Tagen würde ich mich verpuppen. Ich würde die Nährstoffe meiner vorangegangenen Fressorgie in Flügel und große Augen wandeln. Dann würde ich meinen Kokon durchbrechen und ich wäre eine Fliege, eine große Fliege. Lärmend würde ich durch dein Zimmer schnellen und meinen Leib mit Maximalgeschwindigkeit gegen das Fensterglas werfen. Vielleicht würde ich dabei bewusstlos werden.

Ich bin aber keine Otto-Normalmade. Ich bin eine Biomade. Das bedeutet: erst helfe ich dir und dann muss ich sterben. Fliegen werde ich nie.

Du brauchst meine Hilfe, weil dein Körper versagt. Du hast deine Haut verletzt, irgendwo und irgendwie, vermutlich schon vor einiger Zeit, und weil dein Immunsystem an seinen Aufgaben scheitert, brauchst du mich.

Deine verletzte Haut hat sich zur Bedrohung gewandelt. Deine ehemalige verletzte Haut, sollte ich vermutlich sagen, denn da wo alles vielleicht ganz undramatisch begann, klafft jetzt ein Loch. Wundheilungsstörung und Infektion als Stichwörter für meinen Einsatz.

Wenn ich bei dir ankomme, bin ich sehr hungrig. Ich sabbere viel. Sabbern gehört zu meinen Essgewohnheiten. Tatsächlich beginnt mein Verdauungsprozess nämlich schon vor meinem Mund. In meinem Speichel lösen sich tote Zellen und Dreck. Das ist gut so, denn beides findet sich vermutlich in deiner Wunde. In meinem Speichel lösen sich auch Bakterien, sogar solche, die deine Ärzte seit Monaten erfolglos zu bekämpfen versuchen. Den Glibber aus meinem eigenen Speichel und den darin gelösten Dingen esse ich dann. Ich räume deine Wunde auf.

Die Ärzte haben dich vielleicht gewarnt. Du könntest meine Anwesenheit als Kribbeln spüren, ganz selten wird mein Vorhandensein dir auch Schmerzen bereiten. Sehen musst du mich aber immerhin nicht. Das könnte dich nämlich stressen und Stress ist schlecht für die Wundheilung.

Nachdem man mich in deiner Wunde abgesetzt hat, werde ich verpackt. Hinter weißer Watte und beruhigend breiten Pflasterstreifen vollbringe ich mein Werk. Erst drei Tage später holt man mich hervor. Zu diesem Zeitpunkt bin ich vermutlich mächtig dick. Deine Wunde wird mein Fest gewesen sein.

Deine Wunde wird auch mein Ende sein. Wenn ich deine toten Zellen, deine Bakterien, deine Fäulnis gegessen habe, habe ich nicht nur mein Aufgabenspektrum als Biomade erfüllt, nein, ich gelte dann auch als kontaminiert. Deine ehemaligen Schadstoffe in meinem Bauch bedeuten meinen Tod.

Hätte ich Augen, ich würde in Richtung Fenster blicken. Oder wenigstens in die Neonröhren am Krankenhaus-Filament. Ein letzter Moment im Licht, die Melodramatik reizt mich. Ich habe aber keine Augen und so sterbe ich in Dunkelheit. Der Arzt wird mich vermutlich in einen Bottich mit hochprozentigem Alkohol werfen. Dort löse ich mich auf.

Ich glaube nicht, dass mein Tod mit körperlichen Schmerzen einhergehen wird, meine Nervenzellen sind nämlich kaum vorhanden. Nichtsdestotrotz, du lieber Mensch: ich sterbe für dich. Ich werde niemals fliegen können, niemals sehen können, niemals zwei haarige Beine aneinander reiben können.

Also bitte ich dich um Sinnhaftigkeit für meinen Tod.

Hör auf zu rauchen, geh regelmäßig zur Fußpflege oder besorg dir einen ambulanten Krankendienst. Kümmer dich um dich selbst. Diese eine ekelhafte Wunde soll deine letzte sein.

Ich wünsche dir alles Gute und ich wünsche mir ein nächstes Leben als Otto-Normalmade.

Merle Müller-Knapp

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freiVERS | Katie Grosser

Leuchtturm

Wir alle sind auf einer Reise
Mal kreuz, mal quer, mal parallel
Unendlich viele schreiten vor uns
Auch nach uns reißt der Strom nicht ab
Mal führt die Reise in die Irre
Ein Umweg kann gar schmerzvoll sein
Die Kreuzung wirft auf große Fragen
Der Blick nach innen – eine Pein
Und doch nach vorn die Füße tragen
Die meisten auf der Reise lang
Denn Umkehr, Umweg manchen scheinet
Wie Niederlage schmetternd groß
Für andre Umweg ist ein Segen
Der kommt verborgen dann daher
Eröffnet ungekannte Wege
Wer mutig ist, der nimmt ihn an
Doch woher Mut und Willen nehmen
Worin der Tapfren Antrieb liegt
Auch wenn die Wege hart und steinig
Und Angst mit dunklen Händen greift
Es ist ein Licht, das sie anblicken
Dem unbeirrt sie folgen stets
Es leuchtet hell in ihrem Innern
Als Leuchtturm zeigt es ihren Weg
Bezwingt die quälend großen Fragen
Umwege, Angst und Umkehr all
Es spendet Kraft und Hoffnung ihnen
Der Seele Nahrung immerfort
Ein jeder Leuchtturm leuchtet anders
Als helles Licht aus anderer Quell
Für manche Glaube ist der Antrieb
Für andre ein Versprechen ist’s
Erfolgeshunger kann gar treiben
Und Trauer nicht nur dunkel sein
Ein Kindheitstraum kann Anstoß geben
Auch Sehnsucht nach Verstorbenen
Mein Leuchtturm, der mir weist den Weg
Der Umwege erträglich macht
Auf Fragen Antwort finden lässt
Bist du und all dein strahlend Licht

Katie Grosser

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freiTEXT | Marlene Schulz

Die Wand

Mona wusste noch nicht genau, wie sie die einzelnen Teile aufhängen sollte. Sie hatte ein Stück von einer Wand für ihre Geschichte im Ausstellungsraum zur Verfügung gestellt bekommen, vier Meter breit und hoch bis zur Decke, die sie bereits kakaobraun gestrichen hatte. In die Mitte hatte sie einen großen weißen Bilderrahmen gehängt, der leer war.

Aus goldfarbener Pappe hatte sie Moderationskarten in unterschiedlicher Größe geschnitten, die sie jetzt mit einem weißen Stift beschriftete.

Zuerst: Karl, einundsiebzig, fährt im Sommer mit dem Feinrippunterhemd auf dem Moped und bringt Eric zur Schule.

Danach: Eric, sieben Jahre alt, nur noch wenige Tage bis zu seinem achten Geburtstag.

Dann: Erics Klamotten und die Sachen in seinem Schulranzen riechen nach Mottenkugeln. Ihhh, sagen die anderen Kinder.

Mona verteilte die Karten auf der Wand, befestigte jede mit einem Klebestreifen.

Jetzt schrieb sie: Karl macht Rechenaufgaben mit Eric, wenn er welche auf hat.

Dann: Eric muss nachts Windeln tragen, da er sonst ins Bett macht.

Noch eine neue Karte: Eric schläft mit im Ehebett seiner Großeltern Gisela und Karl.

Mona pinnte die neuen Karten auf die Wand, stellte zwei, die bereits hingen, noch einmal um.

Dann beschriftete sie weiter den zurechtgeschnittenen Karton: Gisela, neunundsechzig, hat Wasser in den Beinen, kann kaum noch laufen.

Danach: Gisela lernt mit Eric Sachen für die Schule auswendig. Manchmal singt sie mit ihm ein Lied.

Und: Eric ist Giselas ein und alles, hier kann sie wiedergutmachen, was mit Silvia schief gelaufen ist.

Die goldenen Karten machten sich gut auf der kakaobraunen Wand.

Weiter: Silvia ist gerade wieder in der Klinik auf Entzug und wird sich dort Hals über Kopf verlieben. Dieses Mal ist es der Richtige wird sie wieder mal schwören.

Dann kommt: Silvia wohnt nur ab und zu im Haus der Eltern. Mit ihren beiden Söhnen Eric und Marcel kann sie nichts anfangen.

Die nächste Karte: Marcel ist zehn Jahre älter als Eric, siebzehn, wohnt unterm Dach, hat sich dort eine Muckibude eingerichtet und macht gerade eine Ausbildung zum Fitnesskaufmann.

Bevor sie die neuen Pappen an die Wand klebte, beschriftete Mona noch eine weitere: Marcel bringt ab und zu ein Mädchen mit nach Hause. Sie kommen ihm aber meist schnell abhanden.

Und noch eine: Eric hat keine Freunde.

Mona heftete die Karten an die Wand, hängte um, manche weiter nach unten, andere mehr nach rechts und oben, eine ganz links.

Jetzt schrieb sie weiter, dieses Mal eine größere Pappe: Die Lehrerin aus der Schule sagt, es ist nicht gut, dass Eric im Ehebett der Großeltern schläft.

Dann: Das Bauamt hat Gisela und Karl Geld für das kleine Haus geboten, in dem sie wohnen und das ihnen gehört.

Neue Karte: Inzwischen hat sich eine Neubausiedlung um sie herum gebildet. Ganz viele gleiche Häuser mit unterschiedlich farbigen Eingangstüren.

Danach: Karl und Gisela haben das Kaufangebot des Bauamtes ausgeschlagen.

Und zuletzt: Einmal in der Woche spielt Marcel mit seinem Bruder Fußball auf dem Bolzplatz. Manchmal hat Marcel keine Zeit.

Mona hängte die restlichen Karten an die Wand, sortierte nochmal neu, schaute sich die Sätze von etwas weiter weg an, prüfte, bis alle den richtigen Platz hatten.

Dem Bilderrahmen gegenüber platzierte sie eine Sofortbildkamera auf einem Stativ mit einer Anleitung für den Selbstauslöser. Dann legte sie eine Rolle Klebeband zum Abreißen auf den Boden und stellte eine zweite Schachtel mit weißen Stiften dazu, nahm einen davon heraus und schrieb direkt auf die Wand, unter den Rahmen:

Machen Sie ein Foto von sich, hängen Sie Ihr Bild in den Rahmen und schreiben Sie etwas zu dieser Kartengeschichte hinzu, direkt auf die Wand. Nur zu!

Marlene Schulz

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freiVERS | Thomas Wagner

Prominenz in der Pampa

Ein unfreundlicher Tag
Auf dem Rückweg vom Kaufland werde ich von der Seite angesprochen
Eine erste Begegnung aber Ich erkenne ihn sofort
Ein waschechter Refugee
So viel habe ich schon darüber gehört und gelesen
Über nichts wird so viel berichte
Nichts erhitzt so sehr die Gemüter
Weltgeschichte vor meinen Augen

Er hält mir ein Schreiben hin
Mit Stadtwappen, Aktenzeichen und Rechtsbehelfsbelehrung
Deutschland zeigt ihm gleich seine schönste Seite
Er soll sich bei der Caritas melden
Das heißt wir haben ein Stück denselben Weg
Englisch spricht er nicht also gehen wir schweigend
Ich in meinem zehn Jahre alten Adidas Anorak
Per Definition also in Markenklamotten
Er in irgendwas Abgerissenen
Wahrscheinlich etwas Gespendetes oder aus dem Container
Die Hosenbeine zu kurz
Die Jackenärmel zu lang
Viel ist nicht dran an dem Kerl
Hängende Schultern
Müder Gang
Der Auftritt passt so gar nicht zu dem
Was sie ihm alles nachsagen
Wofür er alles verantwortlich sein soll
Die Spaltung der Gesellschaft
Die Spaltung Europas
Sogar die vormals heißgeliebte Bundesmutti bringt er ins trudeln

Wir kommen vorbei an der Ecke
Dort wo die Brombeerhecke
Letzten Sommer runtergebrannt ist
Der Wind Fetzen von blauen Plastesäcken
Gegen einen Zaun drückt
Pestschwarze Erde
Auf der es nur noch Abschaum, Tod und Müll aushält
Willkommen in meiner Welt
Was denkt er wohl wenn er das sieht?
Vertrau nie wieder den Verlockungen eines Gauners am Mittelmeer?
Denn auch wenn die Flugzeuge über unseren Himmel
Die unterlegene Welt
Nicht mit Bomben
Sondern nur mit Amazonpäckchen und blasierten Geschäftsleuten traktiert
Hat er im Großen und Ganzen
Nur die Station in diesem Irrenhaus gewechselt
Wo die Einen ihn mit Plüschtieren bedrängen
Und die Anderen gleich die Zähne zeigen
Als ob er nur wegen ihnen gekommen wäre

Wir sind schon ein erschütterndes Duo
Ich nicht der typisch deutsche Prinzipienreiter mit ständig zusammengekniffenen Arschbacken
Und er mit Sicherheit nicht der arabische Machohengst mit Anschlagsplänen
Die Stars sind eben in echt anders als man denkt
Die Wolkendecke reißt auf
Und die verfluchten Götter schauen auf uns herab
Lachen höhnisch über ihren Schabernack den sie mit uns Menschen treiben
Sie hören die Brandenburgischen Konzerte von Bach
Nuckeln an Weintrauben
Und fühlen sich köstlich unterhalten

Instrumentalisiert von jeder Seite
Steckt mein Begleiter einfach nur in dem gleichen Dilemma wie jeder Artgenosse
Auch er wurde einmal von einem Mann gezeugt
Und von einer Frau zur Welt gebracht
Die ihn nicht gefragt haben
Ob er das überhaupt will
Und nun sind sie tot
Oder haben ihn vergessen
Die Folgen darf er selbst ausbaden
Lasst ihn in Ruhe
Er ist nicht der Feind
Aber vielleicht wird er mal Verbündeter

Zum Abschied tippe ich mit zwei Fingern an meine nicht vorhandene Hutkrempe
Er nickt lethargisch
Ich schau ihm noch kurz nach
Dem gebeugten Spielball des Schicksals in Menschenform
Take care Du Superstar

 

Thomas Wagner

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freiTEXT | Pascal Andernacht

Wiener Episoden, Erste

Montag, 7. Jänner, welches Jahr? Das weiß ich nicht. Wird schon eines geben. Seh nach. Stört mich nicht. Montag Morgen, zu früh zum Denken, die Glieder sind schlaff, und der Spiegel im Bad beschlagen. Das kalte Wasser ins Gesicht, Traum. Traumwelt. Wo bin ich hier? Ich weiß es, aber ich will es nicht. Sie sitzt draußen. Ich steh hier.

Mittwoch. Ich habe das Bad verlassen. Was soll ich denken? Die Tür fiel ins Schloss. Es war nicht sie. Es war ihre Freundin. Ich reiß sie auf und eile hinaus. Es ist heiß. Die Sonne hinter den Wolken. Grauer Schleier. Aber heiß. Nebenan teeren sie die Straße. Aber die Hitze verfolgt mich. Die U-Bahn ist nur einige Blöcke entfernt. Ich habe keine Lust den Bus zu nehmen, also laufe ich.

Mittwoch, etwas später. Hastig würge ich die Spinattasche hinunter. Der Kakao schmeckt ausgezeichnet. Wische die Krümel von meinem Shirt. Könnte schwören, ich hätte keine Schuhe an. Aber da sind sie. Ich bewege die Zehen. Muss albern kichern. Man sieht mich an. Die Türen schließen sich und wir fahren los. Noch ein bisschen. Gegenüber, da liest sie ein Buch. Irgendwas Englisches. Ich langweile mich. Draußen ist es dunkel. Und nur das Innere spiegelt sich hell in den Scheiben. Ich am dunkelsten.

Donnerstag. Sie liest wieder. So gelangweilt. Ich schau genauer hin. Fear. Zweig. Warum nicht auf Deutsch, denke ich. Minimalistisch.

Freitag. Die Ausschweifungen zehren an mir. Er findet kein Halt. Amok. Zweig. Flut überflutet den Tunnel. Und ich denke: Herrliches Licht.

Samstag. Sie steigt aus. Ich bin allein. Der Zug nicht.

14 Uhr 35. Station. Machen wir mal einen Halt. Das Bein müde auf dem Parkett. Tänzel mal hinauf. Die Treppe rollt und rollt. Und wieder Licht. Wieder heiß. Es brennt. Das Haar fackelts ab. Und ich bin kahl. Gedankenwelt.

19 Uhr 20. Der Schlüssel steckt im Schloss und ich dreh ihn um. Wunder mich noch, wie er dahinkam. Sie sitzt da und schaut aus dem Fenster. "Hallo." "Hallo" kommts zurück. Ich geh in mein Zimmer und leg mich aufs Bett. Sie kommt dazu.

Montag. 13. Jänner. Ein anderes Jahr. Es ist aus. Die Wunde klafft am Finger. Und wieder in der Bahn. Kein Zweig mehr. Dafür Deutsch. Der Baum ist kahl. In meinem Kopf rauscht "Junge Römer".

Wenig später: Kontrolle. Hab den Schein vergessen. Muss hinaus. 100er wird fällig. A paar Zerquetschte. Ich zuck die Schulter. "Hab' ich net." "Hab ich doch." Weiß noch nicht. Die Rechnung ist da. Was scherts mich? Werden wir sehen. Die Wohnung kalt und leer. Das Bett. Ein Stuhl. Der Fernseher auf dem Pappkarton. Darin die Alben. Darin die Bücher. Die paar. Und nebenan hört man sie singen.

Mittwoch: Wie vor einem Jahr. Die Tür fällt ins Schloss. Oder ist es schon länger her? Diesmal bin ichs. Vielleicht wirds auch erst bald geschehen.

Donnerstag: Zeitlos. Was ist Zeit? Ich geh und ich fall und ich steh und die Zeit geht irgendwie weiter, aber ich denke nur ich lächle und wenn ich aufhör zu denken, was dann?

Sonntag: Mutter geht immer in die Kirch. Sollte ich wohl auch mal. Meint sie. Schließlich sei das nicht abträglich. Und ein Muss. Aber muss ich denn mit ihr? Ich lass es mir auf der Zunge zergehen und dabei schmilzt mein Kopf. Und dann greif ich sie und zerr sie hinaus. Ne Backpfeife tuts auch. Sie weint. Arme Mama, denke ich mir, wird bald nichts mehr mit der Kirch. Ich sags ihr ins Telefon. Sie weint.

Dienstag. 21. Jänner. Man könnt meinen, das Leben wär zu fabelhaft, um den Moment zu kosten. Denkste. Ich strecke die Zunge raus und koste den Regen. Denke, wie lecker diese Schlammpfütz doch sein müsst, da, zu ihren Füßen. Ich schau an ihr auf und denk mir, hübsche Latern.

Mittwoch. Auf dem Weg zum Schauspielhaus. Denk mir, was gäbs schon zu sehen. Vielleicht gibts ja was. Könnt auch in der Oper stehen. Aufm Programm! Staat oder Volk? Ist doch egal. Was machts schon, ob's Staat oder Volk? Auf den billigen Plätz'. Aber die Schlange ist lang. Und auf die Bühne will ich nicht. Also Schauspielhaus. Dort seh' ich sie wieder. Liest mal wieder. Die Krone baumelt am Baum. Ich hab gezahlt, sag ich laut, man schaut mich an, und ich nehm mir eine.

Donnerstag. Ich schmeiß sie fort. Nichts Gescheits. Dies und das. Und jenes. Jenes interessiert mich besonders. Normalerweise. Ich lese es und schneid es mir aus. Dann hängts im Bad. Am Spiegel. Der sonst immer beschlagen ist. Seltsam. Duschen ohne Ende. 'S Bad wird niemals sauber.

Freitag: Maria-Magdalena. Die Überschrift. Das Bild. Ich küss das Bild und ich küss den Text. Schmeckt nach Tinte. Ich schau mich an, seh aber keinen Fleck. Könnt ja abgebrochen sein, denk ich mir, und man hats mich bedruckt. Aber nein. Verschmitztes Lächeln. Verschwitzt. Weiß und weiß. Was kann ich schon seh'n?

Samstag: Heuer! Heute solls sein! Ich geh hin. Ich klopf. Sie macht auf. Ich klopf auf den Tisch. "Gut siehst aus! Gut hörst dich an." "Danke." Sie sagts nicht, aber ich sehs ihr an. Das rote Cover. Blutüberlaufen. Blutunterströmt. Hübsch. Ich denke an Banana. Greif mir eine. Alles Banane. Essen, Schlingen, weg damit. Leere Schale. Nun ist alles gelb. Die Sonne strahlt in den Kern. Kernforschung. Was betreib ich hier? Sie sitzt da und schaut mich an und auch ich sitz da und schau mich an. Nein. Stopp. Schau sie an. Und ich sage: "Gratulation." "Danke dir."

Sonntag: Jetzt. Als hät' ich Sünden zu bereuen. Sind mir die liebsten. Ich sprech mit dem Pfaffen, ich habe ihn kaum erkannt. Alt ist er geworden. "Gott tut ihnen nicht gut.", sage ich. "Ich weiß.", erwidert er. "Aber steht ihnen gut." "Ihnen auch." Wir lachen, schütteln Hände. "Grüß mir Frau Mama. War schon lange nicht mehr hier." Wir sitzen in einer Bar und bechern eimerweise. Eimer mit Chips und Flips und Knabbereien. Der Whiskey sitzt tief. Der Äppler auch. "Ein Saft wär mir lieber gewesen." "Vergiss den Saft."

Montag, 27. Jänner. Heuer gehts weiter. Ich steig nicht aus. Verfolg sie nicht. Weiter. Ihre Füß' über die Schwelle. Ich seh auf das Schild und geschwind eil' ich hinterher. "Drei-Fünfzig." Ich zahl. Es ist nicht viel. War ja nicht weit. Die Koffer hat sie in der Hand. Die Tasche. Passt viel rein. Würd' gern wissen was. Hab das Gesicht nicht vergessen. Besonders nachts. Wenn ich's vom Bett aus sah. War schön. Schön anzusehen. Das Fenster offen. Die Jalousien auch. Und dann haucht sie einem die Nacht um die Ohren. Stolz stolzer stolziert sie die Ringstraß' entlang. Wohin des Weges, meine Holde? Deine? Sie lacht und entreißt mir das Gepäck. Immer brav zu Fuß. Nimm mich noch einmal in den Arm. Schlingt sich um mich. Wehrlos. Das bin ich. Ich stoß sie weg. Und sage: "Wiederhol es gern." Kuss. Wange. Verflogen.

Mittwoch, 28. Jänner. Gähn. Müd. Dunkel. Immer im Kreis. Auf und ab den Ring. Vielleicht find ich die Hinterlassenschaften. Drecks Köter. Scheiße. Klebts an mir wie sonst auch immer. Jetzt regts mich auf. Die Bahn zischt vorbei. Und das Rad, das klingelt. Und das Radio tönt herüber. Und in meinem Kopf rauscht der Verkehr.

Donnerstag, 29. Jänner. Ganz vergessen.

Sonntag, 1. Jänner. Neujahr. Ich lieg krank im Bett. Kopf schmerzt. Die Flasche neben mir. Ich küsse sie. Aber sie ist tot. Na, nicht tot, aber so leblos. Sie schläft. Und ich habe ihren Rausch geschlafen. Ausgeschlafen. Zieh die Decke weg, und merke, sie liegt gar nicht mehr da. Im Bad rauscht das Wasser.

Sonntag, 2. Jänner. Ich hab mich ausgesperrt. Sie ausgesperrt. Wer ist jetzt der Klügere? Es ist dunkel. Die Rollos sind unten. Und was ich sehe, ist das Licht des Weckers. Und das Licht von der Steckleiste. Könnt sie umlegen. Dann geht auch der Router aus.

Mittwoch. Zeit später. Es ist still. Ich hör sie nicht. Ich seh sie nicht. Ich riech sie nicht. Ich schließ die Augen, schleich ich aus dem Haus. Schleich ich zurück, tu ichs auch. Manchmal geh ich darum herum. Manchmal hinten rein. Das freut sie sehr. Dann sieht sie mich auch. Aber nur erhascht und erahnt. Nichts Essentielles. Ekstase. Mutter ruft an. Sie lästert. Das tut sie gern.

Dienstag: 25. Jänner. Liebes Fräulein. Hab ich zu ihr gesagt. Ich hab ihr wieder was abgenommen. Hab gezahlt. Ehrlich. Hab ich zu ihr gesagt. Dank' schee auch. Torkel heim. Leucht mir den Weg. Doch sie geht aus. Wohin, frag ich sie. Doch sie sagt nur: Nichts. Sie weiß es nicht. Kann sein. Weiß nicht, wann sie wieder kommt.

Mittwoch: Die Ungeduld wächst. Wohin? Das weiß ich auch nicht. Kalt ist's. Es schneit. Die Heizung tot. Ich auch. Kopf leer. Im Bett. Schau aus dem Fenster. Drüben weiß ich -

Freitag: Lange Nacht. Die Bahn ist voll. Die Fliege schlaff. Und der Frack - bekleckert. Teure Sache. Für nichts zu schade. Aber bereuen tu ichs doch. Hät' nicht so lange bleiben sollen. Wär ich auch nicht gegen die Stang' gelaufen. Tut noch immer weh. Das Brett vorm Kopf.

Sonntag: Stelldichein mit Klaus und den anderen. Sie funkelt mir zum Abschied zu. Oder war es ein Willkommen? Wie dem auch sei, hab sie gehalten. Rosiger Körper, rosige Haut. Und so kalt. Ich bin direkt in Flammen aufgegangen.

Spät am Abend: -

Sonntag, spät in der Nacht: Es ist eigentlich schon Montag.

Montag: Das Buch lag da. Confusion. Habs in der "3". Liegen lassen.

Pascal Andernacht

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