07 | Sophia Fritz
Adventszeit
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Türchen
Lars und ich haben heute zusammen unsere Spuren in den Schnee geknirscht. Ich habe ihm gesagt, dass du mir früher immer einen Kalender gemacht hast und ich mir dieses Jahr zum ersten Mal selbst was ausdenken musste.
Die Handschuhe stören, also lasse ich sie irgendwann fallen und hoffe, dass in seiner Halsbeuge kein Tellereisen versteckt ist.
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Türchen
Ich habe heute solange Jonas gegen meinen Bauch gepresst, bis er mir erzählt hat, was ihn wirklich nicht schlafen lässt. Danach wusste ich nicht mehr, was ich sagen sollte. Ich habe ihn noch eine Weile gehalten, aber irgendwann ist er gegangen und ich glaube nicht, dass er wiederkommt.
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Türchen
Der Schnee ist wieder weg, aber seit dir bin ich es gewohnt, auf Dinge, die plötzlich verschwinden, nicht mehr zu reagieren.
Ich war im Club, ich war in seiner Hose, er hat meine Hände weggeschoben und meinte: Eins nach dem anderen. Ich dachte: Einer nach dem anderen, und seitdem du nicht mehr da bist, sind alle nur noch Andere nach dem Einen.
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Türchen
Mein Herz ist eine Lande- und Startbahn ohne Funktower, d.h. ab und zu Nachricht von Paul: Schön, dass ich mich ab und zu in dir ausruhen darf.
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Türchen
Du hast den Zweitschlüssel zu deinem Schrebergarten immer an verschiedenen Orten versteckt und das sagt mehr über dich und das Verhältnis zu deinen Ex-Freundinnen aus, als dir wahrscheinlich lieb wäre.
Ich stand in der Mitte des Raumes und habe vor Enttäuschung angefangen zu heulen, weil ich dachte, dein Lieblingsversteck und ich hätten mehr Gemeinsamkeiten, aber hier ist alles noch genauso ordentlich und aufgeräumt wie vorher.
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Türchen
Gestern Abend habe ich noch einen alten Schuh von dir gefunden, mit Schokolade gefüllt und vor die Tür gestellt. Der Hund hat heute Morgen alles aufgefressen. Jetzt liegen wir zu zweit auf dem Boden und haben eine Wette mit dem Schnee am Laufen, wer von uns dreien am längsten liegenbleiben wird.
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Türchen
Heute hat Daniel mir durch die Trennwand der Unitoiletten erzählt, dass er mein Herz erobern möchte. Ich weiß nicht, wie er sich das vorstellt. Eine ausladende Wüste zu bezwingen, oder mit Ritterrüstung und Helm und Lanze loszustürmen und ein brachliegendes Feld zu finden.
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Türchen
Du hast mich aufgeschraubt wie eine Flasche, du hast deinen Korkenzieher in meinen Schaumstoff gebohrt, wenn du betrunken warst, habe ich dich mein blaues Wunder genannt und du hast den Ausdruck auf die Liste der Klischees gesetzt, mit denen wir uns nicht weiter ruinieren sollten.
Mein Waschbecken fragt manchmal noch nach dir.
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Türchen
Julian kennt mich inzwischen aus allen Perspektiven, ich kenne seine Perspektiven und befinde mich in keiner einzigen davon.
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Türchen
Ich habe Matze heute wieder für deinen Unfall verantwortlich gemacht. Ich habe Angst vor dem Tag, an dem er mir glauben wird.
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Türchen
Ich habe heute an den Türen von Freunden geklingelt, bis einer aufgemacht hat. Ich bin jetzt meistens die, die am längsten irgendwo bleiben will.
Seitdem du nicht mehr mein Zuhause bist, fällt mir der Heimweg schwerer.
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Türchen
Drei Leute haben mir heute erzählt, wie viel ihnen meine Ratschläge in letzter Zeit geholfen haben.
Wie viele Türchen muss ich aus den Angeln heben, bis du mich so sehr hasst, dass du eine Petition gegen mich unterschreibst?
- Türchen
Beinahe hätte ich Oliver gefragt, wie er die Frau vor mir genannt hat. Ich persönlich ändere die Kosenamen der Männer jetzt, als müsste ich mir irgendwas beweisen.
Ich meinte zu ihm, dass es nichts zu sagen hat, wenn ich mir in den letzten Monaten keine Zeit mehr für ihn nehme und dass wir uns deshalb nicht weniger bedeuten.
Aber eigentlich wissen wir beide, dass einer immer mehr Umstände für den anderen eingeht und dass wir seit Jahren noch keine genauere Skala für Liebe gefunden haben.
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Türchen
Als ich bei den Kosenamen bis F durchgekommen bin, habe ich angefangen, zu googeln. Wusstest du, dass der erste Name, der angezeigt wird, ‚Herzblatt‘ ist? Es gibt noch 228 weitere lustige Kosenamen für Männer und Frauen auf www.flirtuniversity.de, also muss ich mir in nächster Zeit keine Sorgen machen.
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Türchen
Marta versucht immer herauszufinden, wie es mir wirklich geht, also habe ich ihr heute gesagt, dass sie zu dick ist und mich nie ganz verstanden hat, bis sie langsam angefangen hat zu weinen.
Du lässt plötzlich Dinge zu, die wir beide mir früher nie hätten durchgehen lassen.
Die Leute sagen, manchmal suchen einen Geister heim, aber die einzige, die noch nach einem Geist sucht, bin ich.
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Türchen
Deine Abwesenheit ist manchmal so präsent, ich würde ihr gerne Biotin-Tabletten geben, damit ihre Haare länger werden und ich sie endlich zu Abendveranstaltungen mitnehmen kann ohne mitleidig angestarrt zu werden.
Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten und bin über das Klofenster nach draußen geklettert. Ich habe mich wie die Protagonistin eines Musikvideos gefühlt, für das ich mich selbst schämen würde, es in meiner Playlist zu haben.
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Türchen
Heute habe ich versucht, Gott mit einem Kissen zu ersticken, dabei weiß ich doch schon von zwei Dingen, die ganz sicher nicht existieren: Gott und sanfte Gewalt.
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Türchen
Tinder, aber für Verletzte. Tinder, aber für Romantiker. Tinder, aber als Kalender. Tinder, bis meine Fehler anfangen, aus mir zu lernen.
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Türchen
Heute bin ich mit einem Mann mitgegangen, auf dessen Jacke fett SECURITY draufstand, weil ich dachte, dass man sich sowieso nicht mehr wünschen kann. Ich war zu müde, um mit ihm zu schlafen, und als ich ein paar Stunden später aufgewacht bin, war er nicht mehr in der Wohnung. Den Stempel für den Club lasse ich mir jetzt immer direkt über den Pulsadern geben.
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Türchen
Anna hat sich heute in der Mittagspause zu mir gesetzt, weil sie sich Sorgen um mich macht. Anna weiß, dass ich mich früher meinen Problemen immer angenommen habe und jetzt selbst von meinen Problem genommen werde, meistens von hinten. Anna weiß nicht, wie sie mir helfen kann.
Ich vermisse deine Unterschrift auf meiner Daseinsberechtigung.
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Türchen
Es gibt einen Kurzbefehl, um mich zu öffnen und die Kombination der Tasten wird immer beliebiger. Ich will dir noch sagen: Ich weiß jetzt, du warst der eine Liebhaber, der mich wirklich lieb gehabt hat.
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Türchen
Weil in zwei Tagen Weihnachten ist, breche ich heute in den Antiquitätenladen ein und klaue eine Landschaft. Mein Leben ist ein eingefrorenes Bild und wenn alle Linien auf dich zulaufen, bist du immer noch meine Fluchtperspektive, selbst wenn du außerhalb des Rahmens liegst.
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Türchen
Ich wollte immer mein Leben in den Griff kriegen aber ich wünschte, ich könnte dich noch einmal mit beiden Händen in den Griff kriegen. Du bist immer noch der Mann meiner Träume und ich würde gerne mal wieder ruhig schlafen.
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Türchen
24 Menschen wie Türen aufgestoßen, 24 mal meinen Fuß im Spalt stehen lassen, aber ich finde noch nicht mal das Kellerfenster zu mir selbst, ich ziehe mich aus Affären und kann nicht aufhören dich mitzuschleifen.
Sophia Fritz
Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen:
advent.mosaikzeitschrift.at
mosaik28 - in Bildern
Die 6e des Musischen Gymnasiums Salzburg hat sich künstlerisch mit der aktuellen mosaik28 auseinandergesetzt. Aufgabenstellung war, sich einen Text aus der Zeitschrift auszusuchen und bildnerisch darauf zu reagieren. Eine Auswahl der dabei entstandenen Werke dürfen wir euch vorstellen. Und weils so schön ist, gibt's für die von euch, die grad keine Printausgabe bei der Hand haben, das PDF kostenlos dazu:
Download mosaik28 (PDF)
1: Nelly Ebert zu ‚Wut‘ von Sophia Fritz
2: Nelly Ebert zu ‚Januar‘ von Stefan Heyer
3: Benedikt Ziegler zu ‚Die sieben Todsünden - Lust‘ von Sophia Fritz
4: Hannah Laznia zu ‚Januar‘ von Stefan Heyer
5: Johanna Gamper zu ‚Hotelstaub‘ von Katharina Wulkow
6: Johanna Gamper zu ‚Der Mantel‘ von Marina Büttner
7: Tobias Hauer zu ‚Friedrichsblau‘ von Svenja Reiner
8: Noah Knapp zu ‚Abschluss‘ von Steffen Kurz
9: Klaudia Sobota zu einem Zitat im Interview mit Versatorium/Helmut Ege („Es entsteht beim Übersetzen ein Text, der vorher nicht da war.“)
mosaik28 – Dass alles immer weitergeht
mosaik28 – Dass alles immer weitergeht
INTRO
Dass alles immer weitergeht, dafür braucht es viele Dinge: Als erstes bedarf es Autor*innen und Künstler*innen, die etwas zu sagen haben und dies auch im Format einer Zeitschrift wie der unseren tun möchten. Dann braucht es Menschen „hinter den Kulissen“, die dafür sorgen, dass die Beiträge gesichtet, diskutiert, ausgewählt, zusammengestellt, korrigiert, grafisch aufbereitet und in ein Gesamtkonzept gebracht werden. Es werden Mails geschrieben, Telefonate geführt, Pläne geschmiedet, zwischendurch verworfen und am Ende doch irgendwie eingehalten. Es braucht Räume, die in diesem Prozess vereinnahmt werden (siehe Kreativraum auf der letzten Seite), Ideen, Ziele, Visionen und auf dem Weg dorthin auch einige Kompromisse.
Es braucht Menschen, die für das Ergebnis brennen, die die Zeitschrift lesen, andere dazu ermutigen, es ihnen gleichzutun. Menschen, die uns auf vielfältigste Weise unterstützen. Und es braucht (in einer Welt wie dieser: natürlich) auch Geld.
Ehrlicherweise muss man sagen: Es braucht verdammt viel Geld. Und es braucht verdammt wenig Geld. Je nachdem, wie man es betrachtet. Wenn man mal ehrlich kalkuliert (siehe Seite 2), merkt man schnell: Eine Zeitschrift wie diese ist kaum bezahlbar. Wir sind vor acht Jahren allerdings mit einer Mission gestartet: Literatur für die, die sonst weniger oder kaum oder keine Literatur in die Hände bekommen. Darum war und ist die Zeitschrift mosaik kostenlos erhältlich.
Wer wissen möchte, wie das möglich ist, kann sich auf Seite 2 die Kalkulation ansehen, die Logos der Fördergeber darunter betrachten und hier im ersten Absatz nachlesen, welche Arbeiten alle unentgeltlich geschehen.
Warum wir das schreiben?
Ob wir Mitleid wollen? Bitte nicht. Wir haben ein unfassbares Privileg, etwas machen zu dürfen, das uns begeistert.
Ob wir Geld wollen? Wenn uns jemand unterstützen möchte, freuen wir uns natürlich sehr. Das ist allerdings kein Spendenaufruf oder Ähnliches. Nicht alles, was einen Wert hat, muss auch einen Preis haben. Es geht uns schlicht um Bewusstseinsbildung. Wir sind nur ein Beispiel von vielen. Neue Zeitschriften entstehen (siehe Seite 69), andere verschwinden, einige begleiten uns weiterhin auf unserem Weg. Wir leben in einer Gesellschaft, die Dinge mit einer Zahl und einem Währungssymbol dahinter verbindet. Diese Zahl für das mosaik einmal aufzuschreiben ist ein erster Schritt in Richtung Transparenz.
euer mosaik
Inhalt
Die alleinige Regie
- Katharina Körting – Großer Bahnhof
- Stefan Heyer – Januar
- Simon Stuhler – Charms
- Konstantin Arnold – Mammon
- Katharina Wulkow – Hotelstaub
Zu zart zum Schlagen
- Marina Büttner – Der Mantel
- Sophia Fritz – Die sieben Totsünden
- Harald Kappel – Bang Bang und das ganz normale Glück
- Mascha Schlubach – Die Mutter
- Sonja Gruber – Kindheit am Bauernhof
Sicherheitsdienstleistungen
- Steffen Kurz – Abschluss
- Johanna Wurzinger – Leumundszeugnis
- Magdalena Sams – Die Insel / Verhagelte Bananen
- Lisa Gollub – Siebensachen
- Marianna Lanz – bienenfleißig
- Svenja Reiner – Friedrichsblau
Kunststrecke von Mark Daniel Prohaska
BABEL – Übersetzungen
- Alexander Estis (Übersetzung) – Pirozhki (anonyme Internetgedichte)
Kolumne
- Peter.W.: Ich habe ein Problem!, Hanuschplatz #15
Zeitschriftenschau
- Felicitas Biller – „Zwischenräume sollen bewohnt werden“
Buchbesprechung
- Lisa-Viktoria Niederberger – Beziehungsstatus: Wertvoll (über: Martin Peichl – Wie man Dinge repariert)
Interview
- Marko Dinić – „Da uns vieles reizt, übersetzen wir alles.“
(Interview mit Helmut Ege vom Versatorium)