freiVERS | Helmut Glatz

Meine Einsamkeit

Jetzt im Herbst hat die Einsamkeit
die Strickweste an und den langen geblümten Rock
Sie schlurft um das Haus und versucht
die Blätter zu dressieren
Sie rascheln schon und machen Männchen im Wind
Ich liebe Menschen die Schatten werfen
für die zwei mal zwei nicht vier ist
sondern fünf minus eins
denke ich während ich am Fenster stehe
und sie beobachte
Es ist meine Einsamkeit da unten jetzt legt sie
den Besen weg und geht die Straße hinunter
Ich hätte sie nicht gehen lassen sollen
jetzt im Spätherbst denke ich
auch zwanzig durch fünf  hätte ich gelten lassen sollen
denke ich während sie die Straße hinunter schlurft
mit ihrem Schatten der immer länger wird

Helmut Glatz

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freiTEXT | Kai Bohnert

Die Fischsuppe

Gestern hat es Fischsuppe gegeben. Heute allerdings ist F. unwohl, und zunächst ist er versucht, es dem Stress zuzuschieben, denn seit geraumer Zeit plagen ihn ins Stocken geratene Geschäfte; dann aber erscheint ihm doch die gestrige Fischsuppe durchaus verdächtig. Morgens begann es in seinem Magen zu gären; gleichsam als flöße Schaum durch die Eingeweide blähte sich sein Bauch auf, stieße man eine Nadel hinein, er würde die Haut an der Oberfläche sogleich von Innen aufreißen und herausquellen, wie bei einem Plüschtier – schnitte man es der Länge nach auf – das Futter. Reglos liegt F. seither im Bett, zwischen Tür und Fenster.

Die Sonne scheint fahl und kalt hinter dem Glas; wo ihr Licht über seine Wangen fließt, färbt es sie blass, wie der Bauch eines Fisches, wenn er leblos auf dem Wasser treibt; F. wäre über diesen Morgen sonst zornig gewesen, nun aber ist er nicht einmal dazu imstande; einmal versucht er sich herum und aus dem Bett zu werfen, gelangt jedoch kaum auf die Seite, fällt stattdessen sogleich am ganzen Leib zuckend auf das Bett zurück, als habe ihn jemand in den kleinen Zeh gezwickt. Danach regt er sich noch weniger, als schon zuvor nicht.

Mit trüben Augen starrt er zur grauen Decke. Warum hat er auch die Fischsuppe essen müssen? Wo doch schon der Anblick des Marktes vor dem Fenster ihm Übelkeit bereitet! Dorthin nämlich war der Bedienstete gegangen, um die Zutaten für die Suppe einzukaufen; was für ein elender Ort dieser Markt ist: Jedermann brüllt, auf Anfrage werden einem die Waren ohne Prüfung in den Korb geschleudert, ja man weiß zuweilen nicht einmal, was man überhaupt eingekauft hat. Und selbst wenn man – allen Erwartungen zum Trotz – doch einmal die richtigen Zutaten erhält, so bleibt doch das größte Übel der Fisch selbst.

Zwar wird er gewissermaßen frisch aus dem Fluss geangelt, aber was bedeutet dies schon im Falle des Flussfisches, dieses armseligsten aller Fische? Sein ganzes Leben hängt er nur in der Strömung – zwischen Oberfläche und Flussbett – herum, sogar die Fischer ermüdet es, ab und an schlafen sie beim Angeln ein; beinahe genügte es schon, wenn man den Eimer nur am Ufer abstellte, der Fisch spränge dann nahezu von selbst hinein. Wenn er nur zum Springen in der Lage gewesen wäre! Wo aber doch nichts lächerlicher erscheint, als ein Flussfisch, der springt!

Aus solchen Fischen hat nun also der Koch die Suppe zubereitet. Und F. sieht ihn im Geiste vor sich, wie er, bei dem Gedanken, diese Suppe nicht selbst essen zu müssen, teils erleichtert, teils schadenfroh lächelt. Zunächst ist F. daher versucht, schlichtweg dem Koch die Schuld zu geben, dann dem Bediensteten, endlich sich selbst, da er immerhin die Suppe, obwohl genau Bescheid wissend, gegessen hat.

„Du bist auch Schuld“, sagt F. bewusst vorwurfsvoll.

Auf dem Stuhl neben der Tür, sitzt an einem Tisch sein Vater; aber er macht ein Gesicht, als sei allein in dieser Ecke Winter. Dann schließt F. die Augen und lehnt sich zurück: Während seiner Kindheit hatten sie am Meer gewohnt. Und jeden Tag war sein Vater zum Fischen hinunter an den Strand gegangen, wo die See schier ohne Ende erscheint. Wenn der Wind Regen und Gischt gegen das Fenster peitschte, starrte F. in den Sturm hinaus. Würde der Vater sicher wieder nach Hause kommen? Schlussendlich tauchte der gelbe Regenmantel vor der Tür auf, er trat ein und schleuderte ein Bündel Fische wortlos auf den Tisch. Dieser Meeresfisch bebte selbst noch in Gefangenschaft, würfe man ihn in einen Eimer Wasser, so schwämme er sogleich herum.

Wie anders hingegen der Flussfisch!

Ob er reglos im Flussbett hängt, ob er im Eimer die graue Wand anstarrt – es ist völlig gleich; ja, vor allem im Eimer bewegt er sich noch weniger, als er es ohnehin schon nicht tut. Wo der Meeresfisch selbst auf dem Schlachtbrett noch vor Leben geradezu strotzt, da trifft einen aus dem trüben Auge des Flussfisches nur dieser – gegen sich selbst mehr als gegen den Fischer gerichtete – vorwurfsvolle Blick.

Schon als Kind hatte F. dies nur allzu gut verstanden.

Er öffnet die Augen – und der Stuhl am Tisch neben der Tür ist leer. Das hat er nun also davon noch in der übelsten Fischsuppe einen Fingerzeig auf das Meer finden zu wollen. Während die aus Meeresfisch zubereitete Suppe durchaus vergangene Geschichten über die Kindheit und noch vergangenere über das Meer zu erzählen vermag, macht diese hier unweigerlich krank. F. kann nicht einmal aus dem Fenster sehen.

Dort draußen angelt soeben ein Fischer einen Fisch aus dem Fluss. Er wirft ihn auf den Tisch, schlägt ihn ein paarmal gegen die Kante und betrachtet ihn dann eingehend, woraufhin sich aber seine Stirn in Falten legt. Schließlich wirft er ihn in hohem Bogen zurück ins Wasser. Der Fisch kommt mit dem bleichen Bauch nach oben zurück an die Oberfläche und leblos auf dem Wasser treibt er davon.

Kai Bohnert

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freiVERS | Samuel Meister

beckett hat sein leben geändert

ein halber kopf
des griechischen Jünglings
schnitt dem halogenleuchter
im museion
die perlentränentröpfchen
vom eingefrorenen kinn
mit heissem marmor

kuchen schnitt mir meine mutter
auf
rosinenpracht
auf vanillegrund
im schokoladenpech

er hielt den mund zum sehen offen denn die dritte muse rasierte sich gerade die linke wade die vierte muse lag im dampfbad die neunte bereitete eine reife ananas zu während die restlichen nach äthiopien in den urlaub fuhren

dies war die erste hälfte
nasenlochabwärts

ein halber kopf
des griechischen Jünglings
zog mit den kranichen ins okawangodelta
an den flügeln des toupés
bimssteinmarmor
und funkelte im sonnenlicht

er hielt die augen zum sprechen offen „grüssgott“ den sechs musen die auf ihren liegestühlen den nil hinaufschifften einen strahl der lieben liebe in die ray-banspiegelung der guten alten lyrik

samuel beckett vergisst immer wieder welche muse den campari mit welchem papierschirmchen trinkt

dies war die zweite hälfte
nasenlochaufwärts
des kopfes

nur sein körper siede stückweise
der grosse zeh zum beispiel
dreht sich gerade auf den spitzen
der fonduegabel baals
im leckeren pechdampf

während die Kopfhälften
im präteritum
erglänzten

Samuel Meister

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Advent-mosaik 2017

24 Tage | 24 Türchen | 24 AutorInnen | 24 mal Literatur.
Dein perfekter Weg durch die Vorweihnachtszeit.

Heuer schon wieder keine Schokolade. Dafür zum sechsten Mal gute Literatur, quer durch. Jeden Tag darfst du auf advent.mosaikzeitschrift.at ein weiteres „Türchen“ aufmachen und Punsch dazu trinken und Schokolade dazu essen.

Damit das funktioniert, brauchen wir aber auch Türchen-Material. Schick uns deine Texte aller Art:

schreib@mosaikzeitschrift.at | Einsendeschluss: 11. November

Inspiration dafür kannst du dir z.B. bei den freiTEXTen, den freiVERSen oder beim letztjährigen Advent-mosaik holen.

Wir freuen uns auf deine Texte!


mosaik24 – Erlebniswelt Heizen

mosaik24 – Erlebniswelt Heizen

Intro

„Heiz ein und zieht euch warm an!“

„Wenn die Leute unsere Texte haben wollen, dann geben wir sie ihnen.“

Christine Haidegger spricht im Interview (S. 62) über die Gründung ihrer Literaturzeitschrift vor vierzig Jahren recht pragmatisch aus, was Beweggrund und Motivation für vieles sein kann: Die Nachfrage. Ein fehlendes Angebot. Ein Vakuum. Doch was, wenn es die Nachfrage nach etwas Bestimmten nicht gibt, nicht geben kann, da niemand weiß, dass etwas existiert, das man begehren kann. Ist das die Aufgabe von Kunst? Nachfragen zu befriedigen, die nie ausgesprochen worden sind?

Solche Fragen und ähnliche haben wir uns in den letzten Monaten regelmäßig gestellt – im Hinblick auf das bisher Erlebte, den status quo und die Ziele, die wir mit dem mosaik hatten und haben. Sind uns noch einmal klarer geworden, warum wir was wie machen. Haben an der einen oder anderen Schraube gedreht um zum Beispiel die Zeitschrift hoffentlich noch interessanter zu machen.

„Wir kleben. Wir lösen uns ab. Wir kleben. Alles, was von uns bleibt, sind unsichtbare Rückstände.“

Martin Peichl vergleicht den Zusammenhalt in einer Beziehung mit einem Post-It (S. 10). Und auch wir fragen uns nicht zum ersten Mal: Was bleibt von unserer Arbeit. Die physische Zeitschrift landet im Altpapier oder zerfällt langsam im Archiv – die achso bleibende und beständige Printpublikation bleibt bei einzelnen Autor*innen in einer Zeile im Lebenslauf bestehen: „Veröffentlichung in diversen Literaturzeitschriften.“

Es sind – wie so oft – nicht zuletzt die persönlichen Kontakte, die motivieren. Die Diskussionen mit Autor*innen und Rezipient*innen, die Unterhaltungen nach Lesungen, die Wertschätzung in den Mail-Konversationen. Ein Wort, das immer häufiger fällt: Dringlichkeit. Manche Texte werden nicht geschrieben, weil sie jemand lesen will, manche müssen einfach raus, auch wenn niemand auf sie wartet. Und bald kann man sich kaum noch vorstellen, wie man jemals ohne sie existieren konnte.

„dies ist kein gedicht über den zu kurz gedachten zusammenhang von sprache und denken. dies ist im besten fall: ein loch im papier, das groß genug ist, um durchzuwollen.“ – Xú Yìn / Lea Schneider (S. 42)

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Inhalt

  • Laurenz Rogi – Wie ich den Osorno bestiegen habe
  • Kerstin Meixner – Die Geschichte meines Vaters, arabische Version
  • Marianna Lanz – hasen
  • Martin Peichl – Entdecker
  • Julia Knaß – fixierungspunkte
  • Safak Saricicek – humanspaghetti
  • Chistian Lange-Hausstein – Wie eine Wespe
  • Robin Krick – Der Schwerfällige
  • Alexander Kerber – Im Hals klafft eine Wunde
  • Nikola Huppertz – schuhe
  • Sebastian Görtz – Industriekultur
  • Slata Roschal – o.T.
  • Illustrationen von Lisa Köstner
NEU: Kunststrecke von Daniela Kasperer
BABEL – Übersetzungen
  • Krista Scözs – am paralizat/sunt un om al exceselor (Aus dem Rumänischen von Yevgeniy Breyger)
  • Julia Grinberg – Paradisischer Fernblick | Zweimal über Phantome (Russisch und Deutsch)
  • Anna Hetzer – Funkhaus Nalepastraße (Ins Italienische von Nicoletta Grillo)
  • Kathrin Bach – Ocker (Ins Italienische von Nicoletta Grillo)
  • Marco Mantello – Dopo l‘ultimo (Aus dem Italienischen von Tobias Roth)
  • Agata Spinelli – Lungo il Freilichtmuseum (Aus dem Italienischen von Tobias Roth)
  • Xú Yìn – 秋访金陵 (aus dem Chinesischen von Lea Schneider)
Kolumnen
  • Peter.W. – Die Brille, Hanuschplatz #12
  • Marko Dinic – Nachts, Lehengrad #4
Buchbesprechung
  • Lisa-Viktoria Niederberger – Ein Ort in den Bergen. Rezension „Tau“ von Thomas Mulitzer (Kremayr & Scheriau)
Interview
  • Papier erbetteln, Manuskripte schmuggeln. Josef Kirchner, Christian Lorenz Müller im Interview mit Christine Haidegger
Kreativraum mit Thomas Mulitzer

freiVERS | Martin Zaglmaier

Inkognito

Wir tauschen Gesichter
mit der Nacht
wir wollen nicht mehr
dieselbe dünne Luft
wie die Anderen atmen

niemand weiß wo
und wer wir sind

Martin Zaglmaier

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freiTEXT | David Hassbach

Ländersex

Aktuell hat man bei uns große Angst vor fremden Einflüssen. Die Furcht etwas könnte aus dem Ausland in unser schönes Österreich reinkommen, sich hier ausbreiten, uns wie ein Virus infizieren oder schleichend unterwandern, ist rasend. Dabei vergisst man allerdings gerne die positiven Aspekte des Kulturimports. Ein paar liegen geblieben Säcke, die im Zuge der Räumungsarbeiten nach der zweiten Türkenbelagerung gefunden wurden, haben zum Beispiel dazu geführt, dass wir in Wien eine ordentliche Kaffeehauskultur entwickeln konnten und nun köstlich, aromatischen Mokka genießen, während man sich in Deutschland damit begnügt Wasser braun zu färben und sich dann auch noch traut, dieses Verbrechen als Kaffee zu bezeichnen. Oder man blicke auf die alten Griechen, die Brutstätte unserer Demokratie. Dank Pythagoras wissen wir wie man eine Hypotenuse berechnet, dank Hippokrates haben die Ärzte einen Eid auf den sie schwören können, dank Sokrates wissen wir, dass wir eigentlich nichts wissen und dank einer gängigen Gesellschaftspraxis unter altgriechischen Männern, wissen wir, dass man den After nicht nur zum Scheißen verwenden kann.  Homosexuelle und sexuell experimentierfreudige Heterosexuelle würden ohne die großen, griechischen Vordenker, vielleicht noch immer ein Nasenloch oder das Ohr für ihre Vergnügungen verwenden. Man merke: Ein offenes Weltbild hat Vorteile – Vor allem im Schlafzimmer.  Die Staatsgrenzen der sexuellen Präferenzlandkarte sind allerdings nicht immer leicht zu ziehen und deshalb sollte man sich gut informieren, bevor man irgendwo am breitgefächerten Ländersexglobus um Asyl ansucht.

Hier ein Überblick:

Rein evolutionstechnisch, macht der Deutsche alles was er beim Kaffee falsch macht, in Punkto Sex richtig. Deutscher Sex ist effizient. Betritt der deutsche Mann gemeinsam mit einer Frau das Schlafzimmer, hat er automatisch eine kruppstahlharte Erektion, begibt sich in Angriffsposition, betreibt das Vorspiel genau so lange, bis die Frau im richtigen Maße feucht ist und dringt anschließend blitzkriegartig in sie ein und bevor ihr Körper überhaupt versteht was passiert, hat sein siegreiches Spermium die Eizelle bereits eingenommen. Es verwundert deshalb nicht, dass Deutschland das bevölkerungsreichste Land auf dem europäischen Kontinent ist.  Die einzige Stellung die für sein Schlafzimmer-Gaudium in Frage kommt, ist natürlich die Missionars-Stellung. Denn was man ordentlich macht, macht man gut. Der ganze Prozess wird auch nicht unnötig in die Länge gezogen. Denn jeder weiß: In der Kürze liegt die Würze. Man soll das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Wer zu spät kommt, den straft das Leben und wem du`s heute kannst besorgen, den schiebe niemals morgen.

Im Gegensatz zum Deutschen ist der Franzose ein Genießer. Liebe geht durch den Magen und deshalb beginnt der wahre Gourmet sein Vorspiel damit, stundenlang zu fressen und literweise Wein zu trinken. Im Anschluss daran ist eine Erektion oft nur schwer möglich. Deshalb bedient sich der französische Mann zweier, besonderer Techniken. In seltenen Fällen benutzt er für ein knuspriges Schäferstündchen ein altes Baguette als Penisprothese. Historiker berichten auch vom Einsatz abweichender Teigprodukte. So soll der Sonnenkönig Ludwig XIV gerne ein Eclair als Schwanzersatz verwendet haben. Von ihm stammt auch der vielmals falsch zitierte Ausspruch: >> L’Eclair, c’est moi <<, also, >> Das Eclair, bin ich! <<
Im Allgemeinen haben sich Sprachwissenschaftler darauf geeinigt, den Einsatz von Backwaren zur sexuellen Stimulation, mit dem Fachterminus „Ejaculatio-Brot-Cock“ zu belegen. Viel öfter als ein Baguette, benutzt der Franzose zur Befriedigung seines Partners allerdings seinen Mund. Oralsex hat sich als gängige Praxis im Land der Liebe durchgesetzt. Über die Jahrhunderte haben sich die Franzosen so sehr an den Geschmack gewöhnt, dass es auch nicht verwundert, dass es sich beim französischen Nationalgericht – der Bouillabaisse – um eine Fischsuppe handelt.

Ganz in IKEA-Do-it-yourself-Manier, spannen sich die Schweden gerne den AllzweckInbusschlüssel zwischen die Finger und schrauben sich ihren Orgasmus mit der Hand zusammen. Die wodka-trunkenen Russen treffen nur mehr zwischen die Schenkel, die Inder verrenken ihre yogageübten Körper durchs Kamasutra, die Spanier nennen den Busensex ihr eigen und wer beim Ficken auf die härtere Gangart steht und dabei dennoch höflich bleiben will, ist mit englischem Sex gut beraten.

Dennoch ist immer wieder die wahrlich bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit der Menschheit hervorzuheben. Not macht erfinderisch und deshalb bevorzugt der italienische Mann, der traditionell noch immer bei seiner Mama wohnt und aus diesem Grund nur wenig Raum in seinem Kinderzimmer hat, den platzsparenden Sex unter die Achsel. Auch die Abneigung der Italiener gegen Deodorant, gepaart mit dem südlichen Klima, erweist sich in diesem Kontext, als gleitmitteltechnische Goldgrube.  Nach einem Urlaub in Lignano und einigen verschwitzten Achselnächten, weiß man, nicht umsonst gehörte Italien, Mitte des 20 Jahrhunderts, zu den sogenannten Achselmächten.

Aber was zeichnet uns Österreicher aus? Was ist typisch österreichischer Sex? Der klassische Österreicher geht aus, betrinkt sich, sieht eine wunderhübsche Frau, spricht sie nicht an, kommt nach Hause, masturbiert und denkt sich dabei: Also wenn ich gewollt hätte, die hätte ich haben können.  Österreichischer Sex ist Sex im Konjunktiv. Wir sind ein Volk der Musiker, Dichter und Denker. Deshalb spielt sich bei uns das Vergnügen im Kopf ab.

Damit sollten wir aber nicht zwingend hinter den Bergen bleiben, die uns umgeben. Wir müssen raus in die Welt, rund um den Globus, bis nach China müssen wir unsere Weisheit exportieren und ich schwöre binnen kürzester Zeit, wäre das Problem der Überbevölkerung weltweit gelöst.

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Professor Hassbach

David Hassbach

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freiTEXT | Christian Lange-Hausstein

Wenn ein Plan funktioniert

Ich kann außerhalb unserer Sitzungen halt nur mit niemandem darüber reden. Das ist das, was es schade macht. Es gibt nur die wenigen Tagebucheinträge, ich habe sie nicht einmal verschlagwortet, deshalb muss mein Biograph, aber das ist auch erst, wenn ich schon tot bin, deshalb muss mein Biograph da auch erstmal draufkommen, also in welchem Zusammenhang diese Tagebucheinträge stehen. Da steht ja nirgendwo Volksbühne oder Lederer oder, wie heißt sie, die kleine Maus, die jetzt einen auf Sprecherin mit großgeschriebenem "I" macht, als wäre sie keine Frau – die Deutschen sind wirklich krass – mit ihrem devoten Schmusi da neben sich, das konnte ich ja damals, als das Konzept entstand, da war ich fünfundzwanzig, sowas in dem Dreh, da konnte ich das doch nicht wissen, dass das jetzt genau dieser Lederer ist und diese Maus und ihr Schmusi. Damals war nur abstrakt klar, wenn man etwas Neues haben will, dann muss es einen Knall geben, die Leute sind zu faul, um sich einzubringen, wenn alles schon irgendwie okay ist. Alles irgendwie schon okay, das akzeptieren die, da lehnt sich keiner gegen auf.

Ich meine. Also mir tut das ja auch leid. Schauspieler entlassen, Bühnenpersonal. Das sind ja Existenzen, die da dranhängen. Nicht nur materiell, auch ideell, die haben sich ja alle miteinander und mit ihrer Intendanz identifiziert. Das war ja gewachsen. Da zerstören sie ganze Leben, wenn sie die entlassen, ganze Familien. Die eine hat ihren Mann verloren, meine Assistentin hat mir davon berichtet. Die hätte jetzt ein Engagement in Bochum haben können und da hat der Mann gesagt, sowas macht er nicht, der Sohn kommt in einem halben Jahr in die Schule, da kann man auch nicht nochmal die Kita wechseln und dann ist es doch besser, konsequent zu sein. Und buff. Da war er draußen, ein Kunstsammler, im Brotberuf Radiologe. Der hatte natürlich auch einen guten Anwalt- wegen dem Sohn. Und verheiratet waren sie auch nicht, sondern immer so so-ein-Behördenakt-macht-meine-Liebe-auch-nicht-echter-mäßig. Schauspielerin und Kunstsammler in Mitte halt. Und dann hat das mit dem Engagement in Bochum doch nicht geklappt und dann stand sie da. Da schlucken sie natürlich, wenn sie von so einem Schicksal hören. Da bekommen sie auch Zweifel. Da muss man dann schon auch nochmal, how do you say, tief in die Argumentenkiste greifen, damit man da nicht schwach wird und sagt Hey, ihr seid alle Teil einer Inszenierung, sondern dichthält und weitermacht. Aber im Ernst, wenn du schon Künstler sein willst, dann kannst du dich nicht mit so lapidaren Fragen wie deiner Existenz aufhalten. Ich meine. Bis zur Selbstverleugnung.

Ich leide ja auch. Dieser silberne Bart. Dieser Künstlerschal. Jeden Morgen dieser Scheitel, meinen sie, der sieht von allein so dynamisch geworfen aus? Verzeihen sie die Frage, das ist übergriffig, beim Recap unserer letzten Sitzung ist mir aufgefallen, dass ich das öfter mache, ich will das verbessern. Aber wirklich: Haben sie das Interview mit mir bei Kulturzeit in 3sat gesehen? Können sie sich vorstellen, sowas zu sagen und dann nicht zu sagen, Hey, nur ein Spaß, haha, sondern mit "Ich danke ihnen" das Gespräch zu beenden und dann denken die Zuschauer das alle. Kamera aus, die Moderatorin macht einfach mit Flüchtlingskrise weiter, die Leute schalten ab und denken, der Typ macht da jetzt echt einen auf Disney Land, Dance Performance, ich meine, schon das Wort, Dance Performance.

Jedenfalls von den Lebenden, die zwischen jetzt und dem Aufschrei meines Biographen, wenn er die Erkenntnis hat, sterben, von diesen Lebenden wird niemals einer erfahren, dass das eine Installation ist, dass diese Inszenierung einem Plan folgt, dass ich mit alledem die Bande links und rechts auf dem Lebensweg der sogenannten Bevölkerung so sehr verengen will, dass die, wie heißen die Mitglieder von einem Volk auf Deutsch, jedenfalls dass die Menschen wieder in Fahrt kommen, das Heft selbst in die Hand nehmen, aufstehen, besetzen, eigene Spielpläne erstellen, an sich selbst, an den Mitgliedern ihrer Gruppe lernen, wie schwer es ist, in Abstimmungsprozessen zu bestehen, sich auf Stücke zu einigen, Schauspieler zu finden, die allen entsprechen, ein Bühnenbild zu bauen, den Vertrieb unter Gästen zu organisieren, die kein Geld haben und den Beteiligten irgendwann doch etwas zu zahlen, damit sie sich konzentrieren können, darauf Kunst zu machen, die aus dem Volk heraus, dem Volk das lahm geworden ist, auf die Bühne gekotzt wird, als Abwehrreaktion, bevor das Schlimmste passiert, rosa, Glitzer, Musical, und zwar ernst gemeint.

Das alles abzuwenden wird sie Kraft kosten, man wird den Schweiß riechen, die Hitze der Scheinwerfer wird ihn in den Zuschauerraum tragen. Und dann: Man konsolidiert sich, alles wird bleiben, wie es war, bis ich kam und den Leuten zeigte, dass sie es so wollen, und sie werden nicht mehr müde sein, sondern voller Eifer mit sich selbst und dem Erhalt dessen, was sie immer schon hatten und aufs Neue lieb gewonnen haben, so sehr beschäftigt sein, dass sie die einsame Stimme des FAZ-Feuilletonisten, der geleitet von dem Motiv, dem ganzen Klamauk etwas entgegenzusetzen, darauf kommt, dass man mir doch Danke sagen müsste, sie werden diese Stimme überlesen, ich werde nirgendwo twittern, dass ich es liebe, wenn ein Plan funktioniert und irgendwo zwischen unendlichem Glück, dass mein Plan funktioniert und dem Hass der Welt, die doch meine ist, die Welt der Kunst, die mich verachten muss, dort werde ich verweilen, verlassen von denen, die mich auf der letzten Stufe der Umsetzung meines Plans gegen sich ausgetauscht haben, werde ruhiger werden, ein bisschen traurig sein, und froh.

Christian Lange-Hausstein

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freiVERS | Nina Beer

Kohle, Glas

Nimm das Stück Kohle
und ziehe
eine Zäsur entlang der Stirn
teile mir Brauen und Augen,
die nicht mehr sehen ohne zu erinnern
teile den Mund,
der nicht mehr spricht ohne zu richten
teile die Schatten entlang feiner Linien
hinab, hinab;
Nimm das Stück Glas

Nina Beer

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freiTEXT | Katherina Braschel

fragment.

An erleuchteten Fenstern in dunklen Gassen steht ein Mensch und rührt in Tassen, die aus bleihaltiger Tonerde geformt, durchsichtig sind.
Er gießt die Topfpflanze vor seinem Fensterbrett mit Fäden seines Speichels, die er aus Taschen zieht, welche außen angenäht, falsch wirken.
Mit gleitenden Bewegungen seiner geschärften Fingerkuppen kratzt er Windmühlen in sein Fensterglas. Der Wind pfeift durch sie hindurch. Moll. Fis.
Es geht die Legende, der Mensch fresse Kinder. Und als Kinderersatz, weil diese so schwer zu kriegen sind, lässt er sich Kinderattrappen aus Kaugummi anfertigen. Kleine, süße Kirschen sind die Augen, welche er, so sagt man, mit einem Zeh belegt.
Der Mensch am Fenster hat seine Zähne verloren. Er wollte ein Mosaik legen und die gelblich-weißen Eckchen mit Rostlöser fluten. So weit kam es aber nie, denn mitten in seinem Schneidezahn fand er kleine Käferlarven, welche ihn so zum Nachdenken brachten, dass er auf Tage vergaß, an etwas anderes zu denken. Als die Larven geschlüpft und in seine Ohrmuschel eingezogen waren, kehrte er mit seiner Schaufelhand die restlichen Zahnecken unterm Teppich hervor und streute sie wie Oregano über seinen Bauchnabel. Dort wachen sie über seinen Schlaf, den er gewissenhaft um 13:52 einzunehmen pflegt. Der Mensch schläft mit der gleichen tonlosen Konzentration, mit der er täglich die Zeitung zerschneidet. Von links unten bis rechts oben braucht es genau neun dunkelgrüne Blutstropfen, die mit einem leichten Knarren auf den Griff der Heckenschere fallen, wenn der Mensch zum nächsten Schnitt ansetzt. Das Grün des Blutes vermischt sich mit der Druckerfarbe der Zeitung und färbt seinen Morgenkaffee petrol. Mit dem Auge eines alten Teddybärs, das der Mensch vor langer Zeit im Körper einer toten Bettwanze fand, schabt er den Kaffeesud aus der Tasse und in seinen Schritt. Und wenn er nun an den Fenstern in den dunklen Gassen steht und rührt, zieht er manchmal ein kaffeesudgebräuntes Schamhaar zwischen seinen Beinen hervor und pflanzt es in seine Topfpflanze. Dort formt es mit seinen Vorgänger_Innen ein drahtig-weiches Bett für die langen Speichelfäden aus den Taschen.
Der Mensch bohrt seinen Ringfinger in die Taschen, bis er seine zernarbten Knie fühlt, an die er Christbaumkugeln gehängt hat. Den Glitzerstaub, der eine Schneelandschaft darstellen sollte, hat er vorher abgeleckt und unter seinen Zehennägeln verstaut, wo der Mensch auch einen Vorrat an Antipasti aufbewahrt.

Katherina Braschel

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