12 | Unda Maris

Tremendo furioso

 

oder Wie mir der Singsang einmal tief ins Hirn hinein blies

 

Unda Maris

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11 | Verena Ullmann

FortuneTeller

Du glaubst nicht an Zufälle, du glaubst an das Schicksal. Er findet das lächerlich. Noch nicht einmal sein Horoskop darfst du ihm vorlesen. Natürlich bist du nicht so naiv, das alles wörtlich zu nehmen. Sonst hättest du, die Jungfrau, ihn, den Fisch gleich wieder abgewimmelt. Das wäre schade gewesen, denn inzwischen habt ihr es euch so schön eingerichtet in eurem Aquarium.
Klug wie du bist, liest du das Horoskop vielmehr wie einen Wetterbericht. Da die Wolken nun mal ihre Launen haben, geht es vor allem darum, draußen die Augen offen zu halten.

Heute schenkt dir der Chinese mit der Rechnung einen Glückskeks. Nicht rein zufällig, nein. Wie du an seinem Lächeln siehst und an dem kleinen Zwinkern des Schicksals in seinen Augen, ist dieser nur für dich bestimmt und verspricht dir – schwarz auf weiß – Reichtum.

Erst fragst du dich, ob du gleich beim Kiosk vorne einen Lottoschein ausfüllen sollst. Aber das wäre zu einfach und leichtsinnig unverschämt dieser rätselhaften Macht gegenüber. Als du aus dem Restaurant spazierst, verdunkelt sich plötzlich der Himmel und vertreibt die Freude aus deinem Gesicht. Was wenn du erbst? Wenn jemand stirbt? Oma? Dein Vater? Du wirfst den Streifen Papier mit deinen negativen Gedanken in den nächsten Mülleimer, bevor das Schicksal sie bemerkt.

An der Ecke vor der Bushaltestelle zieht schließlich etwas deinen Blick auf sich. Ein Pappkarton. Er ist schon aufgeweicht, der Krempel darin lieblos durchgewühlt und laut Zettel „zu verschenken“. Unter dem Plüschhund und dem Kabel eines wohl nicht mehr funktionstüchtigen Geräts schimmern Blümchen hervor. Sie tanzen im Kreis und spielen mit den Flocken, die gerade wieder anfangen vom Himmel zu fallen. Deine Augen hängen an den Goldrändern, aber du weißt, der Bus kommt gleich und außerdem beginnt der Schnee zu nerven. Du willst den Strauß pflücken und merkst dabei: darunter sind noch mehr davon, ein ganzer Stapel Kostbarkeiten! Darum ein Gummiband gewickelt, lächerlich instabil. Also gräbst du sie mitsamt den Wurzeln aus, um sie nicht zu trennen. Auf der Busfahrt scheppern sie ein leises „Danke“ und du erkennst, wie wunderschön sie sind.

Zuhause fragst du dich, wohin damit? Das Regal in der Küche ist voll mit Schlichtheit in Scheiben. Und dein Fisch wird dich sowieso fragen, was du da wieder für einen Kitsch angeschleppt hast. Also pflanzt du sie erst einmal auf den Esstisch, dort wo die Sonne Platz nimmt, wenn sie denn heute noch vorbeischaut, und fragst dich, was sie wohl wert sind. Auf der Unterseite des Tellerstapels steht in feiner Schrift „Versailles“ und innerlich triumphierst du schon, als wärst du rechtmäßige Erbin von Marie-Antoinettes Kuchenservice, so unwahrscheinlich dies auch sein mag.

Es hat aufgehört zu regnen und du trägst deinen neuen Schatz, bevor dein Fisch nach Hause kommt, zum Antiquar auf der anderen Straßenseite. Du hast dir extra fusselfreie Handschuhe angezogen und deine Hände darin zittern so vor Aufregung, dass du Angst hast, all die Blumenpracht auf den vier Metern Straße zu zerschmettern. Du setzt sie auf der Theke ab. Der
alte Mann mit der Brille macht nur leider all deine Vorsicht sofort zunichte: er grabscht sich das oberste Exemplar, lässt Licht darauf prallen und kratzt mit seinem Fingernagel sogar an der Oberfläche der Blütenblätter. Für die geheimnisvolle Inschrift hat er nur ein Stirnrunzeln übrig, dem ein abschätziges Lächeln folgt. Dann verschwindet er wortlos in den Nebenraum. Mit so einer Unverschämtheit hast du an deinem Glückstag nicht gerechnet. Deine Aufregung schlägt in Wut um und du bist kurz davor zu gehen, bevor du überhaupt seine Meinung gehört hast. Allein wie inkompetent er sie begutachtet hat! Wie soll er so ihren wahren Wert erkennen?

Da erblickst du, zwischen Theke und Tür, ein Glitzern. Die Sonne ist zurück und spielt auf der Klinge eines Dolches, der in einer offenen Schatulle ruht, als wolle sie dir ein Zeichen geben. Als der Mann zurückkommt, hast du den verzierten Griff schon fest in deiner rechten Hand hinter deinem Rücken. Wie erwartet erklärt er, dass er dir für den wertlosen Krempel kein Geld geben kann. Da musst du ihm natürlich widersprechen. Mit der Spitze des Dolches kratzt du an seiner Kehle und er legt dir, mit einer Behutsamkeit, die du ihm nicht zugetraut hast, den Kasseninhalt auf die Theke. Etwas über Zweihundert Euro sind es nur.

Unter Reichtum hast du dir etwas anderes vorgestellt, aber für Diskussionen bleibt keine Zeit und leider hast du keine Tasche bei dir, um weitere Kostbarkeiten einzupacken. Also greifst du das Geld mit deinen Handschuhen, lässt den Dolch fallen, die Teller stehen, rennst nach draußen und traust dich erst wieder in dein Aquarium zurück, als es erneut zu schneien beginnt. Dass zwischen dem dritten und dem vierten Teller, dem vierten und dem fünften, sowie dem fünften und dem sechsten weitere Geldscheine eingeklemmt waren, insgesamt weitaus mehr als zweihundert Euro, das wirst du erst von den Polizeibeamten erfahren, die – zusammen mit deinem zappeligen Fisch – schon am Esstisch auf dich warten.

Verena Ullmann

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10 | Johanna Beck

Souterrain

Er hat seinen Keller recht gut vermieten können, sagt der Grubinger.

Ah geh, wirklich! Wir haben ja nicht mal die Ski mehr dort unten, die Stahlkanten sind bei der Feuchtigkeit doch immer verrostet.

Die scheinen nie auszugehen, diese Leut´, arbeiten wohl nichts, immer brennt eine Funsel. Aber man sieht ja nicht hinein, die zerbrochnen Scheiben haben sie mit Zeitungen ausgestopft und verklebt.

Nimm doch noch eine Wurst, Franz!

Die Frau ist schwanger, schon ganz zuletzt, sagt der Grubinger.

S´ist wohl schon da, die Hausbesorgerin hat gestern g´schimpft, dass sie zu Mittag nicht schlafen kann, weil es schreit so, das schwarze Kleine.

Magst nicht noch eine Wurst, Franz?

Johanna Beck

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09 | Andrea Nagy

Fortschritt

Selbst ist die Bedienung
der Bedürfnisse wenn diese
schwach in der Wahrnehmung
hart in allen Devisen
versehen mit blinden Bandagen
aber ohne Diesel bitte

Das geht so nicht
das rechnet sich nicht
das geht sich nicht aus
nicht aus aus aus

Aber ohne Bedürfnisse sind wir
aber ohne Bedienung brauchen wir
aber wir haben doch
aber wir sind ja
doch immer
allein

Andrea Nagy

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08 | Seitenstechen - Zwei Collagen

Je ein Satz aus jedem Beitrag der Literaturzeitschrift Seitenstechen #1 & Seitenstechen #2 – zufällig ausgewählt, sinnig aneinandergereiht, einen neuen Text ergebend:

 

#1: Seefahren macht besser

Madam kocht schlechtes Essen, Sami spielt Klavier, mit den Kavalieren tanzen wir, da an der Nordsee nicht viel passiert, haben wir drei Mal Sex am Tag. Blow, boys, blow … Knut schwingt den Fang an Bord. Auch er trägt einen Bart. Er schwenkte einen Bananensack in der Hand. Er rief seine Gefährten und zeigte nach dem Baum. Die Matrosen, klein wie Miniaturfiguren, laufen über die Hängebrücke an Land. Einige nackte Männer und Sonnenschein, ein Hundebellen, ein landendes Flugzeug. Der Mond geht auf und unter und an Deck pennt die Wache. Die Wehrmacht zog sich von der Küste zurück.

Danach segelten wir wieder auf das Kap der Guten Hoffnung zu, denn wir waren davongesegelt wohl tausend und vierhundert Meilen.

Wir sind doch unterwegs, es heißt »Wir«, schon richtig! Mein Kompass schlug aus. Die Nordsee vor mir wird lebendig. Im Licht der Ägäis versinkt die Britannic. Die Schreie des Sturms sind zu hören, sonst ist es still an Bord. Das Schweigen dauerte. Wenn der Kopf in den Korb fällt, ins blutgetränkte Stroh. Manchmal holt er das Boot aus dem Versteck: Wir steigen aus.

Und wie der stürmende Wind in die trockene Spreu auf der Tenne ungestüm fährt und im Wirbel sie hiehin und dorthin zerstreuet, also zerstreute die Flut ihm die Balken.

Da schlug uns der Wind wieder in die See, da rauft sich der Schiffsmann und schrie. Und mit einem krampfhaften Schauder und geschlossenen Augen hielt ich ihm endlich die verbleibenden Splitter hin. Aber er hat ja den Wind und der weht ihm lindernd ins wettergegerbte Gesicht. Diese Erkenntnis ließ sie wieder ein wenig die Fassung erlangen. Auch sie muss ich verlassen, denn es treibt mich, treibt mich weiter. Ein weiteres Fässchen im Fernrohr, und ich wäre gerettet!
Mit mächtigen Gliedern ein dämmriges Grün. Starr von Salz.

Mit: Akkordeon // Artmann // Burgholzer // Dürer // Fock // Glatz // Hartge // Heckmann // Heym // Hielscher // Homer // Jeschke // Jona // Kern // Klabund // Kramer // Krautwurst // Krömer // Patten // Poe // Rathenow // Ringelnatz // Roth // Rubey // Said // Schloyer // Schwandt // Springer // Tennyson // Wawerzinek // Wigfall

 

#2 Dunkle Energie

Was sollte ich denn erzählen? Der denkende Mensch dichtet sich die Zeilen zusammen.

Genießt das Hiersein in der einzig feuerfesten Zone. Verbrennt man ein Korn Weihrauch, so wird sich ein wenig Rauch bilden. Quanteneuphorie zerbirst zu Feuerwerken. Purpurnen Rauch, wir inhalierten ihn. Mir kam es vor, als hüllte uns eine Wolke ein, leuchtend, dicht, fest und glatt, fast wie Diamant, auf den die Sonne fällt. Sonne, von der alles herrührt.

Er begegnet Menschen, er spricht mit ihnen, er liebt sie. Zulassen wird es auch, dass etwas anderes in ihm ist oder geschieht. Alles von dir hergeben, nie fragen, das Monster sein, vor dem du jeden warntest. Das Ziehen des Hungers dehnt die Därme. Ein wechselvolles Schicksal hat er hinter sich, und man kann durchaus nicht sagen, dass er nun tot sei. Die Zombies, denen wir begegneten, grüßten freundlich, wie wir trugen sie weiße Helme.

Let us honour the atom, so lively, so wise and so small. Wenn nun aber schlechthin alles die Möglichkeit hat, nicht zu sein, so war auch einmal nichts. Daher nannten sie, in der Überzeugung, dass der erste Körper etwas anderes sei als Erde, Feuer, Luft und Wasser, den höchsten Ort »Äther«. Unsere Welt würde so als eine Welt verstanden werden, in der etwas wirklich passiert.

Geschehen und angesiebt nicht, dicht, dimmend, stark. Tiefer immer tiefer sprengt mich das Dunkel. Aus dem Rumpf eines Traumes jedoch strömt in langen Wellen das Licht erloschener Sonnen, ein Reflektieren bricht aus dem nachtschwarzen Käfig. Dennoch weiß ich nicht, wie sein in diesen Räumen erfüllt von Gegenlicht. Ziellos trieb die Erde durch die Galaxis.

In der ursprünglichen Einheit des ersten Dinges liegt die Ursache aller Dinge, mit der Anlage zu ihrer unvermeidlichen Vernichtung. Die Treppe bricht ab, alle fallen. Sie gingen ein wie Primeln. Kurz, verschont war niemand, when the fire alarm three blocks further ticked off that evening yet again. Haben wir also mit Recht von einem Himmel gesprochen oder war es richtiger, von vielen und unendlichen zu reden?

Existenz ist schon ein bedeutsamer Hut! Sie hat gründliche Arbeit geleistet, seht euch nur dieses zerknüllte Märchen an, das war unsere Geschichte. Wiederum hat Gott sich erübrigt.

Mit: Aquin // Aristoteles // Arnold // Brandt // Byron // Chobot // Dante // Draesner // Ecker // Einstein // Falberg // Frings // Galilei // Görlach // Grünbein // Hartge // Holbein // Jørgensen // Kappel // Kienitz // Kraft // Lemaître // Lukrez // Maxwell // Piekar // Platon // Poe // Schrott // Solaris // Stachler // Steigenberger // Trunschke // Woelk

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Seitenstechen

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07 | Sebastian Sauer

Killer.

6 Uhr. Busfahrt durch die Eifel. Das klingt so friedlich. Wir haben die Gewehre auf der Schulterstütze zwischen die Beine gestellt. Ein Kamerad sinkt fast mit der Stirn auf die Mündung, schreckt kurz auf, lehnt sich ans Fenster, pennt dort ein. Der Bus, eine surreale Blechbüchse, schwebt für mich irgendwo im Nirvana, zeitlos hoffentlich, Ankunft bis auf weiteres gecancelled. Hier auf dem staubigen Sitz könnte ich ewig vor mich hindämmern, während draußen Unmengen deutschen Mischwalds vorüberziehen.

Stattdessen Aufruhr im Hippocampus. Unwillkürlicher Gedankensprung. Sie sehen nun, was zuvor geschah: Vor mir erstreckt sich grell erleuchtet die rudimentäre Darstellung eines langen Kiesbetts. „5 Schuss, Feuer frei.“ Das prozedurale Gedächtnis übernimmt. Waffe ziehen, Kimme und Korn in eine Linie bringen, Augen aufs Korn scharfstellen, das Ziel verschwimmt zum formlosen Klecks auf der Netzhaut, Druckpunkt suchen, ausatmen, einatmen, abkrümmen (d. h. Peng!). In der freien Wirtschaft bezahlen Leute viel Geld für diese Ausbildung sagen sie. „Übung, Ende.“ Dann Auswertung: „Besonders gut war der Funker Sarras. Dreimal genau ins Schwarze.“ Warmes Bauchgefühl. Verlegenes Lächeln.

In der sehr realistisch dargestellten Eifel hat die Blechbüchse aufgesetzt, auf dem Boden der Tatsachen möchte man fast sagen, es dann aber doch lieber verdrängen. Stimmen werden laut. „Absitzen“ und „Dritter Zug, in Linie antreten.“ Als erstes Pistolenschießen. Bevor es losgeht ein bisschen Schikane: „Funker Marscheider, nennen Sie mir mal die technischen Daten der P8.“ „Äh…“ „Dritter Zug in den Liegestütz fallen! Eins, Zwo…“ Marscheider ist um seine Nachlässigkeit zu beneiden. Ich werde die technischen Daten der Pistole Modell P8 nie vergessen können: Kaliber 9mm, 15 Schuss, 750 Gramm ungeladen, 985 Gramm geladen, Mündungsgeschwindigkeit 360 Meter pro Sekunde, maximale Kampfentfernung 50 Meter. Das ist mein Mantra, während sich vor mir der sandige Boden hebt und senkt. Habe aufgehört zu zählen, für einen endlosen Moment schwebe ich als staubiger Bus durch die Eifel und sorge mich nur um die Popel unter den Sitzen. Es ist ein schönes Leben.

„Zwanzig!“ Alles wieder auf. Das Kiesbett rückt näher. Fünfzehn Meter davor stopfe ich mir auf das Kommando „Gehörschutz!“ die grünen Schaumstoffstöpsel tief in den Gehörgang. Alles wird dumpf. Irgendeiner reißt einen nervösen Witz. Ich kann das Lachen nur sehen, lache wahrscheinlich selbst mit, so genau hört man das nicht. Dann Übungsbeginn. Die ersten Schüsse sind nur ein Vibrieren in den Hoden. Grinsend kehrt der Schütze zurück, hält prahlend Finger in die Luft. Marscheider ausgerechnet, Dumm trifft gut. Ich sehe allgemeines Gelächter. Habe ich das laut gesagt?

Kameraden munitionieren auf, munitionieren ab, treten vor, reihen sich ein. Rücken um Rücken verschwindet, bis vor mir nur noch Kies in Sicht ist. Feuchter, matter, vor allem wirklicher Kies. Der Obergefreite übergibt mir fünf Schuss, schaut dann spöttisch dabei zu wie ich sie betont ruhig ins Magazin drücke.

-Are those… live rounds?

-Nine millimeter. Full metal jacket.

Der Hippocampus meldet sich zurück. Gedankensprung. Zwei Wochen zuvor: „Ich gelobe bla bla, treu zu dienen bla bla zu verteidigen. Zu verteidigen.“, höre ich mich sagen und sehe mich jetzt mit der Aufgabe betraut, zu verteidigen: die freiheitlich demokratische Grundordnung gegen einen Pappkameraden. Das sollte zu machen sein. Zu Hause im Bad ging es doch auch. Vorm Spiegel, mit der Ein-Kilo-Hantel, etwa so schwer wie die geladene P8, in den Händen. Alles ruhig, keine besonderen Vorkommnisse, Herr Feldwebel.  Und jetzt? Die Angst des Schützen beim Elfmeter: Man könnte einen treffen.  Neben mir spüre ich wie der Feldwebel etwas fragt. -Why did you join my beloved corps, Private?

-Sir, to kill, sir.

-So you’re a killer?

-Sir...

„Erst auf harte Kerle machen und jetzt geht Ihnen der Stift? Und solche Leute sollen wir nach Afghanistan schicken?“ Wenn ich mich um 90 Grad nach links drehe und „abkrümme“ ist der Feldwebel futsch. Das folgt schon rein physikalisch/biologisch. Ich habe keine Angst vor Afghanistan, die hat mir die Anne Will-Gesprächsrunde vom 20.05. genommen. Afghanistan ist auch so weit weg. Ich habe Angst vor 90 Grad nach links. Man könnte einen treffen.

Sebastian Sauer

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06 | Andy Haider

Weihnachtn auf Gut Aidabichl?

„Weihnachten auf Gut Aiderbichl“
haums im Fernsehn,
am vierazwanzigstn auf d'Nocht.

Owa, denk ma i,
waun ma schau de Geburt
vo an kloan Buam feian,
der unta ormsöligste Vahötnisse
aufd Wöd kemma is,
und der glei noch da Geburt
hod flüchtn miassn,
noch Ägyptn,
damit eam da Herodes net okraglt;

tat do net eigantlich
„Weihnachten in Traiskirchen“
bessa passn?

Andy Haider

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05 | Dennis Hannemann

Tapete

Kerzenlicht die Tapete glänzt türkis
tropfender Zapfhahn abgegriffenes Holz
Bestellungen treiben den Kellner vor zurück
ich höre das Pochen der angehaltenen Zeit
ich sehe die Risse im weißen Fensterrahmen
ich will es öffnen stechender Schweißgeruch
von irgendwo Tattoos Gespräche kippen
Diesseitsbucht der eine steht wie ein Fels

Dennis Hannemann

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04 | Luca Manuel Kieser

nimm den Job
oder das Blut das in den Ohren am schönsten rauscht

und damit war Aber berufen
zu vermitteln im Streit
zwischen Blätter und Meer

und also rannte Aber
um den das Gerücht geht er sei schon bei seiner Geburt gerannt
den lieben Tag lang
zwischen Waldrand und Küste
hin und her
unermüdlich
ging es von Waldrand
zu Küste
zu Waldrand zu Küste usw und stand
Aber der Küste gegenüber ging sein Text
ich Blätter rausche schöner als du Meer

und stand Aber dem Waldrand gegenüber ging sein Text
ich Meer rausche schöner als du Blätter

und immer wieder hieß es für Aber Kehrtwende zurück mit der Antwort nein
ich Blätter rausche schöner als du Meer
nein
ich schöner als du
nein ich
nein ich
und immer hörte Aber aufmerksam zu prägte sich die Antwort ein (nein) und drehte (kehrt) um zurück

gerade aber da die Sonne untergegangen war
blieb Aber auf einmal auf der Stelle
von der erzählt wird sie sei die Mitte zwischen Waldrand und Küste
stehen
und wollte mit der Auszählung (einmal Blätter einmal Meer) beginnen

aber da Aber
vom hin und her dermaßen außer Atem war dass da
wo die Sonne untergegangen war
der Horizont im selben Rot wie in seinem (also Abers) Innern glühte
brach der Horizont wie durch seine (also Abers) Brust
und Aber schnappte nach Luft HALT

STOP

Aber stand ja gar nicht
Aber stürzte

und auch brach der Horizont nicht
sondern da war Kainer
der mit einem Stein blabla wie ihr alle wisst und weswegen IHR
seither
RENNT
noch heute rennt
bis an den Horizont rennt nämlich jenen
wie wir alle wissen
ZAUN
an dem der unter euch der
den Satz darüber schafft
gewinnt

heißt
wenn Kainer gestorben ist

Luca Manuel Kieser

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Lieber Thomas Brezina, hat das wirklich sein müssen?

Lisa-Viktoria Niederberger über Thomas Brezinas neues Knickerbockerbandenbuch „Alte Geister ruhen unsanft“. Ein bisschen Rezension, ein Hauch Begeisterung, eine große Dosis Unverständnis und ACHTUNG: ein paar ganz massive SPOILER.

Für alle, die auf der anderen Seite der Grenze aufgewachsen sind: de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Brezina

Er kann's einfach nicht lassen, der Brezina. Weit über 500 Bücher, Drehbücher und Hörspiele hat er schon verfasst. Seit über zwanzig Jahren ist er nicht nur im Literaturbetrieb, sondern auch in meinem Bewusstsein immer mehr oder weniger präsent. Ich hab sie gefressen, als Kind, die Tom Turbo-Bücher. Hab mich stundenlang für Autogramme angestellt, mein Vater hat mir mein Kinderfahrrad damals sogar umgebaut, so dass es ähnlich wie Tom aussieht. Mit der Knickerbockerbande war es ähnlich; in zahlreichen Banden bin ich mit meinen Freundinnen gewesen. Aus Mangel an Burschen in unsere Runde hab ich auch immer freiwillig Axel gespielt. War mir egal, Axel war cool.

„Was ist eigentlich geworden aus ihnen, meinen Helden von damals?“

Irgendwann mit der Pubertät hat dann aber auch bei mir das Umdenken begonnen: Wie komisch ist eigentlich die Knickerbockerbande? Wie unrealistisch ist das, dass zwei 13-jährige mit einer 9-jährigen befreundet sind? Dass sie permanent um die Welt reisen und Abenteuer erleben? Dabei oft fast sterben, entführt, manchmal sogar auch richtig arg gefoltert werden? Welcher Erwachsene kann das mit einem guten Gewissen schreiben, bzw. seinen eigenen Kindern schön verpackt unter den Christbaum legen? In „Der tätowierte Elefant“ werden Axel und Lilo kopfüber über ein Becken mit glühenden Kohlen gehängt – das war dann mein letztes Knickerbockerbandenbuch, das ich gelesen habe, weil mich das so verstört hat.

Thomas Brezina hat natürlich nicht aufgehört, sie zu schreiben. Über 70 Bände gibt es mittlerweile, jüngst erschienen: „Alte Geister Ruhen unsanft“, ein Buch, das nicht nur mit einem unnötig sperrigen Titel auf sich aufmerksam macht, sondern generell ganz aus dem klassischen Schema fällt, schließlich sind die Knickerbocker hier alle Mitte bzw. Anfang Dreißig. Brezina bedient sich hier demselben Marketingmechanismus wie J. K. Rowling in der Harry Potter-Reihe, nämlich das Zielpublikum mit den Protagonisten mitwachsen zu lassen um immer maximales Indentifikationspotential zu bieten.

„Gott sei Dank schaltet sich kurz vor dem Ende eine neue Person ein und erspart den Knickerbockern durch seine Offenbarung wahrscheinlich jahrelange Therapie.“

„Alte Geister ruhen unsanft“ ist genau für Leute wie mich gemacht: Erwachsene, die zwecks des Nostalgieeffekts ohne zu zögern 18 € über den Tresen wandern lassen, wieder zu den Büchern mit dem altbekannten roten Logo greifen, zu Hunderten Thalia-Filialen in ganz Österreich stürmen, wenn er dort Lesungen hält, weil man ja trotzdem irgendwie wissen will: Was ist eigentlich geworden aus ihnen, meinen Helden von damals?

Und das ist schnell erzählt: Dominik ist berühmter Schauspieler in Amerika, hat nicht nur die Hauptrolle in einer Netflixserie, sondern auch ein ordentliches Alkohol- und Drogenproblem. Minizoobesitzerin Poppi lebt ein idyllisches Tierarztleben mit ihrem Ehemann in Graz, hat allerdings Angst, dass sie unfruchtbar ist. Axel ist natürlich Sportlehrer geworden, in Linz picken geblieben und lebt dort mit einer Frau, von der er das ganze Buch über sehr schwärmt und die sich erst kurz vorm Ende als seine Tochter, die er alleine großzieht, entpuppt. Superhirn Lilo ist noch immer bergfixiert, hat zwei Masterstudien absolviert und arbeitet in Innsbruck auf der Uni. Hat allerdings Schlafstörungen und Depressionen. Es sind also durchaus realistische Personenentwicklungen, die Brezina da schildert. Nichts ist übertrieben, niemand hat das perfekte Leben, alles glaubwürdig, passend zu dem, wie er sie als Kinder kreiert hat.

„Nein, das war kein Zufall, das war alles von Anfang an Teil eines viel größeren Plans.“

Nach zwanzig Jahren ohne Kontakt zueinander, treffen sich die vier erstmals auf einer Insel vor der südenglischen Küste wieder. Wer sie dorthin eingeladen hat, bleibt lange unklar. Dort finden sie nicht nur wieder zueinander, beseitigen umständlich alte Konflikte, knüpfen neue amouröse Bänder (immerhin ist es ja ein Buch für Erwachsene), klären nebenbei einen Jahrzehnte alten Mordfall (immerhin sind es die Knickerbocker), haben horrorfilmmäßige Halluzinationen, die so plastisch und ekelhaft sind, dass sie auch gut Stephen King schreiben hätte können, und finden gegen Ende des knapp 400 Seiten starken Schmökers auch tatsächlich heraus, warum sie als Kinder bzw. Jugendliche in so viele haarsträubende Abenteuer verwickelt waren. Denn nein, das war kein Zufall, das war alles von Anfang an Teil eines viel größeren Plans.

Damals, in Kitzbühel, als die Knickerbocker ihren ersten Fall „Rätsel um das Schneemonster“ gelöst haben, ist der Produzent einer Substanz, die Menschen dazu bringen soll, in Stresssituationen optimal zu reagieren und den Intelligenzquotienten erhöhen soll, auf sie aufmerksam geworden und hat beschlossen, sie jahrelang ohne ihr Wissen als Probanden zu missbrauchen. Anhand dieser Studien wollte er das Mittel perfektionieren, um es später gewinnbringend an Heere, Warlords oder Geheimdienste verkaufen zu können. Den Knickerbockern wurde nicht nur über den gesamten Verlauf ihrer Juniordetektivkarriere dieses Mittel über Speisen und Getränke verabreicht, sie wurden auch immer über Tonaufnahmen überwacht, ihre Entscheidungen und Ermittlungen minutiös protokolliert, nein – durch getürkte Preisausschreiben und ähnliche Täuschungen, wurden sie von besagtem Waffenproduzenten auch bewusst in Abenteuer verstrickt.

„Meint ihr, es war Zufall, was ihr alles erlebt habt? (…) Meine Mitarbeiter haben ununterbrochen nach mysteriösen, ungelösten Kriminalfällen gesucht und ich habe euch auf sie angesetzt. Für spezielle Tests haben wir sogar Fälle erfunden und für euch inszeniert, aber das kam nur sehr selten vor.“ (S. 369).

 

Als sich die Knickerbocker damals als Teenager trennten (primär deswegen, weil Axel von der Substanz schlimme Halluzinationen hatte, die dazuführten, dass Lilos Vater in eine Lawine geriet, die ihn fast getötet hätte und weil sie sowieso alle mehr Lust hatten, hormonell gesteuerte Jugendliche zu sein, als Detektive), war der böse Strippenzieher natürlich unglaublich frustriert. Deswegen hat er nun, nach zwanzig Jahren, beschlossen, dieses Treffen zu inszenieren, um die Bande erneut der Substanz auszusetzen und zu sehen, wie sie auf Erwachsene wirkt.

„Was bleibt, ist die Unsicherheit, der Schock über die plötzliche Erkenntnis: Wir waren gar nicht so klug und so super, wie wir unsere ganze Kindheit über gedacht haben.“

In einer persönlichen Konfrontation im letzten Buchdrittel gibt er sich zu erkennen, klärt alles auf und fordert einen finalen Test, verspricht, sie dann für immer in Ruhe zu lassen: Sie sollen beschließen, wer das schwächste Mitglied im Team ist und diese Person dann gemeinsam von einer Klippe stoßen. Aber die Knickerbocker sind keine Kinder mehr, sie haben jetzt einen Kumpel, und der hat ein Gewehr, der Bösewicht wird also problemlos überwältigt und verhaftet.

Was bleibt, ist die Unsicherheit, der Schock über die plötzliche Erkenntnis: Wir waren gar nicht so klug und so super, wie wir unsere ganze Kindheit über gedacht haben. Wir sind einer Droge ausgesetzt worden, ohne die wir wahrscheinlich kompletter Durchschnitt gewesen wären. Die vier Protagonisten sind am Boden zerstört.

Gott sei Dank schaltet sich kurz vor dem Ende eine neue Person ein und erspart den Knickerbockern durch seine Offenbarung wahrscheinlich jahrelange Therapie. Ihnen wird nämlich ein Brief von einem gewissen Mister Watanabe zugespielt, der sich als der tatsächliche chemische Entwickler der Substanz zu erkennen gibt (der vorher war nur der Geldgeber) und der ihnen versichert, dass diese aufgrund eines Fehlers der Rezeptur nicht nur immer komplett wirkungslos gewesen ist, sondern dass sie auch keine Angst vor etwaigen Folgeschäden haben müssen. Die Knickerbocker, frisch von der Gesundenuntersuchung, können also erleichtert aufatmen, sie waren also doch Genies als Kind. Warum Watanabe zwanzig Jahre gewartet hat, um ihnen das mitzuteilen, beziehungsweise warum er als seriöser Wissenschaftler sich überhaupt an Experimenten an Kindern beteiligt hat, wird auch erklärt. Er hat eine kranke Tochter, deren medizinische Versorgung nur durch sein Stillschweigen gewährleistet werden konnte. Mhm.

"Jeder kehrt nach diesem abenteuerlichen Wochenende wieder zurück in seinen Alltag, man trifft sich ja bald wieder auf Skype."

Und dann ist alles gut, die Freundschaft ist stärker den je, Axel und Lilo gestehen sich nach zwanzig Jahren ihre Liebe, man verspricht, den Kontakt ja nicht wieder abreißen zu lassen und jeder kehrt nach diesem abenteuerlichen Wochenende wieder zurück in seinen Alltag, man trifft sich ja bald wieder auf Skype.

„Aber wie hoch sind unsere Chancen?“, fragte Lilo nervös. Axel nahm sie an den Schultern, blickte ihr fest in die Augen und sagte schelmisch: „Wir werden das nicht errechnen, Frau Superhirn, das können wir nur durch Versuche herausfinden.“ Vor dem Pub stehend, beobachteten Dominik und Poppi die beiden und grinsten. „Na endlich“, stellte Poppi fest. „Gut Ding braucht Weile.“, steuerte Dominik eine kleine Weisheit bei. (S.390/91)

Was bleibt, ist die Verwunderung beim Leser: Lieber Thomas Brezina, hat das wirklich sein müssen? Nicht das Buch an sich, das hat schon seine skurrile Daseinsberechtigung, seinen Unterhaltungswert, seinen Schmäh in den Dialogen, seinen eindeutig für erwachsene Leser gedachten und trotzdem angenehm flüssigen Stil. Die Rahmenhandlung mit dem uralten Mordfall ist ein netter Krimi. Es hat mir einen sehr schönen, nostalgischen Nachmittag beschert. Aber diese Erklärung mit der Substanz, die man erst an Kindern testen muss, um sie dann später an Soldaten verkaufen zu können?! Es wirkt fast, als hätte Brezina jetzt auf einmal ein schlechtes Gewissen, weil er fiktive Kinder jahrzehntelang einfach nur zu Unterhaltungszwecken in lebensbedrohliche Situationen gebracht hat und jetzt im Nachhinein versuchen muss, das irgendwie zu legitimieren. Ob es jetzt moralisch vertretbarer ist, wenn Kinder von bolivianischen Drogenhändlern gekidnappt werden, wenn es darüber noch eine Instanz gibt die „eh aufpasst“, weil das „eh nur ein Experiment“ ist, ist meiner Ansicht nach nicht nur sehr, sehr fraglich sondern zerstört retrospektiv immens viel der Magie, die die Abenteuer der Knickerbocker auf meinen kindlichen Geist damals ausgeübt hat.

Lisa-Viktoria Niederberger