freiVERS | Beate Ronacher
Never learn
not to love
Allerdings,
welche
Rolle spielt
die Einsamkeit
schon
heute
Beate Ronacher
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freiTEXT | Evelyn Mayr
Mai 13
Seinen Pfad finden durch die offenen grünen Tore des Traums, das hektische Suchen nach dem Schlüssel hinter sich lassen, irgendwann den Weg mit geschlossenen Augen kennen, sicherheitshalber noch nach dem Rahmen der Tür tasten, durchgehen, in federnder Freiheit, Verrücktheit und Freude, dorthin, wo es gut ist, in die andere, diese Welt, ein Schreiten hinüber ins weiche All sein, dabei hier bleiben, mit sich und einander sein, gütig behütet, geborgen umsäumt - in Watte lachen hinter der sperrangelweit offenen Tür.
Evelyn Mayr
freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
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freiVERS | Andreas Schumacher
gestatten,
ich bin
oder
vielmehr eigentlich
lautet mein künstlername
rené nikolaus mollenkopf-kolbenhaupt,
erster und einziger sohn
der zürcher ballettchoreografin
dorothea henriette mollenkopf
und des berliner schauspielintendanten
heinrich von kolbenhaupt;
erwecker, erneuerer, vollender, eigenhändiger sensenmann
der totgeglaubten deutschen sprache (lyrik);
gottvater, sprachrohr, überheld
einer bereits heute bedrohlich nachdrängenden
erfolgreich-besonnenen generation
zweifelhafter schmalzumflorter weichwichsepigonen.
ich will
(und habe es tausendfach getan)
gedichte basteln
und zusammenklauen
aus alten
nur mir bekannten
lou reed- und
nick cave- und
neil young-
b-seiten.
ich will jurylyrik schreiben
und hauptpreisprosa
und ein büchnerstipendium will ich
für schön gewachsene schriftsteller,
förderfeuilleton fabrizieren,
stipendiatsstücke vom stapel lassen,
konfettigefeierte konsequent kontrollierte konzeptkonsenskunst,
und gewächshauslorbeeren will ich,
gewächshausloorbeeren und vorschnelle essayvorschüsse
von der wiege bis zur bahre,
eine ausgeprägte vitaliteratur zu schreiben ein leben lang!
den biobibliobabylobabybrabbelpreis BABA-abraham-brecht will ich und
den theodor-fontane-fötusförderpreis für teilfertige textfragmente und den
erich-fried-gedenkpreis für politische lyrik und den
ulla-hahn-gedenkpreis für apolitische lyrik.
ich will 250.000 signierte exemplare meiner gedichtsammlung verkaufen.
ich will eine grandios phänomenale gratisvollverteilung meines handgefertigten
goldfadengehefteten lyrikbändchens laubbläserblues
an alle vorhandenen haushalte,
speziell und gerade auch an jene,
die „eigentlich erst mal gar nicht so viel bock haben
auf poesie
oder gedichte
oder lyrik
oder balladen
oder poeme
oder wie das zeug sonst noch heißt“,
die kleine putzige bitte keine kostenlosen lyrikbände-kleberchen
auf ihren briefkästen und -schlitzen stehen haben
oder laubbläserblues? – nein danke!
und dass dann jeder doch gibt, was es ihm wert ist,
nämlich 30 euro oder eigentlich 100 oder mehr.
ich habe die dead kennedys gegründet
the clash gecastet
johnny rotten beraten
ich bin so punk,
ich kaufe mir den business
punk,
gebe der verkäuferin einen angepimmelten euro trinkgeld,
schneide das „business aus dem cover des „business
punk“ punk“,
schneide das „usiness“ aus „business“,
klebe mir „b auf die stirn,
punk“
setze mich bei penny auf die einkaufswägen,
kaue zungenverfärbendes schlumpf-haribo,
höre helene fischer
und
spucke
aus.
ich bin überhaupt so underground,
jules verne hätte an mir seine helle freude gehabt.
„voted biggest asshole and role model of the year”
ich will keine schokolade,
keine kreide fressen,
kein blatt vor den mund nehmen,
mich immerzu schön ausgeleuchtet ins rechte licht rücken.
ich will mich einhundertundeinfach klonen
und regie führen und die hauptrollen spielen
in the human centipede 4.
i got straight edge
i walk the line
ich bin der größte,
ich bin der geilste,
ich hab den längsten!
ich will durch die goethe-institute dieser welt backpacken,
eine lebensgroße goethe-pappfigur im sack
und in schöner regelmäßigkeit
ein loch in selbiger
auf höhe des anus
(darstellend einen anus,
den anus goethes)
per umschnalldildo penetrieren,
dazu verwurstend
unter einsatz eines flammenwerfers
till lindemannsche gedichtzyklen rückwärts rezitieren,
einfach, weil ich es kann,
weil’s, wenn ich es sage, kunst ist.
ich bin der heimliche autor
des benimmführers
ich geb euch gleich erregung öffentlichen ärgernisses,
ich schrieb den beziehungsratgeber
ich geb dir gleich nen trennungsgrund,
ich schmierte zusammen den unsterblich
dauerbrennenden
wühltischbestversumpfer,
das aus heutiger sicht mitunter etwas zähe
und stellenweise doch zu dick aufgetragene
wer zuerst kommt, malt zuerst –
bukkakische weisheiten zur jahrtausendwende.
ich bin reinhard schmälzle aus meinem
autobiographischen telenovelaroman
der dauerprobeabonnent.
i want to hold your hand
i want you to want me'
i want to lay you down in a bed of roses
i want it that way
i wanna be loved by you
i wanna be your dog
i want a new drug
i want to know what love is
i want to break free
i wanna be a hippie
i wanna be sedated
i want to ride my bicycle
i want to conquer the world
d.i.y.!
d.i.y.!
d.i.y.!
i want to start my own fanzine
ground my own selbstverlag
edit my own text+kritik sonderband
ghostwrite the reclam lektüre-schlüssel
to my railbreaking poetry collection
leavesblowerblues
i want to introduce a after me called poesiepreis
write autolaudatios
and then to verleih me the goethe-medaille –
ich habe die erde, gott und last but not least mich selbst
aus dem nichts geschaffen
(in genau dieser reihenfolge)
auf doppelbödige, dreifache, sechstausendfache
nicht-fache (nicht-)art.
wenn ich „schlecht“ denke,
vor meinem geistigen Auge,
in meinen Gedanken,
IN MIR DRIN –
implodiert das universum (fakt!),
nur ich bleibe dann übrig,
allein, enttäuscht von der welt,
aber – dankt es mir – ich denke
gottlob!
NIEMALS „schlecht“, zu
meinem
deinem
unserm
glück.
mann (48) überfällt bank und will beute
gleich auf sein konto einzahlen
ich will mir beim bachmannpreis
obercowboylike ein sofa
auf die bühne hieven
eigenhändig
mir oben ohne
working class
einen offenen bruch
lupfen
platz nehmen
schweiß verströmen
das publikum
in den ersten
32 sitzreihen
mit kontaminiertem
eau de toilette
bespritzen;
die flache hand
vorn in die hose
den strohhalm
rein ins
sangria-
eimerle!
preisgekrönte prollternative massenlyrik
ich i
will w
das a
a- n
lles, t
will i
das t
a- a
lles, l
und l:
zwar n
so- o
fort w
Andreas Schumacher
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freiTEXT | Katrin Theiner
Buchstabierte Blumen
Vielleicht könnte ich ihre Welt besser verstehen, wenn ich in ihren Schuhen laufen würde.
Aber ich lasse sie schlafen. Durch die getönten Scheiben sah alles, was nichts mit uns zu tun hatte, nutzlos aus. Verlassene Fabrikhallen, übersonnte Weiden, breitschultrige Wassertürme und dahingekleckerte Häuser. Spargelfelder schmissen sich vor uns hin, Wolkenschwärme malten fliehende Schatten auf zu große Felder. Wir fuhren die Strecke zum vierten Mal. Tim und ich. Zweimal hin, zweimal zurück. Vorbei an dem Bahnübergang mit den gelben Schranken, daneben die verhüllten Tennisplätze, gleich das Rapsfeld mit den Gülletanks, die spitz zum Himmel zeigten. Der Zug glitt zu leise über die Schienen. Mir fehlte etwas. Das Rumpeln, die Geräusche, das Knacken von Lautsprechern. Irgendwas Echtes, am besten was zum Anfassen oder Riechen. Vielleicht etwas, das in der Hand schmolz, sich auflöste, einen klebrigen Film auf der Haut hinterließ. Etwas, das zu mir gehörte, wie Nowitzki zu den Mavericks. Etwas, das mir das Gefühl geben konnte, noch in meinem Körper zu stecken, diesem Ding, das ich immer für zu Peter Parker gehalten hatte – vor dem Spinnenbiss. Aber jetzt nicht mehr. Jetzt roch alles nach ihr. Und über ihren Duft hatte ich mein Lakers-Trikot gezogen, die Nr. 24. Das hielt ich für das mindeste, auch wenn es das alte Trikot meines Vaters war, das er mir dagelassen hatte, an dem Tag, als er ausgezogen war. „Mach was draus“, hatte er gesagt und mich angeschaut, als warte er auf eine Entschuldigung für die letzten vierzehn Jahre.
Ich fasste ins Feucht meiner Achselhöhlen, tastete schnell über die drahtigen Haare und roch kurz an meinen Fingern, die ein stechenden Geruch verströmten. Tim schlief und ich schaute weg von der flirrenden Welt vor dem Fenster, die aussah, als bräuchte sie eine Mittagspause, suchte und blickte umher, ob ich heute Morgen auf der Hinfahrt nicht vielleicht etwas im Zug verloren hatte, das mir, während ich es wiederfand, sagen konnte, wer ich denn war, jetzt, wo ich mit ihr geschlafen hatte. Irgendein Ding, das mir den Schwindel nahm, diesen Strudel, der mich vom Boden ansaugte, mich zerkaute und mich wahllos zusammengesetzt in diesen Zug zurück nach Berlin fallen ließ, die Arme am Rücken befestigt, die Füße nach hinten zeigend, die Haare zerrauft und voller Kletten, den Magen überschäumend und das Grinsen nicht nachlassen wollend.
Etwas, das mich mit Echtheit wusch, wie die stumpfgewordene Ringe meiner Eltern, die zwischen unnützen Gegenständen in einer asiatischen Schale im Bad meiner Mutter lagen, an der getrocknete Zahnpasta klebte. Ein Déjà-vu wäre gut. Dieses Gefühl von Vorahnung und Erlebtem, das mich erst an ein früheres Leben und dann doch nur an die Szene aus einem der Filme meines Vaters erinnerte, die ich heimlich schaute, wenn er Frühdienst hatte. Ich brauchte was, das diesem Tag Konturen gab, mein verrutschtes Weltbild zurück hinter Glas brachte, in sein mattes Passepartout schob und mir versicherte, dass es wirklich passiert war. Mit ihr. Und mir.
Tim lehnte mit dem Kopf am Fenster. Die rechte Gesichtshälfte endete glatt an der Scheibe, die um den Mund beschlug. Die dünnen Arme lagen ruhig im Schoß, der in lange, dürre Beine überging. Sie sahen wie abgeknickte, zerkratzte Leuchtröhren aus, drängten unter einem kurzen Schottenrock hervor und endeten zusammengekreuzt zwischen Sitzbank und Mülleimer in orangenen Air Max. An der Sohle klebte matschiger Rittersporn. Sie liebt mich, sie liebt mich nicht. Auf Tims ärmellosem Hemd lösten sich sehr kleine Schokoladenstückchen auf und sanken zwischen die maisgelben Streifen in den Stoff. der ragte in orangenen Buchstaben aus der Öffnung einer aufgenähten Brusttasche heraus und ich fühlte mich irgendwie angesprochen, aber es waren nur drei Buchstaben auf einem angefangenen Schokoriegel.
Eine Woche vorher war meine Klasse mit Herrn Dallos zur Bundesgartenschau gefahren und eine Woche vorher war Tim neu in meine Klasse gekommen. Eine Woche vorher waren wir den schiefgetretenen Sohlen unseres fetten Lehrers durch den Bahnhof von Brandenburg an der Havel gefolgt, durch beige, Bild-Zeitung haltende Truppen mit Blumenkohlhelmen und vorbei an touristischen Fragebeantwortern in BuGa-Uniform. „Ich bin der King“, sagte Marc mit Terminator-Stimme, fasste sich an die Eier und spuckte sein grünes Kaugummi gegen ein zerkratztes Schild mit der Aufschrift „Die Wiege der Mark Brandenburg“. Tim blieb in der Nähe von Herrn Dallos, war neu, ein Fremdkörper abseits der Klasse und sorgte für Getuschel. „Der Name...und die Frisur. Die Schuhe“, sagte Rahel, zeigte auf die großen, schwarzen Martens an Tims Füßen, zog und zerrte an ihrem Shirt und schob ihre BH-Bügel bühnenreif zurück unter ihre dicken Brüste. Wir aßen Bifi, fragten uns alle, warum es ausgerechnet die Bundesgartenschau sein musste, zu der wir einen Ausflug machten und liefen über die Jahrtausendbrücke, auf der uns Herr Dallos zu einem Gruppenfoto für die Flur-Collage zusammentrieb. Tim hatte sich durch die Menge geschoben, stand hinter mir, ich konnte die dünnen Unterarme an meinem Rucksack spüren. „Zu den Nachtschattengewächsen da lang“, schrie Rahel, leckte sich die Lippen und blitzte in Tims Richtung. „Herr Dallos, wächst hier auch Hanf?“, fragte Miro und guckte irgendwie Heisenberg. Tim blickte nicht auf, kratzte schwarzen Lack von den Fingernägeln und hörte Herrn Dallos zu, der seinen Lageplan im Uhrzeigersinn drehte, die Augen verkniff und „Orchideenschau, Aussichtsturm, Orchideenschau, Aussichtsturm“ zu sich selbst sagte. Dann wühlte er mit seiner Zunge durch den Mund und klemmte sie kurz zwischen die durchsichtigen Kanten seiner feucht glänzenden Schneidezähne.
Vor uns lagen Havelwiesen, bepfadete Gräserstreifen, Beete, Stauden, Blütenteppiche und dunkelgrüne Heckenblöcke.
Dazwischen Info-Türme, Langnese-Stände und Sprenganlagen, die Wasserschleifen in arroganten Bögen hoch warfen. In der Kühle der Luft lag die Erwartung an volle Wege, beige besetzte Bänke und überfüllte Papierkörbe, an denen Wespenschwärme um Eispapier jagen. „Herr-er Dallos-los, sie-ie haben-en da was a-am Kinn-inn“, schrien Rahel und Mell zeitversetzt und nahmen die Shining-Zwillingshaltung ein. Herr Dallos fasste sich an seinen grauschwarzen Vollbart, der seine dicken Wangen optisch aufquollen ließ. „Am Anderen“, kreischten die beiden synchron in die Menge, rannten und schubsten sich gekrümmt in ein Tulpenbeet in Zwischentönen und griffen sich dabei fest zwischen die Beine. Unser Lehrer sah aus, als würde er zu seinem Depardieu-Schnitt den passenden Blick suchen und rief: „Wir treffen uns in zwei Stunden an Aussichtsturm C. Keiner verlässt die Wege, keiner reißt Blumen ab und niemand geht alleine.“ Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, schob den Lageplan zwischen den rechten Träger seines Rucksacks und biss in eine Nektarine, dass ihm gelber Saft zwischen seine fetten Finger lief. Ich hatte bemerkt, dass Tim mich beobachtete und ich beobachtete Tim, um zu schauen, ob sich unsere Blicke wirklich jedes Mal trafen, wenn ich schaute oder ob es auch Momente gab, an denen sie ins Leere liefen. Ich war unsicher und weil sich unsere Augen an diesem Tag fünf- bis zehnmal begegnet waren, bekam ich feuchte Hände und übte ein schüchternes Lächeln ein. Die Anderen bemerkten das nicht. Sie waren vorgelaufen, als sie ein garagengroßes, aus
Stiefmütterchen geformtes Quitscheentchen entdeckt hatten, das sich an verformten Buchsbaum schmiegte. „Ich gehe zum Muschihaus“, sagte Tim mit leiser Stimme zu mir und schob sich schwarzgefärbte Haarsträhnen hinter die Ohren. „Kommste mit?“
„Muschihaus?“
„Orchideen.“
Schweigend setzten wir uns in Bewegung, liefen über kunstvoll gewundene Wege aus butterweichen Sportplatztartan vorbei an vollgepflanzten Booten, Gerüstwäldern voll hochgetriebener Schlingpflanzen, Pflanzenfrachten in Kübeln, bis wir einen Miniaturweinberg sahen, hinter dem sich das Orchideenhaus versteckte. In der Ferne hatten sich Rahel, Mell, Miro und ein paar andere auf einer nicht zu betretenden Wiese niedergelassen. Die Mädchen hatten ihre Jacken ausgezogen, rollten sich in Tops einen kaum vorhandenen Abhang hinab und bewarfen sich mit abgerissenem Gras. Tim sah meinen Blick, sah mich an, fragte: „Willst du zu denen?“, wickelte ein Überraschungsei aus rosaweißer Folie und hielt mir ein Stück braunweiße Schokohülle hin. „Ne, gar nicht“, sagte ich, blickte zu Boden, nahm das halbe Ei in die Hand und fühlte die weiche, angeschmolzene Stelle, an der Tims Finger die Schokolade angefasst hatten. „Kann nicht ohne“, sagte Tim und schob sich die andere Hälfte in den Mund. „Ohne was?“, fragte ich. „Zucker“, sagte Tim kauend und lief vor. „Und das?“, fragte ich, lief auch los und zeigte auf das gelbe Plastikei in Tims Hand.
Wir gingen vorbei an einem Schild, das uns in den Duftgarten locken wollte und betraten das Orchideenhaus, eine aus Backsteinen errichtete Halle mit feuchter Luft und Kirchenatmosphäre. Ich wartete auf das Einsetzen von Orgelmusik, flüsterte Tim “Ch’muss ma“ zu und kassierte dafür ein synchrones „Schschsch…“ von einem Rentnerpaar, das an einem Schild mit der Aufschrift „Brassia Rex“ herumfingerte. Wir gingen raus, ich lief durch kniehohes Kraut, steuerte eine überschaubare Tannenschonung an und pinkelte auf den mit braunen Nadeln bedeckten Boden. An meinen Fingern fühlte ich den stumpfen Schmelz der Schokolade, die ich noch schmecken konnte, wenn ich mit der Zunge im Mund umherfuhr. Ich griff nach meiner Hose, dem Gürtel und spürte, dass Tim hinter mir stand, „Lass“ sagte und mit der Hand in meine Boxershorts fasste. Ich schwitze, blickte nach unten, sah einen schwarzen Schuh zwischen meinen Jordans, sah ein Tattoo auf dem dünnen Arm, Buchstaben, die sich in rythmischen Bewegungen am Gummi meiner Boxershorts rieben und nicht preisgaben, was sie bedeuteten.
se rose se rose se rose se a rose se rose e rose se a rose
Ich spürte Tims Stirn an meiner Schulter. Atem, der süß in meine Kapuze drang, ich schmeckte die Schokolade an meinen Zähnen und stemmte mich gegen die kräftigen Griffe zwischen meinen Beinen. Der Geruch von Waldmeister schob sich durch das Gebüsch, irgendwo surrte ein Rasenmäher, ich biss keuchend in meine Faust und kam in Tims Hand.
Schweigend zog ich meine Hose an, meine Jacke aus, breitete sie auf den waldigen Boden und bot Tim einen Platz darauf an, nachdem ich ein paar hochgewachsene Kletten mit lila Blüten zur Seite gedrückt hatte. Schweigend setzten wir uns und mein Blick fiel auf Tims Arm, von dem sich die Buchstaben My soul is a rose leicht hochnarbten. „Was heißt das?“, fragte ich und fasste vorsichtig auf die geschwärzte Haut. „Das, was da steht“, sagte Tim, lehnte sich gegen meine Schulter und sagte für den Rest des Tages nichts mehr.
In der nächsten Woche kam Tim nicht zur Schule. Die Sommersonne trug den Geruch von trocknenden Pfützen über den Schulhof und ich schleppte mich durch die Tage, dachte an Tim, an den Ausflug, konnte keinen Pass mehr werfen und Kemal rief:
„Was bist’n Du für’n Forward, Chris!“
Donnerstag der Zettel in meiner Tasche. Morgen, sieben Uhr am Bahnhof.
Der nächste Tag war einer der Tage, an denen es beim Aufstehen zu heiß war. Ich zog mein gelbweißes Lakers-Trikot an. Mit passender Hose. Ich fror, sah Jesse Pinkman beim Cornflakes essen zu, aß auch Cornflakes und schrieb meiner Mutter einen Zettel.
Wortlos stellten wir uns auf dem Gleis nebeneinander. Wortlos stiegen wir in die Regionalbahn, die ihren Zielort Brandenburg an der Havel angeberisch auf kleinen Displays verkündete. Ich sah Tim fragend an. Tim zuckte mit den Schultern, biss in einen Kinderriegel, wickelte den Rest zurück in die Folie und ließ ihn in einer Tasche verschwinden. Wir sahen schweigend aus dem Fenster. Ich schwitzte, bekam meine normale Stimme nicht hin, schwitzte noch mehr, roch kurz an mir. Deo. Wir stiegen aus dem Zug, liefen durch den leeren Bahnhof, über die leere Jahrtausendbrücke, im Anlauf auf die umgärtnerten Tartanbahnen in Richtung Tannenschonung am Orchideenhaus. Ich bildete mir ein, genau die sichtgeschützte Stelle zu sehen, an der wir eine Woche zuvor gesessen hatten und genau da, zwischen den gebogenen Kletten und dem herübergesamten Mohn, breitete Tim einen dünnen Sommermantel aus Jeans aus, auf den wir uns setzen. In der Hand das gelbe Plastikei. „Du darfst“, sagte Tim, ließ sich nach hinten fallen und schloss die Augen. Ich ploppte das Ei in zwei Hälften und zog eine in Papier gewickelte Elfe heraus, die ich kurz ansah und in meiner Hosentasche verschwinden ließ. Ich schaute Tim an, sah auf die kleine Beule, die die Karos des Schottenrocks verbog und schämte mich. Für die Gedanken der Mädchen, das Räuspern von Herrn Dallos, wenn er „Tim“ sagte, die Ignoranz und die Blicke der Jungs und meine Blicke, die anders gemeint, aber von denen der Anderen nicht zu unterscheiden waren. Ich schämte mich für meine Scham und dafür, dass ich die NBA-Mindestgröße und zwei Haustürschlüssel für ein schwieriges Leben gehalten hatte. Meine Handgelenke, auf die ich mich gestützt hatte, taten auf einmal verdammt weh und dann bekam ich von dem gurgelnden Geräusch des Brunnens vor dem Orchideenhaus, Blasendruck, aber ich traute mich erst pinkeln zu gehen, als ich glaubte, Tim sei eingeschlafen. War sie aber nicht.
Als Tim neu in unsere Klasse gekommen war, war sie ohne Zweifel das schönste Mädchen, das ich jemals gesehen hatte und jetzt lag sie zwischen Brandeburger Klee und Brennesseln in meinem Arm. „Ch‘such mir bald nen neuen Namen aus“, flüsterte sie und küsste in die weiche Stelle oberhalb meines Jochbeins.
„Penny oder so.“ „Mary Jane“, sagte ich.
„Gisèle.“
„Bloß nicht. Morgan?“
Meine Haut kratzte, meine Knie hatten Grasflecken, Halme steckten im Nylon meiner Shorts und langsam schwand der Schweißgeruch an meinen Fingerkuppen. Ich wartete auf Durchsagen, auf den Schaffner. Wartete auf die kleinen Löcher, die er in meine Fahrkarte knipste. Oder darauf, dass er jemanden beim Schwarzfahren erwischte, zufrieden den Quittungsblock zücken würde, mit willismäßigen Lachfalten um den Mund. Ich wartete, dass irgendetwas passierte, das man jemandem erzählen könnte, der nicht dabei gewesen war. Ich würde es nicht erzählen, wollte es mir selber erzählen, mit Worten, die uns umrahmten, Tim und mich und unseren Tag. Ich wartete auf das Gefühl, das man hat, wenn man ein Rätsel gelöst hat. Wie Mel Gibson, als ihm klar wurde, dass seine Frau alle vor den Aliens retten wollte. Ich blickte mich um, suchte und wartete darauf, das Negativ dieses einen Tages zu finden, das Negativ als Vorstufe zum fertigen Bild, das ich mir in meinem Kopf zu machen versuchte. Ein Bild von mir. Von ihr. Von dem Ganzen. Ich las Schilder mit Strichmännchen, die vormachten, wie man sich zu verhalten hatte, las das Poster einer Sprachschule, schaute nach Handlungsanweisungen, die mir zeigten, was in meinem Leben jetzt zu machen war. Was war als nächstes dran? Ich wartete darauf, dass uns jemand sah. Tim und mich, zusammen in diesem Zug nach Berlin. Jemand, der direkt blickte, dass wir nicht zwei Fremde waren, die zufällig beieinander saßen, wie noch auf dem Klassenfoto auf der Jahrtausendbrücke. Ich dachte an Bruce Wilis, wie er sich als Schakal neue Identitäten schaffte, dachte an Mädchennamen, betrachtete Tim, schaute auf ihre Füße, dachte an ihre Berührungen, sah, wie die Neonlichter des Tunnels die schmalen Konturen ihres Gesichts streichelten.
Vielleicht könnte ich ihre Welt besser verstehen, wenn ich in ihren Schuhen laufen würde.
Ich nannte sie Sandra, Lili, Skyler und wünschte, die Glastür zur ersten Klasse würde sich öffnen und meine gesamte Schulklasse würde genau jetzt an uns vorbei durch den Zug laufen. Miro, Rahel, Mell und die Anderen. Ich wünschte, mein Vater und meine Mutter würden durch den Zug laufen. Herr Dallos, Trainer Leuk, die namenlosen Nachbarn, Saul Goodman.
Ich wünschte, sie alle würden uns sehen. Tim und mich.
Als der Zug in Potsdam hielt, wachte Tim auf. Sie sah mich an, leckte sich um den Mund, dass mich ein feuchter Spuckefilm anglänzte, sagte „Betty.“ Ich musste lachen, sagte: „Sarah J.“ Sie sagte: „Mary-Kate“, schob ihren tätowierten Arm in ihren Rucksack, zog eine Familienpackung Toffifee heraus, riss die Folie ab und steckte sich gleich zwei Stück in den Mund. Ich sah auf die offene Packung, auf das Bild mit den drapierten Karamelltöpfchen und der braunen Schrift. Ich fasste in meine Hosentasche, tastete nach dem spitzen Hut, dem Zauberstab, dem lila Gewandt und hielt Tim die Plastikfigur vor die Nase.
„Fee.“
Katrin Theiner
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freiVERS Spezial | Lyrik zur Arbeit
Bundt ist der neuneue Pfau
Brothers and sisters, Jesus says
Leave your cars and offices
(The Servant – Jesus Says)
Color full collar
Fool colourful
Is the New
Do
Rien Graey
Lettuce-tarte
Building A
United Colors of
Peacock
ProcrastiNation
Even
More Beautiful
Cos We All
Know
Or Never
Gonna reach the Treasure
At the end of rainbows
And of your
Rope
I Want to
Shimmy-shimmy
Shimmy through
The break of
Dawn,
Yeah!
Shimmy-shimmy
Through Dawn
Break!
Y'all!
Yalla! #YALA
Nathan Sirch
-
Auf den Dächern
sitzen Spatzen,
lösen sich Ziegel aus Erinnerung.
Ich sehe Mutter am Bügelbrett,
wie sie den Tag glättet.
Draußen bist du Schneekönigin
mitten im Frühling,
hängt sie Wäsche
und alte Regeln an die Leine,
die mit den Worten der Nachbarn flattern.
Zwischen Unkraut lauern Nacktschnecken
und andere Feinde,
baust du Schlösser
und braust Mittel
für tote Fliegen.
Erst am Abend
stürzt dich Mutters Stimme
von den Zinnen
deiner Welt.
Sigune Schnabel
-
Agnes
Sie fängt den Blick mit leeren Augen
ihr Körper bedeckt von milchiger Haut.
An Wunder darf sie nicht mehr glauben,
jeder Handstreich ist ihr schlicht vertraut.
Vom Alltag ist sie schon ganz mürbe
- ihr Glanz wie der, der Gläser stumpf
trotz alldem bewahrt sie ihre Würde
und umhängt mit Schürze ihren Rumpf.
Eiskalt erfühlt sie das Hochglanzbesteck,
lächerlich klappern unbarmherzig Tassen,
die Tischdecke entstellt vom Rotweinfleck,
das Essen wird sie sogleich bringen lassen.
Sie umfasst die Speiseteller ohne Liebe,
macht sich zu ihrem Kreuzweg wieder auf,
Glotzblicke verletzen wie Peitschenhiebe,
sie trotzt, wie täglich - und nimmt in Kauf.
Die tüchtigen Beine tragen sie zielgenau
nacheinander serviert sie all die Wünsche
lächelt gequält zu Kind, Mann und Frau
ihr Erfolg schier gewogen in barer Münze.
Sie bittet ihre Laufkundschaft zur Kasse
und wird zugleich auch selbst gebeten
ihren Tribut zollt sie nicht per Geldmasse,
denn sie gab bereits ihr verwirktes Leben.
Claudia Wallner
-
Die Baustelle
Schon lange nun beschäftigt mich
Der Bau des Hauses mein
Die Mauern stehen, weiß der Strich
Sein Anblick ist gar fein
Und doch der Bau, er zieht sich hin
Schon fertig ist er nicht
Ideen kommen in den Sinn
Irrsinnig scheint Verzicht
So bau ich noch ein Stockwerk drauf
Drum hoch es ragen kann
Im Garten schnell ein Wasserlauf
Das Aug‘ dankt mir es dann
Ein Loch ich schlage in die Wand
Das Licht soll fluten hell
Das Fenster wie ein Festgewand
Ist individuell
Ein Schornstein hier, ein Pflänzchen dort
Es ist so groß und stark
Doch optimierbar ist der Ort
Ums Wasser noch ein Park.
Bloß einzigartig soll es sein
Voll Pracht, voll Glanz, das Hause mein
Verdrängt, erstickt der leise Hohn
Dass längst schon könnte drin ich wohn‘
Katie Grosser
ambiguitätstoleranz hast du
das genannt
beim schwimmen zwischen schreibtisch
sommer zweifelschieben
in abgeschriebenen zeitsymptomen
die gedanken ruhen lassen
in revolutionsplagiaten
welten retten
und bezugnehmend auf ihre ausschreibung
stromlinienförmig tättowiert
brummt horizont grün
hinter den ohren einer exzellenz
generation
mit den händen in den hosentaschen.
Annika Domainko
-
Wir haben ein Herz
Wir haben ein Herz. Wir haben ein großes Maul mit viel dahinter. Wir haben eine Meinung, wir müssen nicht immer urteilen. Wir sind links. Wir treiben es bunt, wir treiben es oft, wir treiben es gern. Wir brauchen Geld zum Leben, mehr davon nicht. Bei uns sind auch die Männer Emanzen. Wir brauchen keine Kirche, wir können selber denken. Wir sind viele. Wir studierten die Einsamkeit. Wir sind die Stillen. Wir können auch laut werden. Manchmal denken wir erst hinterher nach und vielleicht schämen wir uns dann. Niemand weint so schön wie du. Wir waren lange genug jung und hübsch. Wir sind schwach, wir sind mutig, wir sind stark, wir sind zart. Wir straucheln und jammern, wir kämpfen, wir gewinnen, wir scheitern: Wir sind unterwegs. Wir lieben, wir leben. Wir sind Helden. Wir machen weiter.
Sabine Roidl
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freiTEXT | Claudia Kohlus
ich erinnere mich an ihren zugenähten mund
ohne fäden und wie sie stumm lag in der nacht
mit ihren tetrisgedanken sich sortierend ich
erinnere mich wie sie den highscore knackte
im tablettenschlucken und ich dachte ihr mund
nähme nur perlen auf und verschließe den
schatz ich erinnere mich als sie die namen
vergaß und sich in den gesichtern verlor (auch
in dem der taube deren gurren das morgen
grauen zerschnitt) ich erinnere mich an das
emotionenmosaik und wie sie fiel bodenlos
Claudia Kohlus
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freiVERS | Martin Reiter
Die Wellen schlagen gegen Steine, wie eine Faust gegen ein Gesicht
und so geht das immer weiter bis dann eins von beidem bricht
Und wir sehen nicht den Wald, weil das Ding voll Bäume ist
Die Wurzeln sieht man auch nicht gleich, weshalb man darauf gern vergisst
Wir kaufen Bomben für den Frieden, schlagen mit Kissen gegen Wände
verheddern uns im falschen Netz und reichen niemandem die Hände
Und vom Hören und vom Sagen bleibt das Eis doch ziemlich dünn
Darunter häufen sich die Fragen, die Frage ist nur kannst du auch schwimmen?
Und differenzieren und unterscheiden jeden Tag aufs neue - Sisyphos
Und ich weiß es fällt uns schwer, wir müssen runter von unserem Ross
Wenn wir am selben Boden stehen dann fällt uns plötzlich auf
dass dort drüben noch ein Turm steht, da sind ‘ne Handvoll Leute drauf
Wenn wir am selben Boden stehen dann fällt uns plötzlich auf
dass dort drüben ein Scheiß Turm steht, das Ding haben wir eigentlich gebaut
Und während das Wasser langsam steigt, schlagen wir uns die Köpfe ein
Und dort oben lachen die Geier, was könnte für sie besser sein?
Martin Reiter
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"Niveau, weshalb, warum!?" - die mosaik-Lesereise Deutschland
5 Städte, 7 Lesungen, 21 AutorInnen, 3800 Kilometer
Nach der famosen Reise durch Bayern begaben wir uns erneut auf Roadtrip und packen Autorinnen und Autoren ein, um mit Ihnen den Westen, Osten und Norden Deutschlands zu erobern: vom Wohnzimmer bis zum Technoclub, vom Kulturcafé bis zur Buchdisko - und das druckfrische mosaik18 war mit im Gepäck!
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Mo, Köln, Weltempfänger
"Nein, ich lecke sicher nicht Peters Füße!"
Die erste Strecke war nicht nur die längste, sondern auch die mühsamste. Zwei Stunden Stau und so. Dafür wurden wir in Köln im wunderbaren Weltempfänger von Christoph Danne, Anke Glasmacher und Miriam Berger empfangen.
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Berlin
Wenn du in Berlin aus dem Auto steigst, die schwere Holztür zur Unterkunft öffnest und dich dahinter ein großgewachsener Herr, einzig mit einem Leopardenfellmantel bekleidet, fragt, ob du "rein willst", bevor dreißig Herren in aufreizenden Lederklamotten an ihm und dir vorbeigehen - dann denkst du dir: Berlin, du kannst so Klischee sein!
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Di, ORi
"Pizza, Pasta, Spielzeuglaster."
Bärlin erwartete uns: Im ORi trafen wir Matthias - es lasen Miku Sophie Kühmel, Nora Deetje Leggemann und Philipp Schulz mit uns.
Mi, Kater Blau
"Sperrstunde ist ein Austriazismus."
Es gibt den Moment im Leben, an dem man weiß: ok, das ist jetzt wohl der geilste Ort, an dem man je lesen wird... Willkommen im Kater Blau:
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Der Abend begann mit einer Gesprächsrunde mit Vertretern von Sachen mit Woertern, SuKuLTuR, Metamorphosen und uns. Es wurden die Gemeinsamkeiten und Schwierigkeiten debattiert, ein neues Literaturprojekt zu starten und zu betreiben.
https://www.facebook.com/sachenmitwoertern/photos/a.483837824994073.114331.200967913281067/1137883316256184/?type=3
"Dass digital zu produzieren auch koste, betonte Josef Kirchner von der österreichischen Literaturzeitschrift mosaik, die kostenlos vertrieben wird. Auch in Blogs stecke viel Arbeit, deren Produkt hinterher gratis konsumiert werde. Da liege der Zwiespalt: 'Einerseits will man prinzipiell Niedrigschwelliges produzieren, andererseits aber nicht die Gratiskultur fördern.'"
[zum Beitrag auf Deutschlandradio Kultur]
https://soundcloud.com/user-694573966/podiumsdikussion-der-magazine-metamorphosen-mosaik-sachen-mit-wortern-und-dem-verlag-sukultur
Im Anschluss lasen Jannis Poptrandov, Doris Wirth, Karl Clemens Kübler und Lisa Viktoria Niederberger.
https://soundcloud.com/user-694573966/lisa-viktoria-niederberger
[zu den Aufzeichnungen der übrigen Lesungen]
Do, Buchdisko
Von der Disko in die Disko. Nach dem Acidbogen benötigten wir erstmal etwas Ruhe und zogen uns in die beschauliche Buchdisko in Pankow zurück. Zusammen mit Katrin Theiner konnten wir uns intensiv den Texten widmen und Kräfte für die nächsten Tage sammeln.
Fr, Hamburg, Chavis
Hamburg tat dies, was es am besten kann: ein Sauwetter haben. Wir machten das beste draus und vergnügten uns an der Reeperbahn. (Lesend im Chavis, natürlich...). Auf Einladung der Hafenlesung lasen Elisa Helm, Rick Reuther und Claire Walka. Marko Dinic las spontan die deutsche Übersetzung des anwesenden Palästinensischen Dichters Ghayath Almodoun.
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Sa, Erfurt, Kunststücke
Auf halben Weg heim liegt Erfurt. Dort startete vor kurzem die Reihe "Kunststücke" - bei der zweiten Auflage der WG-Lesungen waren wir zu Gast. Mit uns lasen Mario Osterland und Peter Neumann. Musik kam vom unglaublichen littlemanlost.
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So, Salzburg, Atelier du Bureau
"Es gibt so Dörfer, da denkst dir: Zieh aufs Land und verreck!"
Machen wir uns nichts vor: Sieben Tage im selben Auto, im selben Zimmer. Jeden Tag Autofahren, jeden Abend Lesung und Party. Es gibt schlimmeres. Aber wie das all die Rockbands gemacht haben, ohne sich die Schädel einzuschlagen, bleibt uns ein Rätsel. Da tut so ein herzlicher Empfang wie am letzten Abend im Atelier du Bureau gut. Dort kreuzten sich die Lesereisen von uns und von Nico Feiden, der in Salzburg sein neues Buch (findet ihr auch in mosaik18) vorstellt.
Alle Fotos findet ihr hier.
Vielen Dank an Lisa Viktoria Niederberger, Marko Dinic und Peter.W. - und an alle unsere Freunde und Partnerinnen überall, die uns bei der Organisation unterstützt haben. Ohne euch gäbe es keine mosaik Lesereise.
Du willst das mosaik auch in deiner Stadt? schreib@mosaikzeitschrift.at
freiVERS | Susanne Rzymbowski
Unantastbar
bist du geworden
in den Jahren der Einsamkeit
die dich erfüllt
im Mantel von Stille
den auszuziehen
du nicht bereit
im Halten von Fragwürdigkeit
eisigem Tablett
der einen Antwort wartend
die nie gestellt
Susanne Rzymbowski
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
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freiTEXT | Sabine Roidl
Krokodile in Florida
Als ich ein kleines Mädchen war hatte ich Angst vor der Atombombe und dass Papa seine Arbeit verliert.
Die Eltern sind zu Besuch. Sie haben Kuchen und Brennholz mitgebracht. Papa schichtet das Holz draußen auf, zwischendurch zieht er ein Taschentuch aus der Hosentasche, Mama legt ihm nach dem Bügeln immer eines hinein, so gefaltet, dass die gestickten Initialen obenauf liegen. Papa wischt den Schweiß von der Stirn, stopft das Tuch wieder in die Hosentasche.
Mama sagt, bis die Kinder da sind, können wir schon mal Kaffee kochen und ob es in diesem Haus nicht einmal ein Tischtuch gibt. Dann steht der Kuchen auf dem Tisch und Papa kommt wieder herein: Sag deinem Mann, er soll das Holz hacken. Hock dich, sagt Mama. Wir setzen uns, sie erzählen vom Urlaub in Florida.
War er morgens von der Schicht gekommen, wartete ich, bis die Bier-
flaschen in der Küche klimperten. Ein Zischen, Gluckern ... aaah; dann lief ich zu ihm. Zu kalt, nur im Nachthemd, brummte er, machte den Backofen an und den Deckel auf. Er zog den Küchenstuhl davor und hob mich hoch. Meine Füße in seiner riesigen Hand, die klammen Zehen bohrten in seine Handfläche. Bis Mutter hereintrabte: Was hier schon wieder los ist, ob wir Maulaffen feilhalten und was solln das mit dem Backofen. Kostet Strom nix mehr oder was?
Mama sagt, dass in Miami Wasser und Luft immer die gleiche Temperatur haben. Ist es an einem Tag 24 Grad warm, so gilt das auch für das Meer. Papa meint, das könne wohl nicht ganz stimmen, wenn es nämlich im Hochsommer mal über 40 Grad habe, und das wäre nicht selten, würde das Meer wohl kaum so heiß werden.
Vom Meer weg führen Kanäle, erzählt er, richtige Schiffstraßen, wie in Venedig, bloß viel breiter, die parken ihre Yachten direkt vor ihren Häusern. Was heißt Häuser, Schlösser sind das. Und Unsereins steht davor und kommt sich blöd vor, weil man immer geglaubt hat, man hätte im Leben auch was geschaffen, aber doch nicht so etwas und nicht in einem Land, wo das Wasser so warm ist wie die Luft. Wer hätte gedacht, dass es so etwas überhaupt gibt.
Zum Putzen reicht mir unser Schloss auch, sagt Mama, und außerdem sieht man da drüben überall nur Schwarze arbeiten. Im Hotel, an der Tankstelle, da wird schnell klar, wer bei denen die Arbeit macht ... Genau, fällt Papa ihr ins Wort, nicht so wie bei uns, wo die Kanacken den ganzen Tag nur herumlungern. Bist du still jetzt, Mama boxt ihn auf den Oberarm, die Röte schießt ihr ins Gesicht. Er meint das nicht so, Kind. Es ist nur ... der Flug war so lang ... und dieses Englische ... wir mussten so auf der Hut sein, dass wir bei der Reiseleiterin bleiben. Wir hätten ja alleine nicht einmal nach dem Weg fragen können. Genau, sagt Papa, und die Sitze im Flugzeug waren so eng, mir tut jetzt noch alles weh. Papa hebt die Kaffeetasse an, er greift sie mit der ganzen Hand, sein Finger passt nicht durch den Henkel.
Unter der Haut schimmert es schwarz: das sind winzige Teilchen der Schlacke, die er in den Hochofen schaufelte. Sie war heiß, hat sich wie eine Tätowierung in die Haut gebrannt. Das lässt sich nicht mehr auswaschen; nicht aus den Händen, nicht aus dem Mund. Alle halbe Stunde fauchte und zischte es am Hochofen und der Schlot stieß eine Flamme aus: eine Charge blasen nannte Papa das und er sagte immer zu mir, solange es das noch auf der Maxhütte gäbe, müsste ich mir um nichts Sorgen machen. Wenn er auf Schicht ging und ich schon im Bett lag, lauschte ich den ruhigen Atemzügen meiner Brüder und wartete mit dem Einschlafen bis die nächste Charge den Himmel vor dem Fenster gelbviolett erhellte.
Es war so schön in Florida, mein Kind, die Strände wie Puderzucker. Und das Licht! Wie aus Diamanten glitzert das Meer in der Sonne, jeden Tag wieder. Papa nickt und trommelt den Rhythmus eines Liedes mit den Fingern auf den Tisch. Ja, schön wars. Aber doch so weit weg von zu Hause ... genug erlebt, würde ich sagen und nächstes Jahr läuft mein Reisepass eh ab ... ach, übrigens, Krokodile haben wir auch gesehen, die sind da recht häufig ... Alligatoren, verbessert Mama. Ach so? Dann eben Alligatoren. Ganz schön große Viecher. Aber Angst hatten wir nicht.
Nein, keine Angst, sagt Mama und legt ihre neben Papas Hand.
Sabine Roidl
freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
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