freiVERS | Nico Feiden

Heimkehr

Lasst uns heimkehren,

wie konnten wir uns so lange verirren.
Fern von Zuhause,
wissen wir nicht wo unsere Heimat liegt.
Nur in den Blicken der Kinder,

die uns mit Augen betrachten,
die wie Apfelblüten leuchten,

erkennen wir unsere Heimat wieder.
Lasst uns heimkehren,
solange sind wir fort gewesen.
Mir scheint es eine Ewigkeit
& all das Heimweh setzt die Segel.
Das Lachen der Welt,

nichts als ein nutzloser Gesang in den Städten …

Lasst uns heimkehren, in den Schoß der Kindheit,
zu Weinbergen & rebbewachsenen Hängen am ruhenden Fluss auf dem
der Fährmann seine Kreise zieht.
Auf die Wiesen unserer Jugend zu Malve, Klee & Nelken.

Lasst uns heimkehren, zu Burgen die auf Bergen über das Land thronen,

zu Fachwerkhäusern & efeubewachsenen Türmen,
über gepflasterte Straßen mit Weinflaschen stolpernd.

Lasst uns heimkehren, in die Zweifel unserer Jugend,
mit mutigen Schritten über Gräber, die uns nicht fremd sind
& die wir doch niemals gesehen haben.

Lasst uns heimkehren,
Ringsum ist alles still,

liebende Hände streicheln über Stirn & Haar,
schattige Räume von gebrochenen Sonnenstrahlen durchdrungen.
Der Gesang unserer Großmutter, mit Schlaflippen in wiegenden Träumen.
In Gesichtern spiegelt sich Staub.
Wir suchen richtige Dinge, an falschen Orten …
Das endlose Ringen nach Glück,

in der Heimat scheint es fast bedeutungslos zu sein.

Nico Feiden

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freiTEXT | Esther Nowy

Erwin und Erna

Sein Nacken verkrampfte sich, als Erna wieder zu meckern begann. Wenn du früher aufgestanden wärst, dann wären wir früher im Supermarkt und müssten dann nicht so lange an der Kasse warten. Erwin verdrehte die Augen und ging schneller. Aber du musstest gestern ja wieder ewig diesen Müll im Fernsehen anschauen und ich kann dann nicht einschlafen. Erwin atmete tief aus, nahm einen Einkaufswagen und betrat den Supermarkt. Die frischen Semmeln dufteten und er griff nach einer Zehnerpackung. Immer nur Weißbrot, Weißbrot, Weißbrot... Du weißt aber schon, dass du dann wieder ewig am Thron sitzen wirst? Daneben liegt doch ein wunderbares Vollkornbrot, nimm das! Erwin reagierte nicht, er dirigierte seinen Einkaufswagen weiter Richtung Obst- und Gemüseabteilung, um eilig daran vorbei zu fahren. Das kann jetzt aber nicht dein Ernst sein, jammerte Erna. Nicht einmal ein Apfel? Wenigstens eine Banane? Erwin ignorierte sie und fand sein Ziel in der Getränkeabteilung. Der Wodka ist billig, dachte er, und sofort fiel im Erna ins Wort: Alkohol macht Birne hohl! Ist das mein Körper oder deiner, dachte er grantig, dann legte er zwei Flaschen von dem Schnaps in seinen Wagen. Ich bekomme immer so Kopfweh von deinem Fusel, beklagte sich Erna. Erwin stöhnte laut auf und legte eine Flasche Eierlikör neben die beiden Wodkaflaschen. Hier hast du deine Vitamine, Erna. Sie war sprachlos. Das passierte nicht oft, seit Erna vor einem Jahr von uns gegangen ist.

Erna und Erwin waren 58 Jahre lang miteinander verheiratet. Nach dieser langen Zeit konnten es sich beide nicht mehr vorstellen ohne einander zu sein. Als bei Erna Krebs diagnostiziert wurde, gab es für Erwin keine Diskussion. Sie sollte für immer bei ihm sein. Er verabschiedete sich von seiner Frau an ihrem Krankenbett. Bis später, rief sie ihm nach. Einige Stunden später wachte Erwin mit einem gewaltigen Brummschädel auf. So schmerzhaft hatte er sich das nicht vorgestellt. Erwin, wach auf, wach auf, rief Erna aufgeregt. Das Leben geht weiter!

Ernas Leben ging tatsächlich weiter, aber Erwin kam es inzwischen so vor, als wäre seines vorbei gewesen, als es sich Erna in ihm gemütlich gemacht hatte. Früher hatte er sich nicht vorstellen können, ohne sie zu sein. Jetzt wünschte er sich nichts sehnlicher. Nie war er allein, niemals. Egal, ob er auf der Toilette saß und den Playboy las oder unter der Dusche seine natürlichen Bedürfnisse befriedigen wollte. Noch anstrengender waren die ständigen Besuche ihrer Freundinnen und Verwandten bei denen Erwin das Sprachrohr für Erna spielen musste. Erna war immer präsent und sie hatte immer was zu sagen. Sie tat ihm nicht ein einziges mal den Gefallen, so zu tun, als ob sie gerade nicht da wäre. Erwin hatte genug, er musste Erna zum Schweigen bringen und wenn es das letzte wäre, was er täte.

Esther Nowy

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freiVERS | Isabella Krainer

manchmal

manchmal möchten möhren
eingesetzt
vielleicht auch zu höchstleistungen
angetrieben
oder mehr noch
wegen
medial produzierter minderwertigkeitskomplexe
karotten genannt
und überhaupt
attraktiver
werden

Isabella Krainer

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freiTEXT | Miku Sophie Kühmel

Gehwegplatte

Ein erstaunlich dunkler Samstag Nachmittag im Juli. In der Vorstadt ist die Luft dick und die steingrauen Wolken hängen tief. Ich trage lustlos zwei Einkaufstaschen, die, nur mit Luft gefüllt, schon zu schwer sind. Die Gehwegplatten liegen lose da, manchmal knirschen zwei verärgert, wenn ich sie mit einem Schritt in den alten Sand darunter und an den Kanten gegeneinander drücke. Im Garten meines Vaters lagen genau diese Platten auch, in so großen Abständen, dass sie für mich immer ein Hüpfspiel bildeten, auch noch, als ich kurz vor den Abschlussprüfungen stand. Wenn ein Regenguss uns in den Sommerferien überraschte, fluchte meine Mutter immer, das sei nicht barrierefrei für kurze Beine wie ihre, wenn sie daneben trat und im Matsch landete. Wir anderen lachten dann laut, mein Vater zog sie auf die Füße und mit zusammengekniffenen Augen und eingezogenem Kopf retteten wir Grillwürstchen, Auflauf, Eis und Kuchen in die muffige Gartenhütte, schlidderten mit nassen nackten Füßen auf der billigen Linol-Auslegeware, in deren schmutziges Schachbrettmuster die Mäuse und Käfer Jahr um Jahr neue Muster fraßen.

Wenn das Wetter gut war und die Gehwegplatten fast von wildem Klee überwuchert, machte ich mir den größten Spaß daraus, eine nach der anderen mit spitzen Fingern für einen Augenblick anzuheben, mit dem Ohr ganz flach auf dem Boden daneben. Zuzusehen, wie erschrocken Raupen davon larvten in das Dschungeldickicht des Rasens und Ameisen ihr Hab und Gut schnell in die hunderte winzige Löchlein verschleppten. Das Licht warf in dieser unterirdischen Steppenlandschaft, kam es einmal bis dorthin, erstaunlich lange Schatten. Mein Vater musste jedoch immer nur kurz ein Räuspern von sich geben, irgendwoher, schräg hinter den Rosenbüschen, aus dem Kartoffelloch, von der Krone des Apfelbaums oder dem Ufer des kleinen Teiches aus. Schon legte ich die Platte wieder vorsichtig zurück, darauf bedacht, dass jede der Kanten eins zu eins mit den schwarzen Quadraten schloss, dass die Platte sich im Gras zurecht gelegen hatte. Und immer die schöne Gewissheit, dass darunter Leben war. Ich war lange nicht mehr im Garten meiner Eltern. Vermutlich ist mittlerweile alles überwuchert, aber selbst wenn man die Betonplatten nicht mehr sehen kann wüsste ich genau: sie sind noch da.

Auf dem Rückweg vom Supermarkt kaum eine Menschenseele. Ein Dackel, der niemandem zu gehören scheint. In einem Auto, das auf der anderen Straßenseite parkt, streitet sich stumm und wild gestikulierend ein junges Paar. Irgendwoher schreit ein Kind. In der Ferne donnert es. Die Luft ist noch feuchter geworden, der Dreck klebt an meinen Händen, als ich mich hinhocke, gucke, ob keiner guckt, versuche, eine der Platten vorsichtig anzuheben.

Miku Sophie Kühmel

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mosaik-Lesereise Deutschland

5 Städte, 7 Lesungen, 21 AutorInnen, 3000 Kilometer

Nach der famosen Reise durch Bayern begeben wir uns erneut auf Roadtrip und packen Autorinnen und Autoren ein, um mit Ihnen den Westen, Osten und Norden Deutschlands zu erobern: vom Wohnzimmer bis zum Technoclub, vom Kulturcafé bis zur Buchdisko - und das druckfrische mosaik18 ist mit im Gepäck!

Köln

Mo, 11.4., 20:00

Weltempfänger (Venloer Straße 196) - Reihe Hellopoetry!

Wir beginnen gleich mit einem Paukenschlag: Die Reihe HELLOPOETRY! lädt uns nach Kölle - Christoph Danne und Anke Glasmacher, die wir aus mosaik16 und mosaik17 kennen, sind als LokalmatadorInnen mit dabei. Es lesen:

Musik von Miriam Berger

Sei dabei...

weltempfänger

Berlin

Di, 12.4., 20:00

ORi (Friedelstraße 8)

"KünstlerInnen jeglichen Alters finden hier eine Plattform, um ihre eigenen kreativen Ideen und Visionen zu entwickeln, umzusetzen und zu präsentieren." - könnte vom mosaik sein, ist aber vom Mission Statement des ORi. "Raum für Raum" heißt es, wenn das eine auf das andere trifft.

Sei dabei...

ori

 

Mi, 13.4., 20:30

im Kater Blau - Acidbogen (Holzmarktstraße 25)

Wenn, dann stilecht! Oben rattert die S-Bahn, unten kriechen noch die letzten Leichen der gestrigen Party raus. Es treffen sich vier unabhängige Literaturprojekte auf Einladung der Sachen mit Wœrtern und stellen sich vor:

Es liest (je ein/e Verterter*in pro Projekt):

Sei dabei...

Kater_Blau_Berlin

Do, 14.4., 20:00

Buchdisko (Florastraße 37) Es darf wieder ruhiger werden. Sozusagen eine Auslockerungsrunde in der gemütlichsten Buchhandlung in Pankow, wo wir auf Katrin Theiner und Tobias Roth treffen.

Sei dabei...

buchdisko

 

 

Hamburg

Fr, 15.4., 19:30

Chavis Kulturcafé (Detlev-Bremer-Straße 41)

Und ab geht es nach St. Pauli an die Reeperbahn. Wenn schon Hamburg, dann aber wirklich!

Sei dabei...

 

buchdisko 2

Erfurt

Sa, 16.4., 17:00

Wohnzimmerlesung - Reihe "Kunststücke"

Wir kennen es schon: Nach einer Partyeinheit folgt die Gemütlichkeit. In Erfurt - auf halbem Weg zwischen Hamburg und Salzburg - werden wir in einer WG Willkommen geheißen. In Kooperation mit In guter Nachbarschaft und dem Literatufestival Erfurt lesen:

Musik von Little Man Lost

Sei dabei...

-

Salzburg

So, 17.4., 18:00

Atelier du Bureau - "Welcome Back"-Party

Und weil wir nicht genug haben, setzen wir noch ein Heimspiel obendrauf. In gemütlicher Runde gibt es Anekdoten, Wiedersehensfreude und einen Spezialgast, der sein neues Buch mitbringt:

Buchpräsentation Nico Feiden

Sei dabei...

Lesereise_Destinationen


freiVERS | Slata Roschal

Мой голос слаб
И первой не подам руки.
На улицу я выхожу, как на расстрел.
Беги, мой мальчик, миленький, беги,
Пока луну, повесив, не сожгли,
Пока витрины, ставни глаз и лба, сильны
И не посмеют нас еще заметить.
Из пены вышли, в пене и помрем.
А кто-то вены вздумал в ванне поминать,
То в глаз, то нежно, в нос и в рот
Стук конный, неперченый ямб слагать.

 

Ich habe eine schwache Stimme
Und geb als Erste nicht die Hand.
Wie zur Erschießung geh ich auf die Straße.
Mein lieber Junge, lauf doch, lauf,
bevor der Mond gehängt ist und verbrannt,
bevor Vitrinen, unsrer Stirn und Augen Läden
noch stark sind und man es nicht wagt, uns zu bemerken.
Aus Schaum gekommen, enden wir im Schaum.
Und jemand kam im Bad drauf, seine Venen zu gedenken,
ins Auge mal, mal zärtlich, in die Nase, in den Mund
ein Hufgeklapper, ungewürzten Jambus zu verfassen.

Slata Roschal

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freiTEXT | Steffen Roye

Bob Dylan im Beinbereich

Das letzte Mal bin ich Autoscooter gefahren, da war ich zwölf oder vierzehn. Dann war die Kindheit vorbei, und nur in Hollywoodfilmen fahren auch die Erwachsenen gelegentlich damit, begleitet von einem gitarrenlastigen Soundtrack, und es sind die Pausen dieser Filme, ein Ausatmen im Einatmen, und sie lachen dann und rammen sich absichtlich und haben Spaß wie die Kleinen, und was sich neckt, das liebt sich.

Ich muss daran denken, weil ich mich in den Kreisverkehr eingefädelt habe und seither um das Denkmal fahre, wie Geier um ihre Beute kreisen, nur dass ich nicht weiß, was mir Beute sein sollte. Ich drehe Runde um Runde und überlege, wohin ich aus dem Kreisverkehr herausfahre: zu den Eltern, die es schon immer gewusst haben; oder zu Robert, der allerdings gerade mit seiner Freundin zusammengezogen ist; oder zu Heidi, die in der Kantine schon oft ihre mütterliche Hilfe angeboten hat.

Die Autos kreisen auf ihren Bahnen. Obwohl es auf Mitternacht geht, ist einiges los. Von rechts kommen weitere Autos hinzu, bremsen ab und stürzen sich kaltschnäuzig in den Strudel, und dann werden Blinker gesetzt, und sie lassen sich an einer anderen Stelle wieder aus dem Strudel fallen, und wie das alles funktioniert und ineinandergreift, dieses Treffen und Kreiseln, das erinnert mich an meine Kindheit und den Autoscooter auf dem Rummel, nur dass man es hier vermeidet, einander zu rammen, weil das Spiel sonst vorbei ist, wo es früher umso beherzter weiterging.

Ich stelle das Radio an. Irgendein Quotenhit – weg. Nachrichten, immer fünf Minuten früher, auch um diese Zeit – fort. Eine Bigband – das muss dieser Sender sein, der den ganzen Tag das Beste aus den Vierzigern und Fünfzigern spielt und lange vor der Musik aufhört, bei der die anderen anfangen. Duke Ellington fordert gerade: Take The A-Train. Und während die Lichter um mich kreisen und rechts ein Auto an mir vorbeizieht und im Innenring ein Motorrad bedrohlich schräg in der Kurve liegt, finde ich, dass zu einer nächtlichen Fahrt durch meine Stadt nichts besser passt als diese ollen Swingkamellen.

Und ich sehe in die beladenen und von den Straßenlaternen ausgeleuchteten Autos, und die Musik im Radio schiebt etwas zusammen, ein Mosaik, plötzlich erscheint alles klar und doch wie durch eine ungeputzte Brille, und es wundert mich nicht, dass vor mir und neben mir alle Fahrer exakt den Ellington-Rhythmus auf Lenkräder und Fahrertüren trommeln.

Es erscheint alles klar und es wundert mich nicht seit dem kleinen Stau vor fünfzehn oder zwanzig Minuten, beim ehemaligen Luxor-Filmpalast, wo die Stadt, wenn man sich aus den Außenbezirken einsaugen lässt, erstmals etwas Konzentriertes hat mit der breiten und zugleich in die Bausubstanz hineingequetschten Straße, mit den mäandernden Straßenbahnschienen und den Mietskasernen aus der Gründerzeit und den Ampelkreuzungen und dem umgitterten Park und den drei Tankstellen und der verfallenen Brauerei auf der rechten Seite, an deren Stelle seit fünf Jahren ein Baumarkt entstehen soll. Vorn hatte es offensichtlich einen Unfall gegeben: Blaulicht flickerte und schlug an die Fassaden wie auf Kinoleinwände. Auf dem Fußweg standen Leute, ein paar trugen Overalls in Signalfarben, aber sie schienen es nicht eilig zu haben. Der bisher locker fließende Verkehr verengte sich im Reißverschlussverfahren auf eine Spur. Diszipliniert ließ der eine dem anderen die Vorfahrt: wie das alles funktioniert und ineinandergreift. Rechts neben mir zog langsam ein Saab vorbei, und ich schaute unwillkürlich hinein. Ein Mann hielt das Lenkrad mit der Linken fest umklammert, den Blick geradeaus. Auf seinem Beifahrersitz stand, von den Straßenlaternen leidlich angestrahlt, ein ficus benjaminii, der seine Zweige immer wieder nach dem Fahrer ausstreckte, als wollte er ihn necken, doch der Fahrer starrte geradeaus und wischte die widerborstigen Zweige gleichmütig beiseite. Und dann entdeckte ich auf seinem Rücksitz, ungleichmäßig angeleuchtet, Umzugskartons und etwas, das aussah wie ein Vogelkäfig, und ein Stapel Bücher lehnte an der Scheibe.

Der Saab zog an mir vorbei, ich aber musste bremsen und kurz halten. Dass die eigentlich behinderte Spur wieder einmal die schnellere war! Wie in einem Fernsehgerät wurde ein Passat eingeblendet, eine Frau saß darin, auf ihrem Beifahrersitz erkannte ich (als Silhouette) einen Grammophontrichter, und auf dem Rücksitz, der langsam in mein Blickfeld kam, war eine Art Garderobenständer platziert und ein undefinierbarer Berg, vielleicht Wäsche, obenauf etwas, das wie ein Paar Ski aussah und in den einsehbaren Kofferraum hineinragte, in dem außerdem eine Kommode verstaut war.

Jetzt schaute ich gezielt. Mein Vordermann hielt den Arm aus dem Fenster und klopfte einen Rhythmus auf die Fahrertür, und im Kofferraum erkannte ich die Umrisse eines Kontrabasses und einer Staffelei und eines Fahrrades.

Langsam fädelte ich mein Auto durch das Nadelöhr und zog an einem Polizei-BMW vorbei und an zwei Fahrzeugen, die ein bisschen Blechschaden verursacht hatten. Fast fuhr ich meinem Vordermann auf die Stoßstange, weil ich mich zu sehr auf die Unfallwagen konzentrierte und auf den Globus und den Katzenkorb, die auf einem der Autodächer abgestellt waren, und auf den Pudel, der auf einem der Fahrersitze stand und die vorbeifahrenden Autos ankläffte, und auf all den schemenhaft sichtbaren Hausrat, der die Hinterachsen der Unfallwagen nach unten drückte, als wären sie zu dieser Stunde noch unterwegs zu irgendeinem Flohmarkt.

Der Katzenkorb auf dem Autodach brachte mir in Erinnerung, dass auch ich einen ähnlichen Eindruck auf jene machen musste, die Zeit fanden, in meinen Wagen hineinzuspähen. Meine Yuccapalme stand auf dem Rücksitz und wippte wie ein Wackeldackel, und sie teilte sich den Platz mit einem Seesack voller Hosen und Hemden und T-Shirts und Unterwäsche und Socken und Sportsachen, und den Kofferraum füllte neben anderem mein Lieblingssessel, eine Bücherkiste und die geerbte Standuhr, auf dem Beifahrersitz stand meine Stereoanlage, und davor, im Beinbereich, hatte ich meinen Laptop und meine Schallplattensammlung deponiert, Bob Dylan und Bruce Springsteen hat man eben als Vinyl, genau wie einiges von dem gitarrenlastigen Material, das in Hollywoodfilmen Szenen untermalt, in denen Erwachsene beispielsweise mit dem Autoscooter fahren, und es sind die Pausen dieser Filme, ein Ausatmen im Einatmen, und sie lachen dann, die Erwachsenen, und rammen sich absichtlich und haben Spaß wie die Kleinen, und was sich neckt, das liebt sich.

Merkwürdig, dass die drei Jahre mit Maria in einem einzigen Auto Platz haben. Einem Auto, das ich schon fuhr, als wir uns damals im Fitnessstudio kennenlernten. Und eigentlich kam das alles nicht überraschend, immerhin konnte ich einen geordneten Rückzug antreten, obwohl ich im ersten Moment auf alles gefasst war. Dabei hatte ich Maria mehrmals gewarnt, dass mir irgendwann der Kragen platzen würde, wenn ihre verdammte Katze meinen Lieblingssessel weiter als Kratzbaum, dieses Mistvieh!

Nun also fahre ich um das Denkmal, wie Geier um ihre Beute kreisen, nur dass ich nicht weiß, was mir Beute sein sollte. Ich drehe Runde um Runde und überlege, wohin ich aus dem Kreisverkehr fahre. Wie das hier alles funktioniert und ineinandergreift, das erinnert mich an meine Kindheit und den Autoscooter auf dem Rummel, nur dass man es hier vermeidet, einander zu rammen, weil das Spiel sonst vorbei ist, wo es früher umso beherzter weiterging. Und nur in Hollywoodfilmen fahren auch die Erwachsenen gelegentlich damit, und es sind die Pausen, und was sich neckt … Und ich sehe in Autos voller Koffer, Grünpflanzen, Möbel, Kartons, Vogelkäfige, Grammophone, Fahrräder, Instrumente und Schallplattensammlungen, und die Musik im Radio schiebt etwas zusammen, ein Mosaik, ein Puzzle, und es wundert mich nicht, dass vor mir und neben mir alle Fahrer auf Lenkräder oder Fahrertüren exakt den Rhythmus von Take The A-Train trommeln, das inzwischen beim Finale angekommen ist. Und das abgelöst wird durch Judy Garland, die leichthin das Verkehrsmittel wechselt: Fly Me To The Moon. Und die Fahrer ziehen an mir vorbei mit melancholischem Blick, und mit manchen kreise ich drei oder fünf Runden, bevor sie sich zum Ausfall entschließen, und manche wissen offenbar sofort, wo sie diese Nacht unterkommen können.

Steffen Roye

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mosaik20 - was jetzt passiert...

 

Kaum ist der Einsendeschluss vorbei, vergisst man leicht darauf. Doch wenn eure Arbeit endet, beginnt unsere erst.

 

Was ihr gemacht habt:

Ihr habt uns wunderbare, höchst unterschiedliche Texte, Fragmente, illustrierte Prosa und ganze Kurzprosareihen geschickt - alles zum "Thema" Zweifel zwischen Zwieback. Dort kommt der Junge von der Zwieback-Packung vor - und die Zwieback-Brösel im Bauchnabel.

-

Was wir jetzt tun:

Alle Texte wurden anonymisiert und standardisiert und so der Jury übergeben. Ungefähr 500 eng bedruckte DIN A4-Seiten sind das... Diese jungen und fähigen AutorInnen und Menschen aus dem Literaturbetrieb werden in den nächsten Tagen eure Texte studieren, drüber diskutieren und uns anschließend eine begründete Auswahl präsentieren.

Und dann geht der Spaß erst so richtig los:

  • Lektorat
  • einheitliche AutorInnenfotos und -biographien
  • Layout, Satz & Grafik
  • Drucklegung
  • Buchpräsentation
  • #famefamefame

 

Was ihr jetzt tun dürft:

Hände hinter dem Kopf verschränken. Geduld haben. Oder die Zeit nutzen und Schreiben und Lesen:


freiTEXT | Hey, Palsson!

Salzeis

„Heppa, Heppa, Hepal! So morsche Pfoten und wo hast du deine richtigen Handschuhe gelassen?“ Und ich lache, denn für die Beiden könnte es doch nicht besser gehen. Die alte Lochsocke pufft sich über links und an der anderen hängen deine Kleinstfinger. Ganz schön heiß hier! Gestern im Straßenglück die flitzende Bekanntschaft mit offenen Armen geschnappt und spendiert, dass sich die Flammen fetzten.
Mein Trinkgeld hattest du unter den Tisch geschlagen, weil dein Stolz brüllte. Und danach, das übliche Dankbare mit den Gläsern und auf Matratzen. Der abscheuliche Rauschmorgen geht mir davon, als du mich durch die Tür fragst: „Ist es okay, wenn ich in deine Dusche pinkel?“

Hey, Palsson!

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freiVERS | Renate Aichinger

#einbrennen

seele
verkühlt

herzen
blickdicht verschlossen

sterbekerzen
verflackern die sicht

totaugen
stechen blicktief die iris

er
reichen uns trotzdem nicht

Renate Aichinger

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