freiVERS | Andra Schwarz

Zeig deine zunge die wurzel des sprechens україна
zweige & äste ranken aus einer kehle an der grenze
zum wilden feld schwarze erde auch deine stimme
das ж an den anfängen & enden und in der mitte
о боже! wer teilt diese stränge einer sprache wie
ein schnitt durch die kehle das keuchen der lunge
am rande granaten brennen löcher in den magen
der steppe ziehen feuer & rauch durch die lenden
zu den hölzern zwischen kiefern auch birken ihr
knacken wer spaltet die stämme sie brechen aus
der höhle die wurzel des sprechens in den längst
gerodeten wäldern die niemand mehr kennt

 

Andra Schwarz

 

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freiVERS | Sigune Schnabel

Heute trägt der Tag Türkis

und legt mir Muscheln zwischen die Zehen.
Wir graben uns bis zum Hals
in den Sand.
Unser Kopf sprießt
in blauem Hut
aus dem Boden.

Mutter rankt sich
an Kettensätzen durch das Jahr,
sucht Halt,
wird jeden Sommer größer.

Du reichst meinen Worten
eine Räuberleiter.
Jetzt sitzen sie in den Pinien,
blicken auf alles herab.

Sigune Schnabel

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freiVERS | Lars Weylthaar

#12

Ich schreib Dir eine Nachricht
& streich das meiste raus

Bild Dir nichts ein auf
Die Arbeit, die ich
Mir mache

Es ist nicht Deinetwegen
Sondern aus Prinzip

 

#15

Mein Vater sagte stets
Ich mache nur Unsinn

Liebevoll verschwieg er
Dass ich auch daran scheiterte

Lars Weylthaar

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freiVERS | Stefan Heyer

alleenbäume

alleenbäume umkurvt, die alten kastanien haben
ihr früchte abgeworfen, goulds krummer rücken
über dem klavier, hastig heben die Kinderhände
auf, drachen sind keine zu sehen, felder leer
daliegend, seine stirn legt sich in falten
kühl der wind pfeifend, wollmützen werden
über die ohren gezogen, in der küche tee
und heiße schokolade, das service der
großmutter hatte ein rotschwarzes Karomuster
der henkel der kanne notdürftig geflickt
die allee gibt es nicht mehr, längst gewichen
der neuen straße, alte wurzeln herausgerissen

Stefan Heyer

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24 | Sigune Schnabel

Aschetage

Hier ist der Raum tiefer
als jeder Gedanke,
fällt Regen von Dachkanten.

Seit Stunden
raschelt es in meinem Kopf,
und etwas brennt sich ein,
wenn wir so schütter beieinander liegen.

Im letzten Wortbruch
suche ich nach Scherben
für mein Sommerhaus.
Doch du greifst mich am Nachtsaum,
schleifst mich fort,
aus Angst, hier zu verwittern.

Sigune Schnabel

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22 | Nico Feiden

winterfremde

wir teilten diesen  morgen
auf
der atem beschlug die fenster
von der kühle sprachen die fahnen im wind
zu zittern lag in ihrer natur.

jenseits der luft lernten wir zu schreien
was nicht gesagt werden konnte:
vielleicht halten die farben den schlaf zurück
dann, am abend zieht die kälte ein
während kippen schneeflocken vergiften

überwintern zu zweit
in der provinz oder der periepherie
als ahnung der stimmen
an den masten
die flaggen flüstern gebete
noch ohne nation.

manchmal wenn die autobahnen
schweigen
hören wir das knistern in der luft
atmen die leere
folgen fremden fußabdrücken im schnee
und ahnen nur,
dass es unsere eigenen sind.

Nico Feiden

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21 | Alexander Rall

Antiquariat Unverzagt

Die Deutlichkeit mit denen der Staub
zwischen den Buchdeckeln qualmte

Wo finde ich, fragte ein Kunde
fantastische Literatur

Ich fühlte mich auf meinem Stuhl
wie plötzlich gezeichnet
die anderen Stühle begannen zu scharren
Blätter rätselten leise

In dem späten Abendhimmel dort
in dem Buch zwischen den schwarz-weiß
glühenden Feldern

Alexander Rall

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20 | Lütfiye Güzel

Wieder

Vortrieb. Auftrieb. Widerstand. Schwerkraft.
Ich sehe durch das Fenster. Meine Beine über Kreuz.
Das Herz nicht mehr zu retten.
Eine mittelgroße Tasche ordentlich im Gepäckfach verstaut.
Die Fensterklappe offen.
Beim Start. Bei der Landung.
Ein schneller Überblick.
Von außen. Von innen. Nur weg hier.
Nichts mehr aufräumen. Nichts mehr reparieren.
Die Wespen auf dem Mohnbrötchen beobachten.
Ganz normal „Guten Tag!“ sagen mit
fester Stimme und dabei innerlich
zerrüttet. Nicht nur angeschlagen.
Ausgehebelt.
Für immer und drei Stunden.
Heiße Tränen bei der Mittagsmeditation,
so unter dem Etagenbett, leise, allein.
Halb Mensch, halb Käsestange.
„Escritora“ steht da neben der Tastatur.
Meine Botschaft ist keine.
Kein Platz mehr für Sentimentalitäten.
Die Lage zu ernst. Das „Ich“ ist vorbei.
Alle fahren Panzer.
Den Vögeln Brotstücke auf die
Fensterbank legen.
Manchmal Dankbarkeit ernten.
Manchmal nicht. Dann liegen die Stücke
am Abend noch da und dazwischen ein
bisschen Vogelscheiße, wie Senf.
Vortrieb. Antrieb.
Widerstand.
Widerstand.
Widerstand.
Widerstand.
Widerstand.
Widerstand.
Wieder.
Widerstand.

Lütfiye Güzel

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19 | Stephanie Divaret

Die Welt ist alles, was der Fall ist.
Ludwig Wittgenstein

Die besten Momente hatte der Friedensstifter
in seinem Rattenloch.
Unversehens sprang er aus dem Licht :
Berühre meine Seele nicht! : ins Dunkel.
Wochenlang umkreiste er die Frage
nach dem richtigen Moment.
Fatale Hilfsarbeiter schwirrten wohl herbei,
flüsterten ein, brachten ihm Spezereien.
Dann rief die Menge: Holt ihn!
Bunte Hüte flogen, Licht floss und wogte
auf goldnen Dächern.
Geblendet hob er also mählich seine Hand
(ob er sie segnen sollte?).
Stille. Bis er sprach.
Der Trost kandierte ihre Herzen,
ein süßes Meer aus Zuversicht.
Bis jener, mit dem schwarzen Hund,
Hand vor der Brust, kurz, trocken, zischte:
Fass!
Die Schwerkraft tat ihr Übriges.

Stephanie Divaret

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18 | Anna Neuwirth

darüber liegt eine schicht

in ihrer schachtel liegen zehn Sterne

ihre wurzeln sind nicht ausgegraben
sie stecken fest im boden
ausgraben bedeutet der stamm würde umfallen

da wo früher ein zahn war ist jetzt ein loch
die türen lassen sich nicht wieder schließen
die fenster wurden nie geöffnet

es ist hell genug
sie findet auch ohne brille nach hause

Anna Neuwirth

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