an meine hijabis

als meine beste freundin in der sechsten klasse
mit einem kopftuch in die schule kam
sah ich die blicke der anderen

ich bewunderte sie
wie konnte sie so stark sein
und diesen blicken standhalten

ihre tage änderten sich
sie bestanden nur noch
aus einem steten erklären ihrer entscheidung
aus stetem rechtfertigen
aus stetem zerstören von vorurteilen

—–

irgendwann wandelten sich die schockierten blicke
und füllten sich mit hass
bis ein junge ihr den hijab vom kopf riss
und ihr dunkles haar für jeden sichtbar wurde

als er lachte
und sie voller angst und scham
ihre haare bedeckte
änderte sich erneut etwas

ihre tage bestanden von nun an
aus steter vorsicht
aus dem beklemmenden gefühl
dass ihre entscheidung zur verhüllung
andere belästigte

—–

seit diesem vorfall sind einige dinge geschehen

in frankreich gilt bedecktes haar
als zeichen des terrors
in österreich dürfen mädchen
nicht mehr über ihre kopfbedeckung bestimmen
und die schweiz verbietet das verhüllen in der öffentlichkeit
denn eine solche verhüllung sei extrem

und nun hat auch deutschland etwas bestimmt
hijabis wie meiner mutter
meiner schwester
und meiner besten freundin aus der sechsten
die jobchancen genommen

versteckt hinter der phrase neutralität am arbeitsplatz
versteckt hinter dem wort freiheit

denn was ist freiheit
wenn nicht eine starre definition
der weißen masse

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Hatice Acikgoez

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