freiVERS | Kornelia Wald

Winterhecke

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kornelia Wald

 

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freiVERS | Max Rauser

nur was zerbrochen ist, ist sichtbar

das halbe haupt gehoben
nur was zerbrochen ist, ist sichtbar
vom stamm die rinde weggeschoben
das licht in fahlen dunst zerstoben
die splitter hoch erhoben
nur was zerbrochen ist, ist sichtbar

das glas geworfen an die wand
nur was nicht nutzbar ist, ist sichtbar
ein siegel auf dem lockren land
ein haken in der flachen hand
ein becher liegt im feinen sand
nur was nicht nutzbar ist, ist sichtbar

im trommelfell ein leichter riss
nur was verwundet ist, ist sichtbar
hinterm ohr ein tiefer biss
im gesicht ein alter schmiss
auf dem thron ein fliegenschiss
nur was verwundet ist, ist sichtbar

 

Max Rauser

 

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24 | Katharina Ferner

lunzt (na)
umadum
riahst (di)
wözt (di)
drahst (mi)
schlawinast
heast (na)
sog amoi
wia warats
won wia a wengal efta
lunzn taadn

 

Katharina Ferner

 

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23 | Andreas Hippert

Alter

Im Apfelgarten
von den Jungbäumen
unbeachtet
die er seit Äonen
unter den Fittichen seiner Äste behütete
unscheinbar
zwischen der Blütenpracht
der prallenden Bäume
stand er
in seinen fruchtlosen Jahren
unsichtbar geworden
viele Winter lang
bevor ihn
das Eis zerbrach.
Darniederliegend
erblühte er
letzte Äpfel.

 

Andreas Hippert

 

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20 | Manon Hopf

WENN DIE MÜTTER ZU
frieden sind
kochen sie
richten sie
den Teig
und rollen die Finger
in die Füllung
dort liegt die Hand
im Bauch
sie brauchen sie dann
nicht an der Waffe
sondern im Gewicht

 

Manon Hopf

 

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19 | Alisha Gamisch

advent ende zwanzig

die großen generationen sterben ab
sie lassen ihre haut zurück und ein zwei sprengkörper unter häusern
fernnah gesehen die angst
in den augen der opas wie viel prozent
hungerleuchten disziplin hörigkeit? die oberen die oberen
eben und uns ist auch so viel leid geschehen der apfelstrudel im starnberger
haus des großtantenmannes
die russn die tschechn die säue
stolpern durch albwörter
winden durch entwurzelte ausreden
ja aber wir hatten nie ein zu hause so wie du

nemez haben sie mich genannt sagt ein opa
und russ haben sie mich auch genannt

wenn zwei opas sich als jugendliche begegnet wären
hätten sie sich erschossen oder einen schnaps getrunken?
die zeit sie dehnt sich durch gene hindurch sie blättert von der wand
legt hände drauf
ein opa in einem anderen haus
zitiert ein gedicht von kästner
ohne fehler – fehler? er kann sich nicht mehr erinnern
auch erzählen geht noch aber
ohne bezug zum heute oder morgen
keine frage kommt ihm in den sinn
verschoben das gefühl im jetzt zu sein

 

Alisha Gamisch

 

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15 | David Hassbach

Weihnachten im Schlachthaus

Am Heiligabend machte ich immer eine Doppelschicht im Schlachthaus.
Ich wollte nicht wie die ganzen Arschlöcher sein,
die das ganze Jahr über ihre Frauen schlagen
und dann für einen Abend ein nettes Gesicht aufsetzen,
ihren Bälgern etwas Liebloses schenken
und sich anschließend mit Punsch besaufen.
Außerdem wartete zu Hause niemand auf mich.
Mein Vorarbeiter Jack, ein derber Mann
mit Bratpfannenhänden und einem Kopf so groß
wie der eines Ochsen, trank immer aus seiner Whiskeyflasche,
sprach dann vom heiligen Geist und lachte dreckig,
wenn sich wieder jemand einen Finger abschnitt.
Dieser Betrieb hatte fürwahr mehr Krüppel produziert,
als so manches Schwangerschaftsmedikament.
Die Zeit verging langsam und gegen acht Uhr
spürte auch ich den Whiskey schon in den müden Knochen.
Doch plötzlich lag ein Schimmer in der Luft,
wie wenn sich das schummrige Kneipenlicht
im Pailletten-Kleid einer billigen Nutte reflektiert.
Einem der frischen Kalbskadaver wuchsen auf einmal Flügel
und dieser Kalbsengel stieg in die Luft empor
und verkündete die Frohe Botschaft.
Unter den Arbeitern wurde es still.
Doch dann schlug Jack dem himmlischen Vieh einen Haken durch die Ferse und zog es
schreiend hinauf zu den anderen Kadavern,
bis es verstummte.
Während ich noch einen Schluck Whiskey nahm, dachte ich:
An diesem gottlosen Ort ist einfach kein Platz für Weihnachten.

 

David Hassbach

 

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12 | Enno Ahrens

Lausige Weihnacht

Wir sind uns näher auf den Pelz gerückt,
Zeit des Lausens; ein wispernder Flockenwirbel
klopft sanft an eisfreier Doppelverglasung,
Herzströme scheinen in den Lichterketten zu fließen,
sehnsuchtsvoller Duktus in uns dimmt die grellen Dioden.
Wir blinzeln uns eine Winterlandschaft in
die Großstadt wie die bezaubernde Jeannie.
Schwermütig versinken wir in alten Bratapfelträumen,
als unsere Mutter noch da war; mein kleiner Bruder
hat noch ein paar Lebkuchen aufgetrieben von ihr,
sagt, darin lebt Mutter weiter, und wir
bewahren sie auf bis zum nächsten Heiligabend,
wenn es wieder darum geht zu lausen.

 

Enno Ahrens

 

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11 | Stéphanie Divaret

 

„They are mates, and like all true
companions they are devoted
and they bite.“

Keetje Kuipers – The Rats

 

wer sonst

hätte geschütze
wer sonst als sie hätte / also
wer hätte sie denn sonst geschützt
weil es brauchbar sei
ein brauch sich zu schützen
durch / also es zu brauchen
das geschütz zum schutz
den brauch zu schützen
die bräuche
was sonst
hätte schutz gebraucht
wer sonst als sie / also
wer glaubt schützt sich
und seine bräuche
braucht glauben an schutz
braucht schutz durch glauben
schützt sich
durch geschütze / also wer
also weil
es brauch ist
so wird es geglaubt

 

Stéphanie Divaret

 

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09 | Andreas Hutt

hier ist sogar kiefernwald möglich.
kläffen eines hundes, das die richtung vorgibt,
mit schiefer gepflasterte wege, folgen

die augen einem imaginären fingerzeig nach oben
ins rostrot verdorrte.  je höher wir steigen,
desto mehr schleicht sich kahles grün
in die knochen.

ist das ein wasserfall
der den geruch von moder
auslöst?

hinter dem hügel
leblose ausläufer der stadt.

 

Andreas Hutt

 

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