11 | Verena Ullmann

FortuneTeller

Du glaubst nicht an Zufälle, du glaubst an das Schicksal. Er findet das lächerlich. Noch nicht einmal sein Horoskop darfst du ihm vorlesen. Natürlich bist du nicht so naiv, das alles wörtlich zu nehmen. Sonst hättest du, die Jungfrau, ihn, den Fisch gleich wieder abgewimmelt. Das wäre schade gewesen, denn inzwischen habt ihr es euch so schön eingerichtet in eurem Aquarium.
Klug wie du bist, liest du das Horoskop vielmehr wie einen Wetterbericht. Da die Wolken nun mal ihre Launen haben, geht es vor allem darum, draußen die Augen offen zu halten.

Heute schenkt dir der Chinese mit der Rechnung einen Glückskeks. Nicht rein zufällig, nein. Wie du an seinem Lächeln siehst und an dem kleinen Zwinkern des Schicksals in seinen Augen, ist dieser nur für dich bestimmt und verspricht dir – schwarz auf weiß – Reichtum.

Erst fragst du dich, ob du gleich beim Kiosk vorne einen Lottoschein ausfüllen sollst. Aber das wäre zu einfach und leichtsinnig unverschämt dieser rätselhaften Macht gegenüber. Als du aus dem Restaurant spazierst, verdunkelt sich plötzlich der Himmel und vertreibt die Freude aus deinem Gesicht. Was wenn du erbst? Wenn jemand stirbt? Oma? Dein Vater? Du wirfst den Streifen Papier mit deinen negativen Gedanken in den nächsten Mülleimer, bevor das Schicksal sie bemerkt.

An der Ecke vor der Bushaltestelle zieht schließlich etwas deinen Blick auf sich. Ein Pappkarton. Er ist schon aufgeweicht, der Krempel darin lieblos durchgewühlt und laut Zettel „zu verschenken“. Unter dem Plüschhund und dem Kabel eines wohl nicht mehr funktionstüchtigen Geräts schimmern Blümchen hervor. Sie tanzen im Kreis und spielen mit den Flocken, die gerade wieder anfangen vom Himmel zu fallen. Deine Augen hängen an den Goldrändern, aber du weißt, der Bus kommt gleich und außerdem beginnt der Schnee zu nerven. Du willst den Strauß pflücken und merkst dabei: darunter sind noch mehr davon, ein ganzer Stapel Kostbarkeiten! Darum ein Gummiband gewickelt, lächerlich instabil. Also gräbst du sie mitsamt den Wurzeln aus, um sie nicht zu trennen. Auf der Busfahrt scheppern sie ein leises „Danke“ und du erkennst, wie wunderschön sie sind.

Zuhause fragst du dich, wohin damit? Das Regal in der Küche ist voll mit Schlichtheit in Scheiben. Und dein Fisch wird dich sowieso fragen, was du da wieder für einen Kitsch angeschleppt hast. Also pflanzt du sie erst einmal auf den Esstisch, dort wo die Sonne Platz nimmt, wenn sie denn heute noch vorbeischaut, und fragst dich, was sie wohl wert sind. Auf der Unterseite des Tellerstapels steht in feiner Schrift „Versailles“ und innerlich triumphierst du schon, als wärst du rechtmäßige Erbin von Marie-Antoinettes Kuchenservice, so unwahrscheinlich dies auch sein mag.

Es hat aufgehört zu regnen und du trägst deinen neuen Schatz, bevor dein Fisch nach Hause kommt, zum Antiquar auf der anderen Straßenseite. Du hast dir extra fusselfreie Handschuhe angezogen und deine Hände darin zittern so vor Aufregung, dass du Angst hast, all die Blumenpracht auf den vier Metern Straße zu zerschmettern. Du setzt sie auf der Theke ab. Der
alte Mann mit der Brille macht nur leider all deine Vorsicht sofort zunichte: er grabscht sich das oberste Exemplar, lässt Licht darauf prallen und kratzt mit seinem Fingernagel sogar an der Oberfläche der Blütenblätter. Für die geheimnisvolle Inschrift hat er nur ein Stirnrunzeln übrig, dem ein abschätziges Lächeln folgt. Dann verschwindet er wortlos in den Nebenraum. Mit so einer Unverschämtheit hast du an deinem Glückstag nicht gerechnet. Deine Aufregung schlägt in Wut um und du bist kurz davor zu gehen, bevor du überhaupt seine Meinung gehört hast. Allein wie inkompetent er sie begutachtet hat! Wie soll er so ihren wahren Wert erkennen?

Da erblickst du, zwischen Theke und Tür, ein Glitzern. Die Sonne ist zurück und spielt auf der Klinge eines Dolches, der in einer offenen Schatulle ruht, als wolle sie dir ein Zeichen geben. Als der Mann zurückkommt, hast du den verzierten Griff schon fest in deiner rechten Hand hinter deinem Rücken. Wie erwartet erklärt er, dass er dir für den wertlosen Krempel kein Geld geben kann. Da musst du ihm natürlich widersprechen. Mit der Spitze des Dolches kratzt du an seiner Kehle und er legt dir, mit einer Behutsamkeit, die du ihm nicht zugetraut hast, den Kasseninhalt auf die Theke. Etwas über Zweihundert Euro sind es nur.

Unter Reichtum hast du dir etwas anderes vorgestellt, aber für Diskussionen bleibt keine Zeit und leider hast du keine Tasche bei dir, um weitere Kostbarkeiten einzupacken. Also greifst du das Geld mit deinen Handschuhen, lässt den Dolch fallen, die Teller stehen, rennst nach draußen und traust dich erst wieder in dein Aquarium zurück, als es erneut zu schneien beginnt. Dass zwischen dem dritten und dem vierten Teller, dem vierten und dem fünften, sowie dem fünften und dem sechsten weitere Geldscheine eingeklemmt waren, insgesamt weitaus mehr als zweihundert Euro, das wirst du erst von den Polizeibeamten erfahren, die – zusammen mit deinem zappeligen Fisch – schon am Esstisch auf dich warten.

Verena Ullmann

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10 | Johanna Beck

Souterrain

Er hat seinen Keller recht gut vermieten können, sagt der Grubinger.

Ah geh, wirklich! Wir haben ja nicht mal die Ski mehr dort unten, die Stahlkanten sind bei der Feuchtigkeit doch immer verrostet.

Die scheinen nie auszugehen, diese Leut´, arbeiten wohl nichts, immer brennt eine Funsel. Aber man sieht ja nicht hinein, die zerbrochnen Scheiben haben sie mit Zeitungen ausgestopft und verklebt.

Nimm doch noch eine Wurst, Franz!

Die Frau ist schwanger, schon ganz zuletzt, sagt der Grubinger.

S´ist wohl schon da, die Hausbesorgerin hat gestern g´schimpft, dass sie zu Mittag nicht schlafen kann, weil es schreit so, das schwarze Kleine.

Magst nicht noch eine Wurst, Franz?

Johanna Beck

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09 | Andrea Nagy

Fortschritt

Selbst ist die Bedienung
der Bedürfnisse wenn diese
schwach in der Wahrnehmung
hart in allen Devisen
versehen mit blinden Bandagen
aber ohne Diesel bitte

Das geht so nicht
das rechnet sich nicht
das geht sich nicht aus
nicht aus aus aus

Aber ohne Bedürfnisse sind wir
aber ohne Bedienung brauchen wir
aber wir haben doch
aber wir sind ja
doch immer
allein

Andrea Nagy

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08 | Seitenstechen - Zwei Collagen

Je ein Satz aus jedem Beitrag der Literaturzeitschrift Seitenstechen #1 & Seitenstechen #2 – zufällig ausgewählt, sinnig aneinandergereiht, einen neuen Text ergebend:

 

#1: Seefahren macht besser

Madam kocht schlechtes Essen, Sami spielt Klavier, mit den Kavalieren tanzen wir, da an der Nordsee nicht viel passiert, haben wir drei Mal Sex am Tag. Blow, boys, blow … Knut schwingt den Fang an Bord. Auch er trägt einen Bart. Er schwenkte einen Bananensack in der Hand. Er rief seine Gefährten und zeigte nach dem Baum. Die Matrosen, klein wie Miniaturfiguren, laufen über die Hängebrücke an Land. Einige nackte Männer und Sonnenschein, ein Hundebellen, ein landendes Flugzeug. Der Mond geht auf und unter und an Deck pennt die Wache. Die Wehrmacht zog sich von der Küste zurück.

Danach segelten wir wieder auf das Kap der Guten Hoffnung zu, denn wir waren davongesegelt wohl tausend und vierhundert Meilen.

Wir sind doch unterwegs, es heißt »Wir«, schon richtig! Mein Kompass schlug aus. Die Nordsee vor mir wird lebendig. Im Licht der Ägäis versinkt die Britannic. Die Schreie des Sturms sind zu hören, sonst ist es still an Bord. Das Schweigen dauerte. Wenn der Kopf in den Korb fällt, ins blutgetränkte Stroh. Manchmal holt er das Boot aus dem Versteck: Wir steigen aus.

Und wie der stürmende Wind in die trockene Spreu auf der Tenne ungestüm fährt und im Wirbel sie hiehin und dorthin zerstreuet, also zerstreute die Flut ihm die Balken.

Da schlug uns der Wind wieder in die See, da rauft sich der Schiffsmann und schrie. Und mit einem krampfhaften Schauder und geschlossenen Augen hielt ich ihm endlich die verbleibenden Splitter hin. Aber er hat ja den Wind und der weht ihm lindernd ins wettergegerbte Gesicht. Diese Erkenntnis ließ sie wieder ein wenig die Fassung erlangen. Auch sie muss ich verlassen, denn es treibt mich, treibt mich weiter. Ein weiteres Fässchen im Fernrohr, und ich wäre gerettet!
Mit mächtigen Gliedern ein dämmriges Grün. Starr von Salz.

Mit: Akkordeon // Artmann // Burgholzer // Dürer // Fock // Glatz // Hartge // Heckmann // Heym // Hielscher // Homer // Jeschke // Jona // Kern // Klabund // Kramer // Krautwurst // Krömer // Patten // Poe // Rathenow // Ringelnatz // Roth // Rubey // Said // Schloyer // Schwandt // Springer // Tennyson // Wawerzinek // Wigfall

 

#2 Dunkle Energie

Was sollte ich denn erzählen? Der denkende Mensch dichtet sich die Zeilen zusammen.

Genießt das Hiersein in der einzig feuerfesten Zone. Verbrennt man ein Korn Weihrauch, so wird sich ein wenig Rauch bilden. Quanteneuphorie zerbirst zu Feuerwerken. Purpurnen Rauch, wir inhalierten ihn. Mir kam es vor, als hüllte uns eine Wolke ein, leuchtend, dicht, fest und glatt, fast wie Diamant, auf den die Sonne fällt. Sonne, von der alles herrührt.

Er begegnet Menschen, er spricht mit ihnen, er liebt sie. Zulassen wird es auch, dass etwas anderes in ihm ist oder geschieht. Alles von dir hergeben, nie fragen, das Monster sein, vor dem du jeden warntest. Das Ziehen des Hungers dehnt die Därme. Ein wechselvolles Schicksal hat er hinter sich, und man kann durchaus nicht sagen, dass er nun tot sei. Die Zombies, denen wir begegneten, grüßten freundlich, wie wir trugen sie weiße Helme.

Let us honour the atom, so lively, so wise and so small. Wenn nun aber schlechthin alles die Möglichkeit hat, nicht zu sein, so war auch einmal nichts. Daher nannten sie, in der Überzeugung, dass der erste Körper etwas anderes sei als Erde, Feuer, Luft und Wasser, den höchsten Ort »Äther«. Unsere Welt würde so als eine Welt verstanden werden, in der etwas wirklich passiert.

Geschehen und angesiebt nicht, dicht, dimmend, stark. Tiefer immer tiefer sprengt mich das Dunkel. Aus dem Rumpf eines Traumes jedoch strömt in langen Wellen das Licht erloschener Sonnen, ein Reflektieren bricht aus dem nachtschwarzen Käfig. Dennoch weiß ich nicht, wie sein in diesen Räumen erfüllt von Gegenlicht. Ziellos trieb die Erde durch die Galaxis.

In der ursprünglichen Einheit des ersten Dinges liegt die Ursache aller Dinge, mit der Anlage zu ihrer unvermeidlichen Vernichtung. Die Treppe bricht ab, alle fallen. Sie gingen ein wie Primeln. Kurz, verschont war niemand, when the fire alarm three blocks further ticked off that evening yet again. Haben wir also mit Recht von einem Himmel gesprochen oder war es richtiger, von vielen und unendlichen zu reden?

Existenz ist schon ein bedeutsamer Hut! Sie hat gründliche Arbeit geleistet, seht euch nur dieses zerknüllte Märchen an, das war unsere Geschichte. Wiederum hat Gott sich erübrigt.

Mit: Aquin // Aristoteles // Arnold // Brandt // Byron // Chobot // Dante // Draesner // Ecker // Einstein // Falberg // Frings // Galilei // Görlach // Grünbein // Hartge // Holbein // Jørgensen // Kappel // Kienitz // Kraft // Lemaître // Lukrez // Maxwell // Piekar // Platon // Poe // Schrott // Solaris // Stachler // Steigenberger // Trunschke // Woelk

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Seitenstechen

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07 | Sebastian Sauer

Killer.

6 Uhr. Busfahrt durch die Eifel. Das klingt so friedlich. Wir haben die Gewehre auf der Schulterstütze zwischen die Beine gestellt. Ein Kamerad sinkt fast mit der Stirn auf die Mündung, schreckt kurz auf, lehnt sich ans Fenster, pennt dort ein. Der Bus, eine surreale Blechbüchse, schwebt für mich irgendwo im Nirvana, zeitlos hoffentlich, Ankunft bis auf weiteres gecancelled. Hier auf dem staubigen Sitz könnte ich ewig vor mich hindämmern, während draußen Unmengen deutschen Mischwalds vorüberziehen.

Stattdessen Aufruhr im Hippocampus. Unwillkürlicher Gedankensprung. Sie sehen nun, was zuvor geschah: Vor mir erstreckt sich grell erleuchtet die rudimentäre Darstellung eines langen Kiesbetts. „5 Schuss, Feuer frei.“ Das prozedurale Gedächtnis übernimmt. Waffe ziehen, Kimme und Korn in eine Linie bringen, Augen aufs Korn scharfstellen, das Ziel verschwimmt zum formlosen Klecks auf der Netzhaut, Druckpunkt suchen, ausatmen, einatmen, abkrümmen (d. h. Peng!). In der freien Wirtschaft bezahlen Leute viel Geld für diese Ausbildung sagen sie. „Übung, Ende.“ Dann Auswertung: „Besonders gut war der Funker Sarras. Dreimal genau ins Schwarze.“ Warmes Bauchgefühl. Verlegenes Lächeln.

In der sehr realistisch dargestellten Eifel hat die Blechbüchse aufgesetzt, auf dem Boden der Tatsachen möchte man fast sagen, es dann aber doch lieber verdrängen. Stimmen werden laut. „Absitzen“ und „Dritter Zug, in Linie antreten.“ Als erstes Pistolenschießen. Bevor es losgeht ein bisschen Schikane: „Funker Marscheider, nennen Sie mir mal die technischen Daten der P8.“ „Äh…“ „Dritter Zug in den Liegestütz fallen! Eins, Zwo…“ Marscheider ist um seine Nachlässigkeit zu beneiden. Ich werde die technischen Daten der Pistole Modell P8 nie vergessen können: Kaliber 9mm, 15 Schuss, 750 Gramm ungeladen, 985 Gramm geladen, Mündungsgeschwindigkeit 360 Meter pro Sekunde, maximale Kampfentfernung 50 Meter. Das ist mein Mantra, während sich vor mir der sandige Boden hebt und senkt. Habe aufgehört zu zählen, für einen endlosen Moment schwebe ich als staubiger Bus durch die Eifel und sorge mich nur um die Popel unter den Sitzen. Es ist ein schönes Leben.

„Zwanzig!“ Alles wieder auf. Das Kiesbett rückt näher. Fünfzehn Meter davor stopfe ich mir auf das Kommando „Gehörschutz!“ die grünen Schaumstoffstöpsel tief in den Gehörgang. Alles wird dumpf. Irgendeiner reißt einen nervösen Witz. Ich kann das Lachen nur sehen, lache wahrscheinlich selbst mit, so genau hört man das nicht. Dann Übungsbeginn. Die ersten Schüsse sind nur ein Vibrieren in den Hoden. Grinsend kehrt der Schütze zurück, hält prahlend Finger in die Luft. Marscheider ausgerechnet, Dumm trifft gut. Ich sehe allgemeines Gelächter. Habe ich das laut gesagt?

Kameraden munitionieren auf, munitionieren ab, treten vor, reihen sich ein. Rücken um Rücken verschwindet, bis vor mir nur noch Kies in Sicht ist. Feuchter, matter, vor allem wirklicher Kies. Der Obergefreite übergibt mir fünf Schuss, schaut dann spöttisch dabei zu wie ich sie betont ruhig ins Magazin drücke.

-Are those… live rounds?

-Nine millimeter. Full metal jacket.

Der Hippocampus meldet sich zurück. Gedankensprung. Zwei Wochen zuvor: „Ich gelobe bla bla, treu zu dienen bla bla zu verteidigen. Zu verteidigen.“, höre ich mich sagen und sehe mich jetzt mit der Aufgabe betraut, zu verteidigen: die freiheitlich demokratische Grundordnung gegen einen Pappkameraden. Das sollte zu machen sein. Zu Hause im Bad ging es doch auch. Vorm Spiegel, mit der Ein-Kilo-Hantel, etwa so schwer wie die geladene P8, in den Händen. Alles ruhig, keine besonderen Vorkommnisse, Herr Feldwebel.  Und jetzt? Die Angst des Schützen beim Elfmeter: Man könnte einen treffen.  Neben mir spüre ich wie der Feldwebel etwas fragt. -Why did you join my beloved corps, Private?

-Sir, to kill, sir.

-So you’re a killer?

-Sir...

„Erst auf harte Kerle machen und jetzt geht Ihnen der Stift? Und solche Leute sollen wir nach Afghanistan schicken?“ Wenn ich mich um 90 Grad nach links drehe und „abkrümme“ ist der Feldwebel futsch. Das folgt schon rein physikalisch/biologisch. Ich habe keine Angst vor Afghanistan, die hat mir die Anne Will-Gesprächsrunde vom 20.05. genommen. Afghanistan ist auch so weit weg. Ich habe Angst vor 90 Grad nach links. Man könnte einen treffen.

Sebastian Sauer

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06 | Andy Haider

Weihnachtn auf Gut Aidabichl?

„Weihnachten auf Gut Aiderbichl“
haums im Fernsehn,
am vierazwanzigstn auf d'Nocht.

Owa, denk ma i,
waun ma schau de Geburt
vo an kloan Buam feian,
der unta ormsöligste Vahötnisse
aufd Wöd kemma is,
und der glei noch da Geburt
hod flüchtn miassn,
noch Ägyptn,
damit eam da Herodes net okraglt;

tat do net eigantlich
„Weihnachten in Traiskirchen“
bessa passn?

Andy Haider

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05 | Dennis Hannemann

Tapete

Kerzenlicht die Tapete glänzt türkis
tropfender Zapfhahn abgegriffenes Holz
Bestellungen treiben den Kellner vor zurück
ich höre das Pochen der angehaltenen Zeit
ich sehe die Risse im weißen Fensterrahmen
ich will es öffnen stechender Schweißgeruch
von irgendwo Tattoos Gespräche kippen
Diesseitsbucht der eine steht wie ein Fels

Dennis Hannemann

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04 | Luca Manuel Kieser

nimm den Job
oder das Blut das in den Ohren am schönsten rauscht

und damit war Aber berufen
zu vermitteln im Streit
zwischen Blätter und Meer

und also rannte Aber
um den das Gerücht geht er sei schon bei seiner Geburt gerannt
den lieben Tag lang
zwischen Waldrand und Küste
hin und her
unermüdlich
ging es von Waldrand
zu Küste
zu Waldrand zu Küste usw und stand
Aber der Küste gegenüber ging sein Text
ich Blätter rausche schöner als du Meer

und stand Aber dem Waldrand gegenüber ging sein Text
ich Meer rausche schöner als du Blätter

und immer wieder hieß es für Aber Kehrtwende zurück mit der Antwort nein
ich Blätter rausche schöner als du Meer
nein
ich schöner als du
nein ich
nein ich
und immer hörte Aber aufmerksam zu prägte sich die Antwort ein (nein) und drehte (kehrt) um zurück

gerade aber da die Sonne untergegangen war
blieb Aber auf einmal auf der Stelle
von der erzählt wird sie sei die Mitte zwischen Waldrand und Küste
stehen
und wollte mit der Auszählung (einmal Blätter einmal Meer) beginnen

aber da Aber
vom hin und her dermaßen außer Atem war dass da
wo die Sonne untergegangen war
der Horizont im selben Rot wie in seinem (also Abers) Innern glühte
brach der Horizont wie durch seine (also Abers) Brust
und Aber schnappte nach Luft HALT

STOP

Aber stand ja gar nicht
Aber stürzte

und auch brach der Horizont nicht
sondern da war Kainer
der mit einem Stein blabla wie ihr alle wisst und weswegen IHR
seither
RENNT
noch heute rennt
bis an den Horizont rennt nämlich jenen
wie wir alle wissen
ZAUN
an dem der unter euch der
den Satz darüber schafft
gewinnt

heißt
wenn Kainer gestorben ist

Luca Manuel Kieser

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03 | Katja Johanna Eichler

Zerlaufen

Ich hatte sie seit zwanzig Jahren nicht gesehen. Sie sah müde aus. Dass sie eigentlich vorgehabt habe, in die Ritzen zwischen den alten Holzdielen zu zerlaufen. Die alten Holzdielen. Die Guten. Ließen alles über sich ergehen.

Das sagte sie irgendwann. Sie sei lose Masse gewesen. Schwarz, hässlich, träge. Sie habe schon eine ganze Weile auf den Dielen gelegen. Sie wollte gerade in deren Ritzen zerlaufen. Da habe das Handy geklingelt. Hätte das Handy nicht geklingelt, wäre sie jetzt der schwarze Dreck zwischen den Dielen. Ich verstand sie nicht. Aber ich mochte sie, so wie damals.

Sie schwieg.

Ich schwieg.

Dass ich sie sofort wieder erkannt hatte. Das sagte ich irgendwann. Und dachte, dass sie ausgesehen hatte, wie ein Bambi, das sich in unsere Zivilisation verlaufen hatte. Ausgerechnet in einen Drogeriemarkt. Ein Bambi aus dem Wald, das ungewollt zu trashiger Weihnachtsdeko geworden war. Große verlorene Augen zwischen Shampooflaschen, Slipeinlagen und blinkenden Lichterketten.

Ihre Augen waren es gewesen, die ich wieder erkannt hatte. Hätte sie mich nicht angeschaut, hätte ich mich wenig später nicht an sie erinnert. Hätte nicht bei ihren Eltern nach ihrer Nummer gefragt. Hätte sie nicht angerufen.

Hätte sie mich nicht angeschaut, wäre sie jetzt der schwarze Dreck zwischen den alten Holzdielen. Es ist gut, sich anzuschauen. Hatte ich das gesagt?

Sie schaute mich an.

Ich schaute sie an.

Vor zwanzig Jahren war uns das auch passiert. Das mit dem Anschauen. Immer wieder war uns das passiert. Zwischen den Tanten, Paten und Omas hindurch. Über die Klöße hinweg.

Ich hatte ständig schlucken müssen. Wegen der engen Krawatte des Konfirmationsanzuges und des reifenden Adamsapfels. Wegen der trockenen Klöße. Wegen ihres Blickes. Das war ein besonderer Tag gewesen damals. Hatte sie das gesagt?

Sie lächelte.

Ich lächelte.

Ich dachte, dass ich sie mochte. Dass ich alles von ihr wissen wollte. Mir fiel dabei ein, dass ich keine Zeit hatte. Dass es unfreundlich wäre, auf die Uhr zu schauen. Und dass Anna gestern Abend kaputt und gereizt gewesen war. Wegen der Kinder. Und ich spät von der Arbeit nach Hause gekommen war. Wegen des Projekts. Mir fiel ein, dass ich für das hier gerade keine Zeit hatte. Wegen der Kinder und wegen des Projekts. Und weil Dezember war. Mir fiel wieder auf, wie müde sie aussah. Nicht das Wenig-Schlaf-Müde. Das andere. Mir fiel auf, dass zwanzig Jahre nur ein Augenblick waren, wenn man jemand mochte.

Was machst du eigentlich so, fragte ich sie.

Nichts. Sehr leise sagte sie das. Nach einer Weile. Ich zerlaufe ins Zwischen. Nur das.

Ich verstand sie nicht. Ich verstand nicht, wie man zerlaufen konnte. Ich verstand nur etwas vom Verlaufen und vom Verrennen. Ich sagte nichts, weil ich sie nicht verstand. Weil sie schwarze zerlaufende Masse war und heute Dreck zwischen Holzdielen wäre, hätte ich sie nicht angerufen.

Das war ein besonderer Tag gewesen damals. Das hatte sie schon einmal gesagt. Es gibt viel zu wenige davon. Das hatte sie vorher noch nicht gesagt. Die Menschen schauen sich zu wenig an. Das sagte sie auch.

Ich nickte.

Sie nickte.

Irgendwann stand sie auf und ging. Es war spät. Nicht das Uhren-Schau-Spät. Das andere. Ich ruf' dich an. Das rief ich ihr hinter her. Sie nickte, ohne sich umzudrehen.

Katja Johanna Eichler

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02 | Johann Wiede

Es herrschen Schulden in der Musik, zurück
bleiben die Ringe der Mutter, bleibt der Motor
und kreist in Sirenen über die gelbe Stadt, alle Gewinner
zielen auf das Radio, sie bringen Papier mit, horchen aus,
mit der Drehbühne inszenieren sie die letzten dreißigjährigen
Frieden, beinahe auswendig, fast bedauerlich,
wie lose Daten aus dem Casio das Gegenteil schlachten,
ein offenes Gesicht vielleicht, Einzelfälle, was anderes
als sparen, wenn nur eine Bleistiftskizze erlaubt
den Sprecher aus Groll für tot zu erklären.

Johann Wiede

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