freiVERS | Jonas Linnebank

ausfall automatik

zum glück muss man sagen
und wie glücklich es sich fügt
schritt für schritt
schritt dem schritt voraus

DEM (deutsche einheitsmarke)
dativ horchen horen
hurchen furchen
fürchten mürchen
märchen lärchen?

genitiv!

nur kurz hin
plus ein ding
dann wieder raus
blende weg zack
wen interessiert warum

ätschibätsch
akkusativ

aber warum
warum eigentlich
warum sitzt du hier
warum hast du das getan
sie getan

komm schon nominativ
kommt nix –
die domina rief
"dumm
einfach dumm"

geschrieben
horchen verblieben
hurchen
vertrieben
hurchen
wo bist du geblieben

ja aber wer denn

ein fall
das glück ist durch

nächster gang
autormatik

Jonas Linnebank

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freiVERS | Sebastian Hage-Packhäuser

Satzzeichen

– // : auf einmal –: Licht – / ( : die Farben regen – /
: sich unter grauen Schleiern – / : schlapp – /
: & mischen sich – / : heben sich gegen
die aufgetrennten Schatten ab – ) /

: die Sonne bricht – / : durch alle Schichten – /
: & leuchtet alles – / : en passant – /
: durchdringend aus – / : ein Spiel von schlichten
Spiegelungen – / ( : ein Pendant – /

: zu dunklen / aufgebrauchten Welten – ) /
: stellt sich / übergangslos ein – /
: Worte fallen – / : dort nur selten – /
( : wer spricht – / : der spricht / mit sich allein – ) /

: doch kaum im Licht – / : paart sich die Sprache – /
: mit tropenfeuchten Zungen wund – /
: & wie aus einer Trance erwache
ich – / : mit Satzzeichen im Mund –

Sebastian Hage-Packhäuser

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freiVERS | Maja Loewe

SpiegelZeit

Erste Töne rauschen aus dem Gefieder eines Traums
Der sich vom stillen glasigen Grund erhebt, um das
Blinde Silber meiner Erinnerung ins Hell zu tragen

Seelenvogel, der in meinen Kopf/Raum einfällt
Mit wildem Flügelschlag; In meiner Kopfklangschale
Die Uhrzeittiere aus den Ecken treibt; Zeigerlose

Fraktale im Traumzeittiegel

Mäander des
Ich

Maja Loewe

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freiVERS | Anke Glasmacher

Der Preis

keine blühenden landschaften
die wurzeln braun

ihre namen hatte ich schon vergessen
bevor ich bezahlte

das auge in den staub geworfen
die stengel verfault

Anke Glasmacher

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freiVERS | Karl Stephan

Der Fenstersturz

Als P. sich aus dem Fenster stürzte geschah dies lang und wohl durchdacht
Drum schien auch, außer den Passanten, niemand so wirklich überrascht
„Nun, irgendwie war´s zu erwarten“, sagte man in der Nachbarschaft
„Ich fand sie immer etwas seltsam“, meinte Frau M. aus Stockwerk Acht
Begleitet von verstohlenen Blicken wurde P.s Leichnam weggebracht
Man sah hinab von den Balkonen, betroffen guckend, doch gefasst
„Sie hatte es nicht leicht, die Arme und so zu sterben – ekelhaft!“
Dann ging ein jeder weiterleben und was man eben sonst noch macht.

Karl Stephan

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freiVERS | Nora Sauer

Ohne Titel

Ich habe die Sonne gesehen
als es noch hell war.
Du hast die Katzen beschrieben.
Ich die Hunde.

Du fragst mich ob ich glücklich sei.
Ich betrachte die Türen deines Systems.

Ich habe durchgeschaut , mich hinter Vorhängen versteckt.
Du hast mich gefragt : Wie es so wäre mit der Sonne ?

Ich habe geantwortet : Es wechselt.

Und das Ende fragst du mich ?
Steht offen , Blau soll es werden sagst du und hältst vorsichtig meine Hand.

Nora Sauer

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freiVERS | Beate Ronacher

Never learn

not to love

Allerdings,
welche
Rolle spielt
die Einsamkeit
schon
heute

Beate Ronacher

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freiVERS | Andreas Schumacher

gestatten,

ich bin
oder
vielmehr eigentlich
lautet mein künstlername

rené nikolaus mollenkopf-kolbenhaupt,

erster und einziger sohn
der zürcher ballettchoreografin
dorothea henriette mollenkopf
und des berliner schauspielintendanten
heinrich von kolbenhaupt;

erwecker, erneuerer, vollender, eigenhändiger sensenmann
der totgeglaubten deutschen sprache (lyrik);
gottvater, sprachrohr, überheld
einer bereits heute bedrohlich nachdrängenden
erfolgreich-besonnenen generation
zweifelhafter schmalzumflorter weichwichsepigonen.

ich will
(und habe es tausendfach getan)
gedichte basteln
und zusammenklauen
aus alten
nur mir bekannten
lou reed- und
nick cave- und
neil young-
b-seiten.

ich will jurylyrik schreiben
und hauptpreisprosa
und ein büchnerstipendium will ich
für schön gewachsene schriftsteller,
förderfeuilleton fabrizieren,
stipendiatsstücke vom stapel lassen,
konfettigefeierte konsequent kontrollierte konzeptkonsenskunst,
und gewächshauslorbeeren will ich,
gewächshausloorbeeren und vorschnelle essayvorschüsse
von der wiege bis zur bahre,
eine ausgeprägte vitaliteratur zu schreiben ein leben lang!
den biobibliobabylobabybrabbelpreis BABA-abraham-brecht will ich und
den theodor-fontane-fötusförderpreis für teilfertige textfragmente und den
erich-fried-gedenkpreis für politische lyrik und den
ulla-hahn-gedenkpreis für apolitische lyrik.

ich will 250.000 signierte exemplare meiner gedichtsammlung verkaufen.
ich will eine grandios phänomenale gratisvollverteilung meines handgefertigten
goldfadengehefteten lyrikbändchens laubbläserblues
an alle vorhandenen haushalte,
speziell und gerade auch an jene,
die „eigentlich erst mal gar nicht so viel bock haben
auf poesie
oder gedichte
oder lyrik
oder balladen
oder poeme
oder wie das zeug sonst noch heißt“,
die kleine putzige bitte keine kostenlosen lyrikbände-kleberchen
auf ihren briefkästen und -schlitzen stehen haben
oder laubbläserblues? – nein danke!
und dass dann jeder doch gibt, was es ihm wert ist,
nämlich 30 euro oder eigentlich 100 oder mehr.

ich habe die dead kennedys gegründet
the clash gecastet
johnny rotten beraten

ich bin so punk,
ich kaufe mir den business
punk,
gebe der verkäuferin einen angepimmelten euro trinkgeld,
schneide das „business aus dem cover des „business
punk“                                     punk“,
schneide das „usiness“ aus „business“,
klebe mir „b         auf die stirn,
punk“
setze mich bei penny auf die einkaufswägen,
kaue zungenverfärbendes schlumpf-haribo,
höre helene fischer

und

spucke

aus.

ich bin überhaupt so underground,
jules verne hätte an mir seine helle freude gehabt.

„voted biggest asshole and role model of the year”

ich will keine schokolade,
keine kreide fressen,
kein blatt vor den mund nehmen,
mich immerzu schön ausgeleuchtet ins rechte licht rücken.

ich will mich einhundertundeinfach klonen
und regie führen und die hauptrollen spielen
in the human centipede 4.

i got straight edge
i walk the line

ich bin der größte,
ich bin der geilste,
ich hab den längsten!

ich will durch die goethe-institute dieser welt backpacken,
eine lebensgroße goethe-pappfigur im sack
und in schöner regelmäßigkeit
ein loch in selbiger
auf höhe des anus
(darstellend einen anus,
den anus goethes)
per umschnalldildo penetrieren,
dazu verwurstend
unter einsatz eines flammenwerfers
till lindemannsche gedichtzyklen rückwärts rezitieren,
einfach, weil ich es kann,
weil’s, wenn ich es sage, kunst ist.

ich bin der heimliche autor
des benimmführers
ich geb euch gleich erregung öffentlichen ärgernisses,
ich schrieb den beziehungsratgeber
ich geb dir gleich nen trennungsgrund,
ich schmierte zusammen den unsterblich
dauerbrennenden
wühltischbestversumpfer,
das aus heutiger sicht mitunter etwas zähe
und stellenweise doch zu dick aufgetragene
wer zuerst kommt, malt zuerst –
bukkakische weisheiten zur jahrtausendwende.

ich bin reinhard schmälzle aus meinem
autobiographischen telenovelaroman
der dauerprobeabonnent.

i want to hold your hand
i want you to want me'
i want to lay you down in a bed of roses
i want it that way
i wanna be loved by you
i wanna be your dog
i want a new drug
i want to know what love is
i want to break free
i wanna be a hippie
i wanna be sedated
i want to ride my bicycle
i want to conquer the world

d.i.y.!

d.i.y.!

d.i.y.!

i want to start my own fanzine
ground my own selbstverlag
edit my own text+kritik sonderband
ghostwrite the reclam lektüre-schlüssel
to my railbreaking poetry collection

            leavesblowerblues

i want to introduce a after me called poesiepreis
write autolaudatios
and then to verleih me the goethe-medaille –

ich habe die erde, gott und last but not least mich selbst
aus dem nichts geschaffen
(in genau dieser reihenfolge)
auf doppelbödige, dreifache, sechstausendfache
nicht-fache (nicht-)art.
wenn ich „schlecht“ denke,
vor meinem geistigen Auge,
in meinen Gedanken,
IN MIR DRIN –
implodiert das universum (fakt!),
nur ich bleibe dann übrig,
allein, enttäuscht von der welt,
aber – dankt es mir – ich denke
gottlob!
NIEMALS „schlecht“, zu
meinem
deinem
unserm
glück.

 mann (48) überfällt bank und will beute
gleich auf sein konto einzahlen

ich will mir beim bachmannpreis
obercowboylike ein sofa
auf die bühne hieven
eigenhändig
mir oben ohne
working class
einen offenen bruch
lupfen

platz nehmen
schweiß verströmen
das publikum
in den ersten
32 sitzreihen
mit kontaminiertem
eau de toilette
bespritzen;
die flache hand
vorn in die hose
den strohhalm
rein ins
sangria-
eimerle!

preisgekrönte prollternative massenlyrik

ich            i

will          w

das           a

a-             n

lles,          t

will          i

das           t

a-             a

lles,          l

und           l:

zwar         n

so-            o

fort           w

Andreas Schumacher

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freiVERS | Martin Reiter

Die Wellen schlagen gegen Steine, wie eine Faust gegen ein Gesicht
und so geht das immer weiter bis dann eins von beidem bricht

Und wir sehen nicht den Wald, weil das Ding voll Bäume ist
Die Wurzeln sieht man auch nicht gleich, weshalb man darauf gern vergisst

Wir kaufen Bomben für den Frieden, schlagen mit Kissen gegen Wände
verheddern uns im falschen Netz und reichen niemandem die Hände

Und vom Hören und vom Sagen bleibt das Eis doch ziemlich dünn
Darunter häufen sich die Fragen, die Frage ist nur kannst du auch schwimmen?

Und differenzieren und unterscheiden jeden Tag aufs neue  - Sisyphos
Und ich weiß es fällt uns schwer, wir müssen runter von unserem Ross

Wenn wir am selben Boden stehen dann fällt uns plötzlich auf
dass dort drüben noch ein Turm steht, da sind ‘ne Handvoll Leute drauf

Wenn wir am selben Boden stehen dann fällt uns plötzlich auf
dass dort drüben ein Scheiß Turm steht, das Ding haben wir eigentlich gebaut

Und während das Wasser langsam steigt, schlagen wir uns die Köpfe ein
Und dort oben lachen die Geier, was könnte für sie besser sein?

Martin Reiter

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freiVERS | Susanne Rzymbowski

Unantastbar

bist du geworden

in den Jahren der Einsamkeit

die dich erfüllt

im Mantel von Stille

den auszuziehen

du nicht bereit

im Halten von Fragwürdigkeit

eisigem Tablett

der einen Antwort wartend

die nie gestellt

Susanne Rzymbowski

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