13 | Harald Kappel
Sternsinger
am Montag
kommt niemals die Post
ich streichle einen Hund
begrabe
die Arbeit in der Tasche
berühre einen Baum
im Badezimmer
putzen sich Sternsinger
die Zähne
zauberhaft
beraubt mich ein Brief
meiner Sprache
ich blättere in deinem Leib
suche falsche Komplimente
die Zitzen sind ausgetrocknet
eine Libelle fliegt
durchs Nadelöhr
mein Verstehen ist verschüttet
am Montag
kommt der Milchbote
ich begrabe den Hund
streichle die Arbeit
berühre mich selbst
niemals
das ist alles
.
Harald Kappel
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07 | Andreas Köllner
Redefluss
wir wechseln worte
und tauschen
unsere blicke wie
gedanken aus
bis wir
für das gelb der mirabellen
keine worte mehr finden
und uns schweigend
aussagen
.
Andreas Köllner
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06 | Teodor Dună / Manuela Klenke
leere
ich lief leer und unfassbar
einfach durch ein oleander
perlen oder zinnoberfeld. trug vertrocknete wunden
und armbänder aus geronnenem blut.
ich kam zweifellos voran
unter dem mit alabaster eingewachsten himmel
und nichts konnte trüben die leere
in mir.
und wie ich durch die felder gleite, treffe ich
in einem stacheldrahtnest, neben einer goldenen, zerbrochenen zimbel
eine verlorene, geliebte, und sehr verlorene frau.
„wer sein herz aus der brust reißt zur nacht,
der langt nach der rose”, sage oder schweige ich.
„ab jetzt können wir alles ohne schmerz ertragen”, sagt
oder schweigt sie.
wir wundern uns, soweit möglich, über unser weißes treffen,
erinnern uns an das wachsen der nägel
an den geruch der uhr nach zerlegtem fleisch
an die tüten mit vermengter luft (und andere kleinigkeiten des lebens)
wir erinnern uns, soweit möglich,
an die verlosung
der folterinstrumente
und schauen einander an, als wären wir nicht verloren oder sehr verloren.
wir schweigen und wissen: mit größeren und schwereren steinen
hätten wir nicht spielen können.
unter unseren ausgerissenen herzen schwiegen wir und wussten
dass ich nicht stehen bleiben konnte. ich musste
wieder laufen, leer und unendlich
einfach, unter dem mit alabaster eingewachsten himmel, andauernd,
durch das feld aus granit oder zinn
und nichts sollte trüben die leere
in mir.
ohne dass es überhaupt noch zählt
wo ich ankam und warum
so leer.
.
aus dem Rumänischen von Manuela Klenke
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Das Gedicht wurde anlässlich des Projekts #Celan100, organisiert vom Goethe Institut Bukarest in Zusammenarbeit mit dem Literaturblog DLITE, geschrieben.
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04 | Sigune Schnabel
Urlaub am See
Alle Besucher gehen gebeugt,
ballen sich wie Wolken
über dem Boden.
Starre Blicke roden die Sprache
in Kehlen,
machen keinen Hehl
aus den fehlenden Linien
der Hände,
in denen sich einst Menschen verliefen.
Heute ist Tag eins
vor dem Komma,
bin ich berechnend
am Frühstückstisch,
verstecken sich Worte
neben Brot und Tee.
Wir gehen hinaus
durch Türen.
Am Rahmen hängt noch
die Farbe von Schnee.
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Sigune Schnabel
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03 | Matthias Gruber
Schwarz (Johannes-Filzer-Straße)
Er streicht die Türen mit Nichts,
dann gibt es kein Davonlaufen mehr.
Das Nichts läuft in Pfützen zusammen.
Er zählt bis zehn,
dann kommt das Vergessen.
Dann tut es nicht mehr weh.
Die Frau raucht in der Kirche,
es schmeckt der Weihrauch nicht.
Es schmeckt die Wahrheit nicht.
Musst achtgeben auf dich.
Der Mann liegt über ihr und keucht,
keucht zähl bis zehn.
Zählt bis zehn.
Er streicht die Türen mit Nichts,
füllt die Pfützen mit Nichts.
Läuft drum herum und lacht.
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Matthias Gruber
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freiVERS | Fabian Lenthe
Von zwei Uhr sechsundvierzig
Bis sechs Uhr achtundfünfzig
Ist nicht viel passiert
Aber jetzt die Baustelle vor dem Haus
Der Verkehr
Die kalte Luft durch das gekippte Fenster
Unten das Schließen und Öffnen der Haustür
Und die Raben
Und ich
Und meine verklebten Wimpern
Und um nichts davon haben wir je gebeten
.
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freiVERS | Yvonne Koval
das Aufbrechen von Wasserstoffbrücken
eine Gedankenkette strickend, zwei Fäden eines Teiles
häkeln sich nach Bauanleitung, Strick um Strick
weben sie Zeilen in die Bauchdecke:
sollen wärmen dieses Nest, dessen Aufbau
Schritt für Schritt umgesetzt, stets Anleitung
verfolgt, Zeilen Laut für Laut genau, fast schon
Verfolgungswahn, so ummantelnd dass nicht mehr
eingebettet (sondern angekettet), nur zwei Fäden
an der instabilsten Stelle fest verknotet,
können so einengend sein, Schnur fast schon
Strick um den Hals, doch perfekt ausgefädelt
(in letzter Sekunde) widerstrebend Nest verlassen
an der instabilsten Stelle die Laute verloren.
die Zeilen nun vor sich gesehen (wie heimatlos)
gesehen wie selbst schlagend, selbst atmend und
Laute / Schritte setzen, selbst Bauchdecke wärmen und
brüchiges Leben, selbst Hals aus Strick fädeln (vogelfrei)
Nestwärme war gestern.
und als Atmendes erstmal Zellbausteine begriffen,
Atome strukturiert, sortiert, der Größe nach geordnet,
da selbst erst gesehen: bloß zwei Fäden und eine Bauanleitung
gesehen wie fast schon Strick um den Hals, danach
wie Nest verlassen. und nun in Sprache gefasst:
„du bist; nicht Teil meiner
Fäden nun ausreichend verweichlicht, diese Bauanleitung unlesbar.
du bist; nicht verankert / abgebildet hier nicht eingeladen.
hier abgeladen hast du so viel von deinen Fäden/Lauten/Zeilen,
abgelehnt hab ich Teile (deiner) an mir selbst. begreifst du?
es gibt Atome und Leere, alles andere ist nichts, ist bloß
Ansichtssache, wie dich hier hineininterpretiert, hineingewoben
in Doppelhelix bist du nicht / meine Zellbausteine aufbauend.
daher aufklauben was mich erinnert, was nicht Teil meiner
und dann rausbringen, rausgequetschte Tropfen
tropfen bloß auf Handtuch (bewusst rotes gewählt damit unauffällig)
bis Tuch verweichlicht, alles was mich erinnert an
was nicht hineinpasst / nicht Teil meiner
hab ich weggeschwemmt, flussabwärts / -auswärts
Wege geflossen zwischen Erinnerungslücken,
Zellbausteine losgelöst und weggeflutet wie
ein Blutgerinnsel, Gefäß durchgespült, mitgenommen
das Gerinnsel, das nur verstopft / blockiert
mit allem, was nicht Teil meiner.
Doppelhelix danach betrachtet, plötzlich bruchstückhaft.
Leere erzählt von Aufgeklaubtem, vom ausgefiltert worden Sein,
fortgeflutet / -geflüchtet, war wohl nie Teil dieser Bauanleitung:
Fäden/Laute/Zeilen waren falsch verortet, dort fest verknotet,
haben bloß blockiert, dann weggespült wie aussortiert,
letztendlich das Handtuch wärmend rot signiert.
und die Helix nun verformt, so lückenhaft dass ungenügend
dass es nicht wie ich geboren werden hätte können,
sonst wäre wohl Todgeburt in jemandens Uterus: verweichlicht.
und erst nach so langer Zeit
(bewiesenermaßen lebensfähig)
mit Hirn und Gedanken (Gedächtnis)
war endlich aussortiert/ausgesiebt was verknotete.
all das erst, nachdem Teile deiner herausgelesen,
gegriffen mit der Pinzette nach allen einzelnen Atomen,
ausgeschabt, herausgequetscht (rotes Handtuch
schon vorbereitet für Fremdes, Deines)
bis Leere wo einst erinnerte,
bis Doppelhelix wie bruchstückhaft
– da war erst ausgesiebt was verknotete.
Und nun?
Atome und Leere, alles andere ist nichts, ist bloß
Ansichtssache / Bruchteil davon. nun Bauanleitung
wie in Stückchen zerfetzt, Erinnerungslücken und brüchig.
Fäden / Nähte nach und nach aufgetrennt
Riss um Riss und Identität bruchstückhaft.
Tropfen am Handtuch ausgehärtet und kalt, nicht verweichlicht.
Ich bin keine Verweichlichung von Ansichtssachen,
keine Verweiblichung der Teile deiner / Bruchteile davon.
nun Zellbausteine ausgehärtet (unverformbar)
Fremdes ausgesiebt: grobe Körner
kratzen nicht mehr an der Hautoberfläche.
Bauchdecke war gestern.
Nun Genkette aus allen Ankern gerissen, wie altes Metall
(Stahl schon verrostet) das für sich allein durch’s Meer treibt
allein für sich Ozean überqueren / kennenlernen was fernbleibt
Bauanleitung unbrauchbar, Handtuch ausgewaschen
Erinnerungslücken bauen Brücken in die Leere
wo zerfällt und zerfallend diese Genkette
zusammenhangslos, Teil von keinem und
keines Teiles ein wärmendes Nest / sein Heim,
heimatlos.“
.
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freiVERS | Nora Schramm
wie du vor dem gebirge liegst
den finger auf dem käfer ziehst du
unter fetzen von wetter
vorbei hast den boden an der schläfe
kleben siehst flechten in lawinen
wachsen als wäre alles erde nur du
ein kleiner stummer mond als wäre
alles krater nur du eingerollt an seinem
tiefsten punkt klopft dein puls an glas
es überschlägt dich einfach
bergab kannst
nie aufhören. bis du aufhörst
mit fleischfühlern im licht zu
wühlen aufzuplatzen wie keimende
bohnen kannst du einfach nie
aufhören. den boden zu bewohnen
.
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Bereits veröffentlicht in Literarische Blätter, Juli 2020
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freiVERS | Michael Pietrucha
Großvater und der Herbst
gesät wird immer um die erzengel herum
und wie und wie
ist der weizen schon geerntet der roggen
die hecken die bäume sie müssen
ausgerissen werden
wer soll das machen
niemand kann das machen
der rücken der krümmt sich tief und tiefer
der atem der wird flacher
und wie und wie
ist der boden schon gepflügt
wo bleibt der regen
neunundsiebzig achtzig einundachtzig
mal den geburtstag gefeiert
zahlen sagen nicht viel nur
was dazwischen alles geschieht
bis die täglich suppe
zu salzig scharf fettig
ist
und fleisch und obst und gemüse
zu hart zu kauen
sind
zwei gläschen zu viel fürs herz
und wie und wie
wieso zeugen die enkel keine kinder nicht
während der großvater wie ein
chamäleon geht
das ihm der fernseher zeigte erklärte und
wieder erklärte
und er nicht mehr jeden satz aufschnappt
der herum schwirrt
bei tisch
wenn die suppe zu salzig scharf fettig
kalt ist
der herbst ist da
pflügen und säen
wer soll das machen
machen kannst du es nicht mehr
großvater
gesät wird immer um die erzengel herum
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freiVERS | Sofie Morin, Marion Tauschwitz, Jutta von Ochsenstein, Dorina Marlen Heller
Amerika zeigt: Flagge
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Sofie Morin (So), Marion Tauschwitz (Ma), Jutta von Ochsenstein (Ju), Dorina Marlen Heller (Do)
zu Frank Lloyd Wright „Composition in light”, Interpretation der amerikanischen Flagge,
Glasfenster für das Landhaus von Avery Coonley, Riverside, Illinois, um 1912,
(Glas, Zinkstege, bemalter Holzrahmen, 135,6 x 30,5cm)
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