freiVERS | Maren Streich
monologfetzen für J.
wann kommen sie denn wieder?
naja, klar hierher
hm?
ach, freitag
freitag
nagut.
also das ist ja noch lange hin, wenn heute
heute ist dienstag
na dann habe ich ja einige tage
zu schaffen
so tage hintereinander immer
oder können sie nicht öfter kommen?
wäre einfacher
man wacht morgens auf und irgendein gesicht
irgendeins
immer ein anderes
sagt einem guten morgen
da wird man ja verrückt
das kann man sich ja nicht merken
also natürlich
sie schon, sie merke ich
merke ich mir
auf sie freue ich mich doch
//
und auf den jungen
ach, der junge
dieser junge
na wie heißt der schon
max ist das glaub ich
der ist noch so jung
ein ganz toller bursche
so hilfsbereit
hat immer zeit für mich
macht ja wirklich alles
sogar nägel lackieren wollte er machen
ist das nicht toll?
sowas nettes als bursche
aber das kann der nicht
(lacht)
ne das kann der doch nicht so nägel lackieren
ich mein
(wartet auf eine reaktion)
//
wieso kommen sie denn so selten?
naja meine liebe
also ich find sie machen das ja ganz lieb hier
geben sich schön mühe
sind ne ganz liebe
aber öfter könnten sie kommen
und sich mehr zeit nehmen für mich
die anderen die jammern doch nur so rum,
das ist doch nichts
das verstehe ich auch einfach nicht
tun sich die ganze zeit leid
die wollen doch gar nicht mehr
dabei geben sie sich hier so eine mühe
die ganze zeit
sind nur am rumrennen überall
wie sollen sie denn noch mehr zeit haben
was die sich vorstellen
versteh ich nicht
.
.
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freiVERS | Annouk Hombach
im westen, jeden morgen
jeden morgen
gucke ich auf twitter
t.c. boyle zu
wie er aufwacht
jeden morgen macht t.c. boyle
ein bild von seiner straßenecke
immer leicht nach links schwenkt sie
ein bild von seinem dauergewellten hund
der vorne wie hinten gleich aussieht
einem ei, geschlossen, als rührei und als spiegelei
der los angeles times
und manchmal einer ratte, hinter gittern
immer eine neue, er zählt sie
t.c. boyle
ist aufgewacht
die ratten sitzen im käfig
schreibt die los angeles times
der hund spielt mit dem ei
ein kurzer blick noch zur straßenecke
dabei will ich twitter
längst verlassen haben
.
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freiVERS | Philipp Létranger
brache
mit den jahren
wächst das gewicht der worte
die du versäumt hast
auszusprechen kein gras grünt
dort wo sie liegen
streckt sich der raum ins dürre
die lippen
kennen die wege nicht mehr
die einmal verbanden
und du findest nicht halt
an den schroffen brüchen
der erinnerung
nur selten erinnerst du dich
an die tage
als das netz der worte
dicht geknüpft die träume fing
.
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freiVERS | Sophie Heck
Hauptnetzspiegel
an der Wandkante
lugt er hervor
dünn glänzend
ein Fliegenauge
lackiert wie ein Haar.
mein Hauptnetzspiegel
zeigt sich
riecht manchmal
nach Schweiß
dem meiner Mutter,
dem von mir
schmeißt nach mir,
schreit
nach mir,
der Zug entgleist
und
mein Hauptnetzspiegel
ein Fliegenauge
sitzt
vielfach geteilt an der Wand
sitzt
seit meiner Geburt
sah ich
jahrelang
nur diesen
zeugte meine Augen
schwarze Bürsten in einem Draht
wenn ich mich sehen wollte oder etwas tat
mein Hauptnetzspiegel
jetzt kann ich ihn sehen
betrachte ihn
immer wieder
stumm
ein Gefäß
aus Gelatine,
gehalten
von schwarzen Drähten
von dem aus
ich mich immer wieder grüße
durch das ich den Arm stecke
ein schwabbeliger Milchkarton
verklebte Farbe auf Metall
über Generationen
in dicken Perlen
getrockneter Lack.
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freiVERS | Otto Dvoracek
Peripheres
Alles zieht sich in die Länge, von der Erde
Bis in den Menschen hinein, in das Periphere
Hinausverirrt, hinausgetrieben, ein kurzes Aus-
Schlafen, am Rande der Hochgeschwindigkeits-
Strecke, in den Insektenwohnungen
Übereinanderlagerungen, die Dächer glänzen
Golden, der Schlaf legt alles klar, mit Sirenen-
Klängen den Tag beginnen, im schiefen Licht
Mit verstellter Stimme, die Stimme ist nur
Gedämpft hörbar, das Gras steht hier höher
Alles zieht sich in die Länge, von einer Peripherie
Zur anderen, die Stunden füllen sich mit dem
Gleichen Programm, röhrenförmig, peripher
.
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freiVERS | Elke Cremer
stilllegung
ich lege mich still
in die reisigecke
reduziere das übermäßige atmen
gebe meinen stoffwechsel auf
übe mich in photosynthese
und ausbildung von chlorophyll
in knistern und rauschen
in schattenwerfen wuchshöhe und
einwurzelung
ich gebe die baumkrone ab
trete zurück
in ein grundlauschen
.
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freiVERS | Hanna Göbel
Ein Witz
Es ist ein Witz – una broma.
Nur ein Witz.
Ein dummer Witz, aber eben nur
ein Witz.
Ich sitze am Tisch, unter meinen Handflächen klebt
die Wachstischdecke.
Mir gegenüber sitzt –
er – ich werde seinen Namen vergessen.
Sein süßlich-herbes Aftershave bleibt in meiner Erinnerung
kleben
wie Harz.
Wir reden über seine Zeit in Kolumbien
und wir reden über mich.
Ich komme aus Deutschland und er
war einmal im Schwarzwald –
la Selva Negra.
Wenn ich wieder in Deutschland bin, weiß ich,
wo ich schlafen kann, scherzt er
und lacht.
Mein Gastvater lacht mit.
Ich wende den Blick ab,
ziehe meine Mundwinkel hoch.
Etwas in mir
zwickt.
Somos seis chicas, entgegne ich.
Ich glaube nicht, dass dir das gefällt.
Viele Jahre später
werde ich die
internalisierte Misogynie
in meinen Worten erkennen.
Doch jetzt
ist es nur ein Versuch,
aus der Ecke zu kommen, weil ich
gegen ihre männliche Präsenz
nicht ankomme,
obwohl sie in der Unterzahl sind.
Und wenn wir zu zehnt wären,
dann blieben wir
Frauen –
chicas –
und zwei Männer.
Er lacht schallend,
sein Lachen hallt
von den Wänden des kleinen Esszimmers wider,
dringt in meinen Körper ein,
erschüttert mich.
Das stört mich nicht, lacht er und grinst
dreckig.
Er lacht und mein Gastvater
lacht mit.
Seis chicas, das stört sie nicht.
Es ist ein Witz – una broma.
Nur ein Witz.
Ein dummer Witz, aber eben nur
ein Witz.
Macht euch mal locker.
Versteht ihr etwa keinen Spaß?
Meine Gastmutter schweigt
unter zusammengezogenen Augenbrauen
weicht sie meinem Blick aus.
Ich schrumpfe,
mein Körper sinkt
in sich zusammen.
Ich verurteile sie
für ihr Schweigen,
dass sie zulässt, wie er
über mich,
über meine Familie,
über Frauen
spricht.
Später erkenne ich, dass sie
ebenso wie ich
Opfer des Patriarchats ist.
Ich spreche nie
darüber; ich
schweige.
Es ist ein Witz – una broma.
Nur ein Witz.
Ein dummer Witz, aber eben nur
ein Witz,
den ich vielleicht einfach nicht
verstanden habe.
Unerfahrenes, unsicheres, fünfzehnjähriges
Ich.
Ein Witz, der mich
auszieht, meine Mutter
auszieht, meine minderjährigen Schwestern
auszieht;
Die jüngste erst zwei,
aber Alter zählt nicht,
denn wir sind
Frauen.
.
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freiVERS | Georg Großmann
Häutungstier
Ich bildete mir meine
erste eigene
Meinung
Meine erste eigene
Meinung bildete sich
unter der Hornschicht
Meine erste eigene
Meinung wuchs mir wie
eine innere Haut
Eine eigene Haut
meine innere Meinung
Ich streifte die
elterliche Exuvie
ab
nicht in einem Zug, sondern
zaghaft, Stück für Stück
Nun liegt sie vor mir
die Althaut
klobig und steif
wie eine Tupperware-Box
Klobig und steif war meine Haut
eine fleischige Bleischürze
ein Baukasten des letzten Jahrtausends
eine patinierte Rüstung, die kaum
Licht reflektiert
Rosafarben, nackend, weich wie
gegarte Garnelen ist
meine eigene Haut noch
Das schon
Ich schaue zurück zur
Exuvie, die wie
ein Haus, ein sicherer
Unterstand lockt
das Bekannte
der lauwarme
Pool
ich bade jetzt
kalt
ich breite meine
verletzliche Crevetten-
haut
in den schmerzhaften
Niederschlag
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freiVERS | Martin Dragosits
Kinderspiel
das Licht in Streifen schneiden
ohne dass es jemand merkt
mit Sonnenstrahlen Muster malen
auf die Wangen und den Mund
schon vor dem Frühstück fliegen
um die Ecke und zurück
dem Himmel Zeichen schicken
für ein kleines Wunschkonzert
bei Wolkendecke Slalom fahren
bis der nächste Tag gewinnt
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freiVERS | Thomas Steiner
ich esse gerne
im möbelhaus.
im möbelhaus
gibt es gutes essen
hunderte menschen
essen im möbelhaus, tausende
frühstück & mittag
ich mag es, wunderbar.
riesige fenster
zum parkplatz & bäume
wie schön
es ist diese art
von glück, von glück, von glück
das es sonst nicht gibt.
manchmal regnet es
dann
sehe ich den parkplatz vom möbelhaus
im regen. niemand
vertreibt mich vom tisch.
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