freiVERS | Sarah Pola Esadov
Da denkt einer den ganzen Tag
nur an Brücken.
Stahlbetonbrücken, Bogenbrücken,
Autobahnbrücken, Hängebrücken,
Sichtbetonbrücken.
So wie er Brücken liebt so liebt er.
Stahlhart, waschbetonweich, endlos lang.
Streicht über die Oberflächen von Brücken.
Bewegt sich gewissenhaft über die Brücken.
Stapft über die Brücken. Steht vor den Brücken,
an der Schwelle, unten und betrachtet sie.
In der Mitte ist die Aussicht am besten.
Er hält immer in der Mitte an.
Berufsbedingt aber muss er bis ans Ende gehen.
Manchmal dreht er um und geht wieder zurück.
Infrastruktur ist die Lösung denkt er.
Infrastruktur ist die Lösung sagt er.
So wie er Brücken liebt so liebt er.
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freiTEXT | Avy Gdańsk
Nach-t-wuchs
In den Schatten unter deinen Augen lese ich: Der Schlaf war wieder zu dünn, eine Schicht Eis auf dem See, schnell eingebrochen. Immer fräst sich der Lärm durch die Traumwände, rückt von allen Seiten unerträglich nah. Ein Erwachen wie das Einschalten der Maschine, Wiegegriff und drohende Beruhigungslaute einer nicht weit entfernten Böschung. Die Erschöpfung bringt dich an den Rand des Guten.
In den Dachbodentagen waren wir der Lärm, ein springender Laut wie Gebälk, gegen die Nischen anbrüllendes Tiersal, eine Tapete aus Gegröl. Wir waren augsam auch, schaulustige kleine Geschöpfe mit Bast an den Wimpern, die Blicke flochten sich beinahe von selbst, wir griffen ins Sichtfeld hinein und pflückten die Ansicht, aßen die Hügel auf, bis unsere Bäuche sich wieder verdünnten.
Wir waren entsetzlich bedürftiges Faultier, ein Schnappen der Luft waren wir, ein Vergreifen an grünenden Zweigen. Eigentlich gebaut als Hoffnungsträger, zum Schultern von Erwartung. Knickten darunter ein, weil wir aus Fleisch waren und nicht, wie erfordert, aus Marmor.
Jeder Raum von uns: angefüllt bis unter die Gestirne, die unsere rohen Hände verließen, durch die Nagelspitzen leuchteten. Wir, gegen die Decke, Verlängerung der Endlichkeit. Ein Warenhaus, ein Sindhaus, Wirdshaus, zerschlagen von uns, Abrissbirnenteile waren wir, Verwirklichung, Verwirung.
Und das willst du alles zurück? Willst Wanzenwänste, die in Westen stecken, willst auf den Kniepferdchen reiten den saftigen Wolken hernach, willst die gewellten Scheren halten, Meere aus Karton.
Wackersteinschlieren willst du, Blubbern unter gesenkter Hand, und dann so tun, als sei es ein Quell aus dem Erdreich. So lernt jeder auf andere Weise, dass es zum Oben ein Unten gibt. Die Blasen, lustig anzusehen für den Tunkenden, waren die Angstschreie dessen, den er zur Tiefgründigkeit zwang. Danach gab es kein Zurück an die Oberfläche, man hatte die Unterseite der Welt gesehen und erkannte sie überall wieder. So wurden wir verschieden, dadurch, wie lange wir uns einander dem Schatten aussetzten, einander das Licht entzogen. Ich konnte mich immer schon besser an die Dunkelheit anpassen.
Dein Nachwuchs, mein Nachtwuchs. Weil du im Hellen lebtest, trafst du andere Entscheidungen. Die Sonne aber wandert, und der Schatten macht dir Angst. Willst dich absichern gegen die Kühle, die du nicht gewohnt bist. Vermisst das Kirschkernspucken gegen fremde Knie. Was willst du wirklich, die früheren Wunder, die alten Wunden? Suchst nach erneuter Verkleinerung, um wieder Zugang zu finden zu den Wichteltüren, zur Schneckenpost, zum Kürbislächeln. Ich finde ihn noch, jenen Eingang, nicht unentwegt, aber oft, drum lass dir eins gesagt sein:
Was du jetzt nicht mit Herzfingern greifen kannst, die rot sich um Luftburgen schlingen, kommt auch durch Vereinfältigung nicht zurück. Siehst du jetzt nicht die gebräunten Buckel der Trauben, die Käppchen der hageren Butten, was hilft dir ein zweites Paar Augen? Du suchst eine füllende Masse, die dein Lächeln drückt bis an den Lidrand, formbar soll sie sein, ein haltbares Kunstwerk. Dein eigener Hoffnungsträger, da du sie selbst nicht mehr halten kannst in deinen schwachen Händen.
Willst wieder reden mit wirbelndem Mund, möchtest dein Singen erfinden, die Muster unterm Regenteppich sehen, mit der Laterne durch die allererste Nacht, verborgene Botschaften aufspüren.
Zuerst aber musst du dein Leben verlieren.
Die sägende Saite spielt dich, ein Geigenbogen gegen deine Kehle ist der Schlaf, zu dünn, er schneidet ein, er zieht sich zu, der Atem dünne Klingen, die Luft rasiert den Rachen, die Lider dünn, die Nerven dünn, die Lippen. Wann werden die Wangen voller, fragst du dich, horten wie Hamsterbäckchen das Lachen? Auf Stroh – weißt du noch? – schliefen wir einmal und es wurde nicht zu Gold, auch wenn wir daran glaubten, im Schlaf es fest uns wünschten. So mag es nun wieder sein, oder Gold aber macht dich doch nicht froh.
Denkst heimlich daran, es zurückzurollen ins Wasser, die strampelnde Kugel zu tauschen gegen einen zauberhaften Prinzen. Doch alles sind falsche Versprechen, Wasserfall ist keine Möglichkeit, zwischen deinen blonden Strähnen erste Grausamkeiten.
Treffen wir uns, bekomme ich nichts als Fassade. Ist das die Strafe für die Opfer, die ich nicht bringen wollte? Dein Himbeerlächeln, extradick aufgeschmiert: Zucker, der zusetzen soll. Dein ganzer Stolz – hüfthoch – reicht, um dich damit zu schmücken, solange wir uns sehen. Es ist niemals lang. Kann dies, kann das, tut dies, tut jenes, wird aber fremder Tag für Tag, die Entwirung beginnt schon allmählich – das spüre ich, obwohl du es versteckst.
Du wieder oft im Alleingang, arbeitsame Hände, wir ziehen tolle Formen aus der Leere, du und ich, sie folgt unseren Gesten nach Hause. Hat man nichts zu tun, ist man dem Sein so ausgesetzt, nicht wahr, man muss sich dem Ich übergeben, also bewegt man die Finger, um es zu vertreiben.
Ich brauche deine Beweismittel nicht, die verzweifelten Superlative, die Fotos, deren Strahlen etwas überblenden soll. Ich sehe dich hinter den Gardinen auch schimpfen, weinen, müde an die Wand starren. Neide mir nicht die Bewegungsfreiheit, die Zeitlosigkeit und dass ich verfügen kann, wo du verfügbar bist.
Einmal treffen wir uns unterwegs auf der Straße, du siehst aufgegeben aus, und weil es keinen Ausweg gibt, stellst du dich mir. Als wolltest du flüstern: Los, spotte doch schon. Da sage ich es dir: Schluss mit dem Wettkampf. Wir müssen uns nichts vormachen, müssen nicht drum eifern, welcher Lebensentwurf der bessere ist. Entwürfe sind Linien, um das Weiße des Blatts zu bedecken. Und füllst du es bis an den Rand, ist es zu dunkel. Lass das Nichts durch, oder verzichte aufs Licht. In jedem Fall verlieren wir.
Da schlägt deine Lebenslinie dankbar aus, rutscht auf meine Seite der Welt, seit langem überkreuzen sie sich wieder. Geben wir sie zu, die Einsamkeiten, gegen die nichts gewachsen ist, nicht mal das, was wir selbst aufgezogen haben.
Unsere Freuden sind anders geworden, betretbar, die Trauer unverhüllt, beschaulich, wir lassen die Vergleiche sausen, wo es geht.
Manchmal, wenn ich drüben bei dir eingeladen bin, betrachte ich die Abspaltung deines Selbst, rasch heranwachsend, beim Zeichnen auf der Terrasse. Der Stift schlittert hinter der Vorstellung her, die Hände tappen im Dunkeln.
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freiVERS | Verena Längle
martian natives (wenn die Alten schlafen gehen)
Wenn die Alten schlafen gehen,
träumen sie von ihrer Erde, schwarzer Erde,
Mutterboden, voll bis obenhin mit Zeug? Bakterien, Algen,
Mikroplastik, Pilze, Biozide, Würmer, die (geliebte) Erde fressen,
pressen (durch das Mahlwerk ihres Körpers) und so tiefer sinken lassen,
was auf dieser Erde steht, einfach immer tiefer sinken in die dunkelste
Umarmung, wo die Ahnen sicher ruhen, auch wenn man das, was dort
passiert, schlecht ruhen nennen kann, weil hundertfach berührt
von Mündern, Borsten, Flüssigkeiten –
Visionen? Nichts, nur vage
Lichtempfindlichkeit und doch bereiten sie
den Boden für alles, was noch kommen wird, während
(statt zwei) ein blasser Mond aufgeht, der Meere hin- und
her bewegt und ihre Sehnsucht wiegt wie Kinder. Vermissen sie
den blauen Plan, der Mutter, Gott und Vater war, bevor sie ihn
entschlüsselt haben? Vermissen sie die Schwerkraft, die hier alles
leichter macht und auf der Erde dreimal schwerer? Lass sie
einfach weiterträumen! (wenn die Alten schlafen gehen,
sind wir längst auf und davon)
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freiTEXT | Sophia Hauser
Multiple Gedächtnisabfolgen
Jetzt wollen wir es nochmal wissen. Ausgelutsche Worte neu ordnen, uns nicht selbst zum Verhängnis werden. Sprache ohne Gesprochenem, Erläuterungen aus den Mündern, alle Jahre wieder. Höchste Zeit, die keinem gehört. Verkalkter Filterkaffeegeruch schreit herein von der Kücheninsel. Wir trinken das Gesöff bekanntlich nicht wegen dem Geschmack, der Lifestyle muss es sein. Frisch gebleichte Zähne glitzern Richtung future. Gleichzeitig braune, ausgekühlte Lacken im Porzellan. Raus aus den zwei Zimmern, schnalzen mit der Zunge, frustrierend. Die gelbe Sau blendet wieder.
Müssen Vater bei jedem Gedanken um Erlaubnis fragen. Sitzt draussen mit der sechzehnten Tschick im Atem. Hatten wir alles schonmal. Täglich das selbe Schauspiel, euphorisierte Jogger zwingen sich selbst in die Unschärfe. Der Föhn flüstert uns Lügen zu, von denen wir Migräne bekommen. Komplett zugedröhnt meditieren, Mondsucht bewältigen.
Unser kleines Geheimnis, der zweiköpfige Teddy der Nachbars-tussi. Zum Monatsanfang impft sie plastische Substanzen in ihr Gesicht. Forever Young. Einsame Zweisamkeit. Zuckersüße Freuden, zum in-die-Hände-klatschen. Fast hätten wir sie vergessen. Deja-vu von Platzwunden und Bergsteigen. Dann, zurück zum Tatort. Brennend heisses Gold bringt den Durst unmittelbar um die Runden. Erschreckend lebhafte Tagträume vor dem Bildschirm, Gespräche ausschließlich über Kabel. Vier Hausblöcke weiter, mischt jemand Salz in den Kaffee. Schon wieder.
Selbstverständlich ist unsere zwanghafte Ordnung erdrückend. Abfolgenwahnsinn zum verdammten Wohlbefinden. Die weisse Kugel löst die Gelbe ab, mitten im Geschehen. Noch eine Sucht im saftigen Zukunfstshokuspokus. Freya sieht uns an, vom zweiten Zimmer aus. Geblendet, weil wir uns gegen Vorhänge sträuben. Die Blechwellen glitzern vom anderen Ufer herein. Wir fragen sie, was los sei. Das Übliche. Der Pfirsichsaft am Fenster fängt langsam zu gären an. Genau so wie wir. Ungewissheit sprudelt von Glasboden Richtung Freiheit und macht die Luft ein Jahr älter. Jetzt wollen wir es nochmal wissen, fällt uns wieder ein. Kurzer Ansturm von Selbstmotivation weil Beobachtung aus nächster Nähe. So wirken als würden wir.
Die am Himmel sind immer die Krähen, die in der Hauswand immer Ungeziefer. Stufenweise Weberknechte gekleidet im kühlen Orange der Morgendämmerung. Freya liebt Nebel, nur bei Vollmond. Seltene Angelegenheit. Für andere Phänomene ist sie nicht zu begeistern, wofür auch.
Der siebzehnte Sonntag zieht vorüber, erzählt uns Geschichten von damals, Vorfreude für die Zukunft. Die Steuer erklärt sich im Nebenzimmer selbst. Grünes Licht zittert von der Südseite und trägt uns weiter in Entfernung. Freya schlägt uns vor, eine Kunstpause zu machen. Mit Druck hält sowieso alles besser.
Kürzlich kam das Atmen einer Absurdität gleich. Die Luftaneignung stellt eine minütliche Gewohnheit dar, die, wäre dies nicht die Machenschaft eines Automates, eine sehr tödliche Angelegenheit sein könnte. Solche Gedanken verirren sich meist zwischen „nichtexistent“ und „arbiträr“.
Entlang der Allee am immer gleichen Schlagloch halten, zur Kontrolle. Verfolgung von verlorenen Wörtern, die keiner besitzen möchte. Aus dem letzten Winkel der Sammlung, unvergesslich. Freya verheddert ihre feuchtwarmen Finger mit unseren ausgekühlten. Schwindelerregende Führung unter Einfluss des Nachthimmels.
Später bei einer Tasse Tee Sudoku.
Zahlen zählen ist angenehmer als Buchstaben sammeln und ordnen. Kurzfilme von eckigen K und schwangeren B lassen uns nicht träumen. Statische X wechseln sich mit eleganten G im visuellen Geschehen hinter den Augen ab. Teilweise so tief, dass es uns vom Orgasmus abhält. Sieben Uhr siebenundzwanzig ist die meist gesehene Zeit unseres Weckers. Ohne Beweis ist das ganz klar die Wahrheit.
Die Motten begrüßen uns ausnahmslos, Freya mahlt Bohnen. Quietschend. Aufguss und Wirkung genießen, dem hypnotisierenden Wasser danken. Hals drehen, das beruhigende Geräusch von Nacht verschenken.
Wir packen den Rucksack voll mit Mysterien und gehen auf Suche. Sanftes Moos klettert Wände hinauf zum blauen Licht. Vater schnürt die Tür hinter dem Nacken zu, schnipst vier Mal die Finger. Feuer in der Stimme. Freya fliegt vorbei, wie sonst immer. Steppmusik der Stiefel am Asphalt. Aufgeräumte Wesen schreiten vorüber und sparen sich viel Mühe. Bald müssen wir uns gehen lassen, seither viel passiert. Aus „wir" soll „ich“ werden. Das sich-nicht-hinein-steigern und in-den-kalten-Brunnen-setzten, hängt uns tief aus der Kehle.
Offenes Knacken aus halbtoten Pflanzenresten, zur Feier des Zyklus. Kalender drehen sich zu unseren Gunsten. Die Gewohnheit will uns verlassen, zum Glück können wir noch schreiben. Verschlossene Lebensträume isolieren sich für die Ewigkeit, tragen Tinkturen zusammen und mischen die Sehnsucht der Unmöglichkeiten. Langsam schwinden unsere Stimmen, die keiner hören kann. Zwei von fünf verabschieden sich mit maßlos überreiztem Lächeln. Sie wartet schon auf uns. Freya, ich nenne sie so, aber nicht weil sie so heisst. Alles stimmt und darauf gibt es keine Antwort. Singend lädt sie uns ein, Ölfarben zu mischen. Wassergelb, Ultramaringrün und Sonnenbraun, in dieser Reihenfolge. Jetzt müssen wir in vielen Sprachen laut lachen. Das Verlangen kommt auf, nach Niederschrift. Wir sprechen uns selbst zu, mit Zuversicht lallend, tanzend. Keine Zeit mehr, irgendwer zu sein. Uns einigen und ineinander stülpen. Take yourself away.
Wenn wir träumen, glühen wir vor Wärme, sagt Freya. Die Herrschaft mit anderen zu teilen fällt uns nicht leicht, trotzdem muss es passieren. Der Mond leuchtet, es riecht nach Holz und Maroni. Das Zepter ist abgegeben, dann Entspannung. Die Pflicht für Momente vergessen, fliehen von uns selbst. Wir sehen uns zu, wie im tragischen Film, es ist 10 Uhr abends. Durch das Fenster tauschen sich Luftgespräche aus. Wasser heult einladend in das Bett, rauscht weiter, ohne sich jemals zu beschweren. Die kleinen Antikörper bringen uns um den Verstand, sie wissen wenig und löschen lang. Zusammenkunft für wen auch immer. Leer durch chemische Reaktionen. Wir schlafen immer sachter und bekämpfen keinen Hirnkrieg mehr. Haben eine weitere Stimme verloren, die letzte scheitert immer schöner. Plastikmusik fühlt sich durch die Sphären der Gehirnbreimasse. Honig tropft aus dem Wasserhahn, ein Glas voll Süße. Wieder ein absurder Morgen. Wieder keine Stimmen. Wieder Stille.
Ich, als einziger Protagonist wurde zum König meiner eigenen Gedanken gekürt.
Freya nennt mich nun das letzte Individuum, weil ich so heiße. Aus Gewohnheit höre ich auf die Stimmen, die mich alleine lassen. Schlimmes Schweigen der Welt lässt mich überirdisch in Vergessenheit schweben. Explodierende Ideen und Freiheiten, Bäume pflanzen. Lichter sind laut, Gefühle wirbeln durch mikroskopische Partikel in den Sehnerv. Es stört keinen, dass ich einfach so am Asphalt liege und höre, wie die Sonnenstrahlen schreien.
Freya beobachtet mich auf Teufel komm raus, weil ich jetzt geheilt bin. Ausgesprochen einsam bin ich. Alle sagen das ist richtig so. Rauche mit Vater Zigaretten. Genieß-es-so-lange-du-noch-kannst-Gespräche über Jugend und Pflichtversprechen mit sich selbst. Unangenehm, alles alleine zu vollziehen. Fast sagt er sowas wie „intensive Gedanken führen zu instinktivem Verhalten“. Kaffee über Bord schütten und Kopfüber am brennheissen Holz hängen.
Tabus auswendig lernen, Deja-vus ignorieren. Zufällig Vollmond, total verliebter Gedanke. Fenster und Türen schließen sich von selbst und Wasser kocht über. Salz ist voller Weisheiten. Leise flattern Schmetterlinge unter meinem selbst gestrickten Pollunder. Quetsche sie bis zum Künstlertod.
Ich bin Nachbar der Krankheit des Geistes. Was sie so macht, hab ich niemals gefragt. Nebenwelt im Nebenhaus. Zukunftsverschiebungstatsache.
Mir fällt auf, dass ich nicht weniger hab, obwohl ich alleine bin. Gleichzeitiges Freya-Vater-Lächeln. Ich mach mit, weil ich muss. Langsamer atmen, damit ich schlafen kann, ohne Fokus. Tauchgang im Verarbeitungsmodus. Fließendes Wasser, wo ich täglich vorbeischreite. Kann mich erinnern, an nichts und sterbe wegen allem. Freya meint nur gut, dass ich schreiben kann.
Urlaub in fremden Träumen.
Statisch geordnete Töne bewusst aneinandergereiht. Ich will tanzen, abstraktes Grinsen aus allen Richtungen. Russisch fliegt sanft durch die Luft. Der Gedanke noch warm. Treffe ein südliches Kunstwerk im schwarzen Rollkragenpullover. Stell mich vor als Ich-kann-schreiben-Literaturfetischist. Wir sprechen in Reimen ohne Stil oder Kultur. Erzähle von dem „uns“ und dem finalen „ich“.
Auch ohne Verständnis, versteht er. Sieben Personen besitzt er. Das weiss keiner, sagt er.
Freya sehe ich nicht. Tatsächlich existieren mehr Personen als Menschen. Fühle das jünger werden in den Zähnen. Alles um uns wird schneller, nimmt sich in Acht und vergisst. Aus „ich“ wird wieder „wir“.
Bis heute kenne ich seinen Namen nicht. Er trägt sein Mysterium im Rucksack und lässt ihn niemals los.
Nachts treffe ich ihn im Schlaf und wir erzählen uns Geschichten aus der Hauptstadt, die erst passieren werden sollen. Ohne jemals Worte zu verwenden, wirken wir, als würden wir.
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freiVERS | Michael Pietrucha
nächtlich bin ich
die nachtigall im dickicht
dort sowie, sowie die
andere nachtigall hier
die mauern der mörtel
sind keine wände meine
gitter ich werde
der laubduft die lieder
die luft
wären nicht meine glieder
ein vöglein
bis in die morgenstille in die
ich es hülle
niemandem zeige
den mittag die mahlzeit
das meckern
darüber stülpe
bis das vöglein sich nächtlich
im aufschrei befreit
& singt & sucht
was allein
ich bin ich höre
dich bis in die morgenstille
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freiTEXT | Isabelle Meyer-Thamer
Lücke
Die Holztüren des Kleiderschranks standen offen, zwei Drahtbügel mit Kleidern lagen auf dem Ehebett, das eine zu eng, das andere zu weit. Sie waren grau oder beige und rochen nach Anis wie alles im Elternschlafzimmer. Im gedimmten Licht, Mutters Migränelicht, war schwer zu erkennen, ob meine Mutter lächelte, als sie sagte: „Probier das hier zuerst an, die Farbe steht dir, Ronja.“
Ich war immer die Erste, die zurechtgemacht wurde. Wegen der langen Haare, sagten die Brüder. Kurzgeschoren und gleichmütig schliefen sie aus, während ich in aller Frühe Kleider anzog, die mir nicht passten. Das hatte nichts mit meinen langen Haaren zu tun, dem hellbraunen Mädchenhaar, das Mutter mir zu einem straffen Dutt hochsteckte, sodass die Kopfhaut ziepte. Es hatte mit den Hüften und den Brüsten zu tun und mit den verschobenen Formen, die unlängst dazwischen lagen, zwischen zu eng und zu weit, zwischen einschnüren und nicht ausfüllen, zwischen beige und bizarr. Aber davon erzählte ich den Brüdern nicht.
„Häng nicht so rum, Bauch einziehen,“, sagte meine Mutter, „dann wird’s schon gehen.“
Nachdem ich staffiert und frisiert worden war, durfte ich den Hunden nicht zu nahe kommen, zwei trägen, alten Schäferhunden des Stiefvaters. Wegen der Haare und des Speichels, sagte der Stiefvater schmunzelnd. Die vertrugen sich nicht mit steifem Leinen und sauberen Mädchenkörpern.
Also legte ich mich auf das straff gesteckte Überbett und sah meiner Mutter bei den letzten Korrekturen zu. Korrigiert wurden: Farbe und Schwung der Augenbrauenbögen, Kontur der Wangenknochen, das allgemeine Erscheinungsbild der von Jahr zu Jahr an Spannkraft einbüßenden Haut. Besonders gefiel mir die große Puderquaste, mit der Gesicht, Hals und Dekolleté abgeklopft wurden. Meine Mutter sah erleichtert aus, als sich unsere Blicke schließlich im Spiegel begegneten, und irgendwie auch fremd.
Und weil der Moment so günstig erschien wie jeder andere, fragte ich: „Kommt Tante Vera heute auch?“
Mutter sagte: „Das knittert, wenn du dich da so hinfläzt.“, und verließ das Elternschlafzimmer.
Der Stiefvater brachte die Hunde in den Zwinger im Garten und die Brüder wurden geweckt. Sie stiegen in gradlinige Hosen und gradlinige Hemden, die ihnen weder zu eng noch zu weit
waren. Und sie fragten: „Sehen wir nicht piekfein aus, Ronja?“, bevor sie in schallendes Gelächter ausbrachen.
Die Familie kam, die Großeltern, die großen Cousins, die Onkel und die Tanten, bis auf eine. Sie brachten Torten und Sträuße, selbstgebacken, selbstgebunden. Die waren für nachher. Bis dahin durfte nicht gekleckert und nicht geknittert werden. Das sei doch nicht nötig gewesen, versicherte Mutter jedes Jahr aufs Neue, aber immer erst dann, wenn der Esszimmertisch voll damit stand.
„Kommt Tante Vera heute auch?“, fragte ich die Großmutter, die in der Küche Sektflöten und Kaffeetassen füllte. Ihre Hände zitterten, aber sie goss die Flüssigkeiten ohne Verluste.
„Wie groß du geworden bist, Ronja,“, sagte sie ergriffen, „fast wie eine Erwachsene!“
Im Wohnzimmer wurden schließlich die schweren braunen Vorhänge auf beide Seiten der bodentiefen Fenster geschoben. „Goldene Stunde“, sagten die Tanten und das Licht schien schmeichelhaft und irgendwie feierlich zu uns herein. Dann wurde das schwere braune Sofa vor und zurück gerückt. „Goldener Schnitt“, sagten die Onkel und alles war bereit für das Foto.
„Schnapp-Schuss, Schnapp-Schuss!“, skandierten die Brüder und die großen Cousins im Chor. Es lag etwas Beschwörendes, Bedrohliches in der Art, wie sie mich dabei ansahen. „Los, Ronja, Schnapp-Schuss, Schnapp-Schuss!“ Sie brachen in Gelächter aus, als ich den Kopf schüttelte und zurückwich. Mein Bauch tat plötzlich weh, vielleicht aber auch den ganzen Morgen schon.
Und dann kam die Fotografin mit der Kamera, dem Stativ, den Objektiven und einer Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen, die mir bedeutsam erschien und wie ein Teil der Ausrüstung.
„Fertig fürs Foto?“, mahnte Mutter mit ihrem Migränelächeln.
Zeremonielle Anordnung der Menschenkörper, auf dem und um das Sofa herum. Onkelbäuche wurden eingezogen, Tantengliedmaßen wurden angewinkelt. „Bild-kom-po-si-tion, Bild-kom-po-si-tion!“, skandierte die Fotografin munter.
Ich hielt es nicht länger aus, flach in das zu enge Kleid zu atmen, ich fragte: „Kommt Tante Vera heute nicht?“
Tante Vera hatte auf den Familienportraits stets in der Bildmitte, Seite an Seite mit meiner Mutter, auf dem Sofa gesessen. Mutter bewahrte die Fotos in einer flachen Schatulle auf, separat von den anderen Fotos. Jahr für Jahr kam ein neues dazu, das wie die alten aussah. Dasselbe Foto, wieder und wieder und nun nicht mehr?
Der Stiefvater sagte: „Verdirb deiner Mutter nicht ihren Tag.“
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freiVERS | Liza Wandermaler
17 Luchse
Wusstest du, dass jeden Abend,
Siebzehn Luchse, leise trabend,
Auf den kleinen Waldseewiesen
Ihrem Schlaf entgegenwarten?
Ich hab sie gesehen… Glaub mir,
Nichts ist schöner, als ein Raubtier,
Das an einem blautürkisen
Abend kreist im Eden-Garten.
Und es fegen dunkelgrüne
Efeuranken die Tribüne,
Während jeder Stern die schlauen
Katzenaugen wiederspiegelt.
Warm benetzt das Moos die Steine;
Dunkel dämmern Fichtenhaine,
Während in den flachen Augen
Jemand seine Tür verriegelt.
Doch, wenn ich dir dies erzähle,
Lachst du und beteuerst sachlich,
Dass ein Luchs in uns‘ren Breiten
Sicherlich nicht hausen würde,
Dass die Phantasie endgültig
Den Verstand in mir verwirrte
Und dass du dich langsam fürchtest,
Ob mir noch zu helfen wäre.
Doch du hast sie nicht gesehen.
Und du ahnst nicht, was ich ahne.
Denn ich bin mir sicher: Luchse
Wissen mehr, als sie verraten…
Also muss ich wieder gehen,
Weg vom Lärm der Straßenbahnen,
Um erneut auf siebzehn Luchse
In dem Wald gebannt zu warten.
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freiTEXT | Clemens Gartner
Solche Antworten
Listenschreiben hat ja für viele was Kathartisches. Es ist so ein Allheilmittel für die kleinen Krankheiten im Kopf. Das hat schon vor tausend Jahren einer gewusst, und beim Begutachten seiner neusten Schöpfung unrund das Wichtigste aufgelistet.
Ich sehe mein halbdurchsichtiges Spiegelbild in einer Duschkabine stehen. Daneben eine Kloschüssel und daneben noch eine. BAD&SANITÄR WIMMER – ist mir bisher noch nie aufgefallen. Wahrscheinlich weil ich den Weg nach Hause sonst entweder nicht zu Fuß oder nicht alleine gehe. Beides bedeutet: nicht aufmerksam. Ich suche den Moment nach einem Thema ab. Eigentlich ganz logisch. Ich schiebe mein Handy aus der Hosentasche und öffne die Notiz-App.
sachen die meistens so sind aber nicht immer
- das zusperrding an der innenseite von klo und badtüren steht waagrecht wenn zugesperrt ist
- links heiß rechts kalt am wasserhahn
- ich nehme die straßenbahn von alex zu meiner wohnung
Das Handy in der Hand und die Hand in der Jackentasche fällt mir auf, dass hinter der nächsten Ecke schon der Fruchtplatz liegt. Ich habe ihn so getauft, weil in seiner Mitte für gewöhnlich die Obstverkäuferin ihren Stand aufgebaut hat. Mit Sonnenbrand im Gesicht oder Frost auf dem Oberlippenbärtchen versorgt sie das ganze Jahr über Kundschaft mit allem, was gerade wächst, lächelnd unter ihrem ausgeblichenen Frucade-Sonnenschirm. Fest mit dem Asphalt verschmolzen seit Anbeginn der Zeit. Man hat den Platz und die Stadt und die Welt einfach um sie herum gebaut. Alex hat das nie verstanden.
- habe mein handy in der hosentasche
- die obstverkäuferin ist an ihrem platz
- habe beim über den platz gehen alex an der hand
Ich bleibe an einer Bodenmarkierung stehen. Genau an der Stelle, wo ich Alex zum ersten mal gesehen habe. Erst traf mein Blick nur einen beliebigen Hinterkopf, dann Hände, die beim zahlen ein Büchlein aufgeschlagen auf den Tisch legten. Eine in zwei Spalten geteilte Einkaufsliste auf kariertem Papier. Links W rechts B in schwarzen, dicken Buchstaben. Ich stieß ein fragendes Geräusch aus, die hagere Gestalt zuckte zusammen und das kleine Buch fiel auf den Boden. Ich wollte mich danach bücken aber die Hände schossen sofort nach unten um es wieder an sich zu reißen. Ein altbekannter Trieb pochte versessen darauf, die Liste zu verstehen. Erst mit einem Nachdruck, der, wie mir Alex später einmal beichtete, nicht ganz unbedrohlich dahergekommen war, bekam ich eine Erklärung. Ich gehe weiter und ändere den Titel meiner Liste (oft statt meistens), schnaufe, und ändere ihn wieder zurück.
- fange an zu lächeln wenn ich an alex denke
„In die linke Spalte schreibe ich Sachen die ich will, in die rechte, die ich brauche. Naturgemäß füllt sich die linke Spalte immer etwas leichter. Sind beide gleich auf, gehe ich einkaufen. Ich besorge alles was ich brauche, und die Hälfte der Sachen die ich will. Bei Ungeraden runde ich auf“
„Aber überschneiden sich die Spalten nicht manchmal? Man braucht doch auch Dinge die man will und umgekehrt?“
„Das entscheidet sich von ganz alleine. Wenn ich den Stift nehme, weiß meine Hand schon was sie wohin schreibt“
Solche Antworten waren es immer. Unbemerkte Widersprüche. Kleinste Bewegungen. Vor ein paar Wochen, als wir beim Schlafengehen einen unwichtigen Streit ausschwiegen, fragte er vorsichtig, ob die Obstverkäuferin so was wie eine Göttin sei. Ich antwortete ihm mit einem Kuss auf die Stirn.
- alex geht alles rein pragmatisch an (und nervt mich damit)
Feiner Nieselregen tippt in die Notizen und knistert auf dem frischen Teer zu meinen Füßen. Ich lösche die Willkür vom Display und flüchte die Stufen runter zum Kanal, weil mir vom Straßendampf schlecht wird. Der Umweg führt mich einmal mehr an einen Wendepunkt. Vor dem Café, in dem Alex mir vorgeworfen hatte, in meine Küsse mische sich in letzter Zeit immer wieder eine gewisse Härte, die er nicht zuordnen kann, hole ich mein Handy heraus. Aber in Alex Welt gibt es keine Vorwürfe, nur unschuldige Beobachtungen. Allein mein Wissen ließ seinen Blick aus einem wertenden Winkel kommen.
- teer riecht irgendwie gut
- lasse mein handy bei regen eingesteckt
- spreche offen über meine gefühle mit alex
In dem kleinen Park vor meiner Wohnung zerrupft eine Krähe irgendwelche Überreste, schüttelt sie mit dem Schnabel und verteilt Fetzen über die Wiese. Ein paar mehr gesellen sich dazu um sich an dem Spiel zu beteiligen. Als ich näher komme wird die Herde zum Schwarm und fliegt kreischend davon. Seit Generationen lebt hier dieselbe Krähenfamilie und teilt sich alles was im Gras zu finden ist. Ich vergesse Alex Zweifel daran, als die Vögel wieder von ihren Bäumen segeln. Im Aufzug sehe ich mein Spiegelbild, diesmal ohne Transparenz.
- lift ist kaputt
- bleibe kurz im park stehen und schaue den krähen zu
- alex ansichten machen mich traurig
Das entfernte Rattern eines Presslufthammers erinnert mich an einen sonnigen, kalten Nachmittag auf Alex Balkon. Ich machte ihn auf einen morschen Balken im offenliegenden Dachstuhl an der Baustelle gegenüber aufmerksam. Er wies mich an, nicht mit dem Finger darauf zu zeigen, sondern seinen Blick mit einer Handbewegung zu führen. Es war ein guter Ratschlag. Ich ärgerte mich. Alex geht es nie darum Recht zu haben. Er möchte das Bestmögliche einer Situation. Ich führte seinen Blick mit einer Handbewegung auf meine Nase. Alex schaute auf den Boden. Ich versuchte mit der kalten Luft einen Ring zu blasen. Ich möchte meine Welt nicht optimieren lassen.
- den ganzen tag baustelle
- nehme mir alex ratschläge zu herzen
Gemeinsam mit der Liste ruhe ich bis zum Abend. Erst im Bett bekomme ich Mitleid mit den Punkten, die schon seit Wochen auf eine Form gewartet hatten. Ich gehe sie nochmal sorgsam durch, gebe jeder Silbe ihren verdienten Laut. Bei jedem Alex bemühe ich mich besonders. Ein Paar Autoscheinwerfer wandert langsam über die Wände, erhellt den Raum für Sekunden und lässt ihn finster zurück. Auch ich hatte Alex leuchtende Umrisse vor die Nase gezeichnet, zu vage um sie zu greifen, zu schnell um sie zu verstehen. Der Stein von meinem Herzen liegt jetzt schwer auf seiner Brust. Diesmal ist es der stinkende Dampf meiner Anmaßungen, von dem mir schlecht wird. Ich schalte mein Handy aus und lasse es auf den Teppich fallen. Zwei letzte Einträge drängen sich auf und lassen mich nicht einschlafen. Ich denke sie in das Dunkel an der Wand.
- alex ist der kühle von uns beiden
- beziehungen enden bei mir mit tränen
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freiVERS | Sabrina Saase
just do it
den tod zum lachen
sisyphos zur ruhe
bringen
leben den lebenden
der blick zurück
selbst versteinerung bringt
entscheidungen gegen dich
immer leichter
als der sprung über den eigenen schatten
jump jump
over the gap
oder bis alles einstürzt
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freiTEXT | Katrin Krause
Die Klavierlehrerin
Ludwigs Hobbys waren Straßenverkehr und tote Tiere. Das waren überhaupt die einzigen Dinge, für die sich Ludwig wirklich interessierte. Seine Mutter Christel machte sich deswegen Sorgen. Sein Vater Michael schenkte ihm deswegen zu Weihnachten ein Straßenschilder-Set für Kinder. Darin enthalten waren:
1 x Vorfahrt gewähren
1 x Beginn eines verkehrsberuhigten Bereichs
1 x Achtung! Zebrastreifen!
2 x Stoppschilder
1 x Rote Ampel
1 x Grüne Ampel
1 x Verbot für Fahrzeuge aller Art
1 x Verbot der Einfahrt
6 x Pylonen
Die grüne Ampel und das Vorfahrt-gewähren-Schild ließ Ludwig in der Garage seiner Eltern stehen. Mit den Stoppschildern spielte er ausgiebig. So wurde die verkehrsberuhigte Zone vom Kalkofen 19 bis zum Kalkofen 67 bald zum Verkehrsparkours für die autofahrenden Nachbarn. Sobald Ludwig Autos kommen hörte, stellte er ein Stoppschild, alle Pylonen und eine rote Ampel am Anfang der Straße auf. Das Andere behielt er in der Hand und lief damit vor die Motorhaube des Verkehrssünders. Wenn der dann hupte, oder vorbei fahren wollte, starrte Ludwig ihn einfach nur an. Er starrte mit seinen alpinblauen Augen durch die dicken Brillengläser in erbeerroter Fassung und dem Autofahrer wurde kalt.
Manchmal verteilte Ludwig auch Strafzettel. Geschrieben auf den gelben Post-ist seines Vaters. Da standen dann Dinge drauf wie: "Sie standen im absoluhten Halteverbot!" oder "Sie solten ihren Fahrstiel überdenken" oder "Ist Ihnen das Leben ihrer mit Menschen egal? Schämmen sie sich."
Die Post-its fanden die Nachbarn dann regelmäßig in der Post. Manchmal eingeklemmt unter den Scheibenwischern ihrer Windschutzscheiben. Wenn Christel Göbel-Moser beim Abendessen vorsichtig anmerkte, dass man doch die Nachbarn nicht so terrorisieren könne, sagte Michael Göbel-Moser: "Warum denn nicht? Wenn die doch alle fahren wie 'ne gesenkte Sau? Die sollen froh sein, dass sich hier mal jemand um Ordnung kümmert. Das Taschengeld aufstocken, sollte man dem Jungen." Dann versank Christel regelmäßig im Kartoffelbrei, den sie immer per Hand zehn Minuten länger stampfte, als eigentlich nötig gewesen wäre. In Ludwigs Gesicht fand man dann so etwas wie Zufriedenheit, nur steifer.
Frau Göbel-Moser tat sich überhaupt sehr schwer irgendwelche Gefühle in dem milchigen Gesicht ihres Sohnes zu erkennen oder sogar zu deuten. Obwohl die Haut des Kindes beinahe durchsichtig schien, war das, was dahinter lag für sie nicht zu erreichen. Ein Junge aus hellblauem Marmor und nur der Vater hatte einen Meißel.
Was wollte sie da schon mit ihrem Seifenwasser ausrichten.
Was Christel Göbel-Moser aber nicht wusste, war das, was letzten Samstag passierte. Ludwig hatte Verkehrskorrektur gespielt und ein Nachbar hatte sich zweimal überlegt, ob er heute wirklich noch einkaufen gehen müsse. Auf der Ecke Kalkofen - Tomborn hatte Ludwig auf der sauberen Straße ein braunes Häufchen entdeckt. Als er sich näherte bemerkte er, dass es eine überfahrene Kröte war.
Plötzlich begann Ludwigs Herz zu schlagen. Das Blut pumpte aus der Körpermitte in seine Gliedmaßen, in seinen Kopf. Beinahe konnte er es rauschen hören. Als er vor der toten Amphibie stand, spürte er sowas wie Glück, nur härter. Er beugte sich über sie. Sah ihren weichmatschigen Fadendarm, der sich am unteren Bauch herausquirlte. Er wollte ihn berühren, daran ziehen, wollte das Tier aufribbeln an seiner Laufmasche, wie einen Pullover. Bis es nicht mehr war, als schleimiger beiger Faden in seinen Händen. Die Augen waren nicht beschädigt, sie guckten so dunkel, dass es Ludwig interessiert hätte, einmal in den Raum dahinter zu sehen. Er wollte es machen wie in seiner Straße. Aus seinem Kinderzimmer beobachtete er immer, wie in den Zimmern das Licht ausging. Die Mädchen von gegenüber zogen sich immer um zehn Uhr ihre Schlafanzüge an. Er liebte die kurzen Momente, in denen sie da standen, in ihren Unterhemdchen. So sah man sie auf der Straße nie. Es war ihm dann, als wäre nur er eingeladen, sie so zu sehen. Dann ging das Licht aus und das war Ludwigs Lieblingsmoment. Er guckte dann noch eine Weile in die dunklen Zimmer und bewegte sich nicht. Er blinzelte nicht mal. Er lag im Dunkeln mit kalten Augen und starrte in die Richtung, in die man tagsüber nicht starrt. So wie die Kröte hier jetzt in den Himmel starrt. In ihrem Krötenleben hat sie das sicher nie getan.
Wieso auch, wenn die Erde viel weicher ist.
Ludwig hatte eine Idee. Er lief in den Garten seiner Eltern und brach einen weichen Ast aus dem Weidenkätzchen. Hart und biegsam. Mit einem spröden Ast ließ sich nichts anfangen, das wusste er schon.
Die Spitze des Astes führte er ein, in den leicht geöffneten Mund der Kröte. Da zuckte es in ihm, wie es in anderen Kindern zu Weihnachten zuckt. Dann spürte er einen Widerstand und fragte sich, was das wohl sei, aber er drückte fester. Und fester. Es knackte. Eine Membran riss. Jetzt ließ sich das spitze Weidenkätzchen tiefer einführen. Mit dem Ast in der Kröte fühlte es sich an, als lebte dort noch etwas.
So weich, so beweglich. Die Darmschlingen wanden sich wie ein Nest junger Schlangen um das geschmeidige Kätzchen. Manchmal drückte er eine Windung beiseite, manchmal durchstach er sie. Dabei mochte er das eine nicht weniger, als das andere. Beim letzten Widerstand, beim letzten Stoß, rief Christel ihn mit ihrer brüchigen Sägestimme. Er hasste seine Mutter. Er schämte sich für sie. Er stieß den Stock durch das weiche Tier. Die vom Gedärm eingeschmierte Spitze erblickte ruckartig das Tageslicht. Er ließ den Stock fallen, hoffte, dass niemand die Kröte wegräumte und rannte zu seiner Mutter. Der Nachbar hatte Ludwig beobachtet und entschied heute wirklich nicht mehr einkaufen zu gehen.
Im Hausflur der Göbel-Mosers stand Christel und guckte blödglücklich wie ein Lamm. Neben ihr stand das Nachbarmädchen, das Ludwig schon im Unterhemd kannte. Sie trug ein Sommerkleid und lächelte wie eine Sonnenblume. Wahrscheinlich wusste sie, dass sie schön war. Ludwig konnte den linken Träger ihres Unterhemds erkennen.
"Das ist Charlotte", sagte Christel als würde nun endlich alles gut werden. Ludwig starrte auf den Träger ihres Unterhemds. Charlotte sah auf den Boden. "Charlotte wohnt gegenüber und hat sich bereit erklärt dir ein paar Klavierstunden zu geben", strahlt Christel mit ihrem so bemühten Hausfrauengesicht.
"Hallo Ludwig. Ich freue mich schon darauf."
Charlottes Stimme war ganz anders, als Ludwig sich das vorgestellt hatte. Tiefer irgendwie. Nicht so schrill wie die seiner Mutter. Ludwig starrte auf die beiden Schwellungen unter dem Sommerkleid unter dem Unterhemd. Charlotte sah Frau Göbel-Moser an: "Wann sollen wir denn anfangen?"
"Na, wie wärs mit jetzt gleich? Das Klavier steht im Arbeitszimmer. Die sieben Euro gebe ich dir, wenn ihr fertig seid."
"Gut. Ludwig, kommst du?"
Er lief Charlotte hinterher und versuchte dabei so dicht hinter ihr zu bleiben wie möglich. Er konnte den Flaum in ihrem Nacken sehen und roch ihren frischen Mädchenschweiß. Ob die Kröte wohl noch da war, wenn er zurückkam? Charlotte rückte zwei Stühle ans Klavier. Aber sie standen zu weit auseinander.
Ludwig rückte seinen Bürostuhl näher an ihren. Sie lächelte komisch, setzte sich und stellte eine Reihe merkwürdiger Fragen. Ob er wisse, was Oktaven sind oder wie die Tasten heißen. Die Tasten hießen wie Buchstaben und er wusste nicht was Oktaven sind. Charlotte drückte auf den Buchstaben rum und rückte näher ans Klavier. Dabei schob sich ihr Sommerkleid so hoch, dass man fast sehen konnte, was darunter war.
Ludwig hätte es gern gesehen. Es war etwas Weiches. Das wusste er. Er hätte gerne einen biegsamen Stock gehabt, um ihn darunter zu schieben.
"C, D, E, F, G, A, H, C", sagte Charlotte. Sie drückte fest und machte Töne und bemerkte dabei nicht, dass Ludwig nicht auf ihre Hände sah, sondern in ihren Schoß.
"Kannst du das nochmal machen?", fragte Ludwig.
Charlotte freute sich, dass es so einfach gewesen war, Ludwig für das Klavierspiel zu begeistern. Bei anderen Kindern war das oft viel schwieriger.
Sie drückte auf die 8 Tasten und tat im Anschluss direkt nochmal. "Durch Wiederholung prägen sich Kinder alles besser ein", hatte ihre Mutter einmal gesagt.
Dass Charlotte Ludwig scheinbar für begriffsstutzig hielt, gab ihm genau die Zeit, die er brauchte, um sie ganz genau zu betrachten. Ihre weichen Schenkel und das Geheimnis, das darunter lag. Ihre entspannte Ober- auf ihrer dicken Unterlippe. Da hätte Ludwig gerne mal einen Stock reingeschoben, um die Lippen zu öffnen, um sie voneinander zu trennen und zu sehen, was sich darin verbirgt. Und dann würde er den Stock tiefer schieben, um zu sehen ob eine Charlotte so weich ist wie eine Kröte.
Oder ob sie aus etwas Anderem gemacht ist.
Es zuckte in Ludwigs Hose. Er wusste, es war sein Penis. In manchen Nächten war das schon einmal passiert. Er langte hin. Aber durch die Hose war das nichts. Er zog seine weiche Hose ein Stück runter und spürte, dass sein Penis schon so geschmeidig hart war wie ein Ast vom Weidenkätzchen aus dem elterlichen Garten.
"...G, A, H, C", sagte Charlotte ein letztes Mal. Dann sah sie rüber. Ludwig starrte sie an und hatte seinen halberigierten Kinderpenis in der Hand. Plötzlich wurden ihre Augen groß und dunkel. So groß und dunkel, wie die eines überfahrenen Tieres.
Ludwig dachte daran, wie jede Nacht in ihrem Zimmer das Licht ausging. Dann griff er mit der linken Hand zwischen ihre Beine. Er tat es so schnell und so fest, als wollte er eine unsichtbare Membran durchstoßen.
Seine Finger waren kalt. Charlotte schrie schrill und sprang auf. Sie rannte raus. Ihr Schrei erinnerte Ludwig an die Stimme seiner Mutter. Er ekelte sich. Dann ejakulierte er auf das Klavier seiner Eltern.
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