freiVERS | Anne Büttner
legitimierter Ungehorsam
Lass uns das Weil sein - und das Trotzdem auch.
Lass uns das Aber sein und alles danach.
Lass uns vom Plusquamperfekt nur perfekt gewesen sein. Jederzeit, immerzu - einfach nur perfekt.
Lass uns unser Präsens auch in Futur denken: und zwar in Futur II, dem Futurum exactum. Futurum simplex ist zu vage für uns.
Lass uns all uns're Konjunktive im Indikativ buchstabieren.
Lass uns nichts zwischen uns akzeptieren -
außer einem Und.
Lass uns nicht Hyperbel sein - sondern ganz selbstverständlich die Steigerung von Superlativ.
Lass uns einsilbig bleiben - und damit trennungssicher.
Lass uns das Leerzeichen streichen und uns in Klammern wohnen.
Lass uns beweisen, dass lieben kein schwaches Verb sein kann!
Anne Büttner
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freiVERS | Kerstin Fischer
Weiße Gedichte
Die Krise ist eine Metropole. In ihre Berechnung fällt blauer Schnee.
Zurück bleibt das Tauwasser auf den Gleisen. Die Schimmel der Ängste trinken davon. Zeitnah. Dann fliehen sie mondsüchtig über die Weiden.
Ich kämme den Rest der Stadt mit meinen Blicken. Durch ihn läuft mein Tropfen Zeit,
bevor er sein Meer erreicht.
Die gläsernen Fassaden der Bürohäuser spiegeln dazu die vertanen Möglichkeiten.
Menschensilhouetten bespielen den Raum. In den Händen Jahrgangssekt.
Ich bleibe in Ufernähe, bei den jungen Hunden.
Sie schlagen ihre Zähne in die Wolken. Die Gedichte sind weiß an diesem Morgen.
Kerstin Fischer
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Kerstin Fischer
freiVERS | Sascha Klein
dichter im wald
I.
vielleicht so:
raus ins grüne
familien unter artenschutz
die treuen rehe. noch ein sicheres motiv
ein männlein steht im walde
a poet could not but be gay
wo die bienen und die blumen
knospen selbst im giersch die preise
and then my heart with pleasure fills
in endlosen variationen:
der wald ist voller menschen
schlaue füchse, böse wölfe
umarmte bäume, wilde rosen
sah ein knab ein röslein stehen
and dances with the daffodills
II.
oder so:
den 20. ging lenz durch’s gebirg
das gemüt auf sommerfrische tragen
gallige gestrüppe lichten
weltenschmerz im
wanderschritt abtauen
seelensümpfe in den
mooren trockenlegen
das weite all hineingesogen
eine lust die wehe tat
im überdruss urbaner ränke
sich um morsche äste schlingen
spiegeln sich bekannte fratzen
zwischen paranoiaknistern
hallt der wahn in versen
durch die grüne hölle
III.
oder doch ganz anders:
über allen gipfeln ist ruh
taschenlampen kegeln
die kamera sucht schon
das knusperhäuschen
in allen wipfeln spürest du:
die karte kennt keine legende
vom werwolf keine rede
wer sich schon verlaufen
saugt aus harten rinden
schauernde geschichten
kaum ein hauch
umstellt von augenpaaren
warte nur im finsterwalde
erwartet dich der letzte schrei
Sascha Klein
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freiVERS | Jürgen Weißleder
vielMEHR
Viel näher zu dir
könnt’ ich ja nicht kommen
mein Herz flaggt auf Halbmast
bist Du nicht bei mir
ich fühl mich nur halb wohl
wenn ich Dir nicht schreibe
mein Ego hat Freigang
und ich werd labil.
Mein Himmel scheint unblau
mein Hafen friert ein
der Schlaf kommt in Stücken
bist Du nicht präsent
der Tag hat kein Merkmal
sein Bruder kein Gesicht
wenn Du lange weg bist
fällt auf meine Hand Schnee.
Viel näher zu Dir
doch niemals ganz da
hab die Reime beurlaubt
etwas „leider“ gebucht
lock’ die Wolke ins Abseits
geb’ ihr diesen Text mit
warte an Deinem Bootsteg
dass die Winde sich dreh’n.
Jürgen Weißleder
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freiVERS | Martina Onyegbula
Inkompatibel
jäh Resonazkerne in Zorneshitze gepalten
schongleich zäh Bittersubstanzen erkalten
Herzkarambolagen so unzählige Überstanden
dazwischen weiter Vakuumzellen erschaffen
Siedepunktüberschreitungen wir kondensieren
konstant uns Haut und Herzschichten erodieren
Evolutionsellipsen durch die Jahresquadranten
im Zwölferrhythmus Restsymmetrien entschwanden
chronische Auflösung jedweder Lebenskonvergenzen
launenhaft bleiben affektive Turbulenztendenzen
verflüchtigt und am Nullpunkt aller Wendepunkttoleranzen
wir letztlich doch inkompatible Herzseelensubstanzend
Martina Onyegbula
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freiVERS | Sabine Schönfellner
IMPONIEREN. Wir führen uns doch beide auf wie blöde Paviane, sage ich, werfen unsere Wissensfetzen wie Blätter vor einander in die Luft und hüpfen in unseren Worthülsen auf und ab. Aber nein, sagst du und legst deinen Kopf auf meine Schulter, außerdem machen das, glaube ich, Gorillas.
Sabine Schönfellner
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freiVERS | Carlos Peter Reinelt
Klopf a dr Himmelstür
Mama, niesch as Märkle vu mia ahe,
i kas nüm gabrucha,
S'wiad dunkl, z'dunkl zum seacha,
Mia isch, als ob i adr Himmlstüar klopf.
Klopf, klopf, klopf a dr Himmlstüar
Klopf, klopf, klopf a dr Himmlstüar
Klopf, klopf, klopf a dr Himmlstüar
Klopf, klopf, klopf a dr Himmlstüar
Mama, tua dia Pischtol ufn Boda,
i ka se nüm daschüßa
Do kut a lange, schwarze Wolke aha,
Mia isch, als ob i adr Himmlstüar klopf.
Klopf, klopf, klopf a dr Himmlstüar
Klopf, klopf, klopf a dr Himmlstüar
Klopf, klopf, klopf a dr Himmlstüar
Klopf, klopf, klopf a dr Himmlstüar
Carlos Peter Reinelt
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freiVERS | Maja Loewe
Ich wäre gern ein Paar
Schuhe, die nicht
an meine Füße passen
Zwischen den alten
Gewohnheiten im Flur
trüge ich den Sand
von Sehnsuchtswegen
und meine Häute
wären rau und reich
Nachts raunten
mir die Dielen Geschichten
Und tags, da ginge ich fort
Maja Loewe
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freiVERS | Christoph S. Eberle
Fühlt ihr mit Augen? Alles ist Fenster
Das euer Sinnensurium Erreichte
Zeichen matt, mächtig, Spuk liebend wie Gespenster
Lamelllippen schnippen Schwüre, schicken Beichte seichte
Und das Wort ist Schaun, beginnt am Stamme gern zu sterben
Was wäre, könnt’ es wählen seine Erben
Ein Schatz wird verpfändet
Aus dem Brunnen steigt das Kinde
Dass Verborgenes dich finde,
dies nenne ich Empfinden, derweil
vollendet ist, wenn sich wendet
keine Wahrheit mehr in ihr Gegenteil
Christoph S. Eberle
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freiVERS | Sebastian Hage-Packhäuser
Fundstücke
– // : die Sprache zieht / beim Reden Fäden – /
( : die Silben brechen / ohne Grund – ) /
: der Satzbau reibt / sich an den Schäden – /
: seine starre Syntax wund – /
: & als die letzten Bänder reißen – /
: angeln schwache / Stimmen noch – /
: nach Fundstücken – / ( : & schließlich beißen
die angespülten Worte doch – )
Sebastian Hage-Packhäuser
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