freiVERS | Stefanie Adamitz

flugversuche. eine utopie.

in jeder wohnung wackeln blätterschatten
rauschen blätterzucken
zappeln kleine schattenkinder
sprühen chancen, setzen samen
wuchern üppig feuchte zonen
decken sanft mit licht
was noch nicht

in jeder wohnung wohnt ein komposthaufen
nahrhaft prall und weit und breit
gefüllt mit euren sanften blicken
und tiere atmen schlafes wind
der eine trägt. wohin?

in jeder wohnung wächst ein pflanzenkeim
keimt jeden tag ein neues sein
kein reim,
eine braucht nur sein.
sein weichstes und innerstes
ein pelz aus dir

in jeder wohnung traut eine sich jetzt
ICH zu sagen
das ist deine stimme:
ich bin in jeder wohnung
ich bin ein wort, das dir gefällt
das du sagst und dann im hall
schnallst du seine flügel an

aus jeder wohnung starten flugversuche
wachsen schanzen wacklig in den wind
jedes haus ein igel mit gespreizten stacheln
worte schallen, treiben auf
flieg hoch hinaus und
nimm mich mit

ich bin ein wort im zappelnden wind
im blätternen rauschen
bin ich schatten und licht
bin ich keim und kompost
bin ich zappeln und wind

in jeder wohnung wackel ich blätterschatten
rausche zuckend
und zappel kleine schattenkinder
bin der pelz, der um dich liegt
und dein schatten,
vor dem du dich erschreckst
und lachst

.

Stefanie Adamitz

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freiVERS | Eline Menke

Warte nicht

bis die Tage wie Türen an
unsere Sprache schlagen.

Im Zugwind fällt mein
Wort ins Schloss.

Du hast die Fenster des
Schweigens geöffnet,

scheuchst Erinnerung wie
einen Dieb aus dem Haus.

Er lässt seine Beute
unter dem Birnbaum

fallen, ich lese sie mit
dem Fallobst auf.

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Eline Menke

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freiVERS | Nasima Razizadeh

Flucht in den Flieder

Es bebt der Baum von
zwei kleinen Körpern,
im Flieder zueinander geflohen,
die Welt in der Schale fällt zu Boden,
liegt reglos nah des Stamms und
oben, hoch oben, huschen
hinauf, hinterher, hinaus,
von Zweig zu Zweig, bis an die äußersten Zweigspitzen,
zwei kleine Körper,
meinen Händen gleich.
Meinen Händen gleich
fürchten sie nicht die Luft,
nicht das Beben,
nicht die Regung,
meinen Händen gleich
reizen sie die Zweige,
rufen sie die Zweige
fort von dem Schalen, den
Schalen des Samens, der den Stamm
nicht hinauf kann, der den Flüchtigen, den
spitzohrigen Obrigkeiten,
nicht zu folgen vermag, der es
nicht aus der Schale schafft,
einhäusig da liegt,
einsilbig das eigene Wachsen darlegt,
dem Verstand gleich
nicht hinaus kommt, nie hinaus.
Zwei kleine Körper raufen,
brechen im Spiel den Friedensfluch des Flieders,
draußen bebt ein Baum,
wie nur ein Baum beben kann

Für R.

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Nasima Razizadeh

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freiVERS | Avy Gdańsk

Slalom in Tartu

hinter der Sorge
läuft jemand her, weicht
dem Mondrotz aus, der
wie verächtliche Kometen
ausgespien auf den Straßen liegt
jede Nacht spuckt der Mond auf uns Pisser, amigo
unsere Visagen verstecken wir hinter
heruntergelassenen Rollos, während’s
im Treppenhaus klimpert: die Sorge schließt Türen auf
und schmeißt sich aufs Sofa; lass!
lass sie nur bleiben, die geht
schon wieder
eine Nacht mit Blutarmut und Erik
über den Kerzen Gedichte
Wörter brennen aus und wenn
wir einen Blick riskieren ist
manchmal ein Lächeln aus-
zumachen zwischen den runden
Augen der Autos, die leuchten
vor Staunen: sie bewundern die Dunkelheit
und bewahren das fröhliche Schwarz
am Tag in offenen Mündern; erinnern an
deine verspielten Zähne, dein
lückenhaftes Lächeln
wenn die Sorge dich in meine Wohnung führt

.

Avy Gdańsk

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freiVERS | FatimaDjamila

Brandenburg
(Ein weites Feld)

Durchsetzt von Steinen und Saatgut
Rehe am Waldesrand
Ist Furcht die Einzahl von Furchen
Ein Fuchs schleicht über den Sand

Wie Sargdeckel knarren die Bäume
Wohltönend stirbt er
Der Wald
Überall Manufakturen
Und der Ostwind
Weht dieses Jahr kalt

Heimat
Glaziale Serie
Wildverbiss
Zu wenig Geld

Müdigkeit küsst sanft die Sehnsucht

Es ist wohl ein weites Feld

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FatimaDjamila

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freiVERS | Ferenc Liebig

Artenschutz

als würde man an einem Fenster
hinaus starren und plötzlich ist das
Licht anders und diese Andersartigkeit
anfangs noch ameisenklein wächst an
zu einem Knistern mit Flügeln und wo
waren noch die Sterne oder die Wolken
oder die Zeit denn so im Tüll ist es
wie weggewischt und nur das Licht erinnert
an die Unterschiede zwischen Hell und Dunkel
und nur das Licht weiß von Meer und Land
und nur das Land weiß von Licht und Meer
und nur das Meer weiß von Land und Licht
und man hat Hände in der Luft und berührt
sich durch die Witterung hindurch und durch
die Witterung hindurch ist der schlohweiße Blick
der vom Fenster hinausstarrt mit seinen gebogenen
Wimpern und seinen schneetief verwehten Fragen
ein Fisch der offenmundig am schlammigen Ufer
nur noch hinnehmen kann
und wozu das Ganze
wozu dieser Hinterhalt
der den Vorhang beiseite bewegt
als wären es rückwärtige Gezeiten
man durchlebt noch einmal und nochmal und nochmal
und am Ende ist man in einer Schleife des Erlebens
und das Fenster steht offen und das Licht ist auf der Haut
und die Haut glüht und kurz ist es eine Sehnsucht
bald schon eine Trauer
die man nicht erklären kann

 

Ferenc Liebig

 

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freiVERS | Georg Großmann

Zeitzikade

die Zeit raschelt
geflügelt, wie ein
Insekt
unter der Borke
des Kosmos

ich bilde
Früchte in deinem
Traubengerüst
tropfengroße Beeren
die nach uns schmecken

ich schwimme
zerreiße das
Tuch Wasser-
linsen, welches deine
Weiherhaut bedeckt

gefranste
Salamandersonnen
perlen aus
dem Legestachel

abgetreppte
Dunkelheit, die
Nacht, ein hohes
schmales Haus
mit Erkern, Schindel-
dach und Lampions

wir leben darin

der Tag verglimmt vor
dem geschlossenen Lid
unseres Schlafzimmerfensters

die Zeit zirpt
die Zeit stirbt
wir sterben
unter der Borke des Kosmos

Es ist schon wieder Herbst

Du bist noch immer bei mir
Seit neun Herbsten.

Die Kälte kommt gekrochen

Vielleicht gelingt mir endlich
ein gebührendes
Gedicht über den
Sommer.

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Georg Großmann

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freiVERS | Sonja Jurinka

Die Ferne unter meinen Füßen

Viel zu dicht
stehen die Fichten beieinander
verschlucken jeden Lichtstrahl
der sich an den Spitzen vorbeitanzen
und das Geäst wärmen will.
Es krabbelt in der schuppigen Rinde
Nacktschnecken schieben sich voran
lassen ungehemmt ihre glitzernden Spuren zurück
wo zähes Harz aus der wunden Borke glänzt.
Ein weißer Schleier
hängt sich träge vor mein müdes Gesicht
ich schüttle mich
ängstlich
weil ich seinen Besitzer womöglich mit mir herumtrage.
Die Wanderung hinterlässt Fetzen an meinen Füßen
erdiger Dreck klebt an den Sohlen
und vertrocknete Gräser
lugen frech zwischen den Zehen hervor
umflechten gierig die Nagelbetten
kitzeln keck
als ich meine verbrauchten Beine
mühsam vor dem Kaminfeuer ausstrecke.
„Herein“ rufe ich
doch es ist nur der Buntspecht
der die Termiten aus der Veranda bittet.

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Sonja Jurinka

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freiVERS | Andreas Pavlic

Andalusian Dream

Wir liegen in aufgeblasenen alten LKW-Schläuchen
und schauen hinunter in die andalusische Ebene
wo sich die weißen Windräder drehen.

So viel Strom,
sage ich und hebe meinen Plastikbecher mit Sangria.
Der Wind wird unsere Zukunft sein,
antwortest du und schaltest die elektrische Zahnbürste ein.
Der Bürstenkopf vibriert.
Du streckst sie in den Wind.

Gotta keep those lovin good vibrations
good good good good vibrations,
beginnst du zu singen.

Unten sehen wir ein gelbes Motorrad in das Dorf einfahren.
Du wettest darauf, dass es ein Postbote ist.
Ich bin mir nicht sicher.

Heute weiß man nicht,
ob es überhaupt noch
ein Postamt gibt,
oder ob man die Briefe beim Bäcker abholt.

Es ist schwer zu sagen, was in dieser Zeit noch zeitgemäß ist.

Eine Krähe fliegt vorbei,
weiter durch den Windpark.
Man sieht, sie hat sichtlich Probleme den Kurs zu halten.

Wir sind in einer Zwischenzeit, sagst du und
schwenkst den leeren Plastikbecher.
Ich verstehe,
schenke noch etwas Sangria nach.

Wir liegen schon den ganzen Nachmittag auf dem Hügel.
Der Sonnenschirm tut sein Bestes. Alles außerhalb der
Kühlbox scheint wie ausgetrocknet.
Bald wird auch die Sangria leer sein.

Das Motorrad verlässt wieder das Dorf
und zieht ein Staubwolke nach sich.

Es ist unglaublich heiß.

Dass der Wind nur oben bei den Rädern weht
und unten, da steht die Luft. Wir liegen nur da.
Es gibt nichts mehr zu tun.

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Andreas Pavlic

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freiVERS | Bastian Rosenzweig

What is love I

Fußtritte
am ganzen Körper.
Hämatome
in allen verfügbaren Herz-Emoji-Farben.

Die ständige Frage
ob man nicht doch
nur
jemanden ficken will.

Endlich mal wieder
ohne Film
weinen.

Es tut durchgehend weh
und manchmal
hat man dabei
einen Orgasmus.

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Bastian Rosenzweig

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