freiVERS | Jakob Leiner
mittelgroßes vøglbuch
1
kennt ihr schon
den kleiber das
ist ein vogel
der aussieht wie
ein mini dachs
in der luft.
.
2
am leistenband verfängt
sich eine überzeugung
kleiner wandervogel
stechende trillerschar.
.
3
und
im
fluchtpunkt
der
vedute
meißelt
trommelt
etwas
buntes
ohne
kopfweh
zu
erwecken.
.
4
alle suchten
auch jenen zinnoberroten vogel
der aufflog um in der sonne zu singen.
.
5
eine schwalbe stürzt sich panisch
in den efeu der stadtmauer
la tour des esprits
zurück in die luft
und lässt eine feder tropfen.
.
6
wir
sind das stratum basale
eulenwetter
lauerjäger unter einer decke
aus spukhafter anmut
bleibt weiß und ziegelrot der schräge blick sieh
flügelschlag
ein sprung
im glas im tann.
.
7
weil sie schön ist sind 2 schubidus
verrückt in die verliebte welt.
.
8
grasmücke
das ist kein grund
paranoid
aufzutreten
erde tut gut
und man wage
tausendmal neu
mit einem zwitschern
im gesicht.
.
9
im see stellt ein erpel
seinen motor an
der kleine runabout
schafft
tatsächlich einen wasserstart
vor begeisterung
schnatternd.
.
10
unter donnernder bläue
gellen des obersten reihers
der sich in die adria stürzt.
.
11
da im gebüsch
hantiert ein zaunkönig und singt
herzerweichend dazu
(der unterschnabel muss ordentlich vibrieren)
doch es war eine list
der weg endet blind als
große flusswiese auf der
.
12
rempelt
der buch den gold
der gold den grün
der grün den buchfink
freut sich die meise
am knödel.
.
13
künftig
wird der wald zusammenwachsen
und der kuckuck
den man nicht umsonst
um die zahl der lebensjahre fragt
sein ei in fremde nester
legen.
.
14
ich strecke mich aus
und denke an vögel
vor allem den adlern
gedenke ich.
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Alexandra Regiert
Geranien hegen im Auge des Sturms
Die Welt
war ein lindgrüner Acker.
Mehr Farbe als Frucht.
Auf ihm der Weizen
mehr Licht als Korn.
Geschlossene Geranienblüten
sonnten sich in seinem Schatten.
Über den Ulmen
glitten weiße Tauben
mit purpurnen Kehlen,
die gurrten blassrosa
über dem Vieh,
das in den Norden strömte:
hin zu fragilen Gliedern
einer heiligen Ordnung,
die zerbrach, verschmolz
und wieder zerbrach.
Die Welt
ist ein leeres Blatt
auf einer schneebedeckten
Hemisphäre.
Ein weißes Gesicht
im mäandrierenden Fluss.
Wandelnde Gestalten
zwischen Lamm und Lindwurm
füttern die Tauben
mit dunklen Oratorien,
beschwören den Wind,
der die Farben birgt
und die Ulmen krümmt
im eigenen Grün.
Verweilen weltlos
am Ende der Landschaft.
Hegen Geranien
im Auge des Sturms.
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Carlotta Frei
Überstand
Die Mühseligkeit des Arbeitenden spiegelt sich
im Eifer seiner Vernunft,
welche an Wänden klebt
wie Sprüche übers Leben,
an die man sich gern erinnert,
damit alles nicht so ernst erscheint
und immer denke ich an uns und unsere
Ernsthaftigkeit,ein Eingeständnis daran,
dass wir Menschen sind.
Trostlos und -spendend,
Energie und Sog,
ein Loch,
das Leben verlässt
und dem Tod entspringt oder andersrum?
Was war noch die Träne der Geweinten wert,
als sie fröhlich schien und wem haben wir dein Lachen zu verdanken?
Die zarten Falten, herrliche Streifen, behüten uns
wie eine warme Decke und Dankbarkeit dackelt
in Altersgruppierungen fort und fragt sich nicht,
wie wir auf diese Welt gekommen sind.
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Natalie Campbell
Zitronenbaumplantagen
Meine Lippen sind maulbeerblau,
unter den Nägeln klebt glitschiger Schneckenfilm,
von Pedralva weht Wüstenwind
lehmfarbene Sandpartikel
über sattgelbe Stoppelfelder, gespickt
mit schwarzen Krähenfedern.
Ein verkrustetes Korallenriff entsteht,
wo das Weizenmeer wogt.
Auf himmelblauem Tanzboden im Studio A
Arsenal ziehe ich sepiafarbene Spuren:
folge ihnen.
Dort, wo der Fluss eine Biegung macht
und Fische mit aufgedunsenen Bäuchen
ans Ufer schwemmt,
spiele ich dir ein Lied
von rot, gold und schwarz.
Sein tieferer Bedeutungsinhalt
entzieht sich deiner oberflächlichen Betrachtung,
und meine Erinnerungslücken treiben flussabwärts,
verborgen unter schwarzen Wassermassen.
Werden Sie endlich erwachsen!
Fordert mich meine Therapeutin auf
und darauf rasiere ich mir die Haare ab,
schmelze Strähne um Strähne ein,
vollziehe eine Metamorphose
von Wikingerbraut zur kindlichen Prinzessin
und betaste staunend den zarten Flaum.
Ich heuer dich an: für ein Kunstprojekt.
Nachts stemmen wir mit einem Presslufthammer
ausgewählte Hauptverkehrsknotenpunkte auf,
und pflanzen Zitronenbäume
in die gähnenden Krater.
Brich die Versiegelung! sprayen wir neongelb
auf Zugwaggone des städtischen Nahverkehrs.
Dann werden wir berühmt, über Landesgrenzen hinaus
und reich, das Geschäft floriert,
denn Autobahnen erweisen sich als fruchtbarer Boden
für Zitronenbaumplantagen.
Prinzessinnen kämmen ihr pinkes Haar
mit pinken Gabeln und essen am Abend
Topfenknödel mit Trüffelkern
auf flambierten Himbeeren
und verdauen das ganze
in ihrem pinkfarbenen Magen.
Wegen der Erderwärmung
speichern Wolken mehr Wasser
und wenn sie sich überm Garten entladen,
schlafe ich seelenruhig im Überschwemmungsgebiet.
Ich weiß, dass der Fluss weiß:
ich bin auf seiner Seite.
(Pocahontas war ohne den weißen Schnösel
eindeutig besser dran)
Auf der Suche nach dem Goldenen Schnitt
verliere ich mich in der fünfzähligen
Symmetrie von Seesternen.
So schön stand der Weizen noch nie,
don’t be apologetic!
Und wenn du dann fällst, fühlt es sich an, wie:
fliegen.
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Jakob Stoiber
sonnenkönige auf flammenden streitwägen (berge dersims in mir)
vor dem schönsten
urlaub:
ich komme um zu brennen
wer will mich aufhalten?
vor der zittrigsten
party
nacktes fleisch,
schaum und
linien zuhauf:
ich komme für den krieg
wer will mich aufhalten?
vor dem eintritt
in ein sonnenreich
das sich dreht
wie indische götter:
ich komme um zu sterben
wer will mich aufhalten?
hü!
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Alexander Rall
Alte Wege - Altes Land
ein paar altbekannte Wege
die ich gehe, der
jüdische Friedhof, den man nur
über eine Mauer erreicht, im Versteck
reicher Gärten, aus Stein
ein aufgeschlagenes Buch
Chiffren ausgewaschener Zeit
Spiele die nie zu Ende gespielt wurden
als Kind schlug ich den Tennisball
gegen die Wand mit kleinen Händen
gegen die Zeit - heute
lag er mitten im Herbst zwischen
gelb-roten Spuren, rau welk
abgespielt war sein Filz
alte Garagen offen ein Käfer
die Kotflügel abgefallen, rostig und halbtot
wie die Raupen und der Kran
im Stillstand des zukünftigen Bauens
da kommst du nicht mehr vor
in den neuen Geschichten
in lichten Fenstern, wie abgeschnitten
die Strassen - du brauchst nur
zu klingeln, alte Bekannte
sind immer noch da, verharren
grüßen und laden sich ein - wenn
du willst gehör ich dazu - rede
über den Match-Ball
den perfekten Volley, das
Stipendium im Ausland
das nächste Kind, den neuen Besitz, die
kranke Kasse ‚Anything goes‘
nicht weit das alte Land
Licht in den Bäumen
Gezwitscher in Gärten
faulendes Obst, Moor und Moos
massig im Schlaf
schau weiter in die Stille
blicklos das auftauchende Meer
eine Landschaft aus Dünen und Worten
gezeichnete Wege mit weichen
stampfenden Schritten im Sand
hinter geschlossenen
hellwach spiegelnden Augen
bis zum nächsten Zug
einatmen und aus
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Quentin Lennox McMahon
Strandspaziergang
Wir laufen am Strand und du hältst meine Hand
vor uns ist eine große Pfütze
"meine Beine sind zu kurz" sage ich mit gespieltem Trotz und du sagst
"nein, die Pfütze ist zu groß!"
vielleicht hast du recht, denke ich und gehe um die Pfütze herum, wir laufen weiter
und meine Gedanken fangen an zu spinnen
wenn meine Beine nicht zu kurz sind.. sondern die Pfütze zu groß
was wenn ich nicht zu klein bin, sondern das Regal zu hoch?
wenn ich nicht "zu gut für die Welt bin",
sondern die Welt zu böse, narzisstisch, kaputt?
wenn ich nicht zu bunt bin sondern der Rest zu trist und
wenn ich nicht zu träge bin sondern
die Erwartungen zu hart
"lehrjahre sind keine herrenjahre!"
schon klar
aber gefühlt nur einmal Lob im Jahr?
denn wenn ich alles geb' und auch das nicht genügt
wenn mein Bestes vom Besten nicht reicht
ist dann bei mir was falsch? oder vielleicht
bei denen ganz oben mit Glück und Ansehen
und ich mich nicht zusammenreißen und aufste'n
sondern sich was ganz anderes ändern muss
wir laufen zurück und ich lächle in mich rein
vielleicht reicht es ja doch ich selbst zu sein
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Martin Baumeister
der letzte sommer
schub um schub, feldbetten und
fertiggerichte.
die vignette klebt auf der
windschutzscheibe und
der busfahrer sagt, er muss für einen alten
mann auf der straße bremsen:
geh‘ nur. das wird dein letzter sommer sein.
unter den pinien ruhen die zelte, sie
bleiben ein unterschlupf für rucksäcke.
wir schlafen im freien
und trinken heimlich auf den steinen
abseits, am schotterweg.
später pflastern wir die wände der stadt
mit oliven aus der fletsche.
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Anika Hoffmanns
Kegeln gehen
Jeden Freitag Abend
marschierte der Club in die Stadt.
Über den Kirchplatz, rechts in die Gasse
zum hell erleuchteten Kolpinghaus.
Wie früher in den Sechzigern
malt sie sich heute die Lider blau an.
Schlüpft in ihr altes Lieblingskleid,
das kraftlos hängt wie ihr Haar.
Die Dauerwelle zur Feier des Tages
hat der Friseur ihr verwehrt.
Sie öffnet die Haustür, schließt sie wieder,
die Nachrichten fallen ihr ein.
Die leeren Straßen und die Sonntage
an denen der Pfarrer schweigt.
Aber trinken! Das kann sie noch,
im Kühlschrank steht billiger Sekt.
Und später beim dritten Doppelkorn
hat sie die Kugel in der Hand
und Holztäfelung unter den Fingern.
Es läuft ein Schlager im Radio,
der macht sie zur Königin.
Während sie blinzelt, keucht und schnieft
wiegt sie sich weiter im Takt der Musik.
Klirrend wirft sie mit leerer Hand,
beim ersten Versuch alle Neune.
Sie taumelt, reckt stolz die Arme empor,
die Scherben lässt sie liegen
wie jeden Freitag Abend.
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Johannes Bruckmann
Der Weg von der U-Bahn nach Hause und der Aufenthalt in der Wohnung
Weil ich
Ein U-Bahnfahrgast
Ebenso gut auch U-Bahnführer hätte sein können
Nahm ich mich vor mir selbst in Schutz
Bis ich
Den unterirdischen Blumenladen passierend
Spürte
Dass ich auch Florist hätte sein können
Statt U-Bahnführer statt U-Bahnfahrtgast
Aber dann
Als ich in mir einen Nachtwächter sah
Irrte ich mich in der Zeit
Ebenso
Als ich in mir einen sah
Der den linken Fuß vor den rechten setzt
Weil ich doch in diesem Moment
Den rechten vor den linken setzte
Erst in meiner Wohnung
Konnte ich nicht mehr alles sein
Konnte ich nicht mehr versehentlich auf neue Gedanken treten
Allerdings nur, bis ich mir den Klang des Telefons vorstellte
Und mich fragte
Was würde derjenige, der abhebt
Demjenigen antworten, der anruft
Würde derjenige sich als eine Castingagentur ausgeben?
Und würde es sich dabei um einen Scherz handeln?
Kämest du jetzt nach Hause
Dann könnte ich vielleicht am Ton deiner Stimme eine Antwort...
Dann könnte ich vielleicht an deinem Geruch...
Dann könnte ich vielleicht...
Aber dafür müsste es dich geben
Dürfte ich jedenfalls in Bezug auf dich
Keinem Irrtum unterliegen
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at








