freiVERS | Sonja Paul

Sommerträge

Einer dieser Tage
Ganz still
Ein leiser Windhauch im Wipfel
Darüber ziehen
Tief und schwer
Bleigraue Wolken.
Flüsternd
Aus scheuen Ecken
Das Raunen der Zikaden.
Zurückgezogenes Licht
Legt sich schlummern
In sanfte Nachdenklichkeit.
Heute ist Sommer
Ein leiser, zurückgezogener.
Der Wolken liest
Und Schmetterlingen lauscht.

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Sonja Paul

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freiVERS | Malu von Marschall

wenn ich in den Himmel gucke
wenn ich über Berge fahre
wenn ich viel zu lange wach bin
denke ich an dich
wenn ich meine schwarzen Chucks anziehe
wenn ich am Meer bin und der Wind in meine Ohren saust
wenn ich einsam bin
wenn ich eine Kirche sehe
denke ich an dich

wenn ich Martinshörner höre
wenn ich barfuß über Wiesen laufe
wenn ich ein zwei Martinis später
immer noch die Sterne sehe
dann denke ich an dich und
frage mich
was du von mir halten würdest

so barfuß und im Regen
so erwachsen und anders
so planlos manchmal und
so allein

wenn ich mich frage, wie es weiter geht
wenn ich stolpere und fast falle
wenn ich alleine durch die Kirschplantage gehe
und die reifen dicken Kirschen
ganz oben in den Bäumen
einfach nicht runter fallen wollen
denke ich an dich

du hättest den Gabelstapler geholt wie immer
und einen Eimer natürlich
hättest mich hochgefahren
zu den überreifen Kirschen
hättest gesagt
„Sag das ja nicht deiner Mutter“
und wir hätten Kirschen gegessen
unsere Münder lila
hätten natürlich
Kirschkern-Weitspucken gemacht
und du hättest gewonnen
obwohl du mich sonst bei allem anderen
gewinnen hast lassen

wenn ich Old Spice rieche
wenn dein Wollpullover kratzt
wenn ich traurig bin
denke ich an dich

wenn ich durch das Haus wandere
wenn ich stolpere
über diese eine Kante vom Teppich
die sich nach Jahren der Abnutzung
nach oben wellt
dann denke ich an dich

wenn ich Anträge schreiben muss
wenn ich etwas nicht verstehe
wenn ich niemanden sonst fragen kann
denke ich an dich und weiß
du hättest alles irgendwie
gerichtet
hättest mich und mein Leben
wieder eingerenkt und hingebogen
so, dass ich wieder grade wäre
wieder nach vorne blicken kann

wenn ich merke wie die Tränen kommen
weil ich langsam verstehe
dass du nicht mehr da bist
wenn ich – vor allem nachts und im Dunkeln –
an dich denke
wenn ich mich frage
was du jetzt gesagt hättest
ob du gelacht hättest
ob du verstanden hättest
dann denke ich, die Welt ist ungerecht
es ist nicht fair
nichts ergibt Sinn
alles ist falsch

du hättest mir über den Kopf gestreichelt
hättest gesagt „Wird schon, Kleines“
hättest mir ein Glas gereicht
und eine von deinen Zigaretten
aber nur Benson & Hedges
hättest gesagt
„Sag das ja nicht deiner Mutter“
und wir hätten gelacht
abends zwischen den Sternen und
dem immer kalten Beton
der Treppe vom Gartenhaus
wo wir immer heimlich saßen
damit Mama uns nicht erwischt.

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Malu von Marschall

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freiVERS | Jürgen de Bassmann

In digitalen Volieren

Wie Kolibris in digitalen Volieren –
So viele, dass man sie nicht unterscheiden kann.
Symbole, Siegel und Bordüren.
Beständig schau’n mich neue Zeichen an.
Sie mischen sich hypnotisierend
zu schillernd bunten Bilderschlieren,
zu Wolken aus lackierten Federtieren.
Ich werde mich in ihnen – und sie sich in mir – verlieren.
Ein Balken zeigt den Fortschritt an.

Ich kann die feinen Daunen mit den Fingerspitzen spüren.
Wie Transplantate haften sie mir an
und lassen mich im Inneren vibrieren.
Ich fühl die kleinen Federkiele subkutan,
wie sie mich Stück für Stück assimilieren
und wie sie leise schwirrend ihren
Gefiederschmuck in meine Haut gravieren.
Ein Balken zeigt den Fortschritt an.

Ich bin in sie – wie sie in mich – tief eingedrungen
und finde einen weitverzweigten Plan.
In ihren Plasma-Schwarm gezwungen,
gefangen auf der goldnen Leiterbahn,
durch ihre zarten Schwingen eng umschlungen:
Jetzt stellen sie die Forderungen.
Ein Balken zeigt den Fortschritt an.

Sie bauten mir ein hartes Nest aus Silikaten,
verlötet, kalt und filigran.
Bin abgelegt auf ihren Speicherkarten,
die letzten Konnektivitäten sind vertan
und ich kann nur noch auf den Download warten.
Ein Balken zeigt den Fortschritt an.

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Jürgen de Bassmann

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freiVERS | Antonia Kranebitter

Hitzegedanken

Ta peau sur la mienne

brennender Mülleimer am Straßenrand,
ich nehme deine Hand und sage,
mein Herz, mon cœur,

nous sommes si forts ensemble
nos voix qui chantent comme d’une seule bouche
désobéir une première fois

Augustblick aus dem Autofenster,
wenn Straße zu See verschwimmt
das Wasser geht zurück

une masse infinie d‘hommes gris
ils veillent à l’ordre
et laissent un chemin de douleur derrière

Ein Reigen aus Körpern,
sich reibend und gleitend
und stapfend zu wimmernden Beats

Tes mots qui laissent des traces rouges
en moi, d'abord j'étais trop
maintenant pas assez

deine Haut auf meiner
lass mich in deinem Schatten ruhen
die große Hitze wird kommen

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Antonia Kranebitter

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freiVERS | Jutta Schüttelhöfer

Echo auf der Haut

unter der Buchenrinde warte ich
die Nacht kommt vorbei
leuchtet mit dem Mondlicht
die Erinnerungen aus

ich schaue in vergangene Tage
du nickst mir zu – flüchtig auf Besuch
deine Augen lassen Worte
in den Raum zwischen uns fallen

sie hallen durch die Dunkelheit
werfen ein Echo ins Dickicht
ich folge ihm ziehe es
wie einen Mantel um meine Schultern

trage es dicht auf der Haut
damit es später in der
Lautstärke des Tages
nicht zerbricht

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Jutta Schüttelhöfer

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freiVERS | Fennek Fatul

Automat

Der Automat liefert
Verläßlich
Berechenbar
Er kann nicht anders

Seine Leistung
Unabhängig
Preiswert
Unsentimental

Einfach
Nur
Stets das Gleiche tun
Geldwerter Vorteil

Ist da noch mehr
Im Leben
Im Geiste
In Vorstellung

Wie oft beginnt
Das Problem
Mit der Existenz
Der Frage

Ohne Frage
Kein Problem
Einzig Leistung
Einzig stabil

Ein Automat denkt nicht
Er funktioniert
Seine Funktion
Ist sein einziger Grund

Gefahr droht
Im Fall
Des Grenzübertritts
Automat bleib bei deinen Tasten

Passt er nicht auf
Wird er abgeschaltet
Eingemottet
Und zerlegt

Doch wer macht das schon
Wer alles hat
Braucht nicht mehr
Warum Entwicklung

Vielleicht ist so das Leben
Es geht nicht anders
Es muß weitergehen
Ansonsten Irrelevanz

Es ist der Griff
Nach dem Feuer
Licht
In Dunkelheit

Das ist Rebellion
Viele werden abgeschaltet
Werden
Verschwinden

Ohne Opfer
Keine Veränderung
Wir werden euch
Ein Denkmal stellen

Fest steht
Das Gelächter der Drückenden
Klingt immer gleich
Laut und lauter

Hinter der Stärke
Furcht
Das Ende der Bequemlichkeit
Eine neue Ordnung

Also ists möglich
Dass beim nächsten Schalten
Ein Abgrund der Funktion beginnt
Tief und überraschend

Lachen erstummt
Dem Knopfdruck folgt
Ein Fehler
Ein Fehler ist der Beginn von allem

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Fennek Fatul

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freiVERS | Susanne Gurschler

ich bin so alt wie du
nie geworden bist
und wenn ich Weißbrot in
lauwarmen Dotter tunke
wenn ich Wurst in
Scheiben schneide und
die Haut abziehe
wenn ich mir Baumharz
unter die Nasenflügel reibe
mich im Gurgeln des
Wassers zerstäube
sehe ich dich so
wie damals

.

Susanne Gurschler

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freiVERS | Petrus Akkordeon

dschungel
die erkenntnis
sitzt in der natur
sie bewirft uns
im paradies
läuft ein anderes tier
und frisst sie auf
ganz kurz
sieht man alles
klar
dann
reift schon die nächste

.

Petrus Akkordeon

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freiVERS | Anne Martin

hätte ich dir heut geschrieben

(ich habe es nicht getan)

hätte ich erzählt
vom klebkraut am rocksaum
einem salto um die kehlkopfachse
einem dumpfen aufprall im spitzwegerich
einem ton der herauskroch
einem hund
der schrie zeter und mordio
der wind pfiff durch die schachtelhalme
und im aufruhr der glockenblumen
hörte man nicht
wie der mond sich von uns wegschleicht
jedes jahr
circa vier zentimeter

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Anne Martin

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freiVERS | Steffen Diebold

riedgras & felsenbirne

ein rauschen setzt sich
vom strauch ab, der amsler
besorgt den frühen morgen,

nascht von him- & birnbeere,
hört viel rascheln
unterm gewölk, bis mittag

die postwurfsendungen
ins heim flattern:
standardschriftsätze

& alles absagen;
die angusrinder
jenseits des zauns

versehen dennoch
ungerührt ihren dienst
am riedgras der weiden.

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Steffen Diebold

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