10 | Johanna Beck
Souterrain
Er hat seinen Keller recht gut vermieten können, sagt der Grubinger.
Ah geh, wirklich! Wir haben ja nicht mal die Ski mehr dort unten, die Stahlkanten sind bei der Feuchtigkeit doch immer verrostet.
Die scheinen nie auszugehen, diese Leut´, arbeiten wohl nichts, immer brennt eine Funsel. Aber man sieht ja nicht hinein, die zerbrochnen Scheiben haben sie mit Zeitungen ausgestopft und verklebt.
Nimm doch noch eine Wurst, Franz!
Die Frau ist schwanger, schon ganz zuletzt, sagt der Grubinger.
S´ist wohl schon da, die Hausbesorgerin hat gestern g´schimpft, dass sie zu Mittag nicht schlafen kann, weil es schreit so, das schwarze Kleine.
Magst nicht noch eine Wurst, Franz?
Johanna Beck
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09 | Andrea Nagy
Fortschritt
Selbst ist die Bedienung
der Bedürfnisse wenn diese
schwach in der Wahrnehmung
hart in allen Devisen
versehen mit blinden Bandagen
aber ohne Diesel bitte
Das geht so nicht
das rechnet sich nicht
das geht sich nicht aus
nicht aus aus aus
Aber ohne Bedürfnisse sind wir
aber ohne Bedienung brauchen wir
aber wir haben doch
aber wir sind ja
doch immer
allein
Andrea Nagy
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06 | Andy Haider
Weihnachtn auf Gut Aidabichl?
„Weihnachten auf Gut Aiderbichl“
haums im Fernsehn,
am vierazwanzigstn auf d'Nocht.
Owa, denk ma i,
waun ma schau de Geburt
vo an kloan Buam feian,
der unta ormsöligste Vahötnisse
aufd Wöd kemma is,
und der glei noch da Geburt
hod flüchtn miassn,
noch Ägyptn,
damit eam da Herodes net okraglt;
tat do net eigantlich
„Weihnachten in Traiskirchen“
bessa passn?
Andy Haider
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05 | Dennis Hannemann
Tapete
Kerzenlicht die Tapete glänzt türkis
tropfender Zapfhahn abgegriffenes Holz
Bestellungen treiben den Kellner vor zurück
ich höre das Pochen der angehaltenen Zeit
ich sehe die Risse im weißen Fensterrahmen
ich will es öffnen stechender Schweißgeruch
von irgendwo Tattoos Gespräche kippen
Diesseitsbucht der eine steht wie ein Fels
Dennis Hannemann
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04 | Luca Manuel Kieser
nimm den Job
oder das Blut das in den Ohren am schönsten rauscht
und damit war Aber berufen
zu vermitteln im Streit
zwischen Blätter und Meer
und also rannte Aber
um den das Gerücht geht er sei schon bei seiner Geburt gerannt
den lieben Tag lang
zwischen Waldrand und Küste
hin und her
unermüdlich
ging es von Waldrand
zu Küste
zu Waldrand zu Küste usw und stand
Aber der Küste gegenüber ging sein Text
ich Blätter rausche schöner als du Meer
und stand Aber dem Waldrand gegenüber ging sein Text
ich Meer rausche schöner als du Blätter
und immer wieder hieß es für Aber Kehrtwende zurück mit der Antwort nein
ich Blätter rausche schöner als du Meer
nein
ich schöner als du
nein ich
nein ich
und immer hörte Aber aufmerksam zu prägte sich die Antwort ein (nein) und drehte (kehrt) um zurück
gerade aber da die Sonne untergegangen war
blieb Aber auf einmal auf der Stelle
von der erzählt wird sie sei die Mitte zwischen Waldrand und Küste
stehen
und wollte mit der Auszählung (einmal Blätter einmal Meer) beginnen
aber da Aber
vom hin und her dermaßen außer Atem war dass da
wo die Sonne untergegangen war
der Horizont im selben Rot wie in seinem (also Abers) Innern glühte
brach der Horizont wie durch seine (also Abers) Brust
und Aber schnappte nach Luft HALT
STOP
Aber stand ja gar nicht
Aber stürzte
und auch brach der Horizont nicht
sondern da war Kainer
der mit einem Stein blabla wie ihr alle wisst und weswegen IHR
seither
RENNT
noch heute rennt
bis an den Horizont rennt nämlich jenen
wie wir alle wissen
ZAUN
an dem der unter euch der
den Satz darüber schafft
gewinnt
heißt
wenn Kainer gestorben ist
Luca Manuel Kieser
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02 | Johann Wiede
Es herrschen Schulden in der Musik, zurück
bleiben die Ringe der Mutter, bleibt der Motor
und kreist in Sirenen über die gelbe Stadt, alle Gewinner
zielen auf das Radio, sie bringen Papier mit, horchen aus,
mit der Drehbühne inszenieren sie die letzten dreißigjährigen
Frieden, beinahe auswendig, fast bedauerlich,
wie lose Daten aus dem Casio das Gegenteil schlachten,
ein offenes Gesicht vielleicht, Einzelfälle, was anderes
als sparen, wenn nur eine Bleistiftskizze erlaubt
den Sprecher aus Groll für tot zu erklären.
Johann Wiede
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01 | Sigune Schnabel
Frostgrenze
In deinen Worten fliegen Zugvögel.
Der Fluss rauscht lauter als sonst,
sammelt Schnee von den Bergen.
Alle Sätze müssen sterben.
Am Fuß der Kastanie
liegen die toten.
Zwischen Blättern
sitzt du und brichst mir
das Jahr von den Lippen,
trägst letzte Silben
verwittert in ein Gedicht.
Sigune Schnabel
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freiVERS | Peter Paul Wiplinger
Nada und France
Über die teller
gebeugt essen wir
jeder unsere suppe
wie schmeckte sie
damals in Dachau
wie in Mauthausen
einen langen weg
seid ihr gemeinsam
im leben gegangen
jetzt seid ihr müde
aber ihr erzählt mir
von euren Erinnerungen
Nada bringt das fleisch
France schenkt wein ein
wir hören die Nachrichten
noch immer dieser krieg
dieses mal in eurem land
auch wenn er weit weg ist
das letzte sonnenlicht
leuchtet noch glutrot
in das zimmer herein
dieser verdammte krieg
sagt France verbittert
und Nada nickt stumm
Peter Paul Wiplinger
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freiVERS | Helmut Glatz
Meine Einsamkeit
Jetzt im Herbst hat die Einsamkeit
die Strickweste an und den langen geblümten Rock
Sie schlurft um das Haus und versucht
die Blätter zu dressieren
Sie rascheln schon und machen Männchen im Wind
Ich liebe Menschen die Schatten werfen
für die zwei mal zwei nicht vier ist
sondern fünf minus eins
denke ich während ich am Fenster stehe
und sie beobachte
Es ist meine Einsamkeit da unten jetzt legt sie
den Besen weg und geht die Straße hinunter
Ich hätte sie nicht gehen lassen sollen
jetzt im Spätherbst denke ich
auch zwanzig durch fünf hätte ich gelten lassen sollen
denke ich während sie die Straße hinunter schlurft
mit ihrem Schatten der immer länger wird
Helmut Glatz
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freiVERS | Samuel Meister
beckett hat sein leben geändert
ein halber kopf
des griechischen Jünglings
schnitt dem halogenleuchter
im museion
die perlentränentröpfchen
vom eingefrorenen kinn
mit heissem marmor
kuchen schnitt mir meine mutter
auf
rosinenpracht
auf vanillegrund
im schokoladenpech
er hielt den mund zum sehen offen denn die dritte muse rasierte sich gerade die linke wade die vierte muse lag im dampfbad die neunte bereitete eine reife ananas zu während die restlichen nach äthiopien in den urlaub fuhren
dies war die erste hälfte
nasenlochabwärts
ein halber kopf
des griechischen Jünglings
zog mit den kranichen ins okawangodelta
an den flügeln des toupés
bimssteinmarmor
und funkelte im sonnenlicht
er hielt die augen zum sprechen offen „grüssgott“ den sechs musen die auf ihren liegestühlen den nil hinaufschifften einen strahl der lieben liebe in die ray-banspiegelung der guten alten lyrik
samuel beckett vergisst immer wieder welche muse den campari mit welchem papierschirmchen trinkt
dies war die zweite hälfte
nasenlochaufwärts
des kopfes
nur sein körper siede stückweise
der grosse zeh zum beispiel
dreht sich gerade auf den spitzen
der fonduegabel baals
im leckeren pechdampf
während die Kopfhälften
im präteritum
erglänzten
Samuel Meister
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