21 | Frederik Mork

fern & fern

Du bist
fern und fern
und zugeknöpft
von anderen Händen
mehr als das
durchbrichst du
alles in diesem Raum
vom damals wirren Denken
bis zum wirren Denken heute
von Erinnerungen
und Äußerungen
von Fragen bis zu
ganz anderen Fragen

Du bist
fern fern
zugeknöpft
aufgeknüpft
wartest bis die Strafe
die Bestraften holt
kommst nicht
bleibst fern
vieles wartet schon
auf deinen Platz
offene Ohren und Nähe

Frederik Mork

Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
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20 | Kerstin Fischer

Winterfrage

Die Portraits in Öl stehen im Schnee der Stadt.
Ihre jahrhundertealten Blicke ziehen über die Graffitis der Häuserwände.
Dann lesen sie in den Weissagungen der Kälte.
Aber der Frost ist taub für jedes Gefühl. Er baut Nester in die Jacken der Obdachlosen,
bis sie winseln wie Hunde, die durch die Schatten im Rotlicht der Amsterdamer Straßen schleichen.
Die Tiere beobachten, wie es die Genitalien wund schlägt, das Licht, bei Nacht betrachtet.
Hinter den schweren Holztüren hallt indes das Gelächter der Verstorbenen.
Es macht die Gesichter bleich. Extasy ist en vogue.
Nuttenkrallen schlagen gegen die Scheiben.
Sie brechen das Eis in dem frierenden Hirn des Mannes
mit dem Muttermal über dem Auge, das er Igel nennt.
Er wirft seine schwarzen Ringe in den Rinnstein. Der Vorhang aus Filz ist geschlossen.
Die anderen warten im Eisregen.

Kerstin Fischer

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19 | Bas Lindgaard

Mara

In der Zwischenzeit
tauchte Mara auf
und erzählte mir
von höllischen Krämpfen.

Das Ende des Tunnels
kommt immer näher
und wahrscheinlich
erreichen wir es kotzend,
auf allen Vieren kriechend.

In der Zwischenzeit
erschien Mara
und erzählte mir
von den Krämpfen,
die ihn heimsuchten
und von dem Blut,
das er geschwitzt hat.
Man sah ihm an, dass er
dem Ende des Tunnels
immer näher kam
und wahrscheinlich
erreicht er es kotzend,
auf allen Vieren kriechend.

Ich sah ihn zuletzt meditierend,
auf einer pechschwarzen Lotosblüte,
bevor das Licht ihn verschlang.

Bas Lindgaard

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18 | Axel Görlach

spiel mir das lied

vom schafottschaf blut zerstäubt
als himbeerpulver am abendhimmel über dem Ehrenmal
darunter die doldenskelette des bärenklaus verkrallt
ins graue leuchtender taubendreck wie grobe
brocken von feindschnee auf bronze sing mir
von helden + herkunft ein lied das trügt bis es trägt
deiner ahnen gewicht ich hab nur das malmen
des kiefers geerbt den man meinem großvater
wegschoss ins russische jede wortformung seitdem
ein phantom schmerz doch sah ich dich moskau + deine
aufschneiende schönheit die flocken so zärtlich
hebt niemand sie auf mit den wimpern

Axel Görlach

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15 | Marlene Gölz

in den betten liegen kinder
in den kleidern vom vortag.
auf dem nachttisch
leere packungen medikamente.
ihre hände presst sie
gegen die schläfen
ihres verweinten,
zuckenden gesichts.
statt frühstück gibt es wasser.
die augen der kinder sind verklebt.
bevor der älteste den kindergarten betritt,
bleibt er stehen. streicht sich die haare glatt
und knöpft sein hemd bis oben hin zu.

Marlene Gölz

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13 | Andreas Schumacher

Gotthilf Grünberger (1600-1668)

Ekstatische Erdung im himmlischen Ich.
Blasphemischer Gedanke in schwerer Zeit:
Dass man sich munter selbst behälfe,
nicht mehr nur, wie seit grauer Vorzeit,
altem Brauche folgend Hand anlegte –
den Mund vielmehr nähme, mitsamt der Zunge
(bifunktionales Organ, Geschmacks-
organ, Organ der Sprache)
im Zuge autonomer Bemühungen
(schwielig die Pranken, schmerzvoll aufgeplatzt
die Fingerkuppen vom Gebrauch der rauen Taue)
halbautomatisch eingesetzt zur Befriedung
kalendarisch aufstoßender Gelüste.

Inmitten von Glaubenskriegen, Hungersnöten,
allgemeiner Orientierungslosigkeit
welch konterkühnes Kunststück
unterm wachehaltenden Sternenzelt!

Gotthilf Grünberger : – o
Entdecker, Entwickler, Erfinder,
Namenspatron und Missionar
des einfachen Grünbergers;
geboren zu Speyer im Jahre des Herrn 1600
als Spross einer uralt verwurzelten Bauernfamilie;
Aussteiger, Frührentner, Selbstversorger;
Weltumsegler, Grenzgänger, Waghals,
Penispionier der ersten Stunde,
versuchte, was im feuchten Traume er gesehen,
auf zerstörten etruskischen Vasen
und pornobalkenbehandelten Höhlenmalereien –
sich ein Leben lang schon immer weiter,
immer höher hinaus vorgearbeitet habend
durch Fleiß und Schweiß,
Ausdauer und Stehvermögen,
Geschick in allen Lebenslagen;
gelenkig, sehnig, schwindelfrei,
allgemein gut ausgestattet,
gelang ihm in lauer himmelundmeerver-
schmelzender Frühsommernacht,
was mancher wohl
durchaus vor
ihm schon er-
strebte.

Umsichtiger Kaufmann, großer Generalvorsteher,
leitender Direktor eines Hamburger Handelskontors
mit weitreichenden Verbindungen tief runter ins Fuggerländle,
Junggeselle, Wunschschwiegersohn, Feierabendpoet –
alles hin-
& sich selbst in die Waagschale
geworfen,
ausgestiegen,
aufgebrochen,
drauflosgesegelt,
das Ei des Kolumbus gefunden
am neunundvierzigsten Tage
in Form zweier Eier und eines
schwellenden Schwanzes,
gelegen in einem Winkel
von einhundertundsechsundsiebzigkommazwei
Grad zwischen seinen unrasierten, nackten Schenkeln.

Von seinem eigenen Samen sich nährend,
blies er sich ostentativ durch die sieben Weltmeere,
bald weltberühmt durch simple Mund-zu-Mund-Propaganda,
eine sich selbst vorauseilende Legende der lasterhaften Leibeslust,
ein eigengliedkauendes Perpetuum Mobile onanistischer Dauerbespaßung.

Sein mit Abstand berühmtester Ausspruch
Was brauch ich andre Menschen noch,
wenn mir mein Mund das beste Loch? –,
vom Philosophen Schopenhauer
in gehobener Weinstimmung immer wieder gern
bierselig ausgepackt an Frankfurter Kaschemmentischen –
steht niedergeschrieben
in seinem penibel dokumentierenden,
bahnbrechend schrankeneinreißenden Werk
Wie ich als erster Mensch der Weltgeschichte
mir unversehens erfolgreich selbst einen blies
und darob in allgemeinen Jubelchor ausbrach

Wer ihn jemals ohne Vorwarnung
in flagranti vorübergleiten sah,
sei’s am Kap Verde, bei Bali
oder auf dem Schwarzen Meer,
wird schwerlich ihn vergessen haben.

Selbst Seeräuber machte er gefügig
ließ er einhalten in ihrem gottlosen Tagwerk –
Säbelrasseln verstummte, wo er aufkreuzte
kollabierte der Kanonenkurs,
warfen gefürchetete Männer sich zu Boden,
einzuüben den gigantischen Grünberger,
friedfertig, experimentierfreudig, fickfanatisch.

Bald allerorts beliebt und willkommen,
wo nicht grade zufällig ausgesprochene Prüderie,
allgemeine Lust- und Sinnenfeindlichkeit
ihr harsches Zepter mürrisch schwangen,
autark, autofellatiös, out of step,
lebte er, von Küste zu Küste/Eiland zu Eiland ziehend,
von den Spenden seiner zahlreicher werdenden Anhänger,
gab er heillos überlaufene Gönn-Workshops
in aller Herren Länder.

Nicht sehr wählerisch
in Geschmacksfragen;
immer bodenständig,
ein Mann des Volkes geblieben,
starb er in sternklarer Nacht,
achtundsechzigjährig,
rückenleidend,
vor der Küste Dänemarks,
im felsenfesten Glauben,
dass alle Welt vom Streit abließe,
wenn jedermann sich selber bliese.

Ein oder zwei Tage
vor seinem Dahinscheiden verfasst
sein letzter Logbucheintrag

Ich lieg an Deck am Abend gerne
und schaue auf die Himmelssterne.
Das Ziel ist nicht mehr gar so ferne,
drum streng dich, Menschheit, an und lerne!

Andreas Schumacher

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12 | Unda Maris

Tremendo furioso

 

oder Wie mir der Singsang einmal tief ins Hirn hinein blies

 

Unda Maris

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10 | Johanna Beck

Souterrain

Er hat seinen Keller recht gut vermieten können, sagt der Grubinger.

Ah geh, wirklich! Wir haben ja nicht mal die Ski mehr dort unten, die Stahlkanten sind bei der Feuchtigkeit doch immer verrostet.

Die scheinen nie auszugehen, diese Leut´, arbeiten wohl nichts, immer brennt eine Funsel. Aber man sieht ja nicht hinein, die zerbrochnen Scheiben haben sie mit Zeitungen ausgestopft und verklebt.

Nimm doch noch eine Wurst, Franz!

Die Frau ist schwanger, schon ganz zuletzt, sagt der Grubinger.

S´ist wohl schon da, die Hausbesorgerin hat gestern g´schimpft, dass sie zu Mittag nicht schlafen kann, weil es schreit so, das schwarze Kleine.

Magst nicht noch eine Wurst, Franz?

Johanna Beck

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09 | Andrea Nagy

Fortschritt

Selbst ist die Bedienung
der Bedürfnisse wenn diese
schwach in der Wahrnehmung
hart in allen Devisen
versehen mit blinden Bandagen
aber ohne Diesel bitte

Das geht so nicht
das rechnet sich nicht
das geht sich nicht aus
nicht aus aus aus

Aber ohne Bedürfnisse sind wir
aber ohne Bedienung brauchen wir
aber wir haben doch
aber wir sind ja
doch immer
allein

Andrea Nagy

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06 | Andy Haider

Weihnachtn auf Gut Aidabichl?

„Weihnachten auf Gut Aiderbichl“
haums im Fernsehn,
am vierazwanzigstn auf d'Nocht.

Owa, denk ma i,
waun ma schau de Geburt
vo an kloan Buam feian,
der unta ormsöligste Vahötnisse
aufd Wöd kemma is,
und der glei noch da Geburt
hod flüchtn miassn,
noch Ägyptn,
damit eam da Herodes net okraglt;

tat do net eigantlich
„Weihnachten in Traiskirchen“
bessa passn?

Andy Haider

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