freiTEXT | Ernest Perfahl
Die Übriggebliebenen
Es war Abend und die Familie hatte sich um den üppig gedeckten Esstisch versammelt. Es fehlte ihnen an nichts. Wenn alles glatt lief, dann wäre dies das letzte Mahl, das sie zusammen einnehmen. Denn morgen wird die Welt untergehen, da waren sie sich alle einige, die Großmutter sowie der Jüngste.
Anfänglich hatten sie noch versucht, andere Menschen davon zu überzeugen, dass es diesmal tatsächlich soweit sei, doch es war ihnen gleichgültig gewesen. Seit der letzten Prophezeiung einige Jahre zuvor dachten sie, sie wären immun gegen eine sol-che Gefahr. Ein wenig vermisste die Familie den medialen Rummel, den Austausch, das Spekulieren mit den Nachbaren. Aber das alles war nebensächlich. Bald würde es vorbei sein. Gemeinsam nahmen sie nun Abschied. Bis spät in die Nacht blieben sie auf und stopften sich die Mägen voll, lebten so, als würde es keinen Morgen geben, bis einer nach dem anderen bei Tisch einschlief. Die Großmutter mit dem Kopf rück-wärts und mit offenem Mund. Die Mutter neben dem Vater mit dem Kopf an dessen Schulter. Der Sohn hatte den Teller nach vorne geschoben und lag nun mit dem Kopf auf dem Tisch.
Beinahe zeitgleich erwachten sie am Morgen. Fassungslos starrten sie sich in die Augen. Wieder eine Pleite, dachten sie, ihre Gesichter voller Enttäuschung. Sie sagten kein Wort. Dann sprang die Mutter auf und lief zur Eingangstür. Sie riss sie auf. Ihre Kinn-lade klappte nach unten und ihre Zunge überragte leicht die untere Zahnreihe. Ihre Augäpfel quollen aus den Höhlen und ihre Pupillen weiteten sich. Verdutzt stand sie da. Ohne sich umzudrehen, winkte sie die anderen zu sich.
Sie erblickten eine Ruinenlandschaft. Die Gebäude waren in sich zusammen-gefallen. Die Erde war geziert von nackten leblosen Körpern. Sie waren übrig geblie-ben. Sie waren vergessen worden.
Fluchend wandte sich der Vater ab und durchkämmte die Wohnung.
Die Farbe der Gemälde war verblasst, der Fernseher flimmerte, der Radioapparat rauschte, die Konturen der Letter in den Büchern waren aufgebrochen und die Druckerschwärze hatte die Seiten schwarz verfärbt.
Die Übergebliebenen, sie warteten, sie warteten darauf, dass auch sie endlich erlöst werden würden.
Ernest Perfahl
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freiTEXT | Matthias Engels
wir bauten eine mauer
wir bauten eine mauer um die mauer um die mauer zu schützen wir bauten eine mauer um die mauer die wir bauten um die mauer dahinter und die mauer zu schützen wir bauten eine mauer um die mauer die wir bauten um die mauer dahinter und die mauer dahinter und die mauer zu schützen wir bauten eine mauer um die mauer die wir bauten um die mauer dahinter und die mauer dahinter und die mauer dahinter und die mauer zu schützen und hatten über das mauern schon lange vergessen was hinter der mauer und der mauer dahinter und der mauer dahinter und hinter der mauer lag
Matthias Engels
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freiVERS | Sigune Schnabel
Unter die Haut
Es gibt einen Raum unter deiner Haut,
in dem Legenden wohnen.
Dort rennt das Glück
die Adern entlang.
Manchmal,
wenn sich die Welt
voll gesogen hat
mit Regen,
dass sie sich an den Rändern einrollt;
wenn ich ihre Geschichte
glatt ziehen muss,
um sie zu lesen –
manchmal werden meine Schritte groß
und springen
aus den Umrissen
meiner Existenz
unter deine Haut.
Sigune Schnabel
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freiTEXT | Deniz Ohde
Habe vorhin eine Schallplatte weggeworfen, die ich vor zehn Jahren von Nicolás geschenkt bekommen hab. Angehört hab ich sie nie.
Nicolás hatte damals eine Vorliebe für Rocko Schamoni. Er erzählte mir immer wie cool der wäre und wie ironisch, besonders die Kurzfilme „Rollo Aller“ hatten es ihm angetan. Die wären einfach großartig, großartiger als alles, was ich mir so ansehen würde. Ich habe, um ihn zu ärgern, gesagt, Rollo, das höre sich doch an, als ob jemand mit den Augen rollt. Von da an haben wir „rollo!“ statt *augenverdreh* bei MSN geschrieben – hat sich leider nicht in der Jugendsprache etabliert.
Jedenfalls ist Nicolás dann eines Abends zu einem Rocko-Schamoni-Konzert gegangen und da hat er mir eine Schallplatte mitgebracht, nämlich „Der Muschikatzenmann“, die original Titel aus „Rollo Aller 4“. Signiert mit „Für Deniz, Dein Rocko *schiefes Herz*“ und ich fand das total aufmerksam, auch wenn ich gar keinen Plattenspieler hatte. Nicolás hat dann natürlich gesagt, ich müsse mir sowieso unbedingt einen Plattenspieler kaufen, das wäre viel besser als CD, viel ästhetischer, viel bewusster usw.
Ich hab mir bis heute keinen Plattenspieler gekauft und diese Platte aus Trotz nie angehört aber aus Sentimentalität aufgehoben. Als ich sie dann vorhin gefunden habe, hat sie mich ausschließlich daran erinnert, dass Nicolás ein prätentiöser Sack war, den ich froh bin nicht mehr zu kennen und der mir eigentlich immer nur gesagt hat, was man zu machen und zu gucken hätte und mir damit nicht nur Rocko Schamoni, sondern noch tausend andere gute Leute über Jahre verdorben hat.
Als ich mir die Unterschrift auf der Platte angesehen habe, hab ich irgendwie auch nicht mehr so richtig geglaubt, dass wirklich Rocko das unterschrieben hat. Wahrscheinlich war Nicolás es selbst, damit er mir wieder eine großspurige Geschichte erzählen kann und sich durch die fettigen Haare fahren und am Sacko rumzuppeln und mir sagen, wie uncool ich bin ohne Plattenspieler. Das war echt das einzige, was mir beim Anblick dieser Platte eingefallen ist und ich hab mir gedacht nee ey, rollo, und das Ding in die Tonne gehauen.
Deniz Ohde
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freiTEXT | Stephan Weiner
Scrollin’
W. scrollt. Zuckt zusammen. Schaut sich um. Nippt an seinem Kaffee. Scrollt langsamer. Noch langsamer. Stoppt. Scrollt nicht mehr.
Schikane! Rufen sie. Später. Er hätte weiter scrollen sollen. Ist schließlich sein Job. Der Abteilungsleiter tobt. W. begründet sein Verhalten nicht. Auch nicht auf Nachfrage. Es lasse sich alles im Browserverlauf nachvollziehen. Mehr sei nicht zu sagen. Er könne aber doch wenigstens sagen, warum. Warum habe er nicht mehr gescrollt? W. schweigt. Sie würden es nicht verstehen. Würden es verwechseln, mit einer Pause.
W. starrt auf den Bildschirm. Er sollte weiterscrollen. Das weiß er. Weiter nach Bugs suchen. Gründlich. Sollte sich tief in die Webseite hineinscrollen. In jedes Verzeichnis. In jedes Unterverzeichnis. Sollte den gesamten Quelltext abscrollen. W. tut es nicht. Tut gar nichts. Ist es ein Bug? Wenn ja, müsste er die Programmierer informieren. Als W. an diesem Tag nicht mehr scrollt, wird kein Programmierer informiert. Hat W. keinen Bug gefunden? Nur welchen Grund gibt es sonst, nicht mehr zu scrollen? W. ist sich nicht sicher. Heute. Ein Bug ist immer eindeutig. Ein Fehler. Ganz klar. Eine Fehlfunktion. Irgendwas tut nicht das, was es soll. W. erkennt es, gibt es weiter. Scrollt weiter. Nur heute nicht. Heute entscheidet sich W. zu klicken. Glaubt vielleicht, etwas auf der Spur zu sein? In den Protokollen sind später genau zwei Klicks verzeichnet. Nur eines ist nicht zu erkennen. Wo W. hin will, was er bezweckt. Nirgends ein Hinweis. Wo soll der Bug sein? Es muss ihn geben. Schließlich scrollt W. nicht mehr. Hat sich stattdessen in den Server geklickt. Der erste Klick. W. wird angesprochen. Von einem Bot. W. sollte eigentlich gar nicht hier sein. Ist es dennoch. Und der Bot fragt: Wo ist der Bug? W. antwortet nicht. Der Bot hält W. für einen Virus. Will ihn entfernen. W. wehrt sich. Klickt ihn weg. Der zweite Klick. Der Abteilungsleiter bekommt bei jeder Virenattacke eine Nachricht auf sein Handy. Auch auf Verdacht. Direkt aufs Display. Kann zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht draufschauen, da er seiner Tochter bei der Suche nach ihren Gummistiefeln helfen muss. Ohne die geht sie nicht in den Kindergarten. W. verlässt den Server wieder. Hat er etwas gefunden? W. initiiert einen Neustart. Danach: Nichts. Keine weitere Unterbrechung. Der PC fährt hoch. Jemand sieht W. am Kaffeeautomaten. Jetzt scrollt er wieder. Was war? War was? Unterdessen hat der Abteilungsleiter die Gummistiefel seiner Tochter gefunden und erfährt von der vermeintlichen Attacke.
Stephan Weiner
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freiVERS | Safak Saricicek
absetzversuche des kaffeehausbesuchers
dich will ich absetzen
wie diese weißen tabletten
dich das toilettenrohr
hinunterspülen
und spulen die zeit
hinunterspülen die erinnerung an dich
zurückspulen
tage und nächte
vor den weißen tabletten
die mich glücklich machen
seitdem du
mich unglücklich gemacht
hast wie diese fette fliege
mich unglücklich gemacht
hat die ich das toilettenrohr
hinunterspülte
dich will ich überstehen
wie diese parästhesien
momente wenn die welt sich dreht
die pulsierende migräne
überstehen atem der atemlosigkeit
entgegnen
und das absetzen fällt nicht leicht
werden die schritte der schwindel
treibt die bilder von dir
die stumme packungsbeilage
der tabletten die ich überstehe das
tablett am freitagabend du lächeltest
das tablett mit deinem kaffee
der stürzt ein fernes lachen will dich
vergessen
bin nicht mehr
ich selbst bin
nicht schon fast
weg von dir
deine augen waren
braun wie dein
kaffee am freitagabend
weg von dir
gestürzt ist mein
ich will dich
nicht
mehr.
Safak Saricicek
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freiTEXT | Clara Heinrich
Ameisenstraße
Es ist Sommer. August. Die Tage waren eben noch lang. Schon werden sie kürzer. Alles was ich sehen kann ist die Dunkelheit, es ist als hätte es keine langen, hellen Tage gegeben. Ich versinke im Schneechaos. Im August. Kinder toben vergnügt, Wassertropfen aus kreischenden, bunten Spritzpistolen treffen auf gemusterte Badebekleidung, das kalte Nass ändert die Farben. Bälle rollen. Knie werden aufgeschürft. Sand fällt aus den geringelten Socken, auf die kalten weißen Badezimmerfließen, die von grauen Fugen getrennt werden. T-Shirts mit Flecken vom geschmolzenen Eis landen auf dem Schmutzwäschehaufen in der Ecke.
Und ich mittendrin. Bis zu den Knien im kalten Schnee. Stecke fest. Kann nicht vor, nicht zurück. Die Kälte krabbelt durch meinen Körper wie die Ameisenstraße, die in der Küche ein neues zuhause gefunden hat. Die schwarzen Punkte haben sich so stark angepasst, dass es scheint als wären sie immer schon da gewesen. Als hätte der Architekt sie genau an dieser Stelle eingeplant. Ich sollte ihre fleißigen Arbeitstage unterbrechen, ihre Linie, die die Küche durchzieht vor die Türe setzen.
Doch das kostet Kraft. Die winzigen Eiskristalle, die um meine Füße Klumpen bilden, kosten Kraft. Das Essen von der Hand zum Mund ist schwer. In Anbetracht dessen sind die kleinen schwarzen Monster nicht mein größtes Problem. Dabei beneide ich sie, während ich mit meinem inneren Monster kämpfe. Sie stehen jeden Tag auf. In aller Früh und schuften ohne dabei Anzeichen von Erschöpfung zu zeigen. Ich bin schon erschöpft, bevor ich anfange zu arbeiten. Erschöpft bevor ich überhaupt aufstehe. Gar zu erschöpft um zu Schlafen. So tief bin ich gesunken. Ich beneide Insekten.
Die Sonne steht wieder einmal hoch und brennt auf den kleinen Balkon, auf dem ich den dritten Espresso trinke um die Müdigkeit zu vertreiben, doch wie die Ameisen hat sie sich längst eingenistet und brütet ihre Eier. Aus den Eiern schlüpfen Ekel, Selbsthass und Scham, die sich weiter mit der Erschöpfung und der Müdigkeit paaren bis ihre Larven beginnen an meinem Innersten zu nagen und ich verfalle. Die schwarzen Stoffe in die ich mich hülle verbergen die hässliche Seele, die ich mit mir herumtrage, für die ich mich schäme.
Das Feuerwerk, das vor meinem Fenster tobt und ein Schillern in der Luft zeichnet dringt dumpf zu mir durch. Ich verabscheue. Wen? Was? Alles. Die Farben im Nachthimmel sind längst wieder weg. Es erinnert mich an mein Leben. Kurze Farbexplosionen gefolgt von Dunkelheit. Im bewölkten Himmel der Nacht ohne Mond und ohne Sterne finde ich einen Verbündeten. Durch das offene Fenster strahlt er mich an mit einer Schwärze, die sonst niemand wahrnimmt, weil die Welt schläft. Nur ich bin wach. Die Gedanken kreisen in spinnenden Bewegungen und der Wind weht die laue Spätsommerluft ins Schlafzimmer. Die Müdigkeit drückt mich ins Bett, die Decken umschlingen mich. Mein Kopf versinkt im Kissen und die Worte in meinem Kopf geben keine Ruhe. Sie wollen weitermachen, herumschreien und springen, statt sich in meine Traumwelt zu verzupfen. Und mich einfach schlafen zu lassen. Bald kommt die Sonne wieder. Ich werde nicht viel schlafen. Gleich wird sie mich wecken und morgen werde ich wieder müde sein und nichts schaffen. Mit diesen Gedanken schlafe ich ein und träume wirr von Worten, die wie Flummis aussehen und Farben, die verschwimmen.
Clara Heinrich
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freiVERS | Barbara Marie Hofmann
wir sitzen unter linden
träumen von tannen von meerengen
von den gezeiten der wölfe
wir sitzen unter linden
der sommer ist nach zeitigkeiten vorüber
wir sitzen unter linden
denken an uns
wie schön es damals war
Barbara Marie Hofmann
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freiTEXT | Saskia Trebing
Attraktive Menschen in klimatisierten Räumen
working next to artworks I
Es ist nicht einfach, sich zu konzentrieren, wenn sich im Nebenraum zwei Frauen intimrasieren. Da ist eine Wand dazwischen und da ist das Murmeln der Klimaanlage, aber da ist trotzdem dieses Geräusch; dieses Gekratze und Geschabe auf trockener Haut. Das kratzt und schabt am Gehirn bis eine Frau aufschreit – geschnitten – und das Ganze wieder von vorne losgeht.
Bei all dem Gehirnschaben kann einem schonmal was durchrutschen. Da kann man lächelnd am Frontdesk sitzen und in ein Macbook starren und nicht merken, dass irgendwas anders ist.
„Dass da ein Werk nicht an ist“, sagt ein Besucher mit Kinnbart und Presseausweis. „Das muss Ihnen doch auffallen, wenn Sie hier sitzen.“
Der Mann mit Presseausweis würde eh nichts kaufen. Aber recht hat er, da fehlt was. Da ist im Nebenraum ein Bildschirm schwarz, der nicht schwarz sein sollte. Wo ein Gesicht sein sollte. Natürlich. Und eine Stimme. Zuerst eine Stimme aus dem Off. „Roooo-lling!“ sollte die Stimme rufen. Eine warme Stimme, die Silben ausgerollt und kullernd. Dann sollte das Gesicht in Aktion treten. Das Gesicht sollte nach vorn schnellen und zu schreien beginnen. „Shoot!“ schreit das Gesicht. Immer wieder. „Shoot! Shoot!“ Ein Rhythmus mit Kopfnicken und Speichelspritzern.
Aber jetzt passiert gar nichts. Jetzt müsste man was tun. Aber was? Der Stecker ist drin, der Fernseher ist an, der Computer ist verbunden und der Galerist ist heute für niemanden zu sprechen.
Es ist nur Lief im Haus, aber Lief putzt die Toiletten.
„Lief?“ Es ist zumindest einen Versuch wert.
„Hier“, ruft Lief aus dem Herrenklo.
„Die Arbeit von Frida ist kaputt.“
Liefs Kopf zeigt sich im Türrahmen. „Ok“, sagt der Kopf. Dann verschwindet er wieder.
Einen Moment ist es ruhig, nur die Frauen kratzen und schaben.
Dann Liefs Stimme aus dem Herrenklo: „Roooo-lling!“
Die Pause ist zu lang, ein Zögern, das da nicht hingehört. Aber dann: was solls, den Pressetext können sie sich wohl alleine nehmen.
Kopf in den Nacken, Luft geholt und „Shoot! Shoot!“ im richtigen Rhythmus. Am Anfang noch verhalten, aber nach zehn Minuten tropft die Spucke vom Kinn. Nach zehn Minuten ist Lief wieder dran.
Ein Herr im Anzug schafft es nicht mal bis zum Pressetext. Er lugt um die Ecke, Roooo-lling! … Shoot! Shoot!, und stolpert rückwärts aus dem Raum. Den kennt man, den Anzug, der kauft hier manchmal. Der kriegt die Tür nicht auf, die klemmt, und schaut panisch zum leeren Empfangstresen. Da sitzt sonst immer die lächelnde Frau.
Saskia Trebing
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freiVERS | Stefan Heyer
Der Papierkorb
Unter dem Schreibtisch
manchmal steht er auch etwas weiter
entfernt
wartet der Papierkorb
gefüllt will er werden
bekritzelte Zeitungen
vertippte Seiten auf der Schreibmaschine
Fehldrucke
schlechte Texte, falsche Wörter
die Spuren des Bleistifts
durchgestrichene, zerrissene Seiten
mit Wut geworfene Papierbälle
Flieger voller Langeweile
mitunter auch Bleistiftanspitzreste
leere Patronen
doch hier und da nimmt
eine Hand ein Stück Papier
wieder heraus, streicht es glatt
liest noch einmal und
findet Gefallen an den Worten
den Sätzen, ein Lächeln
fährt über das Gesicht
Stefan Heyer
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