07 | Simona W.

Am Weihnachtsmarkt

Besinnlich weihnachtlich sind wir heut‘ eingestellt
Der dritte Glühwein soeben bestellt
Am Weihnachtsmarkt stehend, ringsum so viele Leut‘
Wo sich jedermann an der Weihnacht erfreut
So viele Sachn dort zu finden sind
Kugeln, Krimskrams und dazwischen das Jesuskind
Chicken Nuggets, Burger und Wedges zum Verzehr
Zuckerwatte, Popcorn und vieles mehr
Santa Claus sieht man an allen Seiten
Im Schlitten von Rudolph gezogen gen Norden reiten
Turmgebläse soll bringen besinnliches Flair
„Last Christmas“ ist aber alles, was ich hör‘
Die Massen drängen sich von Stand zu Stand
zerren das Kind mit sich an der Hand
„Mama, ich glaub ich hab das Christkind gesehen!“
„Emma nein, wir wollen doch zum Weihnachtsmann gehen“
Der hat einen Bart, Elfen und Listen mit Namen
Die Bösen, die leer ausgehen und die Guten, die was bekamen
„Das Christkind hat noch jedem was gebracht,
egal, was man übers Jahr so macht“,
denkt Emma, doch lässt sich weiterschieben
„Hauptsache die neue Wii ist aufgetrieben.“
Der nächste Zehner wird verprasst
Mal sehen, was noch alles in die Bäuche passt
Noch was Kitschiges für Tante Gerti gefunden
Einfach ein Engerl oben drangebunden
Advent, die stille Zeit im Jahr
So still, ich nehm‘ sie kaum noch wahr
Steckte einst nicht mehr dahinter?
Als Glühweinstand im kalten Winter?
Gemeinsam singen vor dem Baum
Geschichten lesen, man glaubt es kaum
Wer hat den heutzutage noch Zeit zum Lesen?
So stressig ist es früher nicht gewesen.
Weihnachtsfeiern fast jede Woch‘
Kekse, Kränze, Kerzen – Geschenke brauch ich noch
Den Baum darf man auch nicht vergessen
Und natürlich den Truthahn zum Essen
Vorher kommt noch der Nikolaus
Und bringt allerlei Nüsse und Schoko ins Haus
Von Perchtenshow zu Krampuslauf
Den Lärm und Trubel nehm‘ ich in Kauf
„Die Zeiten ändern sich halt!“ sagt man und lacht
„Und hat es uns wirklich was gebracht?“
Die Tassen stimmen klirrend mit ein
Darf‘s noch ein warmer Glühwein sein?

Simona W.

Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.


06 | Jonas Linnebank

ich liebe dich
weil du mich mein
-st wir werden
ohne zu irren

weiter du wir
-st größer ich
passe mit hin
-ein liebewesen

Jonas Linnebank

Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.


05 | Luka Leben

Alle Jahre wieder

Die Welt dreht sich vom aufzeichnenden Auge unbemerkt, wie die Felgen eines Sportwagens am Großbildfernseher. Je mehr Zeit man sich nimmt, um zu schauen, umso mehr fällt auf, dass sich nichts tut. Und doch ist irgendwann wieder ein Jahr vorbei und noch eines und die Lichterketten ranken sich an den Geschäften und Boutiquen empor wie die Rosen des Dornröschenschlosses seit Jahrhunderten Abend um Abend in den Gutenachtgeschichten der westlichen Kultur, nur dass dahinter nicht die unendliche Ruhe des (Winter)schlafs einkehrt, sondern ein alptraumhafter Mahlstrom an Geschäftigkeit.

Das hübsch anzusehende Überwuchern kann man auch in zeitgerafften Dokumentationen des Zerfallsprozesses beispielsweise eines Weihnachts-Apfels beobachten: Der Schimmel sprießt und zuckt tänzerisch mit seinen feinsten Härchen, manchmal springt etwas ganz unerwartet hervor und erweckt im Betrachter ein süßes Erschrecken und insgesamt sammelt sich alles zur samtenen Geborgenheit eines Pelzes, wie von einem kleinen wichen Tier, man möchte schon die Wärme eines pochenden Herzschlags darin vermuten, aber bald! – zeigt sich das verfaulte schwarze Fleisch im Inneren, dass immer mehr verkümmert und schließlich gottseidank verschwindet!

Auch in den Geschäften tummelt sich das überschäumende Leben: Die Augen der ausgezehrten, burnout-gefährdeten Beamten, Betriebswirte und Babysitter glänzen im Fieber der Selbstüberwindung – sie spüren weder Hitze noch Kälte, keinen Durst und nicht die schmerzenden Füße – alle Körperfunktionen fallen dem übermächtigen Treiben des Gehirns, dass nur noch seiner Fixierung auf ein Ziel folgt, zum Opfer: Weihnachten! Rauschende Feste, Gemütlichkeit, Beisammensein, Intimität, Besinnung – all dies muss durch größte Entäußerung und Disziplin vorbereitet werden! Es liegt in der Natur der Sache, dass die Erleichterung des Einbruchs nur auf die äußerste Belastung folgt:

Wenn man mit Schultern, die verspannt sind, wie die eines Langzeit-Gefängnisinsassen im höchsten Sicherheitstrakt, nach der Bescherung im Bett liegt und zum ersten Mal bemerkt, dass man Schmerzen hat und, wenn man dann den geliebten Partner bittet, den Schmerz durch zärtliches Betasten zu lindern und dieser murrend reklamiert, dass man überhaupt die ganze Zeit schon so angespannt sei und damit allen die Freude verderbe und, wenn man daraufhin in Tränen und Rotz ausbricht und all den Glühwein und die Gänsesuppe aus sich heraus weint, und wenn man dann den Partner aus den verbliebenen Leibeskräften anbrüllt und sieht, wie er aufrichtig erschrickt, wie in ihm das staunende Kind wieder zum Vorschein kommt, und man in sich einen Funken Zärtlichkeit diesem Kind, das er einmal gewesen sein muss, gegenüber aufkeimen spürt, dann, ja dann ist Weihnachten.

Luka Leben 

Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.


04 | Ingeborg Kraschl

Advent

Gewiss
warten wir auf innigere Tage -
wenn unsere Stummheit aufbricht
sich Augen in uns
und ineinander kehren
herzerfüllte Worte
die Lippen überwinden
wir in unserer Welt
den Nächsten erkennen
und den Blick
für das Große
immerzu bewahren

Ingeborg Kraschl

Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.

 


03 | Martin Reiter

Zähl die Tage

Ich weiß Dezember bringt uns Lichter
Und Jänner nur noch Schnee.
Wenn Februar dann kommt
Dann kann ich ihn nicht mehr sehen.

Und Sunrise, Sunrise, Sunset.
Ich lieg wach in meinem Bett.
Ich spür das Pochen meines Herzens,
Hör das Rauschen in meinem Kopf.
Der stete Schritt der Wochentage
Verwandelt sich in Alltagstrott.

Und Stunden werden zu Tagen,
Werden zu Wochen, werden zu Jahren.
Und eins weiß wirklich keiner:
Wie viel Zeit wir hier noch haben.

Zähl die Ringe unter meinen Augen und
Du weißt wie alt ich bin.
Zähl die Träume in meinem Herzen,
Innen drin bin ich noch Kind.

Und ich durchschau‘ das Schema,
Doch ich halt mich weiter dran.
Es ist so schwer was zu verändern,
Wenn man sich selbst nicht ändern kann.

Und Stunden werden zu Tagen,
Werden zu Wochen, werden zu Jahren.
Und eins weiß wirklich keiner:
Wie viel Zeit wir hier noch haben.

Martin Reiter

Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.


02 | Claudia Kohlus

weiße welten die keine weißen westen tragen
in stillen nächten gebrochene versprechen
engelchen ohne flügel wenig zeit sich die
ärschlein zu wärmen bei bratendüften
ins abseits gestritten ins gebet genommen
sich gegenseitig das messer in den rücken
gewünscht dafür in der kirche lauter
gesungen

Claudia Kohlus

Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.


01 | Camena Fitz

bauchge.fühl

ein haus
wohnt
in meinem bauch
in meinem bauch wohnt ein haus
ein haus mit 3 zimmern und 1 treppe
in einem raum gibt es ein rechteckiges
| fenster |
mit schwarzem rahmen
schwarz und aus eisen
allein
kann ich das | fenster | nicht öffnen.

als ich mich in dich
verliebe
beistrich
lad ich dich ein
in das haus
in meinem bauch.
du kommst und
bist ein guter
erster gast.
doch du willst nicht, dass ich
allein
in der dunklen ecke
sitz.
und dann
gehst du.

ich verschließ die tür 3 mal
und kontrollier 4 mal
ist sie ordentlich verschlossen?
und dann setz ich mich in meine
dunkle
ecke
in dem raum mit dem schwarzen
eisenfenster
in dem haus
in meinem bauch
in dem raum mit dem schwarzen
eisen | fenster |
in dem haus
in dem. in meinem bauch
und
allein
kann ich das | fenster | nicht öffnen.

ich bin
immer noch
verliebt
in dich,
als du vorsichtig an der tür
klopfst
ich stell mich schlafen
und du klopfst jetzt ans | fenster | .
ich schau hindurch und schüttle den kopf.
da gehst du wieder
doch vor der tür vor dem haus
in meinem bauch
steht
jetzt
ein sofa.
von meiner dunklen ecke aus
kann ich
es
nicht
sehen.

du bist
verliebt
in mich,
als ich dich mitnehm
auf den weg zu dem haus
in meinem bauch.
wir setzen uns auf das sofa
vor dem haus
in meinem bauch
dort bleiben wir die ganze
nacht
und den halben mond
lang
dir wird kalt, du willst ins haus.
wir sollten
das sofa
mit hinein nehmen,
schlägst du vor...
ich geh hinein in das haus
in meinem bauch
und schick dich raus

schlaf gesellt sich zu mir
zu mir
in meine dunkle
ecke
er stiehlt das licht
aus
meinen augen
und du sitzt auf dem sofa
vor dem haus
in meinem bauch.
am nächsten morgen
als der tau nicht
länger
glitzert,
nimmst du das sofa
und du gehst.

ich blick durch
das schwarzeisenfenster
allein
kann ich das | fenster | nicht öffnen.
dort wo das sofa stand, ist
jetzt
ein dunkles loch in der grünen wiese
vor dem haus
in meinem bauch
ich will dort blumen säen
oder lieber einen baum pflanzen?
ich will dich
um deine meinung
fragen
als ich dich endlich wiederfind,
sind wir verliebt
ineinander.
wir gehen zu dem haus
in meinem bauch
gemeinsam
lange stehen wir vor dem dunklen loch
vor dem haus
in meinem bauch
und halten händchen.
du wirfst einen kirschkern
gegen das schwarzgerahmte eisenfenster
wir gehen rein und
streiten

als du gehst, wart ich
in meiner dunklen
ecke
ich wart vergeblich auf schlaf
die erde hat sich halb verdreht
und noch immer
sitz ich
in dem schwarzeisenfenstergerahmten
zimmer
dunkler noch, ist jetzt meine ecke.
im ganzen raum
scheint kaum mehr sonne, noch licht.
es klopft
an der tür

ich öffne die tür
von dem haus
in meinem bauch
dort stehst du
nicht
nur das sofa, nicht du
und vor dem haus
in meinem bauch
steht
jetzt
ein kleiner baum

seine äste stoßen an das | fenster |
allein
kann ich das | fenster | nicht öffnen.
jeden abend wünsch ich mir, dass du
in das haus
in meinem bauch
kommst.
ich bring das sofa rein und
schlaf

Camena Fitz

Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.


freiTEXT | Katharina Korbach

Minuten bis Sieben

Es gibt nichts mehr zu tun, außer dem Regen dabei zuzusehen, wie er vor ihr auf das Pflaster prasselt, ausufert, zu Pfützen wird. Über dem Platz hängt der Himmel in einem Grau, das gerade dabei ist, schwarz zu werden. Ein paar Frauen in dunklen Regenjacken laufen vorbei, unterhalten sich leise, lachen. Vielleicht Touristen, denkt sie. Sie wartet darauf, dass es sieben wird und sie den Wagen abschließen kann.

In der letzten halben Stunde kommt immer noch jemand. Sie stellt sich das gerne vor, wie dieser jemand vorher in seinem Büro vor dem Bildschirm sitzt. Gleich hab ich Feierabend, denkt er und sein Magen knurrt. Wenn ich mich beeile schaff ich es sogar noch, mir an dem Stand am Platz eine Wurst zu holen. Die Leute, die zu ihr kommen, haben keinen Appetit, haben nicht einfach Lust auf einen schnellen Imbiss oder einen Snack. Die Leute, die zu ihr kommen, haben Hunger. Weil sie den ganzen Tag noch keine freie Minute zum Essen hatten. Weil es niemanden gibt, der zuhause für sie gekocht hat. Für diese Leute steht sie gerne in der Kälte.

"Ist noch Eintopf da?" Wie Perlen liegen die Tropfen auf der Hutkrempe des Mannes, die Brust hebt und senkt sich schnell, als wäre er gerannt. Sie nickt. "Mit oder ohne Wursteinlage?", fragt sie. "Mit, bitte." Der Mann zieht ein Handy aus der Tasche, hält es sich direkt vors Gesicht und beginnt, darauf herumzutippen, während sie die Schöpfkelle in den Topf taucht, dann eine Plastikschale bis zum Rand füllt. "Bitte sehr", sagt sie und streckt dem Mann die dampfende Schale entgegen. Ihr fällt auf, was für schöne Zähne er hat, absolut gerade, absolut weiß. Und silberne Strähnen, die ihm in die Stirn fallen. Es gibt sie also doch noch, die schönen Männer, denkt sie. Selbst hier. Selbst an so einem Abend, an dem man nicht mal einen Hund vor die Tür jagt, wie Jürgen gesagt hätte. "Ich lege die 3,50 hier hin", sagt der Mann und erst jetzt sieht sie die Münzen auf der Ablage. Sie greift danach. "Ja. Danke. Lassen Sie es sich schmecken", spult sie ab. Das sagt sie zu jedem, nicht nur zu den schönen Männern. Sie ärgert sich über sich selbst. Die Uhr schlägt zweimal. Eine halbe Stunde noch.

Sie schaltet den Grill aus, darauf das Fleisch, das sie nicht verkauft hat. Viel ist es nicht mehr, einmal Rind, zweimal Schwein. Heute Morgen hat Marcel sie gefragt, was eigentlich mit den Würsten passiert, die übrigbleiben. Sie hat es nicht geschafft, ihm die Wahrheit zu sagen. "Die verschenk ich meistens", hat sie gesagt. Sie hätte ihm alles erzählen können, er hätte genickt. Meistens isst sie die Würste selbst. Heute nimmt sie die Zange und lässt sie in eine Plastiktüte fallen, eine nach der anderen. Verschnürt sie, so fest es geht. Nein, heute nicht. Nicht, solange noch ein schöner Mann bei ihr an der Theke steht und seinen Eintopf löffelt.

Sie putzt den Rost, kippt die Asche aus dem Grill hinter den Wagen, wischt mit dem Lappen über die Ablage. Der schöne Mann schaut ihr dabei zu oder vielleicht starrt er auch einfach ins Leere. "Wiedersehen", sagt er irgendwann. Lässt klappernd seinen Plastiklöffel in die Schale fallen. "Einen schönen Abend wünsche ich." Einen schönen Abend. Sie versucht, sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal so etwas wie einen schönen Abend hatte. Ihr Kopf bleibt leer. "Ebenso", sagt sie, aber da ist der schöne Mann schon weg. Ein schwarzer Rücken, den der Regen verschluckt. Einen schönen Abend. Sie denkt an ihre Wohnung. An das Treppenhaus, in dem es genauso kalt ist wie draußen. An die Stufen, die sie sich hochschleppt bis zur Wohnungstür. In der Manteltasche nach dem Schlüssel kramt. Jeden Abend muss sie eine gute Stunde mit dem Auto aus der Stadt rausfahren, durch das Industriegebiet, dann hinter der Tankstelle rechts ab, in eine Querstraße. In die Gasse, in der ihre Wohnung liegt, kommt sie mit dem Wagen nicht rein. Rechts von der Eingangstür stapelt sich der Müll in großen grünen und gelben Säcken. Am Ende des Monats wird sie manchmal von dem Gestank geweckt, aber das nimmt sie in Kauf. Sie hätte jede Wohnung genommen. Jede Wohnung ohne Jürgen.

Der Platz ist leer und, obwohl es erst zehn vor sieben ist, löscht sie das Licht. Als letztes nimmt sie die Schürze ab und fühlt sich sofort unwohl. Neben der Baustelle am Rathaus parken ein paar Taxen. Als sie aus dem Wagen steigt, kurbelt einer der Fahrer die Scheibe herunter. Guck nicht so blöd, denkt sie, hebt die Klappe an der Seite des Fahrzeugs aus den Angeln, schließt ab.

In der Spiegelung der Windschutzscheibe sieht sie ihr Gesicht. Rote Backen von der Kälte, die Haare dicht am Kopf und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Keine schöne Frau, denkt sie. Steckt die Hände zwischen die Oberschenkel, bis sie so warm sind, dass sie losfahren kann. Eine Frau wie ich verdient keinen schönen Mann.

Jürgen ist nicht schön gewesen. Seine Beine waren ein bisschen zu kurz. Sein Haar am Hinterkopf schon ganz dünn. Sie kann sich noch an den Tag erinnern, an dem sie den Wagen gekauft haben. Sie haben ihn am Autohaus abgeholt und sind damit direkt auf den Platz gefahren. Jürgen hat das Radio aufgedreht, dann Pinsel und den Eimer mit der Farbe aus dem Kofferraum geholt. Zusammen haben sie "Monis Imbiss" in grün auf die Seitenklappe geschrieben. "Moni, das klingt doch gleich ganz anders als Mona", hat Jürgen gesagt. "Irgendwie sympathischer." Beim Malen lag seine Hand auf ihrer. Ein bisschen wie Hochzeitstorte anschneiden, dachte sie damals.

Sie nimmt sich vor, neue Farbe zu kaufen. Das "i" in ein "a" zu ändern. Sie ist jetzt wieder Mona. Ganz kurz ist sie euphorisch. Mona, ja. Ein neuer Anfang. Dann sieht sie ihr rundes, grinsendes Gesicht in der Scheibe und senkt sofort den Blick. Die Moni, die war eine schöne Frau, denkt sie. Bevor sie und Jürgen den Wagen gekauft haben, ist sie noch putzen gegangen, in der Grundschule direkt an der

Ausfahrt zur Autobahn. Meistens nachmittags, an den Wochenenden auch schon mal den ganzen Tag. Mit ihrem Besen ist sie in Rekordtempo durch die Turnhalle gefegt, durch die Klassenzimmer und Flure, um früher gehen und den Abend mit Jürgen verbringen zu können. Meistens hat sie sogar noch genug Luft gehabt, um dabei zu pfeifen. Putzen hält fit.

Sie dreht den Schlüssel im Zündschloss und fährt auf die Straße, ohne den Blinker zu setzen. Hustet ein paarmal und spürt ein Kratzen im Hals. Kein Wunder bei der Kälte. Sie könnte sich Tee kochen, wenn sie zuhause ist, denkt sie. Macht sie ja sowieso nicht. Sie wird sich mit einem Buch aufs Sofa setzen, es nach ein paar Minuten wieder weglegen und den Fernseher einschalten. Der wird Bilder in den Raum werfen, die die Welt kurz ein bisschen bunter machen. Die sie kurz von der Kälte ablenken, von ihren ungewaschenen Blusen über der Stuhllehne, von den braunen Bananen im Obstkorb. Sie wird den Ton abschalten und versuchen, an irgendetwas Schönes zu denken. An den schönen Mann vielleicht. Ein schöner Mann kann einen über die Stunden retten, wenn man Glück hat. Selbst, wenn man doch genau weiß, dass man nie so einen haben wird.

Jürgen war kein schöner Mann. Er hat die Würste in die Brötchen gepackt, eine Serviette drum. Hat dabei gelächelt, sodass man seine schiefen Zähne sehen konnte. Braun an den Zahnhälsen. Es sagt viel über einen Menschen aus, wie man seine Zähne pflegt, denkt sie. Aber eine schöne Stimme hatte er. Sie kann sie jetzt hören. Ganz klar, als würde er in dem Moment neben ihr sitzen. Ketchup und Mayo sind da drüben. Darf es für die Dame vielleicht noch eine Extrawurst sein?

Sie tritt aufs Gas, obwohl sie schon sieht, wie die Ampel vor ihr auf Rot springt. Jemand hupt und sie fühlt sich gut. Im Feierabendverkehr über rote Ampeln fahren. Ein kleiner Rest Nervenkitzel, der ihr noch bleibt. Sie reißt das Lenkrad herum und biegt in die Querstraße. Hätte gerne, dass die Reifen dabei quietschen, aber natürlich tun sie das nicht. Sie findet einen Parkplatz, bleibt noch eine Weile sitzen und guckt zu, wie der Regen in großen, harten Tropfen auf die Windschutzscheibe trifft. Dann öffnet sie die Fahrertür. Atmet frische, klare Luft. Geht die paar Meter zu ihrer Wohnung und hört entfernt den Verkehr auf der Schnellstraße. Was der schöne Mann wohl gerade macht, fragt sie sich. Wahrscheinlich sitzt er mit einer schönen Frau in irgendeinem italienischen Restaurant und trinkt Rotwein. Deshalb musste er sich so beeilen. So ein schöner Mann, denkt sie, bevor sie die Haustür aufschließt. So ein schöner Mann, der mir Bier kauft, und sich abends neben mir die Zähne putzt. Dann steht sie im Treppenhaus.

Katharina Korbach

freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>

KulturKeule: Lyrik von Jetzt 3

Die wichtigsten Stimmen der jungen deutschsprachigen Lyrik in einem Band. Autorinnen und Autoren unter 35 aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein.

Die Anthologie versammelt 84 junge Lyrikerinnen und Lyriker aus einem geografischen Raum von Flensburg bis Bozen, von Basel bis Wien.

Die Herausgeber und Kuratoren Max Czollek (Deutschland), Michael Fehr (Schweiz) und Robert Prosser (Österreich) haben sich der Überschreitung nationaler Grenzen verschrieben. »Lyrik von Jetzt 3. Babelsprech« ist ein erster Versuch, neue LyrikerInnen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum einer interessierten Öffentlichkeit vorzustellen.

u.a. mit Marko Dinić, Martin Fritz (mosaik3,12,15), Irmgard Fuchs, jopa jotakin (mosaik15, S. 9), Frieda Paris (mosaik9, S. 8) Martin Piekar (mosaik15, S. 8), Rick Reuther (mosaik12,15), Tobias Roth (mosaik7,8,9,13,15), Alke Stachler, Gerd Sulzenbacher (mosaik15, S. 22)

Lyrik von Jetzt 3. Hg. von Max Czollek, Michael Fehr und Robert Prosser. Wallstein, ca. 300 S., € 19,50.

Mehr Texte von AutorInnen und Autoren finden sich im neuen mosaik16.


 

Name

Anstatt zu sagen, sie heisse Judith, sagte sie immer, sie verheisse Judith.
Dies ist ihr nicht unterlaufen. Es schien ihr dann, sie könne noch immer erscheinen.

Judith Keller


 

aufschießen einer leine

bis es, in den frühen morgenstunden, nach endlosem warten, endlich heißt, ein seil sei gefunden, verknotet, bis in den letzten strang, heißt, das durcheinander voneinander zu lösen, es wie einen gürtel zu tragen, mit ratloser hand auf der offenen schnalle, einer hand, die, zum lachen weit aufgerissen, schreit, kontext, einordnen, zwangsbasis, eine, nach der man, vorausgesetzt voraussetzung erfüllt, zum handeln verpflichtet sei, einem handeln, das sich in sich von sich unterscheide, einem handeln aus dem begriff seines urteils über sich selbst, das, zum ganzen verknotet, ein hindernis sei, eines zu lösen und überhaupt genug davon zu reden sei bereits farbe, studieren sei immer bereits muster gewesen, mit anderen geteilt, sei erinnert, zur verfügung verdammtes konzentrieren, aufschießen, fadenkreuzfokus und leine, das harre schon stunden, jahrhunderte, der sekunde, sei, immer sich selbst bei den schlimmeren wunden, sei, diese tiefer vergessen, blockieren, dann herein und verwandeln, sei voriges ohnehin zu zerlegen, sei dieses, sei ihre finger nach vorne, diesen finger zurück, sei entscheiden, sei jetzt

Niklas Lem Niskate


 

bilder in bildern

für Tristan Marquardt

a.)

diese stupende liebe für zwei / eben das / was zusammengehört / sage ich / während ich übers geländer ausspucke und die spucke sich im moment des asphaltaufschlags in ein nest für zwei fremde verwandelt

                                                                              /

und von beschiss zu beschiss fault der
sinn / zerfasert das gestülp eines im-
manenten innen&außen / massiert
die blutenden fisuren / wo widrig noch
das falsche wort ist und immer etwas
anderes die gesichtsläufe dominiert

b.)

wo einer scheitert baut der nächste
schon sein einfamilienhaus / die ge-
dehnten wäscheleinen / die torbögen &
gärten / ganze jugenden die sich leicht
ins haar verknoten lassen und einem
spaß garantieren / das HAHAHA des nachbarn
hört man durch die hohe hecke & schließlich
durch den stacheldrahtverhau

c.)

am morgen strecken sich die krähne erstmal dasz es knackt & pfeift & die stahlglieder unterm sägblattzischen einen auf hofdame spielen wenn man dem ganzen überhaupt beachtung schenken will denn ganz so einfach will es nicht sein an so einem morgen wo manches ureigentlich vor uns tritt

/

manche stellen im gras sind nicht grün sondern
ausgegilbt von der sonne / häuser ruhen willkür
lich in der landschaft / der wind weht erst vom
osten dann vom süden herr /menschen geben
sich erst die eine hand dann die andere / libellen
fliegen auf / wasser träumt von hasenscharten [1]

Marko Dinic

[1] fragmente /wörtersammlungen: glatzig / brodem / gekröse / sekretieren / karzinös / virulent kaskade / unrat / salpeter / vomieren / gedanken zu blumenberg: die reziprozität des widerstands und der daseinssteigerung / wie sah ich wohl als kind aus / schlachthaustheater / die bearbeitungen / next three days / fürs manuskript: überall ist nichts zu sehen / was soll das nun bedeuten?

 


freiTEXT | Marina Büttner

Welt am Ende

Die Welt fährt in großen Panzern
davon, die Luft wird dünn
Heckenschützen zielen stumm
Nägel mit Köpfen fliegen herum.

Ein Schrei, ein Kind fällt entzwei,
tosende Stille, betäubender Lärm
keine Gesichter mehr zu erkennen,
Ochs und Esel im Stall brennen.

Am Himmel ein dunkles Rauschen
stotternde Salven, Menschen wie
Dominosteine, zersiebte Gemäuer
heraus ragen blutrote Beine. 

Fernab treffen Waffenwünsche ein,
rasch produziert, abgestimmt
von hohem Hause, wer
mit welcher wen masakriert.

Marina Büttner

freiTEXT ist wöchentliche Kurzprosa. Freitags gibts freiTEXT.
Du hast auch einen freiTEXT für uns? schreib@mosaikzeitschrift.at

<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>