freiTEXT | Sylvia Hubele

Der Einzelhändler

Jetzt weiß ich, warum der Einzelhändler so heißt: Nicht etwa, weil er mit einzelnen Sachen handelt, mit Glühbirnen und Schokoriegeln, mit Hämmern und Streichhölzern. Nein, er steht mutter- und vaterseelenallein in seinem Laden. Er räumt und kramt in den Regalen, sortiert Suppentüten, pinselt den nicht vorhandenen Staub von sorgfältig sortierten Schrauben. Er ist allein. Einzeln und in Einzelhaft. Der Einzelhändler steht in seinem Laden einzeln herum, döst im Halbdämmer vor sich hin, träumt von reger Nachfrage und sammelt in den langen Pausen die Kraft und Energie, die er braucht, wenn er mal nicht alleine ist.

Auf der Straße gehen hin und wieder Menschen vorbei, doch kaum jemand dreht den Kopf und sieht auf die Pyramide von Suppendosen und das Aquarium, in dem zwei Guppys Verstecken zwischen den Wasseralgen spielen. Der kundige Einzelhändler wartet geduldig im hintersten, im dunkelsten Eck seines Ladens, wie die Spinne - versteckt im Astloch am Rande ihres Netzes. Er schaut nicht auf die Straße, sondern poliert die Messingstangen, an denen er mit Ösen aus handgebogenem Draht die bunten Topflappen hübsch drapiert hat. Er wartet. Er hat Zeit.

Der Einzelhändler beobachtet gerne, wie sich der Mensch langsam in einen kaufenden - und vor allem auch zahlenden Kunden verwandelt. Die Wandlung geschieht Schritt für Schritt, und der kundige Einzelhändler weiß, dass er diese Metamorphose nicht stören oder gar zu früh unterbrechen darf.

Denn manchmal geht ein Mensch erst zügigen Schrittes vorbei, zögert dann, verhält, schaut in das Schaufenster und auf das Schild an der Ladentür, legt die Hand auf die Klinke und erst nach einer Weile drückt er die Tür auf. Die meisten Menschen zögern, solange sie noch die Hand auf der Türklinke halten, und lassen diese nur ungern los. Wenn sich die Ladentür mit einem satten Schmatzen hinter ihnen schließt, zucken sie zusammen, als wären sie jetzt gefangen.

Doch der Einzelhändler bewegt sich keineswegs, um seinen künftigen Kunden standesgemäß zu empfangen. Er weiß genau, dass er um keinen Preis die Verwandlung stören darf, bevor sie vollständig ist. Nimmt also der Mensch, der so zögernd in den Laden kam und die Tür so widerstrebend losließ, endlich etwas in die Hand, die geöffnete Packung Aspirin etwa, deren Inhalt hier auch tablettenweise verkauft wird, so beginnt die langsame Metamorphose des Menschen in einen Kunden. Dann erschrickt dieser nicht mehr bei der Frage: "Kann ich etwas für Sie tun?" oder verlässt gar fluchtartig den Laden.

Am besten ist es allerdings, wenn der künftige Käufer etwas sucht, was er nicht sofort selbst findet. Hier ist ihm der Einzelhändler außerordentlich beflissentlich behilflich, kramt selbst in seinen Regalen, schiebt die Brille erst hoch in die Haare, dann nach vorne auf die Nase. Er murmelt leise vor sich hin und holt hier und da interessante Schachteln und Dinge aus Schubladen und Ecken. Jedes Teil wird dem Kunden ausführlich vorgeführt, während dieser von einem Fuß auf den anderen tritt und hofft, dass der Einzelhändler doch bald fündig werden möge. Manchmal allerdings muss der Einzelhändler nach langer Suche aufgeben, weil die erwünschte Ware partout nicht aus ihrer Ecke kommen und sich zeigen möchte. Dann geht der Kunde, ob mit gesuchter Schraube oder ohne gewünschten Haken.

Nach dieser Anstrengung öffnet der Einzelhändler eine abgegriffene Pappdose mit Aluminiumdeckel und streut den beiden Fischen zwei einzelne Flöckchen Fischfutter in das Aquarium, bevor er sich selbst einen Schokoriegel greift und mit dem sechsten Schlag vom nahe gelegenen Kirchturm den Laden von außen mit seinem großen Schlüssel absperrt.

 

Sylvia Hubele

bereits erschienen in: Himmelsstürmerinnen 2, (Prosa, Lyrik und mehr, 2008)

 

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freiVERS | Caroline Danneil

im liegen im bett zum beispiel

sind schwäne in zimmerdecke eingegraben & ein fleck wär
ein stück herausgefall’nes brot; schimmelgrau

erinnerung 1
der ruf des eichelhähers, sein kreischen, wie das einer ente
schon verwischt, vorbei

erinnerung 2
sich kräuselnde schatten gelblich & schwarz
– sommer, später nachmittag, auslaufende zeit –
schatten die substanzlos springen wie
berührungen seltener geworden sind & herumspringender,
ungerichteter, indirekter –

von wänden übermitteltes wissen
ich muss meine hand bloß auflegen
kühlen auf zeichen warten

schwäne & brotstücke & vergangene, ausgegangene
berührungen, auf dem weg zu mir gingen sie jemandem vor meinen
augen aus

von wänden übermittelt
was sperrte ich mich auch anfangs so
gegen sie ein.

 

Caroline Danneil

 

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freiTEXT | Markus Anton

daphne oder alle herrscher sterbender welten

ne bessere frau nen besseren job ein schnelleres motorrad längere kürzere hellere dunklere haare besser leben nachhaltiger leben und scheiß auf nachfolgende generationen ein haus mindestens ne villa ein schloss eine insel der mond oder alle anderen bemitleidenswerten planeten hiv mit ner scherbe in die brust geritzt krebs in all seinen variationen und alle anderen krankheiten oder infektionen unheilbar heilbar bewegte bilder zu tode gevögelt re run re run größer kleiner mutterficker vatermörder duftwasser verwesungsgeruch sell buy gutes wetter schlechtes wetter artensterben leise laut grau der unendlichkeit die augen aus dem schädel reißen es versuchen das geräusch glühenden tabaks der sich in die unterarme brennt dann ne chesterfield drogen alkohol vergewaltigung einvernehmlich uneigennützig etwas erreichen irgendetwas my life is better than yours und kinderhände mit gebrochenen fingerknöcheln klammern sich an werte nachfolgender generationen nur mittelmaß erzielt durchschlagende erfolge der klang deiner stimme wirst du gefickt der klang deiner stimme fickst du alter egos auf hochglanz poliert samstag nachmittags massensterben staatlich gefördert dehumanise sportveranstaltungen arenen bitte vergessen sie nicht mich positiv zu bewerten hitler ghandi jede bewegung erzeugt ne gegenbewegung vergänglichkeit ist das problem der anderen mehr macht tödlichere waffen mordende krüppel too many puppys die andere wange hinhalten opfer scheißopfer ich

 

Markus Anton

 

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freiVERS | Stéphanie Divaret

Die Liebenden

Abends standen sie, im Winter,
achteten auf Gleichmaß in den Atemstößen,
setzten den Dolch nur etwas tiefer.

Mit jedem Intervall, das sich verkürzte,
stieg eine Spannung in den Sehnen,
dass die Faust sie nicht mehr hielt.

Aus roten Wänden fiel ein frostiger Befehl,
bis einer aufhorchte, dann beide.

Eine Saite riss, schnalzte in ihren Untergang
und wippte nach als Material.

Wie kleine Tiere fielen letzte Töne
aus dem Korpus einer Weite, die es plötzlich
nicht mehr gab. Nur noch

ein paar Kristalle fügten sich in großer Höhe,
zwei Atemlängen,
auf denen irre Schwärze lag.

 

Stéphanie Divaret

 

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freiTEXT | Magdalena Baran

Nichts als Hitzefrei

Aufwachen. Es kommt von innen. Du machst die Augen zu. Noch ein bisschen. Es wird noch gehen. Nein, doch nicht. Du musst es angehen. Jetzt. Augen öffnen. Sonnenstrahlen durch Jalousien. Schatten am Bett und Boden. Wie Gitter. Schlafzimmer weiß, fast steril. Mit Gittern. 07:42. Kindergeschrei vom Hof. Geruch nach Eiern. Frühstück. Nicht für Dich. Du bist allein. Ganz allein. Drehst dich um. Er schläft. Drehst dich fort. Gut, jetzt raus. Stehst auf. Gehst in die Küche. Drehst Kaffeemaschine auf. Räumst Geschirr weg. Machst Kaffee. Räumst Wohnzimmer auf. Trinkst Kaffee. Drehst Notebook an. Trinkst Kaffee. Schreibst Text. Trinkst Kaffee. Die Angst noch da. 09:19. Dir wird heiß. Ganz heiß von innen. Brechreiz vom Kaffee. Kinder schreien weiter. Kein Geruch mehr. Frühstück aus. Wettervorhersage: heute 34 Grad. Heiß. Drinnen und draußen. Wunsch nach Abkühlung. Überall. Drinnen und draußen. Nicht auszuhalten. 09:27. Schaust aus dem Fenster. Klimaanlage wird montiert. Das nutzt auch nichts. Du weißt es. Es nutzt nichts. Machst Tür auf. Nimmst Zeitung. Titel: #Respekt. Uninteressant. Vollkommen lust- und antriebslos mit 33 Jahren. Jeder andere fröhlich und heiter. Karriereziele. Familienplanung. Selbstoptimierung. Für dich völlig sinnlos. Wunsch nach dem Ende. Bis dahin Zeit totschlagen. 09:53. Vielleicht doch Eier. Vielleicht hilft das – eine Eierspeise! …Eier vorzüglich mit Salz und Schnittlauch. Dazu Toast. Zeitung geht auch noch: Die Bereitschaft Lügen zu glauben ist enorm gestiegen. Glaubst du sofort und isst Eier. Geräusche. Er ist aufgewacht. Licht am Klo. Du isst. Und liest: Kein Staatsziel Wirtschaft –„Fataler Fehler“. Klar. Alles klar. War dir schon immer klar. Fehler macht man. Einmal. Zweimal. Dreimal. So schnell kann es gehen. Das ganze Leben verfehlt. Eierspeise aber doch ganz gut. Nur noch ein Bissen übrig. Zeitung schreibt: Auch der Pudel denkt sich was. Zweifellos. So wird es sein. Aus Langweile einen Hund zu kaufen. Das hättest du machen sollen. Diese Chance auch verpasst. 10:33. Spülung. Angst schon weniger. Eier und Zeitung helfen. Er geht zurück ins Schlafzimmer. Du allein im Wohnzimmer. Zeitung lesend, Eier essend. Leben im Wohlstand. Schön. Scheinbar Badewetter. Dann halt an den See. Gehst ins Bad. Duschen. Rasieren. Eincremen. Schminken. Badeanzug im Schlafzimmer. Er schläft nicht. Legst dich dazu. Er berührt dich. Du berührst ihn. Dir wird heiß. Nähe. 11:28. Du starrst an die Decke. Er neben dir. Alles lichtdurchflutet. Jalousien hochgezogen. Angst weg. Was machen wir heute? Baden? Ihr lächelt. Sonnig und heiter haben sie vorausgesagt. Es wird schön werden. Und heiß. Du weißt es.

 

Magdalena Baran

 

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freiVERS | Raoul Eisele

ein Fleischerleben

unter all dem verwesenden Ruhm
grub er sich aus der dunklen Bauernerde
hin zum Leben:
verwurzelt, wuchs er
Blütentrieb um Blütentrieb heran
neben Kälbern auf der Weide
die um ihn grasten
um endend in jenes zu beißen;
beim Schlachten war er erstmals
mit sieben auf der Bank
[man musste ein Mann werden – tränenvergießen ausgeschlossen]
erbarmungslos
dann schickte man ihn in die Lehre
- Fleischer -
traditionsreich war die Dynastie
schon in der fünften Generation
schlachten/ausweiden/zerteilen/verarbeiten/servieren.
Man war in aller Munde
durch ihn versammelte man sich am Tisch
Jung und Alt
alles kam zusammen …

… als man ihn begrub
warf man Speckscheiben
Rosenblätter waren ausverkauft.

 

Raoul Eisele

 

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freiTEXT | Pascal Andernacht

Nebelleuchten

Jeden Tag die selbe Leier. Draußen ziehen die Züge vorbei, gelber Laternenschein, die Fenster von Eis beschlagen und von dem, was ich ihnen nonchalant entgegenblase, es zieht und der Garçon steht am Tresen und tippt mit den Fingern, schaut im Lokal auf und nieder und es ist ja sonst keiner da, wie meist, abends um halb 8, draußen raunt verwaschen die Ansage und er fragt  wieder und eigentlich ist es eine Feststellung, es ist so weit, nicht wahr? Und er dreht sich um, wartet nicht mehr, und geht durch die Tür, sie schwingt noch etwas nach und ich verliere seine Silhouette im Fenster und der Spiegelung. Jetzt ist die Welt eins und bewegungslos, nur ich darin und da draußen, nirgendwo und überall, es ist ein Zwischenspiel, ich warte nur darauf, dass man mir zuruft und jetzt bitte die nächste Szene, und ich würde im Geiste die Seite aufschlagen und gerade just bevor die Souffleuse mich dirigiert ein paar Zeilen aufsagen, passend zu einer unpassenden Situation, und die Welt wäre glücklich.

Es erinnert mich an den Moment, als das Telefon in der Ecke klingelt, und man nicht rangehen will, weil es nur den Augenblick zerstören würde. So sitze ich hier und zerstöre wie eine Nebelleuchte den Augenblick in diesem grellen Neonschein, der sich irgendwo verliert. Ich ziehe die Augenbrauen nach oben und senke sie wieder, und sehe wie mein Körper funktioniert, er ist schön, ihn zu betrachten kann mir Freude bereiten. Ich betrachte ihn, die Mundwinkel, die da hängen, und ich fühle mich nicht im Stande sie näher zu umschmeicheln in ihrer gesamten Art und dabei giert es einen doch danach, umschmeichelt zu werden. Drinnen gehen die Lichter aus und man sieht wie ihr Schein verloren geht, durch die Tür zur Niederwürfigkeit dieser Absteige und ja, werf dich nieder! Du hörst sie lachen. Es sind die Stimmen. Und hinten in der Küche huschen die Schatten. Du schmiegst dich an den Kachelofen, doch er ist kalt, und Onkel Stephan brummt etwas vor sich hin und der Mund steht halb offen und es läuft ihm der Speichel aus dem Maul und spült der Schnaps noch Wunder hervor. Die Vögel pfeifen, da sitzen wir, auf der Terasse, und unten ziehen die Gleise drohend davon, na zeig schon her.

Sie werfen dich raus, nachts um halb 3, man misst in halben Maßen, so wie du ein halber Fuchs, die halbe Brut, und das halbe verkommene Elend bist, und da ist dann doch immer noch die andere Hälfte, sie ist ehrlich und schlau und mit gewissen Reichtümern gesegnet, ob der man dich beneidet. Man sieht dich und deswegen spricht man nur von halben Dingen. Der Schnee fällt nun und es wird ein feuchter Frühling werden, aber jetzt beerdigen wir noch schnell die Gedanken. Man könnte darüber philosophieren, die Abdrücke vor mir verschwinden und hinter mir presse ich sie tief in den Schnee, daheim die Tütensuppe, man riecht sie schon, die Hände greifen um das Behältnis, man giert nach dem Verhältnis, und hat jedes Maß verloren, wenn man sie einfach runterschlürft und es brennt und wohlig zehrt und man spürt, wie es herunterinnt und ganz tief und all die Eingeweide, man müsste sie nicht einmal mehr ausspeien, wie wenn du aufstehst und das Würgen dich packt und du dich daran erfreust, weil Heiterkeit in allem wohnt, und Heimat, da bist du, während die Augen über den Fußboden schaben, das verschrammte Parkett, und da unten der kleine Klecks. Motil, servus und passts auf euch auf, man ist flexibel, man öffnet die Tür, wie man sie schließt und schließt sie wieder hinter sich, die Heizung ist aus, aber trotzdem umgreift einen schon die Vorahnung. Ich werfe die Schuh zur Seite, auf dass sie auch dort eine Lache bilden, morgen ists dann auch fortgeblasen, aber da stehts als sich wandelndes Standbild.

Der Anrufbeantworter blinkt fröhlich, die kleine Laterne, willst du auch Aufmerksamkeit erhaschen, und wie oft könnte man hier im Dunkeln sitzen und einfach nur durch die Jalousie auf die Straße schauen und den Stimmen lauschen, die dort aufgenommen säuseln. Aber am liebsten sinds dann doch die, die gerade jene Worte sich ersinnen, und da stottern und sich räuspern und nicht genau wissen, ob da einer lauscht, und sprechens und da raubt man ihnen alles, die Seele aufs Tape gebannt, die Kasetten legt man in den Schrank und dann sind sie dein. Wie klingt der Mensch? Wie marodiert er denn in allen seinen Facetten, dass der Lärm alles niederschreit. So sanft und engelsgleich, das sehnt mich ewiglich, man schlägt das Skript auf und liest “engelsgleich”, doch wie klingt dieser Engel? Das Tippen des Garçon, des Ewiglichen, und Klick, da rauschts am Band, des Windes Zug auf den Gleisen, und Klick, da rauschts am Band, und die Augen rauschen mit, links und rechts und der Nystagmus, es ist fast ganz normal, so zu empfinden, das wohlfeile Sinken und Verdingen eines jeden Meters im tiefen Schnee, das keifernde Bersten der Eiskristalle, und Klick, da rauschts, und dann blinkt und piept der Apparat und auf stumm willst du es schalten, weil es dir weh tut und es dich erschrickt, das Unerwartete zu hören, und wieder diese Fremdheit in der Stimme und es rauscht am Band und Klick, du nimmst es raus und der Stift liegt daneben, du malst mit den Fasern die beneidenswerten Symbole darauf und schiebst es direkt zu den anderen, und Klick, das Rauschen im Bad, das Perlen, das du hörst, und liegst im Bett und wenn du die Äuglein schließt, siehst du die Worte sich formulieren und du siehst sie erklingen, du hörst sie, glubschtst da vor dich hin wie ein Frosch, um es herauszukröten, und die Stimme kratzt und würgst und der tosende Applaus, weil, alle haben sie dich lieb, da draußen, auf der großen Bühne, da sagts einer noch, keiner hät den Verstand dazu, und man nähert sich der halber Achte und du stehst schon da, die Hand auf der Tür der Kaschemme und du weißt, das ist deine größte Rolle. Die Gestik funktioniert und du bist auch schon wieder da und das Lächeln huscht dir über die Lippen, das abgrundtiefe, schau her, sag ich, schau nur her.

 

Pascal Andernacht

 

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freiVERS | Luca Manuel Kieser

aus dem Heu

im Mai wirds erste Mal geheut
sie häufens Heu zu Haufen auf
komm lass uns Vögel also in die Wiesen

lass uns den jungen Schreckens Heu stibitzen
die sitzen eh darin und springen raus

sobald sich etwas regt springens
sobald ein Heuhalm sich bewegt
springen sie auf
hocken in Heu
schrecken aus Heu
Hexen

komm lass uns lieber Nester baun daraus

 

Luca Manuel Kieser

 

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freiTEXT | Marlene Gölz

Arbeitsdienst

Aspern/NÖ, 1942

Ich war 18. Eine trostlose Gegend. Rundherum: gar nichts. Das Lager, ok, da muss ich durch, dachte ich. Die Leiterin hat  zu mir gesagt: Du, da ist ein Ehepaar, Bauern, die haben gerade eine Tochter verloren. Das wär was für dich. Da schick ich dich hin. Na servus, dachte ich. Gut, ich hab meine Sachen gepackt und bin hin. Auf dem Hof: Nichts. Nichts zu sehen, nichts zu hören. Ich hab geklopft, keine Reaktion. Dann bin ich ins Haus, bin in die Küche. Niemand da. Von der Küche die nächste Tür, stand ich schon im Stall, direkt daneben. Die Kühe von hinten. Dann hör ich ein Klopfen. Ganz regelmäßig. Es kam vom Hof. In der Tür war ein kleiner Spalt, da hab ich durchgeschaut. Stand da ein Mann, mitten im Hof, und hackte Holz. Das wird der Knecht sein, dachte ich und bin hin zu ihm. Grias di, sagte ich. Bist du der Knecht? Na i bin da Bau´, sagte er und ich dachte: Das fängt ja gut an. Er hat mir gleich aufgetragen, ich sollte den Hof kehren, und den Stall. Sauber aber, sagte er, sauber müsste ich das machen. Ich sags dir, ich hab den Stall geputzt und gewischt, dass die Kühe ausgerutscht sind, so sauber.

Einmal musste ich auf dem Feld Disteln stechen, den ganzen Tag. Nicht mit einem Spaten, sondern mit dem Taschenmesser. Bei brennender Hitze. Ich konnte nicht genug arbeiten bei denen. Am Abend schimpfte mich die Lagerleitung, weil ich zu spät heimgekommen bin. Du musst schon pünktlich sein, hörst du? sagten sie. Aber ich hatte keine Uhr, wir durften keine Armbanduhr tragen bei der Arbeit. Da hat die Bäuerin eine Küchenuhr gekauft, mit aufs Feld genommen und in die Ackerfurche gesteckt. Aber weißt du was? Da konnte sie nicht ticken, die Uhr, in der Furche. Bin ich wieder zu spät gekommen. Das war was. Bald war ich die Einzige, die eine Armbanduhr tragen durfte. Waren keine guten Leut, dieses Ehepaar. Und mir hat gegraust, beim Essen. In der Küche sind die Hühner herumgerannt und zu Mittag stand ein großer Topf in der Mitte, alle haben draus gegessen. Und wenn sie fertig waren, haben sie den Löffel noch mal ordentlich abgeschleckt und ihn zurück in die Schublade gelegt. Ich hab mir aus dem Lager meinen eigenen Löffel mitgenommen, eingewickelt in ein Geschirrtuch, jeden Tag.

Irgendwann kam ein Bauer vom Nachbarort ins Lager, der sagte: Wir brauchen dringend eine, aber eine die sich nicht vor Tieren fürchtet. Das ist meine Chance, dachte ich und hab mich gemeldet, obwohl ich ja kaum Erfahrung hatte. Da bin ich dann hingekommen, zu den nächsten Bauern. Liebe Leut. Bei denen konnte ich bleiben. Haben einen Korb mitgenommen aufs Feld, eine Jause und was zu trinken. Und das mit den Tieren, das hab ich ganz gut hingekriegt. Hat sich sogar herumgesprochen. Einmal musste ich ein Kalb zu einem anderen Bauern treiben, quer durch den Ort. Mitten auf dem Marktplatz ist es stehen geblieben, es wollte partout nicht weitergehen. Es ist ja nicht so leicht, die gehen ja nicht immer wenn sie sollen. Ja was mach ich jetzt, sagte ich mir. Da stand ich, links den Strick, rechts einen Stock. Aber ich kann das Kalb ja nicht schlagen, dachte ich. Dann ist mir eingefallen, was sie immer gesagt haben: Wenn eine Kuh nicht gehen will, einfach den Schweif raufdrehen. Na das hab ich gemacht. Du, das Viech hat einen Satz getan, mir ist ganz anders geworden. Der Strick hat sich immer enger um mein Handgelenk gezogen und irgendwann war der Strick halt aus. Und da hab ich Hilfe gerufen weil ich es nimma halten konnte. Dann sind zwei Männer gekommen, die haben mich gehört, und begleitet.

Bald ist ein anderer zum Hof, der hat nach mir gefragt. Du kannst doch mit Tieren, sagte er. Da ist eine Kuh, die will nicht in den Wagon, Schlachttransport, wir brauchen Leut. Bin ich halt mit. Als ich den Stall betreten hab, stand da keine Kuh sondern ein Riesenstier mit Scheuklappen. Mir ist ganz anders geworden. Ich eh so klein, stand ich da, mit meinen Zöpfen, und sollte den Stier dazu bringen mitzugehen. Da hab ich einfach zu reden begonnen. Damit er sich an meine Stimme gewöhnt. Hab ihm irgendwas erzählt, und bin dann langsam immer nähergekommen. Und als ich dann vor ihm stand, hab ich ihm vorsichtig die Hand auf die Stirn gelegt, ihn gestreichelt und immer weitergeredet dabei. Und dann ist er mitgegangen mit mir. Bis zum Wagon. Bei dem Ehepaar bin ich geblieben, bis zum Schluss. Die waren gut zu mir.

Viele Jahre später, ich war längst verheiratet und meine zwei Buben erwachsen, war ich mit meinem Mann mal in dieser Gegend. Du, wenn wir schon da sind, sagte ich zu ihm, schaun wir doch, ob das Lager noch steht. Das Lager stand nicht mehr. Aber den Bauernhof haben wir gefunden. Ich bin ausgestiegen aus dem Auto, mein Mann ist sitzengeblieben, bin zur Tür und hab geklopft.

Bist du der Bauer hier?, hab ich gefragt.

Und er: Ja, der bin ich.

Kennst mi nu?

Freilich, hat er gesagt, du bist die Öfried.

Er hat immer Öfried gesagt zu mir, nicht Elfriede.

Deaf i einakuma?

Kum eina, hat er gesagt.

Wir haben uns so gefreut, uns zu sehen. Er war lieb. Aber es war auch traurig, weil es war so armselig in der Stube. Seine Frau hat ihn verlassen und alles mitgenommen. Die hat ihn ruiniert, die hat ihm alles genommen. Sein Selbstvertrauen, weißt du. Wir haben uns die Hand gehalten, der Bauer und ich. Und irgendwann kein Wort mehr geredet. Nach einer Weile bin ich aufgestanden, zurück zum Auto, zu meinem Mann.

 

Marlene Gölz

 

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freiVERS | Andreas Hippert

Analogie

Eingerollt
die Ringelnatter
reglos
in der Stille
des Sandsteinbruchs.

Vibrierend
die Mücke im Genick
den Bohrer ins
Schuppensediment
treibend.

Aufsteigend
hinter der Natter
die Abbruchkante
eine rohe Wunde
im Berg.

Andreas Hippert

 

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