19 | Alisha Gamisch

advent ende zwanzig

die großen generationen sterben ab
sie lassen ihre haut zurück und ein zwei sprengkörper unter häusern
fernnah gesehen die angst
in den augen der opas wie viel prozent
hungerleuchten disziplin hörigkeit? die oberen die oberen
eben und uns ist auch so viel leid geschehen der apfelstrudel im starnberger
haus des großtantenmannes
die russn die tschechn die säue
stolpern durch albwörter
winden durch entwurzelte ausreden
ja aber wir hatten nie ein zu hause so wie du

nemez haben sie mich genannt sagt ein opa
und russ haben sie mich auch genannt

wenn zwei opas sich als jugendliche begegnet wären
hätten sie sich erschossen oder einen schnaps getrunken?
die zeit sie dehnt sich durch gene hindurch sie blättert von der wand
legt hände drauf
ein opa in einem anderen haus
zitiert ein gedicht von kästner
ohne fehler – fehler? er kann sich nicht mehr erinnern
auch erzählen geht noch aber
ohne bezug zum heute oder morgen
keine frage kommt ihm in den sinn
verschoben das gefühl im jetzt zu sein

 

Alisha Gamisch

 

Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen:

advent.mosaikzeitschrift.at

mosaik25 – Eisvogelkarosserien

mosaik25 – Eisvogelkarosserien

Intro

Würde uns jemand vermissen?

Das Damoklesschwert, das aktuell über vielen Institutionen der freien Kunstszene in Österreich hängt, ist eigentlich ein Säbel. Unsicherheiten bezüglich der finanziellen Grundlage aufgrund des Regierungswechsels sind allgegenwärtig. Die Angst greift wieder um sich.

Und das mosaik? Es ist kein Geheimnis, dass eine kostenlose Zeitschrift, Lesungen, Bücher und noch vieles mehr nur mit Geld aus der öffentlichen Hand finanzierbar sind. Zwei Fragen drängen sich auf: Müssen wir Angst haben? Und: Wie sollen wir uns positionieren?

„zittere nicht fürchte dich nicht“ (Kinga Tóth, S. 42)

Zunächst: Wir bewundern mutige Schritte wie beispielsweise den von Kabeljau und Dorsch, mal eine Saison auszusetzen, wenn das Geld fehlt; wir beobachten besorgt die finanziellen Schwierigkeiten von anderen Projekten, aktuell etwa bei Fixpoetry. Dennoch arbeiten und planen wir weiter, denn euer Interesse an unserer Arbeit schärft unsere Blicke und motiviert uns, tagtäglich nach vorne zu schauen, wenn es um spannende neue Stimmen in der Literatur- und Kulturszene geht.

Das mosaik ist unpolitisch. Das war lange Zeit unsere Prämisse. Irgendwo in der Ferne hallen noch die letzten Worte der Politolog*innen nach – „Alles ist Politik!“ –, aber wir wollten uns bewusst nie positionieren. Wenn dies Autor*innen oder Redakteur*innen von uns tun, soll es uns Recht sein, das Projekt allerdings hat keine politische Position. Immer öfter allerdings die Fragen: „Stimmt das überhaupt noch?“ und: „Kann/darf man heute keine Position haben?“

„Wir Dichter sind Lügner, – ja, aber wir gebens offen zu. Trotz gegen die Kälte.“ (Gespräch Piekar-Roth, S. 58)

„Warum Kunst?“, fragt Veronika Atzwanger vor ihrer Kunststrecke und findet ihre persönliche Antwort, die sich jede*r wahrscheinlich irgendwann zurechtgelegt hat oder zurechtlegen muss. Und unabhängig von der politischen Großwetterlage, dem Kontostand oder der Windrichtung, die einen trägt oder bremst: Diese subjektive, universelle Antwort funktioniert immer. Immer wieder aber auch: „Warum mosaik?“ Und obwohl wir die Antwort zu kennen glauben, die Unsicherheit bleibt: Gibt es Erschütterungen, die diese Antwort nichtig machen würden? Sind wir durch die politische Nicht-Positionierung austauschbar? Würde uns jemand vermissen?

Inhalt

Alle graben Gräber

  • Enno Ahrens: Die Winter
  • Holger Dauer: Vielleicht eine Erinnerung
  • Sascha Preiß: Vor der Irrfahrt
  • Philipp Böhm: Unter dem Strand
  • Nicola Quass: es ist nicht winter
  • Marlies Blauth: Illustration

Hilflose Menschlein

  • Felix Ebert: Anleitung zum langsamen Tod
  • Lasse Jürgensen: Bulgarorszag
  • Caren Jeß: Und im Hintergrund der kleine Danny (6) küsst sein Spiegelbild
  • Lisa Krusche: Alpen I
  • Alisha Gamisch: Ein Ort außerhalb allem
  • Marlies Blauth: fünfminutenheimat
  • Marlies Blauth: Illustration

Ungefragt aufgelöst

  • Valentin Feneberg: murxen, knarzen, tremolieren
  • Philipp Kampa: An das Wippen der dürren Äste im Wind
  • Anne Bünning: live your dream abgekratzt
  • Jonathan Perry: Warnung vor der Pielach
  • Barbara Rieger: nicht ich – ich nicht
Kunststrecke von
BABEL – Übersetzungen
  • Kinga Tóth: huszonhetedik ének/Lied siebenundzwanzig, negyvenharmadik ének/Lied dreiundvierzig (Ungarisch & Deutsch)
  • Caca Savic: Ohne Titel/Senza Titolo (ins Italienische von Nicoletta Grillo)
  • Maddalena Vaglio TanetIl lago di Lindow/Der See bei Lidow (Aus dem Italienischen von Tobias Roth)
  • Nicoletta Grillo: Feierabend (Aus dem Italienischen von Tobias Roth
  • Jānis ElsbergsRīta kafija/Morgenkaffee (Aus dem Lettischen von Patricius d’Suicidius)
Kolumnen
  • Peter.W. – Krieg und Möbel, Hanuschplatz #13
  • Marko Dinic – Jugolokale, Lehengrad #4
Buchbesprechung
  • Lisa-Viktoria Niederberger – . Rezension Simone Hirth – Bananama (Kremayr & Scheriau)
Interview
  • „Man kann die Schönheit nicht den Krämern überlassen.“ – Gespräch Tobias Roth & Martin Piekar
Kreativraum mit Mario Osterland

freiTEXT | Alisha Gamisch

Kurz davor

Ich hab mich mal umgeguckt, ich glaube, wir sitzen am Rande einer Eingebung und bleiben da sitzen. Es ist extrem wichtig, dass wir weiterkommen, das weiss ich schon, aber es fühlt sich an, als ob wir sitzen, die ganze Zeit sitzen, dass da nichts passiert. Das hab ich mich gestern auch schon gefragt, wie wir hier alle sitzen können und doch auf nichts kommen. Der Versammlungsraum ist echt schön, haben sie diesmal gut ausgesucht, ganz alt und so, ich finde auch diese Bauxästhetik richtig schön, alles ein bisschen heruntergekommen, da klingt es drin wie frisches Heu. Nur die Luft ist nicht gut, mittlerweile richtig stickig hier drin. Ich drehe mich mal eben unauffällig auf die Seite und schaue, was meine Nachbarin, ich glaube sie heißt Amil, da macht. Sie schaut total aufmerksam und bewegt sich keinen Milimeter, ich glaube, sie blinzelt nicht mal. Sie hat so ein perfektes, nicht zu schickes Hemd an, das gleichzeitig intellektuell wirkt, so was imponiert mir immer, weil ich Kleidung selbst nie so drapiert bekomme, dass ich ausstrahle, wie ich nach außen wirken möchte. Amil sitzt da auf jeden Fall ziemlich selbstsicher in ihrem Hemd, das bestimmt genau das ausdrückt, was sie ausdrücken will und ich glaube, sie hat sich jedes Wort gemerkt, das gesagt wurde, sie hat ihren einen schlanken Fuß lässig auf ihrem anderen Knie abgelegt, zumindest sieht es lässig aus, und schreibt jetzt was in ihr Notitzbuch. Ich hab gar nichts mitbekommen. Die Sprecherin hat etwas von Aktionsbündnis geredet, das hab ich aus dem Augenwinkel gehört, aber ich weiss überhaupt nicht mit welchen Leuten oder hat sie vielleicht eine verbündete Gruppierung gefunden?  Ich versuche zu lesen, was auf Amils Notizblock steht, ist aber viel zu klein. Neben mir, auf der anderen Seite sitzt Lenn, sie kann gar nicht mehr, glaube ich, ganz anders als Amil ist die. Sie hat ganz dunkle Augenringe die sind fast so tief wie der Graben, der sich zwischen mir und meinen Freundxn aufgetan hat seit ich hier beigetreten bin. Ich weiss, dass das hier anonym sein soll, dass das ganz geheim ist, aber meine Freundx haben trotzdem was gemerkt, ich glaube, sie wissen nicht ganz was genau hier läuft, aber sie sind auf jeden Fall nah dran. Lenn reibt sich die Augen und legt ihren Kopf nach hinten auf die Lehne ab, ihre Augen sind zu, ich stubse sie kurz an, damit sie aufwacht, aber nichts geschieht, ich glaube sie schnarcht leise. Okay, wir sitzen einfach schon zu lange hier. Ich melde mich jetzt. Die Sprecherin nickt mir zu. Ich frage, Wex ist für eine Pause? Die Runde sieht mich erstaunt an. Ich kann an ihren Gesichtern ablesen, dass ich nicht die einzige bin, die sich das schon lange wünscht. Aber Markus, eine vom Kommitee, räuspert sich kurz und lässt die Runde ruhig werden. Wir sind gerade doch bei so einem wichtigen Punkt, sagt sie, ich habe das Gefühl, dass wir kurz vor einer Lösung sind. Wenn wir jetzt in die Pause gehen, dann war alles umsonst. Ricky, die wie Markus zum Kommitee gehört, nickt zustimmend. Dann nicken noch ein paar andere. Ich hab schon sowas geahnt, aber es ärgert mich trotzdem, dass auf mich hier nie gehört wird. Sollen wir abstimmen? fragt Ricky in meine Richtung, aber ich schüttele den Kopf. Ist schon gut. Dann schlafen eben alle hier ein und können ihre Gedanken nicht sammeln und wir bleiben noch die ganze Nacht wach, wenn die meinen. Aber ich sage nichts, ich habe hier eh schon so einen Status, dass ich zu  wenig engagiert bin. Da sagt Amil auf einmal ziemlich laut in die Runde: Also ich finde, dass sie recht hat, wir kommen so zu nichts, die letzten zwei Stunden drehen wir uns im Kreis, sind kurz davor, und dann drehen wir uns wieder im Kreis. Meiner Meinung nach sollten wir einen Locationwechsel in Erwägung ziehen, das kann sich positiv auf das Denkvermögen auswirken. Stille - ich bin richtig erschrocken - alle schaun auf mich und Amil. Und zwischen uns hin und her. Na gut, also ist doch mal jemand auf meiner Seite. Ricky sagt was, die Köpfe drehn sich dominoartig einer nach dem anderen von uns weg, zu ihr hin. Ricky sagt, dass es okay ist. Dass wir nach draußen gehen, dort machen wir zwar keine Pause, aber weiter und zwar im Stehen. Das hilft uns bestimmt auf die Sprünge. Ich schaue Amil an, die gar nicht in meine Richtung schaut, aber ich bin richtig froh, dass ich eine Pause vorgeschlagen habe, und alle sich nicht getraut haben mir zuzustimmen, nur Amil. Ich schüttele Lenn so lange bis sie aufwacht. Alle sind etwas unbeholfen auf den Beinen, nicht nur Lenn. Wir gehen nach einander raus unter so einen Sternenhimmel, den haben wir alle nicht erwartet, jede starrt total perplex nach oben und guckt die Sterne an, ich rieche, wie sie da oben milliardenfach strahlen. Die Luft ist klar schneidend, ich meine, das hätten wir erwarten können. Aber was wir auch nicht gemerkt haben ist, dass wir uns in unseren Kreis positioniert haben, ich sehe das erst, als ich meine Nase von den Sternen wegreissen kann. Jede steht so, dass sie genau zwischen denen steht, neben denen sie auch gesessen hat. Die Sprecherin ist plötzlich sofort wieder am Reden, ich finde das passt jetzt gar nicht zu dem Moment. Da denke ich nochmal dran wie wir so an der Eingebung gesessen haben und wie das da drinnen war und die kalte Luft strömt durch mich durch. Und da hab ichs, da hab ich plötzlich den Rand übersprungen, ich weiss es jetzt. Das ist vielleicht ein tolles Gefühl, dass ich als erste da drauf gekommen bin. Ich sage es jetzt gleich den Anderen. Noch kurz auskosten. Gleich sag ichs. Ich habs! ruft da Markus mit ihrer tiefen Stimme gegenüber von mir. Ich habs auch! ruft Lenn. Ich auch! ruft Ricky ungläubig. Da rufen es alle nacheinander. Ich finde das extrem ungerecht. Amil sagt nichts, wie ich, guckt mich kurz an und schaut dann wieder hoch zu den Sternen.

Alisha Gamish

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