freiVERS | Sara Maurer

du und ich in wien im advent.

 

Eines trüben morgens,

die vorhänge waren noch geschlossen

und das zimmer dämmrig kalt,

setzte ich mich ruckartig im bett auf,

denn mir war eingefallen,

dass ich eine woche zuvor

zwanzig euro am theaterparkettboden gefunden hatte

und das bedeutete nämlich,

dass ich umsonst die ganze letzte woche schlecht gelaunt

auf der suche nach einem bankomaten gewesen war

denn in den kleinen cafés,

in die ich vorgehabt hatte zu gehen,

konnte man ausschließlich mit bargeld bezahlen.

da es dort aber keinen bankomaten gab,

bekam ich auch keinen kaffee

von einem kleinen café.

 

Ich setzte mich also ruckartig mit diesem gedanken auf,

schüttelte den üblichen morgenschwindel ab

und ich sagte zu dir,

denn du bist aufgewacht, weil ich mich so ruckartig aufgesetzt hatte:

„heute morgen bin ich aufgewacht und hatte kein blut mehr im gesicht.“

und du hast mich angeschaut,

mit deinen noch halb geschlossenen schläfrigen augen,

dein ohr in den polster gerdrückt und "was?" gemurmelt,

und ich darauf

"ach nichts"

und du

"mhm",

das war so schön.

Dann hast du dich langsam angezogen

und ich hab dir zugesehen,

es ist ein nasser tag gewesen,

denn es hatte den ganzen morgen geregnet,

und bist an der haltestelle vor dem kindergarten,

an der du dich immer über die kindergruppen ärgerst,

in den bus gestiegen und von zuhause weggefahren.

 

Der bus stand im stau,

wegen des regens,

aber auch wegen der leute,

und da stiegen zwei vom alter gekrümmte frauen mit krücken zu.

die verabschiedeten sich dann lange voneinander,

sie sahen sich sonst nämlich nie

und das war sehr schade,

aber vielleicht würde man sich ja bald mal

auf einen kaffee

in einem kleinen café treffen

und die eine musste zwei die andere drei stationen fahren.

 

Als der bus dann aber kurz geführt wurde

und sie beide an derselben station aussteigen mussten,

gab es nichts mehr zu sagen

über die enkel oder das wetter

und man hatte sich ja auch schon

verabschiedet und wieder verabredet,

also bist du mit ihnen in ihrer peinlichen stille gestanden.

 

Ich aber bin dagegblieben

und habe versucht mich so zu wundern,

wie du dich immer über mich gewundert hast,

wenn ich gesagt habe,

dass ich irgendwie das gefühl habe,

dass die halben stunden zwischen dreiviertel und viertel

viel schneller vergehen,

als die zwischen punkt und halb,

wenn ich so am küchenfenster sitze,

den rest deines kalten und viel zu starken kaffees trinke,

rauche und darauf warte, dass der regen schwächer wird

oder die nachbarskatze sich blicken lässt

und die Minuten zwischen dreiviertel acht und viertel neun zähle.

 

Ich rauche eigentlich immer,

wenn du nicht da bist,

so wie der vater immer trinkt,

wenn meine mutter geht,

weil ich dann daran denken muss,

dass du das hasst

und ich es mag,

wenn du sagst,

dass du das hasst.

 

Und wenn der regen

dann fast ganz aufgehört hat

und die sonne durch die wolkendecke bricht,

gehe ich vielleicht zum museumsquartier

und warte und schaue den gestressten menschen zu

dort, wo kleine blaue schafe

oder food trucks

oder ziehharmonika spielende pferde

unter der weihnachtsbeleuchtung stehen.

 

Und wenn eine halbe stunde zwischen elf und halbzwölf vergangen ist,

treffe ich im museumsquartier vielleicht eine frau,

die mir sagt,

während sie ihren terminkalender wieder einsteckt,

dass sie das jetzt schon etwas nervt,

oder so,

wenn ICH das gerne SO machen möchte,

also wenn ich das so machen will,

dann kann ich das gerne so machen,

sie findet das jetzt auch nicht schlecht oder so,

aber sie weiß auch nicht,

ob sie MIR das falsch kommuniziert hat,

denn sie dachte schon,

dass wir das JETZT alles zusammen ausmachen.

Aber wenn ICH das jetzt lieber nicht ausmachen will,

dann ist das natürlich auch voll ok und passt voll für sie.

 

Und zu der barista,

die in dem starbucks,

in den die frau gerne gehen wollte,

weil sie heute noch garkeinen kaffee getrunken hat

und ihr morgen dann immer ganz schrecklich ist,

lattés ausgibt,

sagt sie dann,

nachdem sie ihren kaffee nach dem ersten schluck angewidert abgestellt

und dann auch zurückgebracht hat,

vielleicht so etwas wie,

dass es ja auch nicht so schwierig sein kann,

SOJAmilch

in einen kaffee latte mit

SOJAmilch

zu geben

auch wenn sie keine unverträglichkeit hat,

man sollte sich mal vorstellen,

sie hätte eine,

aber milch sei einfach so ekelhaft,

weil sie so einen grauslichen geschmack im mund macht

und weil sie früher oft am bauernhof gewesen sind

dann denkt sie sofort

wenn sie die milch nur riecht,

schon an die kuh

und den stall

und das ist ekelhaft.

 

Und ich nicke recht viel

und sage „mhm, mhm“

und starre der barista später,

während sie eine neue latte macht,

die ich für die frau holen gehe,

auf die lippen weshalb sie,

unangenehm berührt,

unter der theke mit den füßen

zur last christmas dauerschleife

zu wippen beginnt.

 

Und wenn ich den neuen kaffee

dann zu dem tisch,

an dem die frau wartet, bringe,

entschuldigt sie sich

für ihren kurzweiligen ausbruch,

das ist nämlich sonst so garnicht ihre art

und ich schüttle meinen kopf

und sage so etwas wie

“nein, bitte, das ist total lebensecht”

und die frau sagt nichts

und starrt für einen augenblick durch mich hindurch

während sie am kaffeetassenrand der sojalatte nippt,

und entscheidet sich wohl

dass das keine beleidigung war.

atmet laut aus und sagt

„ach du”.

es ist nämlich nicht so leicht mit mir,

denn ich bin wie meine mutter.

 

Wenn die frau die tasse abstellt

und einen moment lang dem kaffehaustreiben zusieht

greife ich in meinen rucksack

schiebe ein kleines packet über den tisch

und sage so etwas wie:

„grüße von der mama“

und die frau beißt die zähne zusammen und murmelt:

„oh wie lieb das wäre doch gar nicht notwendig gewesen, das hätte ja gar nicht sein müssen, da werd ich ihr gleich eine SMS schreiben.“

 

Dann bin ich durch die stadt losgelaufen,

ich weiß nicht mehr wohin,

bis es dunkel war und ich verloren gegangen bin,

irgendwo in den übergängen wiens,

in denen es nach pferdepisse

und manchmal auch nur nach pisse riecht

und den donauwalzer spielt.

 

Und du bist am abend

mit dem bus zurückgefahren,

aber der bus musste eingezogen werden,

weil ein alter wiener,

der aus weihnachtsvorfreude

auf ein fest mit der ganzen familie

besonders gut gelaunt war,

zuerst lautstark

"hearst, mach die tür auf, du komiker!”

richtung busfahrer schrie

und dann auch

als dieser keine anstände machte

die tür während der fahrt für den mann zu öffnen

auch auf diese eintrat bis sie kaputt war

und der fahrer alle aussteigen ließ.

 

Im ersatzbus wolltest du

dann an der haltestelle vor dem kindergarten aussteigen,

hattest aber aus versehen

eine station zu früh auf den aussteigeknopf gedrückt

und musstest jetzt überlegen,

ob du auch eine station früher aussteigen sollst,

und den rest zu fuß gehen,

weil die tür sonst ja für niemanden aufgehen würde

und der bus vielleicht umsonst stehengeblieben wäre,

und dir das vor den anderen leuten unangenehm ist.

aber ein alter mann ist aufgestanden und ausgestiegen

und du hast aufgeatmet.

 

Und als ich wieder zuhause war,

habe ich eine kerze auf dem

schon im letzten jahr nicht mehr schön gewesenen kranz,

den du nicht weggeworfen hast,

weil du meintest,

dass der shabby chic look wieder im kommen ist,

ein wort dass ich dann gegooglet habe,

angezündet,

denn heute ist erster advent.

 

Und dann bist auch du heim

und durch die tür gekommen

und da bin ich gesessen

und hab dich angeschaut

und gefragt

„na wie war dein tag”

und du sagst

„anstrengend”

und ob ich

„zwischendurch mal an dich gedacht habe”,

und ich sage

„nein, aber ich hab meine tante getroffen”

und dann frage ich dich, ob du kühe ekelhaft findest,

und du schüttelst den kopf und murmelst leise:

„was?”,

lachst und umarmst mich.

 

Und wenn du dann vorsichtig eine hand auf meinen rücken legst,

dort wo die schulterblätter zusammenlaufen,

flackern nur noch kerzenflamme

licht und schatten um uns durch den raum

und es riecht nach harz und wachs und feuer.

 

Und später, wenn es draußen wieder stärker zu regnen beginnt

und der früchtetee uns süßlich heiß auf den lippen brennt,

werden wir gemeinsam in die flamme starren

und etwas summen,

das wir von früher kennen,

eine melodie,

die schon fast nicht mehr zu uns gehört.

Sara Maurer

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freiVERS | Melanie Khoshmashrab

den haben wir nicht

für Rüdiger Käßner*

ich mag diese küchengespräche, sag ich
wenn du das schwarz erpresst, werd ich ruhig
draußen sind alle schaufenster vernagelt

ich mag die katze, die über dir hängt, sag ich nicht
danke / wenn sich die bahn nachts verspätet, steigen wir auf
oberflächen mit innenalsterblick, du rauchst vor apple

ich mag sitzenbleiben, bis ich zu allem zu spät komm
die ubahn fährt nicht nach münchen, sagst du
bist eigentlich häuslich & einen weltraumbahnhof

Melanie Khoshmashrab

* Rüdiger Käßner war ein feinsinniger Förderer der Literatur. Er hat Lesungen organisiert, jungen Autor*innen einen Bühne geboten und 20 Jahre lang die Hamburger Weblesungen organisiert: Autor*innen kamen in seine Küche, haben mit ihm Kaffee getrunken und anschließend einen Text eingesprochen. Käßner, 1953 in Hamburg geboren, verstarb am 2. Februar 2018 nach langer Krankheit.

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freiVERS | Unda Maris

Novemberhesperiden

Es war im drůsen Spätherbst
daß mal wieder so einiges gemağgolokkerte
und das Laub behehlebęnde
in die Gegend diffundierte

Im Prater wurstelte die Plebs
so vor sich hin, behelfmichnich, aber kregel

Keckernde Krähen behůdelten den Himmel
und schærwanzten die ein oder andere
Eulenspiegelei über die Szenerie

Melechnitòth lagen die Fahrgeschäfte im Südosten
beharnischt zwar, aber ohne Lach oder Sang

Hier und dort noch ein Echo
von glottermōgelndem Sprechmichdoch

Und in der Geisterbahn schließlich
— unheimlich ist es zu sagen —
ein von Mirespiłłiden verlassener Sarg

Unda Maris

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freiVERS | Michael Pietrucha

Samenkorn Zeit

Ich habe dir Zeit gegeben,
du hast sie mit den Augen geküsst,
habe sie unterwegs aufgehoben,
bevor sie unter meinem Schuh verschwunden wäre,
sie abgewogen; das Sonnenlicht von oben
und das Mikroskop hier unten sagten,
es sei ein Samenkorn, und geschoben
in ein Kuvert stecktest du es ein.

Ist denn das Samenkorn zu einer Ranke
auf deinem Fensterbrett gewachsen?

Michael Pietrucha

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freiVERS | Lütfiye Güzel

man lebt nicht jeden tag

-

eine spinne mit den augen

verfolgt

mit gutem gewissen

ihr netz nicht zerstört

dann obst von den bäumen

geschüttelt

& drei runden geweint

Lütfiye Güzel

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freiVERS | Peter Paul Wiplinger

Nada und France

Über die teller
gebeugt essen wir
jeder unsere suppe

wie schmeckte sie
damals in Dachau
wie in Mauthausen

einen langen weg
seid ihr gemeinsam
im leben gegangen

jetzt seid ihr müde
aber ihr erzählt mir
von euren Erinnerungen

Nada bringt das fleisch
France schenkt wein ein
wir hören die Nachrichten

noch immer dieser krieg
dieses mal in eurem land
auch wenn er weit weg ist

das letzte sonnenlicht
leuchtet noch glutrot
in das zimmer herein

dieser verdammte krieg
sagt France verbittert
und Nada nickt stumm

Peter Paul Wiplinger

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freiVERS | Helmut Glatz

Meine Einsamkeit

Jetzt im Herbst hat die Einsamkeit
die Strickweste an und den langen geblümten Rock
Sie schlurft um das Haus und versucht
die Blätter zu dressieren
Sie rascheln schon und machen Männchen im Wind
Ich liebe Menschen die Schatten werfen
für die zwei mal zwei nicht vier ist
sondern fünf minus eins
denke ich während ich am Fenster stehe
und sie beobachte
Es ist meine Einsamkeit da unten jetzt legt sie
den Besen weg und geht die Straße hinunter
Ich hätte sie nicht gehen lassen sollen
jetzt im Spätherbst denke ich
auch zwanzig durch fünf  hätte ich gelten lassen sollen
denke ich während sie die Straße hinunter schlurft
mit ihrem Schatten der immer länger wird

Helmut Glatz

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freiVERS | Martin Zaglmaier

Inkognito

Wir tauschen Gesichter
mit der Nacht
wir wollen nicht mehr
dieselbe dünne Luft
wie die Anderen atmen

niemand weiß wo
und wer wir sind

Martin Zaglmaier

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freiVERS | Nina Beer

Kohle, Glas

Nimm das Stück Kohle
und ziehe
eine Zäsur entlang der Stirn
teile mir Brauen und Augen,
die nicht mehr sehen ohne zu erinnern
teile den Mund,
der nicht mehr spricht ohne zu richten
teile die Schatten entlang feiner Linien
hinab, hinab;
Nimm das Stück Glas

Nina Beer

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freiVERS | Cornel Köppel

gucklöcher

große augen das knochenbein
streicht papillonskills ans
bein was für ein steiß wo nicht
mal der plot so richtig topt
borgen wir uns einen cyborg
ein rosa unicorn zum trost
ein capricorn flake(d) away
waten wir ins off off
und on geht anders der pupillen
mann hinterm pappkarton löchert
einblicke in den dunkelraum

 

Cornel Köppel

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