freiVERS | Sonja Jurinka
Die Ferne unter meinen Füßen
Viel zu dicht
stehen die Fichten beieinander
verschlucken jeden Lichtstrahl
der sich an den Spitzen vorbeitanzen
und das Geäst wärmen will.
Es krabbelt in der schuppigen Rinde
Nacktschnecken schieben sich voran
lassen ungehemmt ihre glitzernden Spuren zurück
wo zähes Harz aus der wunden Borke glänzt.
Ein weißer Schleier
hängt sich träge vor mein müdes Gesicht
ich schüttle mich
ängstlich
weil ich seinen Besitzer womöglich mit mir herumtrage.
Die Wanderung hinterlässt Fetzen an meinen Füßen
erdiger Dreck klebt an den Sohlen
und vertrocknete Gräser
lugen frech zwischen den Zehen hervor
umflechten gierig die Nagelbetten
kitzeln keck
als ich meine verbrauchten Beine
mühsam vor dem Kaminfeuer ausstrecke.
„Herein“ rufe ich
doch es ist nur der Buntspecht
der die Termiten aus der Veranda bittet.
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Andreas Pavlic
Andalusian Dream
Wir liegen in aufgeblasenen alten LKW-Schläuchen
und schauen hinunter in die andalusische Ebene
wo sich die weißen Windräder drehen.
So viel Strom,
sage ich und hebe meinen Plastikbecher mit Sangria.
Der Wind wird unsere Zukunft sein,
antwortest du und schaltest die elektrische Zahnbürste ein.
Der Bürstenkopf vibriert.
Du streckst sie in den Wind.
Gotta keep those lovin good vibrations
good good good good vibrations,
beginnst du zu singen.
Unten sehen wir ein gelbes Motorrad in das Dorf einfahren.
Du wettest darauf, dass es ein Postbote ist.
Ich bin mir nicht sicher.
Heute weiß man nicht,
ob es überhaupt noch
ein Postamt gibt,
oder ob man die Briefe beim Bäcker abholt.
Es ist schwer zu sagen, was in dieser Zeit noch zeitgemäß ist.
Eine Krähe fliegt vorbei,
weiter durch den Windpark.
Man sieht, sie hat sichtlich Probleme den Kurs zu halten.
Wir sind in einer Zwischenzeit, sagst du und
schwenkst den leeren Plastikbecher.
Ich verstehe,
schenke noch etwas Sangria nach.
Wir liegen schon den ganzen Nachmittag auf dem Hügel.
Der Sonnenschirm tut sein Bestes. Alles außerhalb der
Kühlbox scheint wie ausgetrocknet.
Bald wird auch die Sangria leer sein.
Das Motorrad verlässt wieder das Dorf
und zieht ein Staubwolke nach sich.
Es ist unglaublich heiß.
Dass der Wind nur oben bei den Rädern weht
und unten, da steht die Luft. Wir liegen nur da.
Es gibt nichts mehr zu tun.
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Bastian Rosenzweig
What is love I
Fußtritte
am ganzen Körper.
Hämatome
in allen verfügbaren Herz-Emoji-Farben.
Die ständige Frage
ob man nicht doch
nur
jemanden ficken will.
Endlich mal wieder
ohne Film
weinen.
Es tut durchgehend weh
und manchmal
hat man dabei
einen Orgasmus.
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Julo Drescowitz
Störche
Störche
im Himmel
zwei Stück
auf den Treppenstufen vor der Bib
am Fluss
das Wasser rauscht
ich tue, als ob ich
etwas
fangen
würde
Dummkopf
einen Kürbis
einen Ball
aus dem Himmel
ich stehe auf und
lache
mein Kumpel
auf der Treppenstufe
neben mir
ich balle die
Faust in
den
Himmel
und sage
Wieso
habt ihr mir
ein
Kind
geschenkt?
Später
lache ich
nicht mehr
Haut an Haut
liegen wir
im Bett
feucht vor Schweiß
dein Geruch
Tränen in
deinen Augen
Ich erzähle
dir
von den
Störchen
und du
hörst mir
zu
still
schließt die
Augen
Es sind
Dinge wie
Störche gesehen
zu haben
die
uns Glauben schenken
Schweiß auf
deiner Stirn
das Rauschen
des Flusses
vor unseren
Fenstern
die
Störche
weiß
mit
langen
Hälsen
fliegend
irgendwo
dort draußen
sie zu
sehen
ist
ein eigenes kleines Wunder
und
diese Art
der
Wunder
lassen
uns
weiterleben
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Silke Scheffel
sinnig II
barfuß insgesamt
der abschied spricht sich dunkelrot
wie vorgestern
das brombeerblut gemalt an deiner
oberlippe ränder sagst im norden
liegt das glück
und im schatten balzender birkenwälder
wo ein permanenter farbenwechsel
wangenlicht bewegtes deines
schneeweiß
schneegrün
schneeorange
dazwischen
auch mal sand und dünen schrieb ich
dir zuletzt in blanke zwischenräume zehen
wo wir gingen und lebten und liebten
weil wir wussten tief in uns das meer
klingt seine eigene landschaft nass
darin verschwammen und vergaßen
alle maße zeit
noch mehr
den blassen blauen heimweg
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Alexandra Regiert
Flaschengrün
melierte murmeln
kicherten ins gebüsch
überwarfen sich über dem moos
taumelten lindgrün
ins gedächtnis
waldläuferhymnen
gesungen mit eulenkehlen
gurrten in ockertönen am gaumen
manchmal summten sie
seidenwörter
am bauch entlang
die warm wurden
wie frisch gekochter spinat
und streichelten etwas
smaragd ins auge
bis alles wald wurde
und selbst das ebenholz
ergrünte
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Adrian Brauneis
Ronnie
Wie üblich kehrte der Junge,
Ronnie war sein Name,
erst spät am Abend nach Hause zurück.
Er hatte Überstunden in der Fabrik gemacht, wie üblich.
Rechnungen warteten ungeduldig darauf bezahlt zu werden.
In ihrem kleinen Appartement war Izzy, Ronnies Freundin,
bereits vor dem weiß flackernden Fernseher eingeschlafen;
ihr dicker Bauch hob und senkte sich rhythmisch vor dem
Schneegestöber auf der Mattscheibe –
ein Walfisch, der die Wasseroberfläche durchbricht, um sich für
Sekunden im Mondschein zu baden.
Das dachte Ronnie bei ihrem Anblick.
Auf dem Tisch waren Käsemakkaroni in einer Pappschachtel
schon lange kalt geworden.
Ronnie setzte sich und aß trotzdem.
Dann stand er auf,
ging ins Bad
und rasierte sich,
wie üblich,
Schädel und Nacken,
duschte heiß, bis das ganze Badezimmer von Wasserdampf
vernebelt war,
feilte danach Finger- und Zehennägel gründlich ab und bürstete
sich die Zähne genau fünf Minuten lang.
Schließlich zog er sich an:
Seine schwarze Bomberjacke über einem blütenweißen, eng
sitzenden baumwollenen T-Shirt,
eine Blue Jeans, der Saum an beiden Beinen umgeschlagen
und zuletzt seine schwarzen Stiefel, nachdem er sie mit einem
Lappen, wie üblich, zum Glänzen gebracht hatte.
Der Schlüssel steckte schon im Schloss, als er noch einmal in die
Wohnung zurückkehrte.
Er schaltete den Fernseher ab und breitete,
schuldbewusst,
eine Navajo-Decke über Izzy aus;
er strich ihr durchs Haar und sie lächelte im Schlaf.
Dann verließ er die Wohnung,
darauf bedacht, die Tür geräuschlos hinter sich zu schließen.
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Maurice Mejer
M e e r (e s) l a n d
Männer gemacht aus Meeressalz
Ozean Wasser
Urgestein
Lava, Lehm
Feuer und der Liebe zum Meer
Sonnengegerbte Haut
Von der Witterung gezeichnet
Der Blick ins vermeintlich Leere gerichtet,
in der sich Erfüllung zeigt
In seinen Augen leuchten
aufgehende Morgensonnen
Der Kaffee wird kalt
Der Mond fällt in den Kochtopf
Wir treiben die Ziegen über den Königsweg
Wir gehen den Pfad, der für uns bestimmt ist
Wir harren aus und schreiten voran
Ritter des Sturms
Fürsten des Meeres
Hier gibt es kein Gesetz
Keine Zeit, die vergehen könnte
Nur Momente geprägt von Stille und kraftvoller Ursprünglichkeit
Wellenberge zerschlagen sich am Steinstrand in der Brandung
Das Salz des Meeres nagt am Außenputz der Häuserwände
Azorien, wunderschönes Meeresland
Portugals vergessene Orangengärten
Du bringst Fisch zum Mittag
und lachst wie ein Lebemann
Der Tisch ist immer eingedeckt für noch
eine weitere Person
Denn man kann ja nie wissen, sagst du
Wir wissen nichts
Doch wir fühlen viel
Heute fährt niemand zur See
Wir haben die Boote in Sicherheit gebracht
Der Sturm ist gekommen um uns zu zeigen, was Sache ist
Hier regiert nichts und niemand als das Vertrauen
Wir holen die Netze ein und in meiner Erinnerung
begegnen wir uns noch einmal
Menschen entstanden aus der Liebe zum Meer
Seepferde galoppieren in der treibenden Flut
In seinen Augen leuchtet es funkelnd
Frauen entstanden aus dem freien Fall des Wasserfalls
Botschafterinnen zwischen der alten und der neuen Welt
Kolibrielfen, im Sonnenstrahl der Eingebung
Wir laben uns am Wasser und tanzen den Tango
Somos gente do mar
Seemänner und Frauen unseres Ursprungs
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Georg Großmann
Die Schönheit leerer Außenhaut
die Schattengerippe des Tages wandern über die Giebelflächen der Plattenbauten
über die fensterlosen Schiffshecke der auf Grund gelaufenen Wohnhausmaster
durchdringen die Marillenhaut, mit der die Sonne die Flächen bespannt
am Abend wächst Laternenlicht am Fuß der Rauputzklippen
Stille
Betrachtung
:
die Schönheit leerer Außenhaut
die Schönheit stiller Flächen
ich schaue durch die
Stadtschichten
durch die gezackte Form
des Ausschnitts
auf die Schildmauer
der Vorstadtburg
den Monolith
Polygon des Tagtraums
Riese
im Dämmer gekrönt vom
Kreistanz der Krähen
die Spechte
behacken die
Haut
und das Fleisch
:
graben bis
aufs Armierungsgewebe
Styropor schneit
aus den Wunden
fällt aus der gelochten
Leere
unter der ich
staunend stehe
o, die Schönheit stiller
Flächen
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at
<< mehr Prosa | mehr Lyrik >>
freiVERS | Marcel Rothhaupt
.
.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
Du hast auch einen freiVERS für uns?
schreib@mosaikzeitschrift.at