23 | Markus Grundtner

Das Streben nach Unglück

Wenn ich daran denke, wie ich damit umgehe, mir etwas zu wünschen und es tatsächlich zu bekommen, erinnere ich mich an die Nächte vor Weihnachten, als ich noch ein Kind war:

Das Kind schwingt sich auf sein Stockbett und schmiegt den Kopf in das weiche Kissen, um tief und fest einzuschlafen. Dann beginnt das Kind zu träumen. Es träumt von seiner Vorfreude auf Familie und Geschenke. Es träumt von einer Maschine, die das Vergehen der Zeit beschleunigt. Es träumt, wie es sich hellwach hin und her wälzt. Es träumt, dass es im Bett nur Unruhe findet. Es träumt von seiner feuchten Stirn und seinem trockenen Mund. Es träumt von seiner Decke, die einerseits zu dick und andererseits zu kurz ist.

Unerwartet nähert sich der erhoffte Moment dann doch. Das Kind träumt, wie seine Glieder nicht mehr zucken, sondern matt werden. Es träumt, wie sein Geist sich entspannt und zerfließt. Es träumt, wie seine Augen sich schließen und geschlossen bleiben. Das Kind träumt vom Einschlafen.

Der Glücksfall tritt ein. Doch dabei drängen sich Zweifel auf: „Einfach so, ganz plötzlich und unverdient? Das kann doch nur ein Trugbild sein.“ So vertraut das Kind seiner eigenen Gewissheit: „Tatsächlich schlafe ich gar nicht.“ Als der Schlaf im Traum kommt, nimmt das Kind den einzig logischen Ausweg aus seiner Angst, getäuscht zu werden, und erwacht so in eine Nacht, die noch lange andauert.

Inzwischen verlebe ich meine Tage nach diesem Muster. Ich fliehe vor Wünschen, von denen ich nicht glauben will, dass sie schon wahr geworden sind, damit sie sich endlich erfüllen.

Markus Grundtner

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21 | Valerie-Katharina Meyer

Die Bluse meiner Tante

Weisser Duft umhüllt das feine Fadengeflecht. Immer die Hände waschen, bevor du dich auf den Schoss setzt. So bleiben der Duft, die weissen Fäden unbefleckt. Und dann kommt die Geschichte, die mehr wie ein Lied ist. Das wissen deine Kinderhände. Sitzt du aber mit sauberen Händen im Schoss der Tante, so schmiegst du dich an das Kleid, drückst die Rotznase in das duftende Geflecht: Jasmin, Geborgenheit und Tante fügen sich zusammen. Kein anderes Stoffstück ist edler, feiner und zarter. Perlenstoff ist die Bluse für deine Kinderhände, und sie streicheln immer wieder darüber. Perlenstoff mit Zauberknöpfen. Sie umklammern ihn mit ihren schweissigen Fingern und wollen nicht mehr loslassen, warten auf die Geschichte, die mehr ein Lied ist. Für immer im Kokon der Tante eingehüllt sein - umspannt von der Geborgenheit der Stoffperlen, umflogen von der tiefen Stimme. Und die Tante singt ein Lied, das eigentlich eine Geschichte ist.

Valerie-Katharina Meyer

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20 | Sabrina Albers

Der Nebel In Mir

Mein Schmollen hat mir dieses Mal nur ein Rückfahrticket für den Zug eingebracht. Dass der ICE dabei überfüllt war und gar nicht bis in meine Stadt fuhr, war dir egal. Mir auch. Ich war mit Schmollen beschäftigt. Du sagst, du hast mich mehr als gern, und dafür kann ich dich nicht ausstehen. Du sagst, wir leben seit fünf Jahren so. Das ist wohl der Grund, warum ich keine Luft bekomme. Deine Nähe engt mich ein. Dein Fernbleiben noch viel mehr. An deiner Seite bin ich so inkonsequent, dass es schon wieder eine gewisse Konsequenz in sich birgt. Warum ich dich mag, weiß ich nicht. Warum deine Gleichgültigkeit mich wahnsinnig macht, noch viel weniger.
Du bist der Grund für alles und nichts. Die Lösung und das Problem. Jeden Satz wäge ich ab, aus Furcht, er könnte mich näher zu dir bringen, näher zum Abgrund. Wie es dir dabei ergeht, darüber wage ich noch nicht einmal nachzudenken. Doch ich habe eine Ahnung, dass es nicht viel anders ist.
Ich bewundere, dass du nie von deinem Weg abkommst, du magst keine Abhängigkeiten, nichts, was dich ablenkt. Ab und an gönnst du dir mich zum Zeitvertreib, als wäre ich die einzige Schwäche, die du dir gelegentlich leistest. Wenn ich wieder weg bin, hast du mehr Platz in deinem Bett, keine Klamotten mehr in der Wohnung verteilt, deine Ruhe zurück. Ich frage mich, ob du mich trotzdem ein bisschen vermisst, mein Kissen zum Einschlafen benutzt, dich fragst, wo ich gerade bin und mit wem. Als ob es neben dir jemand anderen gäbe.
Ich vertraue dir nicht, und das ist das Verrückte. Nach allem, was war, nach allem, was ist und sein wird, vertraue ich dir nicht. Das mache ich mir zumindest selbst glauben, obwohl ich genau weiß, dass ich diejenige bin, der man nicht trauen kann. Du hast es schon einmal versucht, ich bin weggelaufen. Und nun kostest du deinen Triumph über mich aus. Ich kann dich wirklich nicht ausstehen.
Die Fenster im Zug sind verschmiert, den typischen Nebel kann ich spüren, aber nicht sehen. Muss ich auch gar nicht. Ich weiß, dass er da ist. Dass er mich umgibt, seit der Minute, als ich letzte Woche beschlossen habe, zu dir zu kommen. Seitdem ist der Nebel und taucht alles um mich herum in Milch. Ich kann dich noch immer an mir riechen. Deinen Atem an meinem Ohr spüren. Deine Blicke sehen.
Deine Küsse kann nicht mehr schmecken, sie verblassen mit jedem Kilometer, den ich weiter von dir wegfahre. Was bleibt, ist dein Geruch auf meinem Körper und die Erinnerung an deine Blicke, fordernd und vorwurfsvoll. Ich vermisse dich schon jetzt. Und verfluche den Nebel. Es ist, als schicktest du ihn jedes Mal, um mich abzuholen. Wenn ich bei dir bin, kreierst du eine Zuckererbsenidylle, in der ich mich wohlfühle, mich ausruhe, du mir Sicherheit gibst, aber nur so viel, dass es gerade ausreicht, um mich in die Falle zu locken. Dann lässt du mich los und durch den Aufprall bekomme ich blaue Flecken, die mich Wochen später noch daran erinnern, dass du ebenso wenig weißt wie ich, welche Rolle ich in deinem Leben spiele. Ohne dich wäre mein Leben nicht so.
Ohne dich wäre mein Leben nicht so ...
Ob ich dich vermissen würde, ohne dich zu kennen? Die berüchtigte Sehnsucht nach einem unbekannten Ort? Ich erinnere mich noch genau an die Nacht, in der wir uns zum ersten Mal sahen. Vor dir tue ich gerne so, als wäre das nicht der Fall. Vielleicht, weil es dem Ganzen mehr Bedeutung gibt, wenn du es bist, der davon sprichst. Dann kann ich für einen Moment sehen, wie wichtig ich für dich bin. Das es stimmt, dass du mich mehr als gern hast. Dass ich mehr als ein bisschen Zerstreuung für dich bin. Nicht nur eine Laune, der man ab und an nachgeht.
Natürlich erinnere ich mich noch genau an unseren ersten Kuss, denn seit dieser Nacht trage ich vor dir keine Maske mehr. Ich legte meine ganze Verletzlichkeit vor dir offen, um zu sehen, ob du damit zurechtkommst, ob du stark genug bist, an meiner Seite zu sein. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass das Ergebnis mich so sehr erschrecken würde. Manchmal fordert man etwas heraus, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein.
Zu dem Nebel mischt sich nun Regen. Ich musste den Zug wechseln, da er im Nirgendwo hielt und beschloss, keine einzige Station mehr weiterzufahren. Zwar hat der neue Zug saubere Scheiben, aber die Klimaanlage zwingt mich dazu, in meinem Mantel zu bleiben. Meine Haare riechen nach deinen Haaren, ich frage mich, wie das möglich ist. Meine Sentimentalität kotzt mich an. Du machst dich jetzt wahrscheinlich völlig zurecht über mich lustig. Du sagst, ich sei wie ein Kind. Immer dann, wenn ich meinen Willen nicht bekomme, wenn ich verschlafen bin, wenn ich gegen die Glasscheibe laufe, die du gelegentlich zu deiner Unterhaltung zwischen uns aufbaust. Und während ich dich dann trotzig anschaue und meine Beule am Kopf mit dem Eiswürfel aus meinem Havanna-Cola kühle, frage ich mich, ob du weißt, welch schönes Kompliment das ist. Wie du kann auch ich die meisten Menschen nicht ausstehen. Sie langweilen und lähmen mich. Dennoch suche ich immer nach der einen Kleinigkeit, die mich an ihnen erfreut, die mir zeigt, dass noch nicht alles verloren ist. Ich weiß, wie düster diese Welt sein kann und habe trotzdem noch genügend Naivität in mir, um das Schöne im Dunkeln zu sehen. Ist es das, was du an mir magst? Ich habe keine Ahnung, was es sonst sein soll. Was es ist, das eine Faszination über so lange Zeit aufrechterhält. Natürlich haben wir dazwischen andere gesehen, waren aus, aber am Ende gab es immer nur uns zwei. Wir haben Beziehungen beendet, als wären sie bedeutungslos, wir haben uns dem entledigt, was uns lästig war. Mir schien immer, als würdest du aus Vernunft handeln. Eine Trennung aus Vernunft. Wahrscheinlich weigere ich mich deshalb, dir mehr als das zu geben, denn irgendwann müsstest du feststellen, dass ich das wohl Unvernünftigste in deinem Leben bin. Würdest du mich einfach so wegstreichen können? Was würdest du dann tun?
Ich kann die Veränderung zwischen uns spüren, wir sind an dem Punkt, an dem ich nur verlieren kann. Das Interessante ist, dass die Veränderung nicht schleichend kam, nicht langsam zwischen uns wuchs, bis wir unfähig waren, sie zu fassen. Sie kam ganz plötzlich. Eben war sie noch nicht vorhanden, eine Sekunde später in deinem Blick. Wir schimpften uns zum Spaß, doch damit fügten wir uns keine Verletzungen zu. Das, was uns seit Jahren verletzte, war das Unausgesprochene zwischen uns. Das, was im richtigen Moment nicht gesagt wurde, das, was beabsichtigt im Raum stand, das, was im Nebensatz fiel und wie kleine Bomben auf unserer Haut explodierte. Wir begegnen einander vertrauensvoll misstrauisch. Die Frage ist einfach, ob wir einander Fluch oder Segen sind – oder schlicht nur das, was wir verdienen.
Ich werde dir zu anhänglich, deshalb gehst du auf Distanz zu mir. In ein paar Wochen wirst du für einige Zeit das Land verlassen. Du reist gerne mit wenig Gepäck, ein vorwurfsvoller Blick von mir passt da nicht rein, so viel Platz hast du für mich nicht übrig. Mir ist bewusst, dass normale Menschen in unserer Situation schon längst ein klärendes Gespräch gesucht hätten. Dinge müssen einen Namen haben, Beziehungen als solche zu erkennen sein. Für mich sind das Trivialitäten. Du hast einmal gesagt, ich solle den Moment genießen. Jetzt, da ich es tue, scheinst du mir nicht zu glauben. Dabei müsstest du doch wissen, wie sehr es mir gefällt, mit dir Zeit zu verschwenden.
Doch ich bin mir selbst genug, auch wieder alleine klar zu kommen. Ist es das, was du an mir nicht magst? Ich will doch nur im Moment sein. Irgendwann werden wir wieder andere Lippen küssen. Wir werden uns davon erzählen, als ob es das dazwischen - das Uns - nie gegeben hätte. Wir werden so tun, als freuten wir uns füreinander, und den anderen in Gedanken mit einem Messer töten. Ich werde meine Beziehung in dem Moment beenden, wenn er meine Freundschaft zu dir in Frage stellt, du deine, wenn sie deinen Plänen widerspricht. Dann haben wir wieder nur uns zwei und sind einmal mehr der Absurdität dieser Situation ausgesetzt. Alles andere wäre uns zu einfach. Zu gewöhnlich. Gar nicht wir.
Mein Zug irrt noch immer quer durch das Land und ich widerstehe der Idee, meine Haare im Waschbecken der Zugtoilette zu waschen. Der Geruch nach dir nervt mich. Ich wette, du hast mich schon längst wieder losgelassen, während ich noch mit deinem Geist kämpfe. Der Nebel wird immer dichter und ich starre mein Telefon an, um es zum Klingeln zu bringen, dabei weiß ich es doch besser. Du kannst telefonieren sogar noch weniger ausstehen als ich. Jedes Mal musst du dich zu einem Telefonat mit mir durchringen, doch wenn wir dann miteinander sprechen, all die Belanglosigkeiten miteinander teilen, so tun, als wären wir normal, genießen wir es. Du liebst es, meine Stimme zu hören, und ich plappere von all den Albernheiten meines Alltags. Und ich, die es mag, wenn man ihr Geschichten erzählt, lass dich von deinem erzählen.
Ich setze meine Kopfhörer auf und höre »Am I Only« von Black Rebel Motorcycle Club. Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich in deine Augen. Den warmen, forschenden Blick. Als würdest du mit deinen Gedanken ein Bild von mir machen und in deinen Erinnerungen abheften. Du schlingst deine Arme um mich, ziehst mich an dich und flüsterst meinen Namen, als wäre er ein Fluch, unter dem du leidest.
Eine Hand berührt meine Schulter. Ich schrecke auf und schaue verschlafen den Schaffner an, der mir sagt, dass wir an der Endstation angekommen sind. Ich nehme meine Reisetasche, steige hinaus in die Nacht und rieche an meinen Haaren, die nun gar nichts mehr von dir, sondern wieder alles von mir haben. Ich bin wieder ganz ich. Aber nur solange, bis du wieder vor mir stehst.
Oder ist es genau anders herum?

Sabrina Albers

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19 | Thordis Wolf

katzenjammer

Jeden Morgen fordert die Lautsprecherstimme in der U-Bahn die Passagiere zu Achtsamkeit auf. Unter ihnen ist auch Nati, ein Mensch, der grundsätzlich vorsichtig ist, sich an Regeln hält, auch wenn sie nur aus Lautsprechern kommen. Doch an diesem Morgen ist sie abgelenkt. Als Strafe dafür schlägt sich ein Ereignis durch den angesagten Spalt zwischen Bahnsteig und U-Bahntür hindurch. Der große Blonde peitscht ihr jetzt deswegen nervös seine Aufgebrachtheit ins verschwommene Gesicht. Immerzu verlangt er nach dem rechtmäßigen Einschreiten Vollzugsbeamter. Um deren Auftreten auf dem Tapet will er sich, in seiner hohen Person, selbst kümmern. Wären die Arme der Exekutive vor Ort erst einmal griffbereit, würde er seine Wahrnehmung in ihre Hände legen. Für den Fall, dass sie, Nati, unter seinem Schutz als Opfer stehend, nicht dazu in der Lage wäre. Das sei natürlich nachvollziehbar (im Wiener Untergrund lebt die Empathie, veranlasst durch oberirdischen Platzmangel). Er verfüge neben dem korrekt verorteten Herzen über einen schneidigen Blick für Gerechtigkeit. Das mache ihn zu einer verlässlichen Augenberichtsquelle, lässt er durchsickern. Alles, aber wirklich alles, habe er bis ins letzte Detail verfolgt! Deswegen, macht er jetzt von seinem Handy und dem Recht auf Zivilcourage Gebrauch und ruft die Polizei. Im rechten Gehörgang des großen Blonden fällt das erste Freitonzeichen mit dem Signalton sich öffnender Türen zusammen.

Dumpfes Geheul, Sirenen gefangen im Nebel Wiens, lassen für einen kurzen Moment den Adrenalinspiegel wieder ansteigen. Die letzten Ausläufer des Stresshormons versammeln sich zu einem kleinen Rinnsal, das er sich von der Stirn wischt. Kein Grund zur Panik, er ist safe. Blaulicht und Folgetonhorn, dafür muss mindestens eine Waffe im Spiel sein. Die Beute in seinen Händen ist außerdem nicht wichtig genug. Nicht für die. Für ihn schon. Vorsichtig öffnet er den Reißverschluss des schwarzen Neoprens. Ganz wie brave Kinder ihre Geschenke an Weihnachten auspacken. Verpackung intakt, Lachen aufgesetzt. Macbook wär nice. Lenovo würds aber auch tun, sonst. Das ist also sein Weihnachtsgeschenk. Ein paar Tage verspätet, aber: immerhin. Es schaudert ihn, er erschrickt beinahe. So ein gaylord ist er doch normalerweise nicht! Mit einem (nun) entschlossenen Handgriff zieht er den Inhalt hervor. Jetzt wird alles anders, sagt er zu sich und dem toten, gefrorenen Kätzchen aus der Laptoptasche.

An einem Tag vor Weihnachten:

Nati sitzt in einem Railjet R160, oder so. Der Zug bahnt sich, den Gleisen entlang, einen Weg vom berglosen Osten in den alpinen Teil Österreichs. Dort liegt ganz in weiß das Dorf, in dem Natis Verwandte schon ihre Ankunft herbeisehnen. Nati stimmt sich ein, der Winter macht es ihr leicht. Sie knabbert an Lebkuchenherzen, während vorweihnachtlicher Schnee seine schönsten Kristalle wehmütig vor die Gleise wirft. Jemand schält eine Orange. Sie rollt sich immer tiefer in das Weiß von draußen und ihre dicke Jacke ein. In diesem Moment glaubt sie an Jesus und nicht daran, dass irgendetwas sie aus diesem wohligen Zustand herausreißen kann.

Eine Grünholzfraktur des Herzens, eine Sternotomie am Ego, daraufhin die Verlegung in die Bundeshauptstadt, von der man sich erstklassige Betreuung, notfalls auch auf private Rechnung, erhoffte. Stattdessen: Heimweh, hinter Entscheidungen herhinkende Zweifel, Krankenstände noch vor Urlaubsanspruch und ungläubige Arbeitsinspektoren. Es war nicht leicht gewesen, das letzte halbe Jahr. Bilder mit Sprüchen zeigten nur vorübergehende Wirkung. Das Heimatkollektiv beschloss daher am Telefon: Nati braucht Aufheiterung langfristiger Natur: ein 8 Wochen altes Kätzchen soll es sein. Das war einfach in der Anschaffung. Die lästige Vorstellung bei einem Kassenarzt ersparte man sich ebenso wie die allfällig damit verbundene Rezeptgebühr. Es lebe die Alternativmedizin, denn: zu verschenken war das tapsige Geschöpf. Übriggebliebener Rest von einem vielversprechenden Wurf. Die passenden Utensilien waren paypal und amazon prime sei Dank schnell gefunden und nur wenig später, kurz nach dem Eintreffen des Therapeutikums, an Ort und Stelle zum Einsatz bereit. Aus Ermangelung an Erfahrung wurde es Kätzchen genannt und am Bauch gestreichelt. Während Kätzchen zuhause bereits sehnlichst auf Frauchen wartet, braucht Nati hingegen noch bis Salzburg, um zu realisieren, was sie vergessen hat.

Stunden später steht jemand an einem Bahnhof in Westösterreich. Es ist ein Verwandter von Nati, vorzugsweise der engste, es kann auch eine Frau sein. Der rücklings eingeparkte PKW stößt Abgaswölkchen die Schlucht hinauf, in der alle westösterreichischen Bahnhöfe liegen. Die Beine vertreten am eisglatten Bahnsteig ungeduldig Kieselsteinchen. Endlich fährt der Railjet mit den im Preis inkludierten Verspätungsminuten am Bahnsteig 1 (es gibt nur 3) ein. Außer einer kurzen, beinahe flüchtigen, Umarmung lässt die Kälte nichts zu. Die kuschelige Autowärme ist großzügiger. Man strahlt sich regelrecht an, gegenseitig. Froh dich zu sehen, froh wieder hier zu sein. Kurze, obligatorische Frage nach der Großstadt. Dabei nimmt man den Namen dieser Hoch- oder Hofburg des Fremden nicht richtig in den Mund. Der verträgt nur ortsübliche Kost. Bevorzugt wird das wiedergekäute Vokabular, am besten von vor drei Generationen. Das kennt man von Hofer: da bin ich mir sicher. Lässt sich auch im Chor gut sagen. Die Themen gehen einem auch nicht aus, es sind ja immer die gleichen. Ansonsten kann man immer noch den Bauernkalender nach dem Wetter in der Zukunft fragen. Doch jetzt ist Nati am Wort und sogleich wird sie überprüft. Ah, was war das? Hab ich mich da etwa verhört? Sind das beklagenswerte Veränderungen im Sprachstatus quo? Nati kooperiert, kennt sie doch diese Sicherheitsmaßnahme bereits von den Telefongesprächen.

Nur wenige Tage nach Weihnachten, wieder zurück im meltingpot Österreichs, wird sie nicht vorsichtig sein, nicht genug. Barbarisch, aber wahr: in einem unvorsichtigen Augenblick in der U-Bahn wird ein Fremder ihr die schwarze Tasche aus den Armen reißen.

Weihnachten ist Weihnachten. Unter einem rücksichtslos herangezüchteten und liebevoll gefällten (das Augenmerk auf den finanziellen Profit zielgerichtet) Nadelbaum versammeln sich Familien. Alte mit aufpolierten Plastikbeißerchen, weniger Alte mit Crocs an den Füßen liegend oder hochsteckfrisiert, Menschen wie Nati. Die aufgeblähten Schnitzelbäuche werden mit Wein, Martini Asti oder sonstigem zweitklassigen Alkohol beruhigt, eventuell After Eight zum ab- oder aufrunden. Kurzum: Überfluss neben einem Eimer Wasser, die Wunderkerzen neben dem Lametta. Better safe than sorry.

Kätzchen geht das Essen aus.

Was folgt ist Silvester. Dinner for one und der Donauwalzer leiten den Beginn der Deadline für vergangene Vorsätze ein. Es wird bei Fondue um Verlängerung angesucht. Dem Antrag wird mit Sektflöten inbrünstig stattgegeben. Man steht bis zum Hals in Euphorie und Winterkleidung am Balkon.

Kätzchen geht das Wasser aus.

Er fragt sich immer und immer wieder, wie die tote Babykatze in die schwarze Tasche kam. Die wildesten Vorstellungen, manche paranoid, manche vielleicht sogar ein wenig lustig, buhlen um seine Aufmerksamkeit. Jemand anderen fragen? Das geht nicht. Will er es überhaupt wissen? Er weiß es nicht. Er weiß nur, er muss aufhören, sich immer und immer wieder dieselbe sinnlose Frage nach diesem beschissenen Warum zu stellen. Eine tote, halbgefrorene Babykatze. Bläulicher Schimmer im weißen Fell, wie Gletschereis. Die Deutungshoheit der moralisch Überlegenen. Das macht ihn so wütend. Geht es nach ihnen, muss er es jetzt schaffen. this is a warnging. pursue your dreams and catch some fame, you fuckup.

needless to say: he failed.

An einem Tag nach Weihnachten:

Natis Herz schlägt wild um sich, bis in die Knochen hinein, als sich der Schlüssel mit einem Knacken im Schloss umdreht. Dann ist es ganz still in der Wohnung, Kätzchens Herztöne lange schon verstummt. Nati findet den kleinen leblosen Körper. Kein schöner Anblick. Sie will ihn gleich beseitigen. Doch wohin mit dem Häufchen Elend? In den Mülleimer? Nein, damit könnte Nati nicht leben. Kätzchen hat eine ordentliche Entsorgung verdient! Auch die Zwischenlagerung bis dahin soll dem Anlass entsprechend sein. Ein schönes Kühlhaus, in dem es friedlich neben Hunden liegen kann, vor denen es sich zu Lebzeiten bestimmt gefürchtet hätte. Das ist es, was Nati dem Kadaver schuldig ist. Und dann eine schöne Zeremonie, vielleicht mit Musik. Bis dahin: Kühlschrank? Aber dorthinein muss Nati doch die mitgebrachten Schüblinge legen. Die Oma hat ihr 5 Stück mitgegeben, rohe. Die muss man kühl lagern. Da hat eine tote Katze daneben nichts verloren. Kühlfach! Da ist der von Nati bei Gott erbetene Geistesblitz! Kätzchens toter Körper schmiegt sich beinahe perfekt in die Mulde neben dem halben Spinatquader. Im Eisschrank, in Natis Wohnung, geht das Licht aus.

Zwar eine halbe Stunde früher als üblich, aber immer noch im Dunkeln, steht Nati am nächsten Morgen auf. Das Tierkrematorium liegt beinah am Weg zum Büro. Um die Schuld bei Kätzchen tilgen zu können, wird sie den kleinen Umweg in Kauf nehmen. Die Suche nach einer passenden Transportmöglichkeit erweist sich zunächst als schwierig. Wie es aber der Zufall (oder wer auch immer) will, findet Nati eine Lösung: die Laptoptasche. Wasserdichter Neoprenstoff, Blickdicht, sogar schwarz. Beinah schön. Liebevoll nimmt Nati die gefrorene Babykatze aus dem Kühlfach und legt sie sachte in ihre vorletzte Ruhestätte. Unter dem Herzen trägt sie Kätzchen davon, hinein in den Untergrund der Stadt Wien, wo jeder (s)eine Fortsetzung finden kann.

Thordis Wolf

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18 | Wolfgang Wurm

Frohes Fest.

Dieser Autor sei ihm noch gar nicht bekannt gewesen, dabei sei er dem Klappentext nach zu urteilen sogar schon längere Zeit sehr erfolgreich, sagte er, als er sich für die unterhaltsame Lektüre bedankte, die er noch am zweiten Feiertag nach wenigen Zeilen wieder beiseite gelegt hatte. Und die staubtrockenen Plätzchen waren zu diesem Zeitpunkt bereits an die Wasservögel im Stadtpark verfüttert. Schließlich wollte auch er nichts als Frieden.

Wolfgang Wurm

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14 | Katrin Theiner

Taximann

Ich fahre immer über den Stern. Jeden Morgen. Erst die Zigarette an der Siegessäule weckt mich auf. Seit 15 Jahren umrunde ich die Goldelse und dann geht es rechts ab nach Moabit, einen Stammkunden abholen – eine ganz arme Sau. Geschäftsmann. Schlaganfall. Ich bringe ihn zur Tagespflege. Kurz vor dem Haus in dem er wohnt, ist meine Tankstelle. Ich tanke voll, laufe geduckt durch die anhaltende Schlechtwetterfront und kaufe im Shop Zigaretten und einen Schwamm. Morgens, wenn ich den Motor starte und die Belüftung angeht, steigt dieser Geruch in meinen Benz. Heizung, kalter Rauch, belegte Brötchen und der klamme Dunst vieler Fahrgäste. Als hätte jeder von ihnen etwas zurückgelassen. Irgendwie motiviert mich das. Radio an, Scheiben wischen, Rückwärtsgang, los. Bald kann ich die goldene Viktoria auf ihrer Säule sehen. Sie ist so etwas wie eine Arbeitskollegin geworden. Und die Erste, die mich morgens begrüßt. Jedes Mal versuche ich so lange wie möglich ihr Gesicht anzusehen. Als würde dort eine Regung kurz bevorstehen. Wir kennen uns eben verdammt lange.

Der Geschäftsmann sitzt festgeschnallt in meinem Auto und gibt komische Laute von sich. Er trägt einen gelben Jogginganzug und weiße Sportschuhe. Seine Frau hat beim Abschied geweint. Ob er sie noch erkenne, wisse sie nicht. Ihm wird kalt sein. Ich öffne meine Lederjacke, drehe die Heizung höher. Der Rückspiegel umrahmt seine gesunde Gesichtshälfte. Schon von weitem sehe ich seine Pflegerin. Ich bremse, damit der Matsch nicht auf ihren Kittel spritzt. Mit laufendem Motor bleibe ich stehen und ziehe die Silberfolie in langen Stücken von meiner Schrippe. Die Heizung nimmt den Geruch von Kochschinken mit und pustet ihn durch den Innenraum. Beiße ab, muss weiter. Der Bus ist heute pünktlich und mit ihm das Radio-Programm: „Verdamp lang her“. Wie fast jeden Tag. Die Stimme nervt, der Akzent ist wunderbar.

Von hier fahre ich zum Alex. Immer. Wohin mich die Fahrgäste schicken, bestimmen sie, von wo es losgeht, ich. Mir gefällt die Mischung aus Routine und Unvorhersehbarem. Nach 19 Jahren am Lenkrad, erkenne ich die drei Taxi-Typen sofort. Es gibt die Gestressten: Sie haben nicht damit gerechnet, plötzlich in einem Taxi zu sitzen. Irgendwelche Umstände zwingen sie, bei mir einzusteigen. Sie winken hektisch, reißen ruckartig die Tür auf und nennen atemlos ihr Ziel. Meist sitzen sie hinten, krallen sich an die vorderen Kopflehnen und würden am liebsten selber fahren. Jede rote Ampel ist eine Zerreisprobe für ihre Nerven. Sie kramen in ihren Portemonnaies, noch bevor wir das Ziel erreicht haben und geben wenig Trinkgeld.

Ich lasse die Waschmaschine rechts liegen und fahre weiter durch den Wintermorgen. Die Scheibenwischer geben den Takt vor, Niedecken den Text.

Wenn Kinder bei mir mitfahren, begucken ihre kleinen Gesichter staunend die Stadt. Ich habe keine Kinder. Das passte einfach nicht. Meine Kunden sind meine Familie. Und dazu die Goldelse, der Konrad auf dem Adenauer Platz, Prinz Albrecht an der Schlossstraße und das Steinmädchen auf der Wieck-Promenade. Im Auto sind mir die Routinierten am liebsten – Typ zwei. Weil sie so unkompliziert sind. Sie fahren oft Taxi und das merkt man ihnen an. Sie steigen meist vorne ein, nennen ihr Ziel und sind dann ruhig. Taxi fahren gehört zu ihrem Alltag, sie haben die wenigen Regeln verstanden und sind entspannte Beifahrer. „Von A nach B“ ist ihr Motto und das ist auch meins. Richtung Karl-Liebknecht-Straße ist eine Baustelle. Der Telespargel lässt die Häuser klein werden. Seine Spitze steckt in dicken Wolken. Da will ich jetzt hin. Zum Taxistand in Turmnähe. Am Alexanderplatz reihe ich mich ein in die Schlange von Taxen. Frühstückspause bei Santanas „Maria“ und leichtgeöffnetem Fenster. Kauend lasse ich mich nach vorne rollen und kauend nicke ich einer jungen Frau und ihrem Begleiter zu, die vor der Beifahrertür im Schneegestöber stehen. Sie bringen den Geruch von nassen Haaren und Kälte mit ins Auto und halten verschneite Rucksäcke auf dem Schoß. Er schnallt sich langsam an. Sie hat den Platz in der Mitte gewählt. Der Platz des Schlaganfall-Geschäftsmanns bleibt frei. Ich stelle mir die drei nebeneinander vor. Verrückt. „Nach Buch“, sagt der Typ leise. 18,3 Kilometer. Ich fahre los und sehe ihre Gesichter im Rückspiegel. Die Haut des Mädchens ist dunkel. Dicke, schwarze Brauen trennen ihre Stirn von der Augenpartie. Sie sieht müde aus, hat ein nettes Gesicht. Ihre Eltern werden aus dem Süden kommen. Spanien oder Griechenland. Was will sie mit ihm? Narbiges Gesicht, Bomberjacke, dunkelblaue Wollmütze. Für eine Glatze ist es wohl zu kalt, schießt es mir am Planetarium durch den Kopf. Ich folge dem Navi und genieße die Zeit, in der die Zwei unter meiner Beobachtung stehen. Sie starren schweigend ins Schneegestöber. Er greift nach seiner Mütze, nimmt sie kurz ab und im Rückspiegel leuchtet seine goldene Kopfhaut auf. Er streicht drüber, zieht schnell wieder die Mütze auf. Das eingefallene Gesicht wird noch nicht lange so aussehen. Seine Augen liegen tief, aber in ihnen glänzt es jung. Rostock- Lichtenhagen wird ihm sicher kein Begriff sein. Da war er ein Hosenscheißer. Ich tippe auf Mitläufer, aber das macht die Sache nicht besser.

Wir verlassen die Stadt nach Nord-Ost und nehmen die glatte A10. In 19 Jahren habe ich viele Glatzen gefahren. Früher habe ich diskutiert, heute nicht mehr. Ich bin Dienstleister, kein Pfarrer. Das Mädchen hebt die Hand und streichelt ihrem Freund über ein Tattoo am Hals. Von hier sieht es aus wie eine zerlaufene Umweltplakette. Er reißt den Kopf vor, fegt ihre Hand weg. „Lass“. Sie lehnt sich zurück, reibt sich die Augen. Musik an: Taxi-Hits. „Ich fahr Taxi. Ich fahr Taxi. Tag und Nacht. Der Job ist so mies, doch ich brauch den Kies.“

Ich beschließe, sie sind Typ drei. Nicht der klassische Typ drei, aber Typ zwei und Typ eins schon gar nicht. Sie sind schweigsamer, passiver, aber gehören zu den Korrekten. Die Korrekten fahren selten Taxi, planen ihre Fahrten und bemühen sich, die Regeln zu befolgen. Oft strahlen sie Unsicherheit aus, fragen vorab nach dem Preis. Sie sind aufmerksam, achten auf den Verkehr, auf mich. Sie sind sich darüber bewusst, in meinem Raum zu sein. Und hier passt man sich an.

Wir bewegen uns durch verschneite Felder. Frau Paradis singt mit zarter Stimme und es wird mir egal, ob sich die Glatze ihr Leben versaut. Um das Mädchen ist es schade. Wäre sie meine Tochter, würde ich ihr die Welt zeigen. Ich würde sparen, sie verwöhnen, um ihr zu erklären, man lebt doch nur einmal. „Vas-y Joe, Vas-y fonce.“

Am Karower Teich ist die Fahrbahn gefroren. Die Glatze hat die Augen geschlossen. Die Augenlider zucken unruhig. Ich tippe ihn auf Mitte Zwanzig. Was ihn wohl zu seiner Einstellung gebracht hat und dabei das hübsche Mädchen an die Hand zu nehmen? Berlin ist groß und täglich schwimmt die bunte Jugend über meine Rückbank. Aber die beiden sind besonders. Sie ist besonders schön, er macht mich wütend. Nach Micky Reinckes Kurztrip zum Eifelturm, spielt Fredl Fesl die ersten Akkorde seines Taxilieds. Ich hasse es. Nur wegen des Textes hat es einen Platz auf meiner CD. Bei so was bin ich konsequent.

Buch liegt vor uns. Der Schnee verdeckt die graue Platte. Es ist stickig. Die Glatze legt den Arm um das Mädchen. Ihre schwarzen Haare fließen in langen Strähnen über seine Jacke und verdecken die bunten Aufnäher. „An der Kirche vorbei“, sagt sie und taucht zwischen mir und dem Beifahrersitzt auf. Ich stelle das Navi aus. „Nächste rechts.“ Zwischen kargen Bäumen taucht ein beiger Gebäudekomplex auf. Mein Hals ist eng. Ich drehe Chapins Stimme leise. „It was somewhere in a fairy tale, I used to take her home in my car“.

Ich habe es plötzlich eilig, die beiden loszuwerden. „Links am Hauptgebäude vorbei“, sagt sie, zeigt durch die Windschutzscheibe. Er greift von hinten in ihre Haare und zieht sie immer wieder durch seine linke Hand, als würde er ein Haarband entfernen. Der große Parkplatz ist leer. Mit laufendem Motor bleibe ich stehen; eine Minute, die nicht endet. Ich schwitze. Ohne dass ich den Preis nenne, reicht sie zwei Zwanziger nach vorne und öffnet mit der anderen Hand die rechte Tür, den Oberkörper über ihren Freund gelehnt. Er schaut apathisch zu. Der Zähler zeigt 37,70 Euro. Dann verschwinden beide im Winter. Ich fahre an, drehe die Musik lauter. Westernhagen ist bei mir, als der Schnee alles verwischt: „Chemozentrum Berlin-Buch“. „Nun fahr schon los, ich will nach Hause, Taximann. Nun fahr schon schneller und halt nicht dauernd an“.

Katrin Theiner

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12 | Susanne Rzymbowski

Traumfänger 008

 „Schon wieder nichts! Ich weiß langsam nicht mehr was ich machen soll“, murmelte sich Traumfänger 008 in den Bart nach einer langen Nacht, die so schwarz, dass man die Hand nicht mehr vor Augen sah.

Auch diesmal blieb sein Käscher leer, den er sich nun auf die Schulter packte und sich mit schweren Schritten im beginnenden Morgengrauen zurück in sein Traumschloss begab, wo nun schon der Putz abzublättern begann und der ehemals blühende Garten sich in eine Ödnis wandelte.

Was waren das früher doch noch für Jahre gewesen, in denen er vollbepackt nach Hause kam, sein Schloss hell erleuchtet, voller bunter Farben und der Garten so üppig, das er einem Urwald glich. Jetzt starb dieser langsam ab, von all den Monokulturen der vergangenen fruchtlosen Jahre, die 008 eingefangen hatte.

Ja ein Traumfänger hatte in der heutigen Zeit einfach keine Zukunft mehr! Zu gleichförmig die wenigen Fänge, die nicht mehr wachsen wollten.

Schleichend hatte der Prozess begonnen, so dass 008 die ersten Zeichen nicht erkannte, als die Träume begannen immer kürzer zu werden und langsam die Farben aus ihnen verschwanden. Schon die ganzen letzten Jahre musste sich 008 mit einzelnen Graustufen herumplagen, die zusehends dunkler wurden. Nur vereinzelt konnte er noch Beute machen, wenn er sich tagsüber auf den Weg machte, um kurze Sequenzen einzufangen, was recht schwer für ihn war, denn dies erforderte ein blitzartiges Zugreifen, was ihm nicht immer gelang.

Zuerst hatte er begonnen die Einkaufsmeilen abzugrasen, die mit ihren Klängen und bunten Neonleuchten, den ein oder anderen zu einem kurzen Tagtraum verführten, zumindest in den Anfängen. Leider blieb sehr bald auch hier nur noch ein Abschalten und gab für 008 einzig runde durchsichtige Blasen her, die sofort zerplatzten, wenn er seinen Käscher über sie zu stülpen versuchte.

Auch die Staukolonnen, auf die er sich spezialisierte, gaben kaum noch eine Ausbeute. Lag es an den immergleichen Tönen, die aus den Radios drangen oder doch eher an den nicht enden wollenden Telefonaten mit Tastaturgeklapper?

Kein Mensch schien mehr zu träumen. Die Augen waren geradeaus gerichtet und so trüb wie ein umgekippter Teich. Was sollte 008 nur machen? Er fing an in die Bibliotheken zu gehen, die spärlich besucht und erhaschte zumindest dort ein Bündel gelenkter Visionen. Ja, damit musste er sich mittlerweile zufrieden geben! Und selbst die Spaziergänger im Wald waren ausgerüstet mit Stöcken, Walkie-Talkies und Schrittzählern, die ein Verweilen unmöglich machten. Selbst in den Kindergärten fand er keine Träume mehr!

008 wurde über all dies immer trauriger und fing nun selbst an einem Schatten zu gleichen, zumal er nun rund um die Uhr auf den Beinen war, in seinem Bemühen einen Traum zu ergattern.  Auch musste er feststellen, dass es keine Bilder mehr gab, ganz so als ob diese von einer imaginären Hand ausradiert würden.

 Wie sollte 008 in seinem Traumschloss weiter existieren können bei dieser Entwicklung?

Dennoch gab er die Hoffnung nicht auf und begab sich unter Anstrengung all seiner Kräfte immer wieder auf die Suche. Seinen Käscher bestückte er mit immer feingliedrigeren Maschen, damit selbst der noch so kleinste Traum nicht verloren ging.

Und als ob seine steten Bemühungen und seine Not erhört wurden, begab es sich, dass eine große Sonnenfinsternis sich über das Land legte und Tag und Nacht einfach verschlang, so dass selbst alle Energiequellen zum Stillstand kamen. Es war, als hätte sich ein Schalter umgelegt, der alles Bisherige lahm legte.

Die Menschen waren nun gezwungen ein Feuer zu entfachen, um so schutzlos sich selbst ausgeliefert, ein Licht zu erspähen. Und es geschah das Wunder: Im Prasseln der Glut, im Lodern der Flammen, im Knistern der Kerzen lud es sie wieder zum Träumen ein. Voller Freude und Dankbarkeit entzündete Traumfänger 008 daraufhin ein riesiges Feuerwerk, dass es nur so am Himmel blitzte.

Denn schließlich war es ja seine Aufgabe, das Denken zu bewahren!

Susanne Rzymbowski

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09 | Steffen Roye

Kairo

Das hat man nun davon, denkt Joschi. Da lässt man den BMW vorbeiziehen, um ihn nicht zu behindern. Und wird dann vom nachfolgenden Verkehr selbst behindert. Bekommt keine Chance, sich wieder in die Überholspur zu fädeln, denkt Joschi und schlägt mit der flachen Hand aufs Lenkrad.

Sie ziehen vorbei. Sie ziehen vorbei, eine andere Liga, eine andere Welt plötzlich. Er hat den Fuß mehr auf der Bremse als auf dem Gas, verfluchter Mist. Er hat einen tschechischen Laster vor sich, den die Steigung merklich anstrengt. Der Verkehr: dicht, aber flüssig. Jedenfalls auf der Überholspur. Wie schön, denkt Joschi und schaltet in einen niedrigeren Gang. Sie fahren dicht auf dicht, als ließen sie sich abschleppen. Der Abstand immer gerade so klein, dass niemand aus der Kriechspur, der Deppenspur ausbrechen kann. Joschi weiß selbst, dass sie gut daran tun, den Sicherheitsabstand auf ein Maß zu kappen, das kein auf die Fahrbahn brechendes Wild vorsieht. Dass das Unwahrscheinliche als das Unmögliche genommen wird. Genommen werden muss. Denn schlimmer, denkt Joschi, schlimmer als ein Unfall wiegt, jener Dumme sein zu können, der dem anderen Gelegenheit gibt, die Deppenspur, die Sonntagsfahrerspur zu verlassen und sich einzufädeln. Weil dieser andere – weil Joschi! - zwangsläufig nicht sofort Tempo aufnehmen kann und den Gutmütigen, den Gutmenschen, den Sicherheitsabstandshalter ausbremst. Nach ihm die Sintflut. Oder der Stau.

Joschi ist sich der Aufspaltung bewusst: fluchend, sich ärgernd über jene, die den blechernen Schulterschluss üben, und gleichzeitig wissend, dass er, einmal auf die andere Seite zurückgekehrt, diesen Schulterschluss, das Aufschließen, das Dichtmachen diesmal ebenso -- na ja, egal.

Wäre er aggressiv – wie Stanke, sagen wir mal – würde er einfach den Blinker setzen und die Spur wechseln, wie die Lastfahrer es tun. Wie der Tscheche es tun könnte. Und nicht tut. Blinken und wechseln, alles in einem, der Blinker nicht als Ankündigung, sondern als Legitimation, als Ausführungsbestätigung. Stanke wäre längst auf und davon. Jürgen Stanke, der alte Sack, hätte sich im KingKong längst an dieses Mädel rangemacht. Auch wenn er mindestens zwanzig Jahre älter ist als sie und Joschi. Auch wenn er längst abgemeldet sein sollte, der Gruftie. Joschi hingegen wartet auf eine Gelegenheit. Wenn er sich mit seinem Bier an die Bar lehnt und das Mädel beobachtet, wie es allwöchentlich mit den Freundinnen ins KingKong kommt, wie es sich manchmal von Kerlen ansprechen lässt, einladen lässt, was auch immer, dann ruft er sich zur eigenen Rechtfertigung ein Foto aus einem Bildband vor Augen, ein Krokodil, das man für einen Baumstamm halten könnte, der im Fluss treibt, und im Hintergrund die Abenddämmerung und etwas unscharf eine Gnuherde, die Tiere in der ersten Reihe mit abgespreizten Vorderläufen im Schlamm. Das Krokodil, sagt Joschi sich dann, kann warten. Irgendwann ist der Druck der nachrückenden Herde so groß, dass die vorderen Gnus aus ihrer Unschärfe und in den Fluss gedrängt werden und in panischer Angst ans andere Ufer streben. Dann wird, was man für einen Baumstamm halten könnte, aktiv und hält auf die Tiere zu, packt eines und zieht es unter Wasser, reißt es mit schnellen kreisenden Bewegungen auseinander, obwohl, wie die Bildunterschrift verrät, mehr Gnus durch die eigene Panik zu Tode kommen als durch die Krokodile.

Und jedes Mal aufs Neue ist Joschi erschrocken. Ist erschrocken über die Assoziationen, die ihm zur Rechtfertigung herhalten müssen. Er will niemanden unter Wasser zerren und zerreißen. Doch wenn es nicht bei einem Bier, bei einem Cocktail, bei einem Tanz bleiben soll, will die Sache überlegt, geplant sein.

Joschi fährt auf, als könne er den Laster die Steigung hinaufschieben. Er schaut in den Außenspiegel. Keine Chance. Nur Überholprofis auf der linken Spur.

Stanke! Joschi erinnert sich - er hat ja Zeit auf der Sonntagsfahrerspur, der Schneckenspur! - er erinnert sich, wie Stanke einmal in großer Runde seine Urlaubserlebnisse in Kairo schilderte. Wie die Straßen unpassierbar schienen, eine Stoßstange an der anderen, ein Ineinandergeschiebe von Blech, aus allen Richtungen und zu allen Farben der Ampeln, und wie er, Stanke, sich das Spiel eine Weile fasziniert anschaute und dann auf Anraten eines einheimischen Touristenführers einfach loslief, wie er gar nicht erst nach einer Lücke spähte, sondern sich seine Lücke schuf, wie er einfach auf die Straße trat, wie die Autos nichts anderes von einem Fußgänger erwarteten und hupend auswichen, wie er auf der anderen Seite ankam. Unversehrt.

Und so, genau so, macht Stanke es auch mit den Mädels im KingKong, dieser Arsch, denkt Joschi.

Ob Joschi auch? Ob seine Zeit nicht irgendwann überschritten ist? Ob die Herde nicht irgendwann den Fluss passiert hat, ohne dass, was man für einen Baumstamm halten könnte, zugepackt hat?

Die Schlange der Überholenden nimmt kein Ende. Joschi brodelt. Ist wütend. Auf die da und auf das Krokodil und auf das Mädel im KingKong und auf die Gnus und auf Stanke sowieso und auf den verfickten tschechischen Lastfahrer und auf sich. Setzt den Blinker. Wechselt einfach die Spur, der Blinker nicht als Ankündigung, sondern als Legitimation, als Ausführungsbestätigung. So wie Stanke in Kairo über die Straßen geht. So wie Stanke im KingKong fünfundzwanzig Jahre jüngere Mädels anbaggert. So wie das Krokodil eines der Gnus packt und unter Wasser auseinanderreißt.

Von hinten eine Hupe. Scheinwerfer im Rückspiegel. Vor ihm eine Staubwolke. Eine Herde Gnus. Brechen aus der Savanne neben der Autobahn, ihm direkt vor die Motorhaube. Bremsen. Vollbremsung. Hinter ihm ein Krokodil, stattliches Exemplar, die Gnus im Blick. Es bäumt sich, es hechtet, hechtet einfach durch die Heckscheibe.

Steffen Roye

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07 | Clara Heinrich

Harmonie

Es ist still. Außer. Tick. Tack. Tick. Tack. Das ist die Küchenuhr. Bisschen tiefer klingt das Tropfen aus dem Wasserhahn. Patsch. Patsch. Geräusche, die meinen monotonen Alltag begleiten. Ich sollte mein eintöniges Leben vertonen. Kann ein Leben eintönig sein? Es fühlt sich so an. Dabei ist meines mindestens zweitönig. Da gibt es das Ticken, das Tacken und das Patschen als ständige Begleitung meines Herzschlages, der wie ein Metronom über allem wacht. Das ist wiederum nur meine Wahrnehmung, weil das Schlagen des Herzes mir lauter vorkommt als die Uhr da hinten in der Ecke. Die geht bestimmt genauer als mein Herz, keine Sorge. Ich fühle aber anderes. Ich ticke eben anders. Der Zweite Ton in der Zweitönigkeit ist greller, lauter, schriller, nicht monoton und gleichmäßig wie Wasserhahn und Küchenuhr. Mein Herz gibt den Takt auch diesmal vor. Es ist ja schließlich Metronom. Mein Metronom. Wie das wunderschöne, dunkelrote hölzerne, das früher neben dem Klavier stand. Nur schneller, panischer, hektischer. Hektisch trifft es gut. Der Atem hört aufs Herz. Er wird flacher. Schneller. Alles wird schneller. Schneller und Greller. Zu viel für mich. Bis ich irgendwann verkrampft zu Boden sinke, dem zu schnell nachgebe und heule bis nichts mehr geht. Die Tränen sind so laut, wie es zuvor still war. Bevor die Panik kam. Mich einfach wie ein Tsunami überrollt hat. Das passiert oft. Ein paar Mal am Tag. Ich bin so etwas wie eine wandelnde Symphonie mit dem Paukenschlag. Oder ist mein Leben die Symphonie und ich der Paukenschlag? Nein, das bestimmt nicht. Dazu haue ich zu wenig auf die Pauke. Das Pauken liegt mir nicht. Also bin ich die Symphonie und das Leben der Paukenschlag? Egal. Jedenfalls wäre ein Dirigent sehr notwendig. Oder eine Dirigentin, versteht sich. Davor sollten meine Instrumente aber noch gestimmt werden. Die klingen falsch. Irgendwie nicht harmonisch. Die Harmonie fehlt insgesamt. Nicht nur beim Ticken, nicht nur beim Tacken. Irgendetwas ist falsch. Insgesamt eben. Nackt kommt man auf die Welt. Sind die Instrumente dann schon gestimmt oder sind sie noch gestimmt? Meine waren bestimmt nie gestimmt, ich war schon immer verstimmt. Deswegen vergreife ich mich auch so oft im Ton. Der ist dann zu streng, zu wütend, zu traurig. Zu, auf jeden Fall mit zu davor. Die Stimmlage stimmt dann nicht. Ich bin schief, ausgerutscht, nicht richtig. Auf die schiefe Bahn geraten. Wobei das dann ja nicht meine Schuld wäre, wenn die Instrumente schon bei der Geburt verstimmt waren. Aber das sagt mir niemand. Niemand sagt mir, du bist die Nadel, die alle Platten verkratzt und hat dann eine Lösung parat. Nein, so sind sie nicht. Und trotzdem geben sie den Ton an. Sie sagen, sei nicht traurig. Traurig?, wiederhole ich dann tonlos. Ich werde immer leiser, die Panik immer lauter. Aus dem nichts wird sie laut. Immer jeden Tag. Sie holt mich ein. Jagt mich, so wie eine Note hinter der anderen herjagt. Sie gehört zu mir, die Panik. Könnte (m)ein Komponist mal eine Pause setzen? So ein Zeichen würde mein Leben erleichtern. Die Pauken, die brauche ich gerade nicht. Was bin ich nun? Wo sind die, die mich hinbiegen und stimmen sollten. Tick. Tack. Tick. Tack. Patsch. Patsch. Die Panik ist weg, die Eintönigkeit zurück, doch ich weiß, der zweite Ton wird wieder kommen.

Clara Heinrich

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04 | Stephan Weiner

Blockade

Ich kann heute nicht. Keine Zeit. Einerseits habe ich noch nichts gegessen. Andererseits muss ich noch einkaufen, einen Film gucken, ausgehen, was trinken, auf der Couch liegen, lesen, joggen, telefonieren, duschen, meckern, hin-und-her-gerissen-sein – irgendeinen Scheiß halt. Und das hier? Das geht grad einfach nicht. Obwohl ich es will. Es muss. Es ist so ein innerer Drang. Sonst fühle ich mich so faul. Und das an einem Samstag. Einem Samstag der schon langsam in Richtung Abend geht. – Völlig unverhältnismäßig.

Unverhältnismäßig in den Abend geht? Wohl kaum. Eher eine unverhältnismäßige Art sich faul zu fühlen. Und warum drücke ich eigentlich immer das „k“, wenn ich doch eigentlich das „l“ meine? Vielleicht sollte ich es für heute bleiben lassen. Auch wenn ich nicht für ihn schreibe. Zumindest nicht im Moment. – Aber mir fällt einfach nichts ein. – Vielleicht weil ich schon fast fertig bin. Am Ende kommt immer die Leere. Also ob man nur für den Anfang etwas hatte und dann, wenn es ernst wird, verlassen einen die Geister. Ich hab mal gehört, dass man sich immer was für den nächsten Tag aufbewahren sollte. Damit man immer weitermachen kann. – Aber was, wenn man am ersten Tag schon zu wenig hatte? Wo kriegt man den Rest her? Den zum übriglassen?

Ich muss mich entspannen. Den Kopf in den Nacken werfen. An die Decke blicken. Oder Augen schließen. Irgendwas halt, was mit Entspannung zu tun hat. – Ich könnte Alkohol trinken. Aber dann heißt es wieder, „Guckt euch den an!“ und so. Also trinke ich Milch. Auch wenn ich mich ein bisschen krank fühle. Erkältet. Da trinkt man keine Milch. Das Fett fördert Entzündungen. Und wenn ich erkältet bin, ist mit Sicherheit irgendwas in mir entzündet, und dann wird mit Milch alles nur noch schlimmer. – Stimmt das so? Und wenn nicht – auch egal. Es geht schließlich um Entspannung. Oben drin. Da gehören auch gedankliche Abzweigungen dazu.
Eine Entscheidung muss ich dennoch fällen. Also, ob und wie es denn heute weitergehen soll. Das Eine oder das Andere? Beim Anderen bin ich ja schon fast fertig. Also noch nicht ganz, aber fast. Beim Einen müsste ich noch ‘ne ganze Weile sitzen. – Aber ich weiß nicht, ob ich in allein-sitz-Stimmung bin. Vielleicht bin ich ja auch eher in draußen-rumlauf-Stimmung. Vielleicht fördert das ja das Eine, wenn ich vorher rumgelaufen bin. – Nur unterhalten geht nicht. Also das nun wirklich nicht. Womöglich auch noch mit Fremden. Unbekannten Menschen, denen ich alles erzählen muss. Besser gesagt sie erwarten es. Zumindest so ein bisschen. Damit es interessant bleibt. Auch wenn für mich zugucken viel interessanter ist. Deswegen vielleicht doch lieber einen Film. Auch wenn das eigentlich anders von mir erwartet wird.

Ich brauche auf jeden Fall etwas, das das Eine vorantreibt. Ich hab ja zum Glück noch ein bisschen Zeit. Kann ja noch gar nicht draußen rumlaufen. Erst in ein oder zwei Stunden. – Dann ist bestimmt alles anders. Ist ja meistens so. Wenn man wartet. Am Ende ist immer alles anders. Vielleicht auch dann, wenn man am Anfang zu wenig hatte.

Aber das weiß ich jetzt einfach noch nicht.

Stephan Weiner

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