freiVERS | Michael Spyra
Der Mond im Fernsehapparat
Wie ein Ballon, ein Lampion, so schwebt er
mal mehr mal weniger und widerstrebt der
Tendenz zu fallen, Erdanziehungskraft
und trotzdem immer da, in Geiselhaft.
Der Fremde also, Fremdling und Begleiter,
mit Staub bedeckt, meteoritbeschneiter,
derselbe immer, Einzelgängermond,
wie eben schon und gleich noch mal betont.
Der Pockennarbige, im All ergraute,
der immer von derselben Welt beschaute,
das Accessoire aus einer andern Welt,
bewundert, abgemalt und angebellt,
gesichtet und besichtigt, überwunden,
die immer gleiche Bahn auf seinen Runden.
Die scharfe Sichel und das volle Rund,
von Swinemünde bis nach Swapokmund.
freiVERS ist unser Wort zum Sonntag.
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freiVERS | Manon Hopf
ich suche ein trauer
wort für den ausbleibenden
schnee
das unvollständigkeits
erleben ob es mehr als drei
generationen braucht
bis der schnee schnee ist
von gestern eine neue semantik
gefunden
wurde für die augen ob
zukünftige fluten
das jahr abschließen können
mitreißen wie eine decke
weißer schnee this too is
water ob wir neue metaphern finden
für winter über wintern
wenn selbst unsere leichen
nicht mehr erkalten
wenn das frösteln wie eine erinnerung
über uns kommt beim öffnen
der brummenden kühlschranktür
ich weiß nicht wo ich über
wassern werde die hand
ins eisfach gelegt dort habe ich
eine leere
krippe aufgebaut neben
einer handvoll baby cheeses
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23 | POEDU: Mira – Regina – Inga
Die Wunschliste
Ich wünschte, hinter unserem Haus stünde ein Pferd und dieses Pferd gehörte mir.
Ich wünschte, es hätte eine goldene Mähne.
Ich wünschte, es würde mich in den Wald tragen.
Ich wünschte, ich würde in eine Welt gelangen, die noch nie zuvor jemand betreten hat.
Ich wünschte, dort gäbe es Trauben, so groß wie Fußbälle.
Ich wünschte, dort gäbe es Bücher in allen Sprachen.
Ich wünschte, ich könnte sie verstehen.
Mira, 11 Jahre alt
***
Ich wünschte, ich hätte ein Buch mit vielen Geschichten, das ich nie zu Ende lesen könnte.
Ich wünschte, ich könnte den Binärcode auswendig, dann könnte ich mit Robotern in ihrer Muttersprache sprechen.
Ich wünschte, ich hätte eine Traummaschine, mit der man sich die Träume aussuchen kann, ich hätte dann keine Alpträume mehr.
Ich wünschte, es gäbe Reginerischland wirklich, dort wäre ich die Königin.
Ich wünschte, Süßigkeiten wären gesund.
Ich wünschte, ich lebe in der Villa Kunterbunt.
Ich wünschte, ich könnte in die Zukunft schauen, aber ich wüßte nicht, welche Geschenke ich bekomme.
Regina, 9 Jahre alt
***
Ich wünschte, ich dürfte den ganzen Tag nur lesen.
Ich wünschte, dass ich eines Tages um die Welt reisen würde.
Ich wünschte, ich würd' in London leben.
Und ich wünschte, ich könnte anderen Menschen helfen und Freude bringen.
Inga, 14 Jahre alt
***
POEDU | Poesie von Kindern für Kinder.
Monatlich gibt ein*e Autor*in online einen poetischen Anstoß.
Dieser Impuls kam von Anke Bastrop:
Poesie und Wünschen sind fest miteinander verbunden, und zwar das ganze Jahr lang. Genau genommen kennt das poetische Wünschen keinen Raum und keine Zeit, keine Bedingungen und keine Grenzen. Stellt euch also vor, euer Wünschen wäre ganz frei. Alles, einfach alles dürft ihr sagen … natürlich auch eure Herzensdingwünsche – alles ist erlaubt ...
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22 | Sofie Morin
Das war ein Jahr:
Im Dialog mit Frauen
der Poesie ist
Aufgaben gestellt
die ich mir erfülle
Da ist mehr als das Treiben rundum
Gesichter leuchten heraus und ich
halte meine Mitte ganz still
damit sie da bleiben
Zuneigung verschenkt sich selbst
Außen toben Geschehnisse
die Sendungen sprengen
Wir fassen unser Glück kaum
unbeschadet zu sein
Unsere Uhren tragen rote Nasen
wenn wir Schmerz durchtauchen
Das Schicksal ist milde sonntags
in Zusammenkünften zuweilen ein Gelingen
das in keinen Wochentag je passt
Oder zwischen hochgewachsenen Stämmen Wege
die einsam gut sind
Ich weiß manche durchschreiten Wälder
um Geister zu vertreiben
Ich aber will sie anlocken
in meinen Kreis allesamt
will nichts weiter als Verbindungen
die sich verstehen
auf Wölbungen hin zum Verzeihen
Liebeleien mit Wuchsformen
bestimmen die Monatsfolge:
windberuhigte Schwüre
hellglühendes Verständnis
büschelweises Sprießen
Maultrommeln und ein Flirren
um die Mundränder
Ich kenne diese Melodie
der Hund meiner Kindheit
wird in ihr durchscheinend wie gläsern
Ich huldige den kalten Wintern
die Glaubenssätze verheizen
Von einer Taglichte zu nächsten
frischgepflügte Äcker und Sonnwendfeuer
Die Fackel in meiner Hand entzündet
Gangarten der Fantasie erprobt
Jede Eitelkeit gibt schließlich
dem Schneedruck nach
Das ist alles
Und wenn ich fertiggeschrieben habe
koche ich all meinen Kindern eine Suppe
schreibe unser Zusammensein hinein
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21 | Marina Büttner
Erinnerung
Wir holten das Moos aus dem Wald.
Es ging Richtung Wintersonnenwende.
Die Zeit war rar. Doch das Moos holten
wir immer. Es glitt feucht unter die Haut.
Der Duft, in dem später das Jesuskind lag.
Der Vater hob es vorsichtig aus der Erde.
Der Waldrand stand dämmernd. Wir
gingen nach Feierabend, viel Arbeit war da.
Wir waren zu zweit. Weihnachten kam.
Der Duft des Vaters nach Sägespänen,
der Geruch von Moos. Ich schmückte
die Krippe. Das Kind war ganz nah.
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19 | Doris Leeb
Ich sage euch an
Es brennt ein Wutbäuchlein
Erst eins
Dann zwei
Dann dreihundert
Dann vier
Dann steht das Patriarchat vor der Tür
Ist das Kind schon?
Glänzt der Baum schon?
Duftet der Keks schon?
Hat sie eh schon?
Noch nicht?
Na sog amoi!
Wo sama denn?
No de erlaubt se.
Erlauben sie mal.
Sie. sie.
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17 | Georg Großmann
Der Nachtkrabb
(ein altes Lehrmärchen)
Kinder des Tages
hellt nicht die Nacht
mit dem Weiß eurer
Augen
das Dunkel, das die Welt
umflort
beherbergt böse
Kreaturen
gehorcht den Uhren, den
Liedern der Stunde
und klettert nicht in den Ofen
der Nacht, klettert
in den Alkoven
und macht
die Augen häutig und
still
morgen Früh, wenn Gott
will
–
meidet die Nacht
seid nicht des nachts
im Wald, auf freiem
Felde, wenn die
Geister aus dem
Nebel brechen
wenn der Nachteulenfresser kommt
und schlaflose Kinder
ins hinterste Finster
des dichtesten Waldes
verschleppt
ein Riese, man nennt ihn
den Nachtkrabb
ein tiefschwarzer Vogel
groß wie ein Stadel
geht auf gefiederten
Stelzen
greift mit gefiederten
Fingern
stößt mit seinem Sensenschnabel
rote Höllenschreie aus
schaut mit seinen Kohleaugen
dreht den Federkopf zur Seite
pickt nach euch wie ein
fallender Baum
sieht euch von Weitem
sieht euch von oben
kommt schon geflogen
hört jedes Knistern von
Zweigen
hört jedes Flüstern und
Schweigen
sucht nach den
Kindern, den
sturen
(hört auf die Uhren!)
lässt sich die
Abweichler munden
(folgt brav den Stunden!)
Nachtkrabb, gefiederter
Riese
reibt euch mit Grobsand
Wunden ins Fleisch
reibt euch das Augenlicht
aus eurem Angstgesicht
legt euch die ewige
Nacht in den
Schädel
hält euch im Dunkel
fest, dem ihr
gefrönt
schindet euch
Kinder des Tages
hellt nicht die Nacht
mit dem Weiß eurer
Augen
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16 | POEDU: Wanda & Marie
Wunschliste II
Ich wünschte, ich wäre ein Vogel.
Ich wünschte, dann könnte ich alles sehen.
Ich wünschte, ich wäre eine Giraffe.
Ich wünschte, dann könnte ich ganz weit gehen.
Ich wünschte, ich wäre ein Krokodil.
Ich wünschte, ich lebte im Nil.
Ich wünschte, ich wäre eine Maus.
Ich wünschte, dann wäre ein Loch mein Zuhaus.
Wanda, 8 Jahre alt
***
Ich wünschte.....
Ich wünschte, es gäbe kein Mathe als Schulfach
Ich wünschte, meine Schule wäre in unserem Dorf
Ich wünschte, es gäbe nicht so viele französische Vokabeln
Ich wünschte, ich wäre eine Artistin im Zirkus
Ich wünschte, es gäbe keinen Klimawandel
Ich wünschte, meine Eltern hätten eine Konditorei
Ich wünschte, es gäbe weniger Ferien
Marie, 11 Jahre alt
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14 | Karl Johann Müller
nach den Farben der Raureif
im ersten Raureif Bilder meines Sommers
sie spiegeln mein Erinnern an neulich
eine flüchtige Sonne hat sie in den Farben
des Herbstes auf wandelnde und bald
fallende Blätter gezeichnet
die sich im Sinken dem Vergehen nähern
lautlos tropfen sie als Zeichen des Verfalls
von der Gleichmäßigkeit des Zeitenwindes
beständig geschaukelt auf einen Boden
der den Schnee schon auf sich fallen sieht
und du
die du wie ich die Falten zählst im Gegenlicht
des tagsüber tauenden Raureifs
du hast dir dein Haar schon gebürstet
wie ich
wenn die Kälte kommt
möchten wir schön sein
farbig und prächtig wie die Laubbäume
im Oktober
unsere Gedanken sind geerntet
gekeltert
unsere Haut färbt sich dem Ende zu
wo kein Frühling mehr wartet
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13 | Dominik Kohl
Robben
Plötzlich war da ein Kopf im Wasser.
Schwarz gerundet, glänzte
Verlängerung, die fleckigen Steine
verknüpften treibend Algen. Tauchte
unter unter Riffel Oberflächen, wo
Wind ging. Zerriebene, zerstoßene Stücke
Muscheln lagen herum. Ein Stück
weiter wieder derselbe Schädel
oder ein anderer dehnte die Spannung der Wellen.
Kompakter Körper, unsichtbar, streckte sich schnell,
später. Noch einmal
am Ufer. Ebbe. Windstöße
an Stirn. Zusammengeballt das Meer, du
warst nicht allein. Weiter unten
die schräggefallene Seite der Berge.
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