freiVERS | Avy Gdańsk
aus Männern werden Nymphensittiche
mit roten Bäckchen, angeblich, wenn
sie mich sehen: deine Beobachtung
befriedigt den Prinzen in mir, dem
deine Heimat unablässig schmeichelt
doch sollte man einem Land
keinen Glauben schenken, wenn
es einen zu verwandeln sucht: meins
erzählt nur Märchen über dich, weiß
und weiß nichts: hier
sieht man nur deine Haut und
deinen Halbmond, dem auch ich
mit spitzen Hörnern begegne – meine
agnostischen Instinkte schlagen, meine
mystischen schmiegen sich an; ich
löse dich immer noch aus Worten, mit
denen ich dich überzogen habe und schlüpfe
in deine Djellaba – einmal werde ich
alles von dir, du alles
von mir tragen, bis
dahin versöhne ich dich mit dem Schnee
und finde heraus, wie man böse Zungen
entgiftet
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freiVERS | Marlies Blauth
mein Haus
besitzt viele Windungen
Korridore
führen durch die Jahrzehnte
am Ende haben wir
manchmal Neues gebaut
einen Ruheraum
eine Kleiderkammer
einen Gedanken –
jetzt
breitet sich Halbleere aus
staubige Spuren
lebendiges Erbe
jemand fragt
ob du hier
überhaupt noch wohnst
mein Nein
hat einen Bittergeschmack
den ich nicht aussprechen will
das Herz sortiert
trübe Bilder aus
ohne dich
gäbe es auf der Südseite
keine Sonnenblumen!
zu manchen Zeiten hast du
mir Wörter geschenkt
glanzvolle
helle
erleuchten seitdem
jedes Zimmer
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freiVERS | Ale Leyler
belladonna
du hattest wichtiges zu tun.
musstest bei papa schlafen, der die ganze nacht nur geheult hat.
der wind schlich unter die decke.
die socken halfen nichts.
die dicksten socken schenkte dir die grossmutter, die zweimal starb.
ich habe nicht gewusst, dass ein mensch zweimal sterben kann,
aber bei ihr habe ich es gesehen & geglaubt.
vater hat nach ihrem tod geweint & mutter nicht,
mutter war eine starke frau, der wind hat ihr nichts ausgemacht,
auch dann nicht, als winkelried sich nach der beerdigung umbrachte.
er schluckte eine unmenge gift, genug um einen stier zu töten,
& nicht einmal einen abschiedsbrief liess er da zur erklärung.
bei der beerdigung wurden dinge vorgelesen, die halb blieben,
halb wahr, halb richtig, halb omi. winkelried war nicht da.
niemand konnte sagen: ja, so war es. auch dann nicht,
als die bäume mitten im winter blühten & im frühling starben.
mutter hat den hunden den essig von der schnauze geleckt, damit sie mit dem heulen aufhören.
wir taten kein auge zu. papa konnte nicht. dabei wäre heute,
als ich im bett lag & in den himmel starrte, ein guter tag gewesen,
um die wichtigen dinge zu erledigen: socken flicken,
die schubladen ausräumen, den hund zum einschläfern bringen.
ohnehin stapeln sich die briefe, um die wir uns kümmern sollten.
ich wollte dir eine gasse machen, doch dann hat der blitz eingeschlagen.
ich eilte zu dir durch strauch & unkraut, ich war zu spät,
der baum war gespalten, feuer brannten, die leute waren verängstigt,
wenn bloss nicht nochmals, wenn bloss nicht.
immer in eile aber nie pünktlich, sagte mutter.
wo der blitz einschlug, sind pfützen aus essig, die die hunde auflecken.
wir sehen & riechen uns in den pfützen.
als wir am see entlang gehen, an den hühnerställen vorbei,
nennst du beiläufig die namen der blumen & gräser.
wer nennt mir die blumen, frage ich mich,
wenn du nicht mehr bist? mir steigen tränen in die augen,
ich versuche an anderes zu denken,
die hühner wegzuscheuchen mit ihrem todesblick.
am ende des sees grollt der donner.
ich wollte dir eine gasse machen, eilte zu dir,
ich war immer in eile, die ganzen jahre lang,
war freundlich, wenn mir der donner grollte,
hörte zu, als mir nach sprechen war,
blieb auf dem weg, versprach auf dem weg zu bleiben,
weinte mit der belladonna, weinte um die bäume,
die im frühling starben.
ich war zu spät. oma war gestorben.
der hund roch essig, frass dein bild im essig,
& verschluckte dich wie ein gespenst.
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freiVERS | Georg Großmann
wenn man nachts das wasser einfangen geht
das lehmhaus birgt beinahe jedes
grundelement
feuer in seinem gussofenherz
luft, die durch fenster und türen ...
erde, aus der es gebaut
nur wasser fließt keines
in seinen adern
läuft aus keinen trauten hähnen
läuft vielmehr draußen herum wie
ein wildes tier -
man muss es einfangen
gehen, mit klirrendem
kübel, hangabwärts
wie über eine kellertreppe
in einen keller unter sternen
und wolken
wo das finstere teichfass lagert
wo die quelle im ökoton
verwahrt
zwei steinerne stufen
der schein der laterne
muss es auffangen gehen
mit klirrendem kübel
muss geduldig sein
muss dem plätschern lauschen
das zuerst tief, dann immer
höher, bis es zu zwitschern
beginnt
muss es zum richtigen zeitpunkt ...
—
zu mitternacht
wenn die mondhostie auf den
gewässern schwimmt
erwacht der hastrman
am lehmigen teichgrund
rührt im wasserdunkel um
schwer wie ein welsleib
er sieht mich verschwommen
auf den steinernen stufen
sitzend das wasser
auffangen
ich sehe ihn nicht
neben mir
leuchtet das schnitzkürbishaus
augen und mund durch
die baumschwarze luft
im hintergrund bellen die
dörfer
eulen, geschnäbelte
geister
chiffrieren die stille der nacht
ich sitze und lausche
—
ich zähme das wasser
im kübel ist ein teich
gewachsen
ein kegelstumpfförmiges zwergengewässer
das ich am henkel
den hügel hinauf
durch den zirpenden garten
ins hexenhaus schleppe
die schöpfkelle gräbt
eine lache heraus
ich trinke
ein bach füllt das bett
meines körpers
der kübelteich spiegelt
den raum
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freiVERS | Jan-Eike Hornauer
Glaubensbekenntnis
Teutonischer Locus amoenus,
Naturkirche, heiliger Wald:
Nur Du stehst für alles, was schön is’,
Du Eden in Irdengestalt.
In Dir bloß zu wandeln heißt: leben.
Dich spüren und riechen befreit!
Dich sehen meint: himmlisch vergehen …
und in Dir: nur Zauber, kein Leid.
Das ist, was wir sagen, im Grunde.
Doch achten wir faktisch Dich nicht.
Wir schlagen Dir Wunde um Wunde,
auf Geld statt Erlösung erpicht.
Wir nutzen und schaffen Dich ab,
wir dulden Dich – wenn! – als Plantage.
Naturwald? Ach, papperlapapp:
Den wollen nur Loser in Rage.
Gewinner, die sehen Gewinn.
Die Losung heißt immer: Verwerte!
Es steckt in Dir zählbar was drin,
Du treuer, Du teurer Gefährte.
Kultürlich Dich loben, oh Wald,
dies werden wir gründlich für immer.
Natürlich wird unsre Gewalt
an Dir dieweil schlimmer und schlimmer.
Als Großkathedrale im Geist
bist Du für uns nicht zu ersetzen.
Doch irrst Du Dich sehr, wenn Du meinst,
dies hieße, Dich anders zu schätzen.
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freiVERS | Viviana Kraus
Zeitenwende
Die Kindheit wird alt geworden sein.
Sie wird ein Kopftuch tragen, wenn sie daherkommt.
Wir werden sie nicht erkennen.
Sie wird als einzelne, ungemahlene Bohne
In der Kaffeemühle nisten,
Sich vergessen wissen.
Es wird von nun an nur noch Winter sein.
Die Ungewissheit wird leben, hinter den Ziegeln,
In den Fugen der sicheren Gebäude wird sie einziehen.
Der Wind von Gestern wird uns umwehen,
Wir werden ihn füttern mit den Resten unserer Kartoffelsuppe
Und sein Säuseln nicht verstehen.
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freiVERS | Bettina Scherff
Allein
Im Labor alles nach Plan, ein Gefühl der Kontrolle
ein Teil von ihm ein Teil von mir
verschmelzen im Reagenzglas zu Einem
zu Eizellen in A-Qualität.
Verschmelzen wie er und ich verschmelzen
aus Zwei wird Eins
wir sind doch auch Eins.
Das Glucksen, wie ein zarter Schluckauf in meinem Unterleib,
als ich unser Kind aufnahm
zwischen meinen gespreizten Beinen ein Mann,
der da nicht hingehört
der mich anmault, weil ich zucke
als die Pipette in meinen Uterus sticht
der lacht, weil ich sage, ich habe das Glucksen gespürt,
was nicht sein kann, es ist doch noch zu klein, unser Kind.
In meinem Körper dann die wahre Katastrophe, die Zerstörung
dort bleibt nichts, dort wächst nichts.
Ich bin zerstörerisch, ich bin schuld.
Mein Bauch bleibt leer, meine Arme bleiben leer.
Ich bin allein.
Wollte unserem Kind die Welt schenken
der Welt unser Kind schenken
unserem Leben unser Kind schenken.
Wie soll ich bloß diese Lücke füllen?
Nichts kann diese Lücke füllen
ich werde verrückt bei dem Gedanken, kann ihn nicht zulassen
der Schmerz ist so groß, so tief.
Möchte mir die Sehnsucht herausschneiden
ich möchte operieren, ohne Betäubung
der Schmerz wäre lächerlich gegen das hier.
Ich muss die Lücke füllen.
Wie kann es sein, dass ich keine Mutter bin
es war doch in mir, unser Kind,
wie kann es sein, dass ich keine Mutter bin?
Ich bin doch jetzt Mutter, es fühlt sich so an
doch bin ich es nicht
bin mutterlos gleichzeitig, bin schutzlos und allein.
Wie kann ich denn jetzt mir selbst noch die Mutter sein?
Was ist das überhaupt, Mutter?
Sind wir nicht alle Frauen?
Aber Mütter sind besondere Frauen
das bin ich nicht, eine besondere Frau.
Ich zerstöre, ich bin schuld
das alles kann ich doch niemandem sagen
nicht mal ihm.
Ich muss doch stark sein für ihn und unsere Liebe,
dass ich ihn nicht verliere
uns nicht verliere
mich nicht verliere.
Ich brauche Kontrolle.
Letzte Nacht noch
haben wir uns die Lust zurückgeholt, ganz pur
ohne diesen Hintergedanken
haben uns gegenseitig getrunken.
Ich war voll von ihm in meinem Mund
bis ich ihn schmeckte
sein Speichel auf meinen Brüsten
die ich ihm gierig entgegenstreckte
seine Lippen auf meinem Bauch, seine Zunge
zwischen meinen Beinen das leise schmatzende Geräusch
bis ich vibrierte.
Am Morgen dann das nüchterne Erwachen
ein vergeudeter Eisprung ein verpasster Fick,
das ist mir herausgerutscht.
Meine Panik, dann seine Wut, unser Streit
laut und hemmungslos wie unsere Lust in der Nacht
aber die Dunkelheit ist eine andere.
Jetzt ist er weg
ist nicht mehr hier
auch uns zerstöre ich, bin schuld.
Ich bin allein.
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freiVERS | Petrus Akkordeon
ich wachte auf
und war der panamakanal
ich war auch die insel
und die see
und mein eis schmolz
mein gefühl flosz
wachte auf
versuchte ich
zu sein
aber blieb
der panamakanal
im laufe des tages
gewöhnte ich mich
an meine bedrohtheit
und wusch mir
zur nacht
die haare
und sorge
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freiVERS | Jana Franke
in einer schachtel aus luft
unsichtbar,
wenn ich nicht atme.
beruhigt übersehen.
wenn ich nicht atme,
wachse ich unbehelligt
in einer schachtel
aus tischbeinecken
im spinnweb
mit holzdach zum ausziehn und
auf dem teppich geblieben.
wenn ich nicht atme durch
halbseidene tafeltücher
betrachte ich krampfadern,
notdürftig gestopfte strümpfe,
schwarze zehen, gelbe nägel
im sommer.
wenn ich nicht atme
vergessen sie mich
in der schachtel aus luft
zwischen den
beine derer, die reden.
über alles, auch mich.
aus mir wird dann: die.
dann atme ich nicht
mehr in meiner schachtel
unterm tisch, dann
verknüpfe ich schnürsenkel.
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freiVERS | I. J. Melodia
Rochade 110 bpm
Auf deinen nächsten Zug wartend
beginnst du einfach von vorne
die Damen in den Fäusten
ich hätte die Wahl
Doch selbst Schwarz und Weiß
kannst du nicht mehr unterscheiden
Ich erinnere mich
an den Januar
sein Grau
und den August
er brannte rot
Heute rieche ich
unsere Asche
höre kaum die Musik
In meiner Kehle keimt
das Unbehagen
ohne Klang und Farbe
Die Nadel springt von der Platte
ein leises Knistern im Tonarm
der Takt geht dir blau
unter die Brust
blendet aus
Es gab nie ein Verurteilen
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