17 | Sophie Stroux
eMMa
Sie sitzt auf dem Fensterbrett mit grünem Rahmen und malt mit schnellen, weiten Strichen auf Papier. Ihre Hände sind schon schwarz und ein paar Punkte haben sich auf ihr Gesicht verirrt. Ihr rotes Haar steht wirr ab, ihr grüner Blick rennt den Pinselschwüngen hinterher. Sie sieht schön aus in dem bunten Licht mit ihren leuchtenden Haaren und mit dieser Ruhe.
Ich sitze ihr gegenüber und bewundere ihre spitze Nase und die Haare, die immer noch ein wenig nach einer Katzenspiegelung aussehen. Der Moment ist fast ein Bild, vielleicht von Rembrandt, schnelle Pinselstriche und trotzdem ruhig.
„Sind wir bald da?“, fragt sie auf dem Weg zu einer Party und ich blicke ihr hinterher wie sie vor mir verschwindet.
„Wir sind zu früh.“, sage ich langsam, aber sie hört nicht. Ich will mich nicht hetzen lassen, will den Moment genießen, bleibe vor einem Schaufenster voller Bücher, die Neuerscheinungen dieses Monats, betrachte, wie sie farblich sortiert zu einer Pyramide aufgestellt sind, verliere mich in dem Bild, und finde mich auf der Spitze der Pyramide wieder wie ich mich bereit mache, auf ihr herunter zu rutschen.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.
16 | Maximilian Michl
Darstellung gemeinsamer Topologie (geometrisch, mäandrierend)
Wenn du ziehst
dann geb ich Druck
sanft, folgend deinem Weichen
Das, was du willst
wollt’ ich bereits
umriss schon erste Zeichen
Wenn wir wo sind
sind wir ein Tanz
umkreisen gemeinsam
Weil wir wer sind
sind wir sonst einzeln
alleine, nicht einsam
Dann, wenn mein Kreis
den deinen deckt
in filigranster Passung
Trinke ich gierig
aus dir Kraft
und geb dir dafür Fassung
Du lässt dich
setzen, fassen
uns: klinken ineinander
Ich: berste schier vor Kraft
wir: waren Kreis,
werden Mäander
Deine Facetten brechen Licht
umgeben dich mit Funkeln
nur
neben dir
bin ich bei mir
Ich möchte, dass wir schunkeln
Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.
15 | Claudia Maria Kraml
zwischenstation
stummes wispern ferner zeiten
allegorie dem raureif gleich
lässt zurück des frühlings leiden
das neuer namen kenntnis weicht
alte lettern voll der mären
erwachend hoffnung leicht zerspringt
aufenthalt nicht um zu währen
kälte bald durch rückgrat dringt
wo der winterwind mit flocken
blasse straßen nachts durchfährt
und zerreißend hell der glocken
luftbotschaft einlass begehrt
und engelsschwert geformt aus stahl
vor des trubels froher schar
erdolcht der grenzen flieh’nde qual
rettet zukunft übers jahr
funkelnd blick wie kieselsteine
bleibt in traumes mut besteh’n
geflüstert wort es ist das meine
verweile doch du warst so schön
Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.
14 | Katie Grosser
Treue Häfen
Mein Blick, er geht weit in die Ferne
Zum Horizont, so groß und klar
Wo Sonne nachts im Sterben Sternen
Das Leben schenkt, ein ewig Kreis
Auf sanften Wellen gleiten Schiffe
Mal links, mal rechts an mir vorbei
Sie tragen Menschen, große, kleine
Die Jungen, Alten, Menschheit ganz
Ein jeder ist auf seiner Reise
Und viele jagen eines nur
Der Hunger groß nach Abenteuer
Ist ihrer Segel starker Wind
Ich seh sie fremde Länder finden
Und bis auf tiefsten Meeresgrund
Sich kämpfen nur mit purem Willen
Sie segeln auch durch stärksten Sturm
Erschreckend groß sind die Gefahren
Doch trotzig bieten sie die Stirn
Der Horizont ist nicht das Ende
Er kann für sie nur Anfang sein
Mein Kahn, auch er treibt stets nach vorne
Folgt meinem Segel, das ich setz
An altbekannte, treue Häfen
Ich spür nur Regentropfen sanft
Ich weiß, das Meer, es geht noch weiter
Auf Wegen stets der Sonne nach
Und manchmal denk ich, was wohl wäre
Wenn ich drauf schlüge meinen Kurs
Und doch mit leichtem Herz ich winke
Den vielen Abenteurern nach
Gönn ihnen Glück und ihre Spannung
Und würde doch nicht tauschen woll’n
Denn treue Häfen sind mir lieber
Bekannte Küsten freu’n mein Herz
Das dann vor Freude schlägt auch höher
Wenn lange Reise sicher schließt
Der Horizont mag weit und riesig
Das Meer selbst gar unendlich sein
Mein Glück liegt mitten in mir selber
Am Steuer sitz nur ich allein
Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.
13 | Simone Scharbert
Nachts III
und stocken einen satz nach dem anderen stecken im
neonguss der straßenlampen haben seltsame größen für einen
moment und werden so ein nervöses wechselspiel aus konkav
und konvex lachen uns angst zu im dünnlicht der röhren
führen wir unsere silhouetten an leinen und staunen über ihr
stilles miteinander und ob sie einander kennen fragen wir uns
während wir schulter an schulter gehen klappen unsere
schatten wie tintenbilder auf mittig geknicktes papier
unser brustbein die achse im jetzt lehnen wir schulter an
schulter die mauer im rücken und sehen unsere schatten
verblassen die nacht während neonröhren flimmern und wir
nur einen augenblick lang fenster und türen geöffnet halten
Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.
12 | Natalia Fastovski
Verlorene Welt
Wir sind gefangen
in dieser Welt
mit einem kaputten Herzen,
verloren in Atemzügen,
die keine Zukunft haben.
Verzweifelt pulsieren
unsere Adern
und wir hauchen
uns gegenseitig Leben zu,
denn solange die letzte
Blüte noch blüht,
ist nicht diese Welt
und nicht unsere Liebe
verloren.
Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.
11 | Matthias Engels
Mann vor Winter
Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.
10 | Marina Büttner
Glanz & Elend
Da oben die Sterne, Planeten,
das Leuchten ein Raum & unten im Dreck
wir
die Erde steht Kopf wir rennen,
wir rammen einander um,
wir reißen wie Gladiatoren, wie Stierkämpfer
die Gegner entzwei doch oben sind manche
die trudeln wie Engel durchs All
haben die Häupter erhoben
die Füße gestreckt, ihre Flügelspitzen gereckt
wird der Sauerstoff knapp, tauchen sie
herab in die Erdatmosphäre zurück
in den Dreck & fangen
die Entzweiten, die Geteilten, die Geliebten und Enteilten
halten sie fest mit gefiederten Armen - viele fliehen
vor den reinen Gesichtern
fühlen sich höher & sind doch in naher Ferne dicht der Erde
bald darunter bald Asche verstreut überm Wasser
Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.
09 | Simone Lettner
Ein kleiner Adventspaziergang
Gestern Abend ging ich spät noch spazieren. Ich ging unbedachten Schrittes meines Weges, in wirre Gedanken versponnen, das dumpfe Tönen der Autobahn vernehmend. Ich fühlte keinen Weihnachtsfrieden in mir. Die nächtliche Stille war nicht friedlich, sondern bedrohlich. Die Kälte kroch in mich, und ich hieß sie willkommen.
Ich kam bei meinem Spaziergang zum Gemeindehaus. An dessen Wand waren ein paar Worte gemalt: „Zünde ein Licht an“ stand da zu lesen. Ich ging daran vorbei, und noch während die hellen Worte vor meinem geistigen Auge aufflammten, schaltete der automatische Bewegungsmelder vor der Eingangstür des Gebäudes eine oberhalb angebrachte Neonlampe ein.
Da überkam mich als mit zusammengekniffenen Augen hilflos Blinzelnde der Gedanke, wie überflüssig es in der heutigen Welt scheint, als Mensch selber ein Licht anzuzünden, wenn doch überall automatische Bewegungsmelder sind. Und auch andere künstliche, scharfe Lichter begleiten uns schließlich stets, Werbeplaketten, Firmenzüge, Leuchtaufschriften, Weihnachtsketten und Warnleuchten. Ganze Gebäudekomplexe sind nachts ausgeleuchtet. Nicht einmal abstellen kann man diese Lichter. Sie verfolgen einen, und sie lassen einen nicht in Frieden.
Wir befinden uns in einer Welt der Zwangsbeleuchtung, vielleicht auch der Zwangsverblendung. Manches Mal möchte ich gerne auf das Licht verzichten, zöge es vor, mich im stillen Dunkeln einzuhüllen – doch dann kommt man an einem automatischen Bewegungsmelder vorbei, und der taucht einen gnadenlos ins grelle Helle.
Das Künstliche an diesem Licht ist verklärend. Es überblendet jeden natürlichen, ehrlichen, aufrichtigen, unscheinbaren Lichtfunken, der noch am dunklen Horizont zu schimmern vermag.
Diese Lichter, über die man keine Verfügung hat – die sich von selbst einschalten und leuchten, ohne dass man sie ausschalten könnte, sind mir unangenehm, wie würde ich denn noch selbst ein Licht anzünden, wenn mich stets so grelles Industrielicht umgibt?
Was bedeuten heute vier Kerzen auf einem Kranz?
Was bedeutet heute ein aufrichtiges Licht, das aus mir kommt, aus meinem Inneren, das Wärme erzeugt und Geborgenheit, und nicht Kälte und Ausgesetztheit wie die Neonlampe? Welchen Wert hat es und welcher Anstrengung bedarf es? – Vermutlich einer größeren als ich bisher je gefühlt habe.
Das künstliche Licht mit seiner selbstverständlichen Vorhandenheit soll uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass wahres Leuchten ein Geschenk ist – das grelle Fabrikprodukt soll uns nicht blind machen für die viel kleineren, viel ehrlicheren Lichtstrahlen mit viel wesentlicherer Wirkung, die Menschlichkeit verkünden. Wir brauchen nicht so sehr Städte, die die ganze Nacht auf elektrische Art zum hellen Tag erstrahlen lassen – wir brauchen viel eher Meere an Herzen, die mit menschlicher Wärme das hereingebrochene Eis zum Schmelzen bringen, durch die Dunkelheit strahlen und ein Zeichen setzen.
Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.
08 | Eric Ahrens
Weihnachtsmarkt
Kinder kotzen neongrün
als hätten sie verdorbene Kobolde gegessen.
Du investierst zwanzig Tacken
an Plastikpferderennbuden
und dein Hauptgewinn ist ein Plüschtier,
von dem du Ausschlag bekommst.
Die Gesichter der Schausteller steinern,
wartend auf den nächsten Trottel,
der glaubt, sich mit einem Greifarm
ein iPad fischen zu können.
Karussells katapultieren dich
in den endlosen Nachthimmel
und für einen Augenblick wünschst du dir,
sie würden dich loslassen und du könntest
über den Dächern verschwinden.
Doch diese Sehnsucht wird
vom dampfenden Glühwein vernebelt,
der dich in selige Stimmung versetzt
und die Musik aus allen Ecken sagt dir,
dass alles gut wird.
Nach ein paar Bechern bist du breit genug,
um mit der ganzen Welt Frieden zu schließen.
Um verschüttete Freundschaften anzurufen
und ihnen zu sagen, dass es dir leid tut,
wie es gelaufen ist.
Aber soweit kommt es nicht.
Du setzt dich lieber in die Gondel
einer Geisterbahn und hoffst darauf,
dich wieder wie ein Kind zu fühlen.
Mit Herzklopfen und Nervenkitzel.
Aber als du nach wenigen Minuten
wieder rausgeschoben wirst
schaust du finsterer drein
als die Deko-Dämonen
an der Fassade.
Die Euphorie
runtergebrannt
wie klumpiges Kerzenwachs.
Früher war es leichter,
sich zu begeistern.
Verarschen zu lassen,
aber auch.
Das Advent-mosaik, dein literarischer Begleiter durch die Vorweihnachtszeit.
Täglich darfst du ein neues Türchen aufmachen.