freiVERS | Christa Issinger

Notting Hill Gate

aufgerollt wie ein faden
die vergangenheit
der geruch und die wärme
windstoß der u-bahn
das viktorianische haus mit der roten tür

du warst nicht mehr da
nur die lüge
du würdest auf mich warten
tausend jahre und mehr

nun stehe ich da und
drehe mich um
Erinnerung

Christa Issinger

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freiTEXT | Katja Bohnet

Unsichtbare Dritte

Seit du mit ihm geschlafen hast, sehe ich dich mit anderen Augen. Wir haben seitdem nicht mehr viel miteinander gesprochen. Als ich das Autoradio anmachte, hast du es leiser gestellt. Du fährst zu schnell.  Ich frage mich, wohin. „Halt an!“, höre ich mich sagen.

Du ignorierst mich.

„Halt sofort an!“ Diesmal schreie ich.

Ich merke, wie du die Geschwindigkeit drosselst und scharf bremst. Die Landschaft wird langsamer, die Felder halten an.

„Was?“

Ich öffne die Tür und steige aus. Ich stehe einfach nur da. Du lehnst dich über den Beifahrersitz und ziehst die Tür zu. Der Wagen zieht an, beschleunigt, eine Staubwolke weht hinter dir her. Auf dem Asphalt klebt ein Stück Fell. Jetzt ist das Auto nur noch ein verwaschener Punkt am Horizont.

„Hau ab, Arschloch!“ Meine Stimme klingt fest.

Hier am Straßenrand fühle ich mich seltsam banal. Ich gehe nicht zurück. Die Hitze lädt mich auf. Ich schreite voran. Felder, unermesslich weit. Irgendwann höre ich ein leises Rauschen. Hinter mir. Ich sehe mich um. In der gleißenden Hitze glänzt etwas metallisch. Es kommt auf mich zu.
Der Güterzug ist endlos. Wir ziehen nebeneinander her. Ich schwitze. Meine Füße brennen. Als der letzte Waggon vorüber rollt, fühle ich mich verlassen. Meine Beine müssen weitergehen. Mit dem Handrücken wische ich mir den Schweiß von der Stirn. Eine Kreuzung.

Die unsichtbare Dritte: Das bin ich.

Kein Flugzeug taucht auf. Nichts. Ich gehe weiter gerade aus, biege nicht ab. Nicht mehr. Meine Schritte werden kürzer. Ich ignoriere den Durst. Die Sonne brennt. Kein Auto kommt, kein Truck, kein Mensch, kein Tier.
In der wabernden Pfütze auf dem Asphalt erkenne ich sein Gesicht, seinen Leib, nackt. Du liegst auf ihm, hier mitten auf der Straße. Du siehst mich an. Eine Fata Morgana. Ganz real. Ich stolpere über eure Körper, falle, rappele mich wieder auf. Den Nachmittag halte ich noch durch. Meine Sohlen schleifen über den Asphalt. Die Straße trägt mich, ad infinitum. Ich blicke hinauf ins Weiße. Ich bin frei.

Ein kleiner Punkt kommt näher. Ich habe Schwierigkeiten, ihn im Auge zu behalten. Dann höre ich Motorengeräusche. Vielleicht lasse ich mich retten.  Der Wagen hält an. Du öffnest die Tür. „Steig ein!“, sagst du. Ich sehe dich an. Wenn ich dich anschaue, sehe ich auch ihn. „Hau ab, Arschloch!“

Du kneifst die Lippen zusammen. Schlägst die Tür zu, fährst an. Dein Blick hart. Dein Schwanz war es sicherlich auch.

Katja Bohnet

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freiVERS | Angelo Wemmje

Nachdem Beifall

Eine vollkommene Reduktion
tritt auf die Bühne und
präsentiert ihre Immanenz, die
das Publikum verlor in den
überschwänglichen Bewegungen
ihrer Leben:
Das Stillleben – ein
fixierter Moment
aus dem alles entwächst, auch
die Zappelein der Gäste
und Zuschauer – eine
scharfe Illusion, die
der Maler entpuppt mit
einfachen Strichen,
die, nachdem streichen
in Ewigkeit ruhen
zu Ehren dem Werk, so
wie das Klatschen der Leute
nachdem Beifall.

Angelo Wemmje

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freiTEXT | Susanne Ulrike Maria Albrecht

Mystisch

Schon den ganzen Tag freute ich mich auf das schmale Büchlein in meiner Tasche. Ich hatte ihm am Vortag in unserer Bibliothek nicht widerstehen können. Sein silbrig blauer Einband mit der Andeutung von prasselndem Regen und schweren Gewitterwolken hatte mich neugierig gemacht. Nun saß ich unter dem Lichtkegel meiner Stehlampe und strich über die erste Seite. Doch da ...

… überfiel mich eine bleierne Müdigkeit und ich nickte ein. Kurz darauf erwachte ich sehr erfrischt  und begab mich in mein Arbeitszimmer. An meinem Schreibtisch machte ich mich an die explizite Auswertung einiger Diplomarbeiten. Als geschiedener Germanistikprofessor hatte ich ohnehin nichts besseres zu tun.  Allerdings wurde mir während dieser Semesterferien eine ganz besondere Ehre zuteil. Ich sollte meine Enkelin, deren Eltern verreist waren, betreuen. Meine Tochter Beatrice und mein Schwiegersohn Horst Tauber, der als Arzt bei einer Tagung in Österreich weilte, um anschließend die traute Zweisamkeit für eine romantische Italienreise zu nutzen, hatten mir die kleine Sarah samt ihres Kanarienvogels Sindbad anvertraut.

In der Zwischenzeit würden ich, meine Enkelin, deren Vogel und mein Kater Humbert, die eine eigenartige Konstellation bildeten, sich das geräumige Haus mit dem großzügigen Grundstück teilen. Einmal wöchentlich würde sich Frau Rawenstein, in ihrer Funktion als Haushaltshilfe, dazugesellen. Weswegen, unter Berücksichtigung von meiner Zerstreutheit, die sich gleichsam lustig wie anregend auf meine Enkelin auswirkte, das Chaos für die bevorstehenden Wochen bereits vorprogrammiert schien.

Sarah, die sich  hier nach Herzenslust ausleben konnte, deren kindliche Phantasie dauernd aufs neue gefordert war, bemüht darum, diese Art der Belustigung im Fluss zu halten und fest dazu entschlossen, dem Chaos keine Pause zu gönnen, hatte sich seit langem ein gelbes Strickkleid gewünscht. Doch all die Bemühungen von seiten ihrer Mutter und die vielen Einkaufsversuche waren fehlgeschlagen. Ein leuchtendgelbes Strickkleid aus reiner Wolle sollte es sein. Mit einem Griff in das Schrankfach, war es um Großvaters Lieblingspullover geschehen. Genau das richtige für Sarah. Jetzt nur noch schnell in die Waschküche, wohlwissend, dass Großvater Waldemar besagten Kellerraum selten betrat und dessen Nutzung lieber seiner Zugehfrau überließ. Stunden später glich das edle Wollteil, zuvor eingeweicht und tropfnass aufgehängt, dem lang ersehnten Strickkleid. Nur noch fertig trocknen, dann reinschlüpfen und sich wohl fühlen. Stolz betrachtete Sarah das Resultat ihrer klammheimlichen Aktion und freute sich über die gelungene Arbeit.

Ich als ein selbsternannter Einkaufsbummelmuffel und erklärter Feind von Shoppingtouren, begegnete Sarahs Frage nach diesbezüglichem Ausflug in die Stadt mit diplomatischem Geschick. Mit der einfachen Feststellung, dass die von ihr getragene Kleidung doch neu und sehr schön sei, war der Erklärungsbedarf gedeckt. Scheinbar zufrieden verzog sich Sarah in den Garten, um mit der gleichaltrigen Nachbarstochter Simone zu spielen.

Nach einer Weile stand sie heulend in der Tür zu meinem Arbeitszimmer und beklagte sich schluchzend über die Hänseleien von Simone. Die hatte nicht mit ihr spielen wollen, weil sie diese abgetragenen und viel zu kleinen Klamotten trug und daraus ableitend bestimmt kein guter Umgang war. Kleider machen eben doch Leute, schloss Sarah das Plädoyer über ihre missliche Lage.

Tatsächlich war Sarah in kürzester Zeit sehr schnell gewachsen, und nachlässig gekleidet war sie auch. Das war nicht von der Hand zu weisen. Ich hatte mir diesmal die Mühe gemacht, mich zu ihr umzudrehen und musste mit Entsetzen feststellen, dass die Nachbarstochter nicht übertrieben hatte. Die eigene innere Animosität überwindend, packte ich Sarah bei der Hand, um sie neu und angemessen einzukleiden.

Sarahs Plan, mit der sehr viel kleineren Simone die Kleider zu tauschen, war vollends aufgegangen.

Als passionierter Frühaufsteher und vehementer Verfechter eines ausgiebigen Frühstücks, war ich geradewegs im Begriff, mich ans tägliche Werk zu machen, als ich angesichts der Federspur, die von der Küche zur Hintertür führte, mir das Pfeifen im Halse steckenblieb. Die ungute Ahnung, die mich  dabei befiel, fand im Garten ihre grausame Bestätigung.

Das Unheil, das mein Kater da angerichtet hatte, war nicht mehr gutzumachen. Sindbad, oder das, was noch von ihm übrig war, lag da, und Humbert, sein Mörder, war spurlos verschwunden.

Sarah durfte auf gar keinen Fall etwas davon mitbekommen.

Über den leeren Käfig im Wohnzimmer hängte ich das dazugehörige Tuch, um den Anschein zu erwecken, dass der Vogel noch schlafen würde. Ich hatte die Absicht, gleich einen neuen Vogel zu besorgen. Ich hoffte nur, dass Sarah nicht den Unterschied merken würde.

Derweil Frau Rawenstein zu ihrem großen Reinemachetag eingetroffen war, bereitete ich eilig Sindbads letzte Ruhestätte vor. Das war ich ihm schuldig. Immerhin war er durch die Pfote meines Katers ins Jenseits befördert  worden. Frau Rawenstein, die unter einer Vogelphobie litt, weigerte sich lautstark, den gewünschten Ersatz zu besorgen. Allein schon der Gedanke an einen Vogel brachte bei ihr eine Lawine ins Rollen, die eine Panikattacke auslöste und sich schließlich zum Tobsuchtsanfall steigerte. Durch das Geschrei aufgewacht, stand Sarah plötzlich auf dem Balkon, um mich auf frischer Tat zu ertappen. Ich tarnte meine geheime Aktion mit dem Deckmantel der üblichen Gartenarbeit. So hatte ich vorerst meinen und Humberts Hals gerettet. Der Kater schlich irgendwo da draußen herum und hatte mir die Drecksarbeit hinterlassen.

Frau Rawenstein war wieder bei Sinnen. Und ich fuhr zur Zoohandlung.

Sarah kringelte sich vor Lachen. Das war ihre bisher beste Spaßattacke gewesen. Dank ihres makabren Scherzes würde ihr geliebter Sindbad noch heute anstelle des geopferten Spielzeugvogels einen Gefährten mit dem Namen Timba bekommen. Zwei Vögel würden für Frau Rawenstein den endgültigen Zusammenbruch bedeuten.

Aus mir wurde mit wenigen Worten Professor Hardwig, der wieder einmal einen endlosen Vortrag hielt, der so langweilig war, dass man ihn getrost verwerfen konnte. Aber meine Enkelin Sarah, würde schon für die rechte Kurzweil und die dringend notwendige Abwechslung sorgen.

Ein Schauer lief mir über den Rücken und mir sträubten sich die Nackenhaare. Was sollte das? Germanistikprofessor? Enkelin? Ich war doch ein angehender Student! Und seltsamerweise saß ich immer noch unter dem Lichtkegel meiner Stehlampe und strich über die erste Seite. Anscheinend schien das schmale Büchlein mehr zu wissen als ich. Aber irgendwie war es auch sehr beruhigend zu wissen, dass das mit meiner Zukunft alles klar gehen würde.

Susanne Ulrike Maria Albrecht

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freiVERS | Lütfiye Güzel

freiheit & fabrik

ich schreibe
aus den falschen gründen
& je schlechter ich mich fühle
desto falscher werden die gründe
von außen kommt nix
von innen geht nix
und am ende
ensteht dann
so was hier
Lütfiye Güzel

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freiTEXT | Judith Trapp

Zurück

Seit Neumünster trabt der schwarze A-Klasse-Hengst quasi mit Autopilot. Obwohl nur geliehen, kennt er den Weg. Schon lang nicht mehr meine Heimat ist der kleine Ort zwischen Holsteinischen Hügeln und doch hält die Zeitlosigkeit jetzt die Zügel. Das Grün ist hier noch grüner als am Meer, von dem ich gerade komme. Verstörend die Mischung von großer Vertrautheit und Ferne zum Ort und dem, was war. Nicht nur ich, auch alle andern sind längst weg vom Gehöft am Ende der Straße. Ein langgezogenes Gebäude mit unpassend protzigem Portal kommt mir näher. Nun angeglichen an den Rest: Der Lack der beiden Steinsäulen ist gründlich von den 20 Wintern angefressen, die der jetzige Besitzer hat nachlässig verstreichen lassen. Meterhoch umwuchert sind Haus und Nebengebäude mit grazilem Topinambur, wildem Kohlstrauch, garstiger Nessel. Das Tor zum Waldstück rostet schief und wird nur noch vom Stacheldrahtprovisorium gehalten. Die Stalltüren sind mit der Zeit am obern Rand ausgezackt. Traurigbraun und unregelmäßig stehen die Holzzähne dem Wind entgegen. Und auch der letzte Bewohner und Besitzer vom ehemaligen Hippiehof ist mit den fleckigen Tapeten, dem muffigen Trödel auf dem Dachstuhl, dem wackligen Mobiliar alt, furchig, grau geworden. Gleichwohl bewahrt er als letzter dem Ort die Würde durch das an Erinnerung, was in meiner Vita so gut wie heilig gesprochen ist: Unsere Kommunenzeit hier. Lange vorbei und doch wie gestern geh´ ich in Gedanken durch das Gelände, alle Räume. Die warn wild und bunt. Voller Kunstmaterial. Experimentelle Lesestoffe, mondäne Teppiche an den Wänden. Instrumente, auch sehr eigenwillige. Farben, Früchte, Hoppeltiere. Unter den niedrigen Fenstern liefen die Kaninchen und Hühner, vögelten die Angereisten, den Apfelfrüchten nah. Trunken machte schon der viele Sauerstoff und der freie Himmel unterm Berg. Und wenn wir nicht tags dort nackt Gewitter tanzten und nachts auf dem Mercedeskombidach über Feldwege cruisten, blieben noch so viele andere Spielmöglichkeiten, häuften wir ekstatisch die Erfahrungen an. Wir schufen eine andere Wirklichkeit und das nicht nur im Drogenrausch. Auch die Musik, die Natur, das Atmen und Halten und Loslassen all dessen, dem wir habhaft wurden – sperrten uns die Tore der Wahrnehmung auf, fürwahr. Heute finden nur noch wenige Realitätsflüchtlinge hierhin und sie finden keine Alternative mehr zu ihrer Gefangenschaft in der verkauften Welt. Nur noch tristes Versteck in feuchten Räumen, die nun viel zu groß. Weil leergeräumt, zu Geld gemacht, was von Wert und alles andre als Leben, das hier die Lücken füllen könnte. Das Schelmische und Laute, Mystische und Streitmutige: Niemand mehr, der mit gerupftem Hühnerleib erzürnt den Dieben aus den eigenen Reihen im Innenhof nachsetzt, wirft. Niemand (kein Sunbird, keine Hallibelli), die mehr suchspielen im Dunkeln, mit Trommeln und Tamtam. Anschwellende Gesänge, die das Innenleben lobpreisen, begleitet vom Geschirrgeklöppel, rhythmischen Schlägen auf den runden Tisch in der Küche mit den fünf Türen. Heut´ leckt dort die Decke und lässt Böses ahnen – zwei Stockwerke drüber liegt der Schornstein. Keine Kräuter- und Körnersammlung in den Regalen sondern Tafelfutter, staubig und dunkel, weil das Fenster zum Hof fast blind. Ein Zauber bis ins Erdreich trieben wir voran: Deponierten im Steinkeller Devotionalien von weitgereisten Gästen (Figuren aus Fernost) oder verfluchten die schmallippigen Rivalinnen, gaben dort unter der letzten Wölbung ihr Foto zum Zerzausen frei. Glücklich torkelten die Schmetterlinge durchs Cannabis und der Tonchef einer Band, die in unserm Studio ein Album aufnahm, raubte im ausrangierten Bulli dem 17jährigen Sänger einvernehmlich dessen Unschuld. Am Ende des dreieckigen Gartens lag das „Dreieck“ und wurde fruchtbarster Punkt und Anbeginn nächster Generationen der späten Jugend, irrwitziger Gedanken, mancher Lieder wohl. Lieder, die vorgetragen am andalusischen, gomerhischen, goatischen Lagerfeuer die gleiche Freude zeitloser Sinnlichkeit sein konnte.

Mir blieb aus der Zeit Erfreuliches und meine Leibesfrucht, gezeugt bei Mondschein nah der jungen Eiche. Ich bin nach all den Jahren eine ganz andere, beschließe ich. Fahre friedlich nach Stunden und Umwanderungen den gleichen Weg zurück. Im Nachbardorf zieht vor mir ein Bauer auf´m Rad, mit einem Eimer am Lenker, eine große Kurve von der Nebenstraße in die Hofeinfahrt, mustert mich durch die Karossenscheibe eingehend, hebt dann geruhsam und wissend die Hand zum Gruß. Wen grüßt er da? Die, die fünfzehn Jahre weg war oder eine ganz andere?

Judith Trapp

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freiVERS | Barbara Zoschke

Veränderung II

Ich werde die auftragen.
Sind die, die sauberputzen.
Gebe ich darüber.
Das ist eine, die wächst, enthält, was unterstützt.
Die wird genährt und gereinigt.
Der beruhigt die, die hat vom Fahrtwind.
Ich rühre, sie enthält.
Das sind die.
Sich mit den verbinden?
Das ist, die dafür sorgt, die produziert.
Und die gebe ich hinein,
nennt sie die, die symbolisieren.
Gebe ich nämlich und hinzu.
Das ist das der und die, die stärken.
Erhält die und eine an.
Das braucht die, weil hochfährt.
Im Frühling gibt die ab,
wie eine, die sich häutet,
wie die, die aufblüht und kommt.

 

Barbara Zoschke

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freiTEXT | Kai Gutacker

Der harte Kern

Der harte Kern also, wir vier; immer wir vier, in den Bars, lange nach Sonnenaufgang, mit ein paar letzten Drinks, Tequila oder Jägermeister, und bis auf Hendrik alle mit blauen Gauloises zwischen den Fingern; wir, die noch nicht gehen wollen, auch, wenn die Nacht bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt wurde und sie nichts mehr hergibt, alles nur noch Trägheit ist, die Betrunkenen um uns sich verzogen haben, gerade kurz bevor sich die Straßen mit frischen, ausgeschlafenen Menschen bevölkern, das ist unsere Zeit. Wir vier, allesamt single, drei Jungs und eine wunderschöne Frau, die wir flankieren und die insgeheim unser aller Träume streift, die wir aber lange als Unseresgleichen akzeptiert haben. und mit der also nie etwas geschehen könnte, das nicht freundschaftlich wäre. Wir in den nächtlichen Straßen oder wir tagsüber im Laden, niemand hat einen besseren Geschmack in Fragen der Eleganz, wir vier, die wir uns darin bestätigen, wie wir leben, dass man auch als Heutiger wissen darf, ob man zwei oder drei Jackettknöpfe bevorzugt und wie man sein Revers trägt, ob man Windsorknoten binden können oder sich bei Swingmusik auskennen müsste, wir, die wir das alles bejahen, und die wir unseren Plänen nachgehen, unser Stück von der Welt zu erobern. Jeder auf seine Weise, Benjamin in seiner Kanzlei, tatsächlich das Kind der Freude, das er seinem Namen nach ist, mit rotblondem Haar und eleganten Gesten, dem alles zufällt, maximal fünf Jahre noch, dann wird er genug für drei verdienen und sich irgendwo ein Apartment kaufen. Oder Hendrik, der immer etwas ernst ist und verschlossen – er ist Getränketechniker und erzählt, wenn er einmal etwas erzählt, meist davon. Und natürlich Alexandra, über die sich so vieles sagen ließe. Sie ist hinreißend, aber das erwähnte ich ja schon. Also, unser Vierergespann, wir alle kommen aus den verschiedensten Teilen des Landes und haben uns hier gefunden, vor gut fünf Jahren, einer nach dem anderen. Wie wichtig wir uns gegenseitig geworden sind, in einer Stadt, die einem immer Neues bietet und fordert, die mal Artemis, mal Demeter und immer Janus ist, hier, an diesem Ort, weiß ich, diese vier bleiben, und es wird sein wie immer, wenn Hendrik über blaue Gauloises mault und sie für ganz ungenießbar erklärt – was wir doch für Barbaren seien – oder Alexandra, auf dem Sessel quer zwischen Armlehne und Armlehne hingefläzt die Beine in die Luft hängen lässt und einen Witz macht. Wenn wir Benjamin diagnostizieren, wie sehr sein Geschmack, der sonst so tadellos wäre, gerade bei Frauen so oft versagt und wir seine Exfreundinnen in der Luft zerreißen, wie Alexandra einen Schluck Wein trinkt, in die Männerthemen einsteigt und ihnen vorangeht, jetzt auf einmal von Deepthroat-Pornos spricht, wenn wir bei mir sind und Hendrik zu kochen anfängt, denn das kann er als einziger von uns, und deswegen an uns herumnörgelt. Selten vergeht ein Wochenende, an dem ich nicht zumindest einen von ihnen sehe, und neue Insider entstehen. Wenn ich bei anderen Freunden bin, fallen mir diese Insider wieder ein, ich fühle mich dann jedes Mal fremd, bei wem auch immer ich gerade bin – solange niemand vom harten Kern dabei ist. Und es kommt vor, dass ich sitze und denke, wenn es schon spät ist, wir getrunken haben und Alexandra ganz nah bei mir sitzt, dass ich Glück hatte, sie als Freundin gefunden zu haben, nicht als Geliebte, trotz allem, was sie so begehrenswert macht, dass ich ihr als Mensch näher bin als jeder, mit dem sie geschlafen hat oder einmal schlafen wird. Was sind schon ein paar Träume dagegen – und von wem träumt man nicht alles? Mit den Träumen ist es wie wenn einer die Arme verschränkt – das kann bedeuten, dass er sich unwohl fühlt, zurückziehen will, aber es kann eben auch gar nichts bedeuten. Man weiß das nie. Und so kann es doch auch sein, wenn ich von Alexandra träume. Dass es eigentlich gar nichts ist, ein zufälliges Spiel von Hormonen und elektrischen Impulsen in den Nervenbahnen. Vielleicht, wenn sie auf mich zuginge, ihren Körper an meinen drücken und mir einen Kuss geben würde. Dann wäre alles anders, aber so ist es ja nicht. Und wir alle wissen, dass es sich nicht ändern wird, daran ist kein Zweifel. Dass es Momente gibt, wo wir ihr nachsehen – wir alle tun das – es hat nichts zu bedeuten. Wenn sie käme, mir Flüsterworte ins Ohr sagte. Ob ich dann meine Freundschaft zu Hendrik und Benjamin gefährden würde? Vielleicht. Obwohl das mit Sicherheit eine der schlechtesten Entscheidungen wäre, die ich nur jemals treffen könnte. Deshalb bin ich glücklich, dass wir nur Freunde sind. Vielleicht finde ich eine andere, die so bezaubernd ist wie sie. Wir alle müssen das irgendwann, Alexandra wird jemand finden, der gut für sie ist. Solange es nur niemand von den Jungs ist. Manchmal frage ich mich, wer von den beiden die Freundschaft zu uns gefährden würde, um sie zu bekommen. Wir alle träumen von ihr. Aber dann denke ich, dass das alles ja nicht von Bedeutung ist.

Es ist gut, dass die Dinge so stehen; von Insider zu Insider, während wir über unsere Pläne brüten, nehmen wir  die Nächte und teilen sie untereinander auf, bis nichts mehr von ihnen übrigbleibt, trinken bis morgens und rauchen blaue Gauloises – bis auf Hendrik, der die ja nicht ausstehen kann.

Kai Gutacker

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freiVERS | Jonas Linnebank

ausfall automatik

zum glück muss man sagen
und wie glücklich es sich fügt
schritt für schritt
schritt dem schritt voraus

DEM (deutsche einheitsmarke)
dativ horchen horen
hurchen furchen
fürchten mürchen
märchen lärchen?

genitiv!

nur kurz hin
plus ein ding
dann wieder raus
blende weg zack
wen interessiert warum

ätschibätsch
akkusativ

aber warum
warum eigentlich
warum sitzt du hier
warum hast du das getan
sie getan

komm schon nominativ
kommt nix –
die domina rief
"dumm
einfach dumm"

geschrieben
horchen verblieben
hurchen
vertrieben
hurchen
wo bist du geblieben

ja aber wer denn

ein fall
das glück ist durch

nächster gang
autormatik

Jonas Linnebank

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freiTEXT | Katharina Bergunde

Katharina Bergunde

'Es ist unvorstellbar: man geht nach draußen und innerhalb von Sekunden schlägt sich die Feuchtigkeit, das Wasser! an deinem Körper nieder und du weißt nicht, ob du unmöglich doll schwitzt oder es eben die Feuchtigkeit ist, es ist Hitze, deine Lungen fühlen sich schwer an und du kannst nicht atmen, zu viel Wasser in der Luft. Ich verlasse mein klimatisiertes Zimmer, betrete die Küche oder das Bad, wo keine Klimaanlage und das Fenster offen ist und schon ist die Feuchtigkeit da und an mir - mir wird schwindlig. Es ist wirklich so krass, man kann nichts tun, außer jetzt nachts vielleicht, aber feucht ist es immer noch. Mir geht es gut hier, in meinem Kopf ist es schon vorbei und ich habe keine Lust auf das Danach.' (Email an Marie)

Es ist lächerlich, zu duschen, da in den Sekunden, in denen das Wasser schon abgestellt ist, man sich in das Handtuch wickelt, die Badtür öffnet und schließt und den kurzen Weg in sein Zimmer zurücklegt, die Tür hinter sich schließt, in der klimatisierten Zone aufatmet, schon wieder winzigste Schweißfilm die Haut umgibt, man entrinnt ihm nicht und er entrinnt einem unablässig. An den ehrlichen Schweiß der Hitze der brennenden Sonne bin ich längst gewöhnt, er stört mich nicht mehr, ich vermische ihn mit Lotion nach dem Duschen und errieche die enstandene Mischung in jedem meiner Kleidungsstücke und den Laken und Decken. Ich liebe meine Haare noch mehr als ohnehin schon, sie sind der einzige Ort des Körpers, auf dem die Illusion von Normalität ruht, kein Schweiß möglich, das Kissen der Ort, der nur nach Shampoo riecht.

Der ehrliche Schweiß also, der normale, ist Gewohnheit, Teil jedes Teils des Daseins. Dagegegen der Film, der nicht einem selbst, sondern der Luft entrinnt und am eigenen Körper lediglich kondensiert, sich wie eine zweite Haut auf die Umrisse legt, bis auf die Oberfläche der Lungen – zu viel Wasser in meinen Lungen und nie genug Luft, um mich wachzuhalten – dieser Schweiß aus der Luft selbst ist es, an den ich mich nicht gewöhne und dem nur im Meer zu entkommen ist oder dem Ozean, der tiefen, dunklen See, oder der blauen, rosafarbenen, sie ist Fluchtpunkt, umso mehr, als dass ich sie in den einzigen atmungsaktiven Stunden aufsuche, zwei Stunden vor und eine Stunde nach Sonnenaufgang, die einzige Zeit des Tages, in der die Luft genügend Sauerstoff enthält, um meine schwere Müdigkeit zu beenden. Bei jedem Aufwachen hält die Illusion von Wachheit einige Minuten an, Nachwirkungen des Traumes und der Veränderung des Zustandes, diese Minuten verbringe ich liegend, mit geschlossenen oder halbgeöffneten Augen, nachhängend dem Nichtbewusstsein meiner Körperlichkeit, der Ignoranz der Hitze, dem Wohlgefühl eines nichtphysischen Daseins.

Wenn ich schlafe, interessieren meinen Körper Hitze und Feuchtigkeit nicht, ich wache auf, wie ich geduscht habe, der Schweißfilm entsteht erst, wenn der Körper erwacht ist und zu funktionieren beginnt, seine Umwelt aufzunehmen beginnt, wenn ich den kühlen Raum verlasse und in die Hitze der Hygienemaßnahmen trete, welche mich zuerst zwingt, diese durch meinen Verbleib in ihren Räumlichkeiten notwendig zu machen. Es dauert nur wenige Sekunden. Es ist tatsächlich eine Möglichkeit, um Mitternacht herum zu schwimmen, den Körper herunterzukühlen, sodass er beim geringsten Wind inmitten der tropischen Temperaturen zu frieren beginnt, ein Phänomen, das so seltsam wie schmerzhaft ist, der Körper leidet unter der vermeintlichen Kälte vielmehr als vor der Ständigkeit der Hitze zuvor und doch ist es eine solche Unglaublichkeit, dass es schön ist, so wie alle Abwechslung schön ist und mit der Angst vor Krankheit belegt. Dennoch ist dieser Zustand ein herrlicher, ich kehre zurück in den leichten Wind der Klimaanlage und genieße, mich bedecken zu können und wach und ohne jeglichen Schweiß zu sein, fast kühl, fast fröstelnd, alles absurd. Ich schlafe nicht und ich schlafe immer. Es ist, als wüsste mein Körper nichts mit sich anzufangen. Überhaupt ist in diesem für mich Ausnahmeklima alles auf Körperlichkeiten zurückgeworfen - was mir gefällt, es ist wie Krieg, Moment für Moment und die Zeit vergeht und man übersteht. Meine Vorhänge sind immer geschlossen. Ich weiß nicht mehr, wann ich damit begonnen habe, sie nicht mehr zu öffnen. Morgens würde mich die Sonne blenden, tagsüber ist es trotz der geschlossenen Vorhänge ungeheuer hell im Zimmer, die tieforangen Fliesen und die Bläue des Tuches über der Couch sollen alles dämpfen und tun das auch, trotzdem ist Aktivität nichtgeistiger Art unmöglich. Nachts bemerke ich erst, wenn wieder Licht durch die Vorhänge fällt, dass es hell geworden ist und lösche das Licht. Ich trinke, ich esse, ich schlafe, ich döse, ich lese, ich denke, es überkommt mich, ich schreibe. Wann immer die Tür einen Moment offen steht, kommt der Hund ins Zimmer, dreht eine Runde und lässt sich in unmittelbarer Nähe der Tür nieder, schaut heraus, mich an, mich ärgert das Einströmen der Feuchtigkeit, aber ich liebe den Hund und schließe die Tür nicht, bis er nicht von selbst gegangen ist und ich ihn gestreichelt habe, ihn auf den Kopf küsse und die weichsten aller Ohren meiner Hand entweichen, sich aufstellen und wissen, das nächste Mal wird kommen. Der Hund versichert sich der Ordnung meines Zimmers und meiner Zuneigung und verlangt nach beidem nachdrücklich. Gibt es einen fremden Geruch in diesem ihm oft verschlossenen Raum, einen starken männlichen Menschengeruch, auf den Laken, in der Luft, eine Spur im Flur, legt er seinen Kopf auf mein Bett und studiert ihn. Sieht mich an, nähert sich und beriecht mich ausgiebig, auch zwischen den Beinen, wenn ich ihn lasse. Manchmal lasse ich ihn, weil ich will, dass er versteht. Ich umarme dann den Hund, der eine Sie ist und niemals Kinder bekommen wird und er verlangt eine besonders lange Zuneigungssitzung, oder vielleicht bilde ich mir das ein in meinem bewussteren körperlichen Zustand, der einzigen physischen Aktivität, zu der ich mich bewegen kann. Schwimmen ist keine Aktivität, Schwimmen ist aufgehen in der See und meditieren mit dem eigenen Körper, während der Geist über den Wellen schwebt und ihnen beim Denken zuschaut, ohne dass es ihn angeht. Schwimmen ist absolute Freiheit, Bedeutungslosigkeit, loslassen der Welt. Leere, wenn man so will. Ganz Bewegung und Leichtigkeit und Bewegung und Leichtigkeit sind und bedeuten nichts. Ich schwimme bis hinter die Wellenbrecher und schaue zurück auf die jahrtausendealte Stadt und die neue Stadt und hinaus aufs Meer, die Endlosigkeit. Manchmal scheint mir der frühe Morgen die einzige Zeit, in der ich die Grenze zwischen Meer und Himmel wahrnehme. Zartrosa gegen dunkelviolettblau. Ich liebe die Wellen und ich liebe das Meer still. Es ist mir unersetzlich geworden, der Ort des absoluten Friedens. Danach ist Wachen eher wie Schlafen. Außerhalb der unerträglichen Klimatage genieße ich jede Sekunde, manchmal auch dann. Ich weiß, Europa ist ein weit entfernter Kontinent einer ungefähr gleichgestellten Zeitzone. Ich habe nichts gegen Europa, aber ich bin nicht dort. Mir hat noch nie sehr gefallen, allein zu sein und nie weniger etwas bedeutet. Bedeutungslosigkeit ist nicht gleich Gefühls- oder Emotionslosigkeit, im Gegenteil, aber ich bin gelöster von allem, lasse mich und alles andere gehen, ohne Schmerz zu empfinden, es ist wie ein Wind, den man spürt; niemand käme darauf, ihn festzuhalten, auch wenn er angenehm kühlt und die Hitze ansatzweise vergessen lässt. Ich weiß genau, was ich von mir erwarte, daher erwarte ich Nichts vom Hier oder Anderen. Und genieße das und genieße mich in meiner Freiheit. Alleinsein ist zum ultimativen Erleben geworden, das Alleinsein im Inneren eines gelösten Selbst.

Macht es mich traurig, dass alles temporär ist? Nicht mehr. Meine Macht über mich selbst war selten größer und alles, was passiert, ist Teil der Flut meiner Gedanken, in der ich mich entscheiden kann, zu schwimmen oder sie gehen zu lassen, so wie alles andere auch. Nirgendwo auf der Welt ist es einfacher, genau das zu tun, was man tun will, in keiner Situation ist es einfacher, überall und nirgendwo zu sein, ambitioniert oder freigeistig, zurückgezogen oder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, es ist, als lerne man von selbst die richtigen Menschen für jede Stimmung, jede Unternehmung, jeden Gedanken kennen, das einzig fehlende ist der intellektuelle Überbau, den aber auch niemand schaffen will. Vielleicht schreibe ich deswegen. Oder weil ich doch trotz all dem Frieden die Intelligenz europäischer Melancholie vermisse.

Eine Stadt, ein Meer, eine Mitte.

Frieden.

Katharina Bergunde

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