freiTEXT | Paul Fehm

Misslinge.

Man schweigt vielleicht erst, wenn man sich in den Sand schmiegt, man rührt dann nicht mehr die Zunge, wenn sie zu lange nichts geschmeckt hat als den eigenen Hunger; das lässt sich leicht sagen, mit kleinen Modulationen und verschiedenen Akzenten wiederholen, ob es einen Unterschied macht, es bleibt misslich und wie in den Wind gesprochen.

So lange waren wir schon keine Menschen mehr, als ich meinen Liebling aus den Leichen gezogen hatte, waren wir für alle Zeit etwas anderes geworden und laufen rückwärts seitdem, den Berg von Leibern immer im Blick, als vereinigten sie sich, einmal aus den Augen gelassen, und verfolgten uns mit Riesenschritten gen Westen, der fliehenden Sonne entgegen; wie um nicht einen neuen Tag zu erleben, zerreißt die Sonne uns jeden Morgen über dem Grabhügel die Augen.

Wer einen Raum betritt, der macht den Bückling, wer sich aber verbeugt, meine Damen und Herren, hat die Füße im Rücken, ein Kommen, ein Gehen, ein Stoßen, ein Treiben, der Däumling, der den Finger hebt oder senkt, der über Tod und Leben fabuliert, geht ganz in der Masse auf; am Anfang aber war der Aufseher, der sich auf die Schulter klopft, der die Ströme dirigiert und auf Geheiß hin noch die blutige See teilt.

Selbst die Erde war bald angewidert von uns, wir stanken, wir nährten den allgemeinen Ekel, wo immer wir entlangkamen, der Mensch kein Mensch; auf dem Schiff gingen uns zuerst die Vokale aus, die Konsonanten rauschten dann übers Meer weg, salzverklebte Blicke warfen wir einander zu, als gäbe es Rettung, wo nur das Wasser herrschte und der Wind uns noch die Würde des Gestanks entriss.

Sollen sie sich doch einrollen wie der Engerling, vom Erdboden verschwinden, die sollen den Ball flach, den Kopf unten halten, die Sonne scheint in den Kleingärten immer noch am schönsten, der Maschendraht, die Fahne, Gleise; Unkraut und Ungeziefer weichen, im Notfall dem Frühling mit Beton einen Riegel vorschieben, da ist kein Durchkommen, sollen sie doch hingehen, wo ewig Sommer ist.

Willkommen, jeder an seine Stelle an der Wand, jeder stirbt den eigenen Tod; es ist zu wenig Platz auf der Welt für die himmelhohen Hoffnungen, ihr Ort aber ist das Meer, das Land ohne Morgen; jemand zu sein, musst du dir leisten können, wo ein Blick den Wert taxiert: Nimm die Hand und die Realität beißt dir gleich den Finger ab, mehr kann man wirklich nicht verlangen.

Die Unruhe der kreißenden Erde ließ Findlinge zurück, man schaffte sie rasch weg an den Rand der Straßen, wie Denkmäler, Eindringlinge aus der Urzeit, die an nichts erinnern, aus der Welt ließen sie sich nicht bringen, man verrückte sie unter allerlei Plänen; Fremdlinge blieben sie, undurchdringlich dem Blick, gewaltige Steine des Anstoßes, überflüssig zwar, aber dekorativ.

Gib mir einen sicheren Hafen, die Statur mit der Hand vor den Augen soll die schwankenden Wellen bewachen; schauen wir nach vorne auf die Füße, wenn wir laufen in Reihe mit den Häftlingen, die Kugel auf den Schultern; wir bleiben immer jung, sagen uns die Slogans, vielleicht gibt es ein Recht auf Leben, Pflicht und Privileg aber nicht, sagen die Ungeschorenen.

Paul Fehm

zuerst erschienen auf paulfehm.wordpress.com

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freiVERS | Jan Skudlarek

mit beiden fingern ins nutellaglas

so klapprig gekörpertes. wir als vehikel für ’ne seele? warum auch nicht.'
vor der haustür haben sie einen igel überfahren,

der igelmatsch zieht sich über zwei meter. im kuss sind unsre'
zungen ineinander

verschlungene delfine. einfach die augen schließen
und rein in die haselnussmasse

Jan Skudlarek

Jan ist Teil der 3. Babelsprech-Konferenz in Salzburg 2016

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freiTEXT | Vasillis Varvaridis

ó

es ist unerhört, schön und schrecklich, denn:

1hörner gibt es.

kein- und zweigehörntes ist gemeinhin bekannt, akzeptiert und in einen gewachsenen kreislauf der dinge eingebunden. wir verdrängen [1hörner]. bloß der anschein ihrer existenz verdunkelt den ist-zustandshorizont mit unfassbaren angstwolken: 1 ist nicht wie zwei teilbar, und doch größer als null, wo es ohnehin nichts zu teilen gäbe.

nun ist es ja so, dass das besitzenwollen dominiert. da kommt’s dann halt zu problemen. das resultat ist oft unbefriedigend, weil dann alles durch die schneidezahnmühle kommt und zum kollektiven verdauungsversagen führt.

1hörner werden in so einer antrainierten verzehrwelt zu einer besonderen delikatesse. trotzdem entwickeln nicht viele appetit auf diese fabelwesen oder machen gar jagd darauf. warum nur?

eh klar, [die meisten] glauben nicht oder nur ein bisschen an 1hörner. sie meinen daher, dass so etwas traumhaftes ohnehin nichts sei. sie dümpeln alltagsköstig durch ihr leben und sterben dann langsam an akzeptierter unterforderung und diabetes typ 2. oder der tod überrascht sie sonntags in tragischen unfällen mit minderwertigen rollatoren aus dem aldi-sortiment. mitleid, das möchte man mit denen haben, aber die können dann ja gar nix damit anfangen. die entwickeln dann doch nur mitleidenschaft.

traurig, aber wahr.

[die wenigen], die dann doch bewusst jagd auf 1hörner machen, sind vielleicht gefährlicher:

alleine, listvergessen und ellbogig in der fortbewegung.  sie jagen im dunkel des tages und in den wolkenlosen sternstunden bei halb- oder vollmondschein.

um nicht gestört zu werden – wenn der ellbogen mal nicht auszureichen droht – müssen die wenigen bei den meisten überzeugungsarbeit leisten. „Es gibt keine Einhörner.“, sagen sie dann in verständnisbuhlenden, öligen baritonstimmen und bemühen sich dabei vernunftschwanger zu gebären.

dass müssen die wenigen tun. sie wissen ja, dass sie der überzahl der nichtgläubiger nicht gewachsen sind, und wollen ihre plätze als aufdentischhauer nicht verlieren. das ist: einmal [bumm!] auf den tisch machen und die masse springen lassen. diese wenigen fürchten sich sehr um ihre hochgezüchteten gesichtsmuskeln, weil sie wissen: 1hörner sind nicht nur real, sondern etwas sehr besonderes.

wenn so einer dann mal ein 1horn erjagt, tötet er es nicht wie ein gnädiger jäger (an dieser stelle sollte wieder ins gedächtnis gerufen werden, dass die bestimmung des jagens ja das töten ist). nein, diese jäger sind mehr als bloße jäger. die wahre tortur für das 1horn beginnt dann erst nach der gewaltvollen übernahme . wie das dann konkret ausschaut?

 

entweder 1/

stallhaltung mit regelmäßigen besuchen von nach sensationsgier geifenden helikopterkindern bei unzureichender entmistung. ja, 1hörner machen auch mist! die regenbogenfarbige scheisse steht ihnen in der koppel dann bis zu den knöcheln und die heli-kids glauben dann fest: „wow, das ist freiheit.“

 

oder 2/

die meisten glauben - wie bereits gesagt - ein bisschen an 1hörner. so blind sind die - selbst bei fortgeschrittener diabetes typ 2 -  ja auch nicht!  auch dass wissen die sadojäger. und darum gibt es den zirkus. da führen die baritonstimmen dann stolz die 1hörner vor. die lang anhaltende dressur für das zirkusbusiness bricht jedoch mit der natur, der ésrpit d’1horn verloren. das 1horn entwickelt eine derbe eitelkeit, denkt dass es eben nur ein sehr, sehr schönes pferd ist.

all das wird nur gemacht, damit sich ein 1hornjäger toll vorkommen kann, wenn die meisten dann so rumklatschen im dunkelrotlichtdurchflutenden zelt. sobald sie aus dem zirkusloch raus sind und die neuesten rollator-angebote von aldi zu vergleichen beginnen, vergessen sie die möglichkeit einer 1hornexistenz wieder. „nein, das war nicht wirklich ein 1horn!”, denken dann die meisten. warum? da ist nichts 1horniges mehr dran an dem zirkus1horn. jeder alte gaul auf einer atomar verseuchten weide wirkt natürlicher und strahlt zumindest irgendwas aus.

 

oder schlimmstens 3/die dunkelziffertat

da werden dann 1hörner unterirdisch versteckt. die jagdzunft will ja, dass niemand zu sehr an 1hörner glaubt. es ist auch nicht so ergeilend wie im zirkus, wo sich einige wenige damit brünften, den meisten zeigen zu können dass man ein 1horn gefangen, gebrochen und dressiert hat. nein, 3 ist am schlimmsten für ein 1horn: kellerhaltung und sodomie mit dem jäger.

in den dunklen, in ihrer zahl kaum erfassten kellern zeugen diese ellbogenfaschos gewaltvoll kinder mit 1hörnern. die daraus resultierenden zentauren können nicht – wie ihre in der natur vorkommenden artgenossen – der menschheit hilfreich zur seite stehen und beispielsweise etwa intervenieren, wenn sich zwei kinder um ein matchboxauto streiten.

das ist sehr traurig.
das ganze verlorene potential.

was ist da noch licht?

eins, zwei oder drei.
so eine scheisse

ist

jäger

ei!

 

wegen dieser unnötigen dauerbehetzung kam es schon zu traurigen zwischenfällen mit noch sehr natürlichen 1hörnern in der freien wildbahn. die lokalmedien verschweigen die zahlreichen übergriffe, wenn diese armen wunderwesen wieder mal über nichtsahnende wanderer herfallen herrscht stille. wenn alles krieg ist, gehen 1hörner zum angriff über. warum hören und sehen wir nichts davon?  aufgespießte herzen und eingeweide machen sich nie gut in den schlagzeilen. dabei ist den 1hörnern das eine horn evolutionsbedingt nur dafür gewachsen, damit sie sich gemütlich an ihrem allerwertesten 1hornpopo kratzen und das leben genießen können. wer kennt das nicht?

reiz.
reaktion.
stillung.
besser.

das ist alles kein zauberr und das leben ist an sich sehr einfach. 1hörner könnten uns daran erinnern, weil sie furchtbar kuschelig sind und gut zuhören können. ihre ratschläge sind weise, jedoch meist zu schwer verständlich. 1hörner sind wie alle schönen dinge: sie gehören sich selbst und sind erst dadurch für alle da. und darum plädiere ich: „artgerecht ist nur die freiheit.“
die muss aber heute organisiert werden, sonst ist es keine freiheit zur entfaltung.
das ist nämlich die beste.

für diese weltanschauung – und das privileg künftig täglich vierblättrige kleeblätter zu kauen – werde ich als kommunistischer veganer zu jeder waffe der welt greifen.

P.S.: In Wirklichkeit gibt es Einhörner nicht.

Vasillis Varvaridis

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50 000 Wörter stressen mich her, oder: WTF ist NaNoWriMo?!

Auf mosaikzeitschrift.at präsentieren wir in den kommenden Wochen einen Live-Versuch von Lisa Viktoria Niederberger den inneren Schweinehund zu überwinden und bei einem der größten Schreibprojekte der Welt teilzunehmen. Es geht um einen Monat. Es geht um das Schreiben.

"Also, wenn ihr im nächsten Monat im Kaffeehaus eine Irre mit Augenringen seht, die drei Stunden lang nur Soda Zitron und Espresso trinkt, währenddessen regelmäßig den Laptop anschreit oder Selbstgespräche führt, nur um ihn dann wahrscheinlich gefrustet zuzuschmeißen und sich Spritzer und Kuchen bestellt  - das bin dann ich."

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Was?

Im Jahr 1999 hat ein gewisser Chris Bathy in Amerika ein sogenanntes „ kreatives Schreibprojekt“ ins Leben gerufen, dessen Ziel es war – und noch immer ist – in einem Monat einen Roman mit mindestens 50.000 Wörtern zu schreiben. Was damals als Aktion in seinem Freundeskreis gedacht war, nennt sich heute NaNoWriMo – also National Novel Writing Month – und hat von Jahr zu Jahr mehr Teilnehmer. Weltweit dürften es mittlerweile hundertausende Menschen sein, die sich den wahrscheinlich scheußlichen Monat des Jahres aussuchen um ihre gesamte Freizeit der Schriftstellerei zu widmen. Es gibt dazu etliche Facebookgruppen und sonstige Online-Communities, wo man sich mit anderen Autoren vernetzen kann und über Schreibblockaden und ähnliches Austauschen kann. (Und mit seiner und mit seiner unglaublichen Produktivität angeben! Dazu kann man stehen, wie man will.) Außerdem gibt’s dann immer Spendenaktionen mit deren Erlös bisher zum Beispiel Bibliotheken in Laos oder Kambodscha gebaut worden sind.

Mehr über das ganze Konzept kann man hier oder hier nachlesen.

Die Grundidee ist aber seit den Neunzigern dieselbe geblieben: Der NaNoWriMo soll Autoren – egal, ob es sich dabei um professionell publizierte Schriftsteller oder Hausfrauen handelt, die zum puren Vergnügen semi-sadomasochistische Werwolfromane veröffentlichen, handelt – dazu animieren, jegliche Hemmungen zu verlieren und einfach drauf loszuschreiben. Auch vielleicht in dem Bewusstsein, dass es natürlich in so kurzer Zeit bzw. bei dem geplanten Umfang nicht (oder zumindest unglaublich schwer!) möglich ist, qualitativ hochwertige Literatur (was auch immer das heißen mag, überlasse ich den Literaturwissenschaftlern) zu produzieren.

"die wichtigsten Schreibaccessoires: Schokolade, stangenweise Zigaretten und endlich wieder eine Kaffeemaschine."

Die Selbstzweifel über die Qualität der verfassten Texte, die Ängste vor dem leeren Blatt, oder davor, den berühmten Flow zu verlieren, kennt nicht nur jeder Autor, sondern auch jeder, der einmal eine Seminararbeit oder Geburtstagskarte an einen entfernten Verwandten verfassen musste.

Der NaNoWriMo glaubt, die Lösung für dieses Problem gefunden zu haben – und ich stelle mich diesem November dem Selbstversuch.

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Wieso?

Ich gehöre zu diesen unzähligen Menschen, die ihre Kindheit (und ganz ehrlich, auch die halbe Zeit meines sogenannten Erwachsenlebenleben) mit dem Kopf in Büchern verbracht hat. Ich bin eine, die rgendwann mal beschlossen hat, Germanistik zu studieren, weil ich gerne lese und gerne schreibe, und dann auch irgendwann wieder beschlossen hat, das mit der Germanistik wieder zu lassen, weil es mir die Lust am Lesen und am Schreiben ordentlich versaut hat.

"Weil ich glaube, dass mehr schreiben eigentlich immer geht..."

Seit dem wird hemmungsloser gelesen und geschrieben, mal da und dort publiziert und sich mit Jobs, die mit der ganzen Literaturgeschichte ein bisschen was zu tun haben (Stichwort: erostepost, Literaturhaus), oder zumindest immer als herrliche Inspirationsquelle herhalten (Stichwort: Barkeeperin), bei Laune gehalten und mal mehr oder weniger fleißig geschrieben.

Ich nehme mir jetzt vor, mich diesen November vollkommen dem NaNoWriMo hinzugeben und rauszuhauen, was die Tastatur hergibt. Weil ich glaube, dass mehr schreiben eigentlich immer geht, weil es da viele Ideen gibt, aus denen ich schön länger was machen möchte. Und ich trotzdem hin und wieder eine echt faule Sau bin, die den Druck – den ich mir vom NaNoWriMo verspreche, vielleicht brauchen könnte. Wenn ich mir danach eine etwas geregelte Arbeitsmethode beibehalten könnte, wäre das natürlich ideal.

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Was?

Auf meiner Festplatte gammelt seit über einem Jahr ein Romanfragment herum, das ich eigentlich sehr mag. Die Arbeit daran habe ich aus vielen Gründen eingestellt: inhaltliche Ungereimtheiten,  Zeitmangel und ganz einfach auch, die Angst vor so einem großen Projekt. Ich schreibe eigentlich ausschließlich Kurzprosa. Bei allem, was länger als 15 Seiten ist, verlasse ich eindeutig meine Komfortzone. Auch das möchte ich im November ändern und deswegen die Arbeit an dieser stillgelegten Geschichte wieder aufnehmen. Zur Auflockerung sollen dazwischen aber sehr wohl auch kürzere Texte entstehen. Um auf die geplanten 50.000 Wörter zu kommen, sollte man ca. 1600 Wörter am Tag schreiben. Das sind bei mir ca. fünf Wordseiten und je nach Inspiration und Motivation ein Zeitaufwand von zwei bis fünf Stunden. Hilfe!

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Wie?

Ich habe mir fest vorgenommen, bevor der November beginnt, mein Romanfragment noch einmal durchzuarbeiten, damit ich da eine bessere Basis habe. Mir vielleicht noch weitere Gedanken zu Personen, Handlungssträngen, Schauplätzen etc. zu machen und vor allem, die wichtigste Frage zu klären: Wie komme ich von dem, was ich jetzt habe, dahin, wo ich hin will?! (Klingt gerade sehr utopisch, aber man kann es ja probieren).

"Ich mag es, eine leichte Geräuschkulisse um mich herum zu haben, mir keine Gedanken über die Musik machen zu müssen, die ich dazu hören möchte und nicht selber aufstehen zu müssen um sinnlose Schreibzeit mit Kochen oder Getränkeholen verbringen zu müssen"

Stichworte oder notwendige Recherchen für Kurzgeschichten vorher schon zu erledigen wäre auch noch der Plan. Genauso wie Hamsterkäufe was die wichtigsten Schreibaccessoires betrifft: Schokolade, stangenweise Zigaretten und endlich wieder eine Kaffeemaschine.

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Wo?

Ich bin eine Kaffeehaus und Beislschreiberin. Immer schon gewesen. Ich mag es, eine leichte Geräuschkulisse um mich herum zu haben, mir keine Gedanken über die Musik machen zu müssen, die ich dazu hören möchte und nicht selber aufstehen zu müssen um sinnlose Schreibzeit mit Kochen oder Getränkeholen verbringen zu müssen. Außerdem hilft mir das Schreiben in der Öffentlichkeit, nicht alles sofort hinzuschmeißen, wenn ich mal hänge. Zuhause würde ich dann vielleicht einfach Wäsche waschen, mir sinnloses Zeug auf youtube ansehen oder schlafen gehen. Das geht in einem Lokal halt alles schwerer. Außerdem muss ich beim Schreiben immer unglaublich viel Rauchen und ich mag es nicht, wenns in meiner Wohnung so stinkt. Daheim geschrieben, wird nur, wenn zu wenig Zeit ist, um irgendwo rauszugehen oder das Wetter echt scheiße ist. Dafür ist dann die Schokolade.

über das Schreiben sprach Lisa auch im Kreativraum...

und außerdem?

Wie es mir mit meiner NaNoWriMo Erfahrung geht, wird jetzt das nächste Monat lang einmal wöchentlich hier im Tagebuchstil dokumentiert.

Also, wenn ihr im nächsten Monat im Kaffeehaus (Grundvoraussetzung: Raucher, W-Lan und Streckdosen!) eine Irre mit Augenringen seht, die drei Stunden lang nur Soda Zitron und Espresso trinkt, währenddessen regelmäßig den Laptop anschreit oder Selbstgespräche führt, nur um ihn dann wahrscheinlich gefrustet zuzuschmeißen und sich Spritzer und Kuchen bestellt  - das bin dann ich.

Lisa Viktoria Niederberger

Niederberger (2)

Lisa Viktoria Niederberger, geboren 1988 in Linz, lebt und arbeitet in Salzburg. 2014 gewann sie den Wettbewerb „Wir lesen uns die Münder wund“ und veröffentlichte ihren Text „Die Kunst des Eischlofns“ in „X“, der Kurzprosaanthologie des mosaik. Veröffentlichungen in diversen Zeitschriften und Anthologien.


freiVERS | Niklas L. Niskate

ewenken

gespensterjagd. treibnetze
wie subjekt. objekt. verwirrung
auf seiten der gegend
projektionen.

dein begriff setzt den fall zur falle

schaffst du den regen heute noch?
oder bekümmert das jemand anderes?
ach, funktionsradien. weite
überschaubare flächen

lügner. immer auf bewährung ich
möchte die namen vertauschen

und bomben in den identitätspool

den identitätstod runterladen
heißt sich die scheiße
aus dem kleid zu häuten, hase.

wer verliert ist
immer gewinner
beziehungsweise

Niklas L. Niskate

Niklas ist Teil der 3. Babelsprech-Konferenz in Salzburg 2016

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Ausschreibung: freiTEXT x 100

Der freiTEXT wird 100!

Am 11. November veröffentlichen wir den hundertsten freiTEXT. Seit wir vor etwas mehr als zwei Jahren damit begonnen haben, verorgten wir euch fast wöchentlich mit neuester Prosa von über 90 verschiedenen Autor*innen.

Jetzt geht es Schlag auf Schlag und schon ist der hundertste freiTEXT da. Wir suchen Texte zum Thema

  • hundert
  • C
  • 1100100
  • 2²x5²
  • Summe der ersten neun Primzahlen
  • Bereich zwischen 99 und 101
  • Fermium
  • ...

Und wir suchen diese Texte bis zum So, 6.11. 12:00

Einsendungen von Prosatexten an: schreib@mosaikzeitschrift.at

 

Alles klar? Wenn nicht: >> FAQ << oder Mail

 

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freiTEXT | Rochus Gratzfeld

Strandbad

der dicke pöbelt herum. in Österreich, ja in Österreich, in seinem Österreich, da sei alles besser. und seine frau hat schon lange verlernt, zu denken. stimmt zu oder schweigt nichtzustimmend zustimmend. würde sie denken, müsste sie ihm wider-sprechen. würde sie ihm widersprechen, bekäme die dumme fotze eins auf die goschen. so kann ER weiterpöbeln. impotent in hirn und hoden. aber Österreicher. bier können sie hier auch nicht daher noch eine halbe gösser und rot im gesicht und pöbelt weiter. witze, die keine sind und ein unverhohlen offener blick auf badebrüste da waren die girls damals in thailand egal erinnerungen ohne substanz auf der skipiste eines substanzlosen lebens die achtung vor sich selbst und anderen verloren und der alte milliardär, ja, der hats zu was gebracht. ist eben alles käuflich. auch die moral und eben Österreich. der kioskstrandbad bietet haxe mit erdäpfelsalat dazu eine halbe gösser pauschal 1200 forinth. der kopf wird roter noch und tarnt die braune gesinnung. ich bin geneigt, die rettung zu rufen, doch wen soll die retten? gehe statt dessen ins lauwarmeerfrischendewasser. schaue in die luft, wo die hitze die wolken wieder einmal verbrannt hat und sehe dinge, die der dicke noch nie gesehen hat und nie sehen wird. dafür hadert er mit den hungarogelsen. gäbe es in österreich NICHT hätten wir längst aber die sind ja zu blöd. schmatzt. fett rinnt die backen herunter bier tropft aufs hemd noch eine halbe und scheiss drauf.

Rochus Gratzfeld

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freiVERS | Daniela Chana

Nächte werde ich hier spinnen

Wie viele Abende werde ich hier strampeln
Und noch nicht ertrunken sein?
Kerzenlicht ist immer hinter mir
Weil mein Diener es für mich trägt
Manchmal steige ich mit einem Fuß
Auf ein heißes Sandkorn
Dann fliege ich
Ich spinne stundenlang herum
Auf der Veranda
Neben einem Glas Rotwein
Die Panik schwimmt so langsam über die Hügel
Und versinkt
Cowboys reiten auf Pferden vorbei
Einer lüftet den Hut, und ich spiele mit einer Haselnuss
Wie viele Nächte werde ich hier spinnen
Und noch nicht gestorben sein?

Daniela Chana

Daniela ist Teil der 3. Babelsprech-Konferenz in Salzburg 2016

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freiTEXT | Martina Onyegbula

Die Frau

Dann sah sie, wie die Worte sich immer dunkler färbten und zäh aus seinem Mund tropften, sein Blick eisig, starr auf sie gerichtet. Sie fröstelte. Sie schlang ihre Weste fest um ihren Körper und verschränkte ihre Arme, um sich zu wärmen. Sie sah ihn an. Jetzt war sie etwas tiefer in sich gesunken, und konnte mit eigenartiger Gleichgültigkeit seine immer düster werdende fern gerückte Gestalt beobachten. Im Raum waren jetzt nur ihre Augen. Wenn sie sie schließt, das wusste sie, dann wäre sie ganz verschwunden für ihn. Das fand sie seltsam beglückend, fast meinte sie zu lächeln. Doch ihr Lachen ist doch schon lange geheim und sollte ihm verborgen bleiben. Sie erinnerte sich daran dass da, wo sie jetzt war, er sie ohnedies nicht sehen konnte. Nur ihre Augen auf ihn gerichtet und ihre Gestalt, wie sie ihm aus seiner Erinnerung vertraut, immer noch zu sein schien. Es ist lange her, dass er es wagte, in ihre Augen zu blicken, denn es gefiel ihm schon lange nicht was er dort sah und was er empfand, wenn er ihr dort begegnete. In diesem Abgrund. Es machte ihn immer wütend. Weil er verstand, auf eine nicht in Worte zu fassende Weise, dass er sie dort niemals erreichen konnte. Das sie immer unbeherrschbar bleiben wird und unfassbar, mit so vielen Gesichtern. Und er erschrocken vor langer Zeit beschloss, nie wieder an diese tiefgelegenen Orte zu blicken. Er verachtete sie für diese Freiheit, weil sie ihn damit beunruhigte und ihn zu einer panischen Erregung bringen konnte, wenn sie sich so weit aus seiner Moral herauswagte und ihn mitreißen wollte. Nein, er wollte keine unberechenbare Weite und wilde Stille, in der alles möglich ist. Er hielt sich an seine sorgfältig zurechtgelegten Träume vom Leben und sie sollte ihm das nicht kaputt machen, mit ihren Blicken und schwarzen Eingängen zu gefährlichen Beunruhigungen.

So blickte er stets nur bis an die Grenze ihrer Augenlinse, vermied es, dass ihre Pupillen sich trafen, denn das schien im riskant. Er klammerte sich an die ungefährliche Landschaft der Iris. Dort verweilte er als flüchtiger Gast, manches Mal suchend und selten als Eroberer in einem fremden Land.

Es wurde immer kälter. Sie bemerkte eine dünne Schicht Eis, die sich um ihn herum gebildet hatte. Eine langsam wachsende, alles verschlingende Kälte, die in ihrer strahlenden Reinheit einen krassen Gegensatz zu den dunkeltrüben Worten bildete, die zähe Lacken zu seinen Füßen bildeten. Die Eisdecke, die stetig in alle Richtungen sich verbreitete, schön in ihrer klaren Schlichtheit,  hatte schon das Sofa erreicht, die bestickten Kissen, die achtlos am Boden verstreute Zeitung, den Schrank, kroch schon unaufhaltsam die Wände hoch, überzog alles mit starrer Kühle.

Er sprach weiter. Sie wusste es, obwohl sie seine Stimme nicht hören konnte. Nur ein an und abschwellendes dumpfes Dröhnen aus seinem worteformenden Mund. Aber wenn sie sich zu sehr darauf konzentrierte, dann war wieder diese erdrückende Beklemmung da, die sie vergessen lies zu atmen. Ihr Herz klopfte jetzt etwas lauter. Sie dachte wieder an ihre Augen und das sie sie einfach schließen konnte. Sie atmete tief und da war wieder diese ruhige Gleichgültigkeit, die sie so wohlig empfand. Sie stand fest am Boden ihres Innersten. Sie lies ihren Atmen strömten, doch nur bis an die Grenzen ihres Körpers, nicht hinaus durch die Poren. Dann würde sie der im eisig kalten Raum aufsteigende warme Hauch verraten. So blickte sie atemlos still hinaus zu ihm.

Am kleinen alten Holztisch in der Mitte des Raumes, blank glänzend von einer Schicht Eis bedeckt, hatten sich mittlerweile am Rand tropfend gefrorenen Eiszapfen gebildet. Schön, einem märchenhaften Tuch gleich, mit handgefertigten Quasten. Ein Gedanke an zärtliches Verlangen und einer weiten Sehnsucht mit umschlungenen Küssen heftete sich an diese Eisgebilde. Haben sie die ersten eisigen Fasern dieses handgewebten Tuches, jetzt spiegelnd glatt mit einer Borte Eiszapfen, von ihrer ersten Begegnung mitgebracht? Die vage Erinnerung blieb mit ihrer Frage in der Mitte des Tisches kleben und wurde augenblicklich zu einer kleinen merkwürdig geformten Eisskulptur. Sein Mund war nun bewegungslos. Die Lippen aufeinander gepresst.

Jetzt hatte das Eis ihre nackten Füße erreicht. Ein Schauer durchlief ihren Körper. Ein leises Zittern blieb und fortan bewegte sie sich, fast unmerklich sachte schwingend, im Rhythmus dieses fröstelnden Zitterns. Er war näher an sie herangetreten. Sein Blick war immer noch eisig. Doch jetzt verdunkelten keine zähen Tropfen seinen Mund. Er stand einfach da. Sie machte einen Schritt zurück. Ein Knirschen. Das Eis brach. Tiefe Sprünge durchzogen den Boden und sie machte einen weiteren Schritt rückwärts, hin zur Türe. Alles Eis schien zu zerspringen. Das Klirren war ohrenbetäubend laut und doch hell klingend schön. Die dunklen Schatten um ihn verblassten. Ein scharfer Schmerz durchfuhr sie. Sie schloss die Augen, doch nun war sie nicht mehr tief in sich versunken, wo alles wohlig warm und sicher war. Die Töne der zerspringenden Eiskruste hatten sie hervorgelockt. Sie klangen wie ein Versprechen, das sie schon oft gehört hatte. Wie konnte sie so unvorsichtig sein. Doch diesmal hatte sie Glück gehabt. Er hatte es nicht bemerkt. Er ging wortlos aus dem Raum. Er sah fast wieder aus wie der Mann, der sie einst angeblickt hatte.

Sie sah hinab zu ihren Füssen und ein feines Rinnsal Blut erinnerte sie an den kurz zuvor so scharf gefühlten Schmerz. Jetzt blieb ein sanftes Pochen. Langsam löste sich ihre innere Verdichtung und sie verbreitete sich weit hinein in ihren Körper und lies ihren Atmen wieder herausströmen durch alle Poren und richtete Ihren Blick wieder weit hinaus.

Er war zurückgekommen. Sie konnte seine Worte wieder hören. Es waren keine dunklen Flecken, nur seine Stimme. Ruhig, wie er sie immer erklingen lies nach solchen eisigen Ausbrüchen. Und sie war wieder ganz zurückgekehrt in den Raum und sah in an, mit dem Teil ihrer Selbst, der noch für ihn bestimmt war.

Martina Onyegbula

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freiVERS | Andreas Pargger

sandkörner unter den zehen ein / tänzelnder schritt aus dem bild / rauschen aus einem unsichtbaren / riss in der kulisse brandung meer / aus einer anderen / welt aus einer längst vergessenen zeit und / die augen zum himmel gerichtet die augen über- / gangslos chromgraue flächen wasser / horizont löst sich der nebel geht eine schneise / auf ein schwindel nichts schemendasein eine / schamanenwelt im marmor des sands / fußabdrücke und die immer- / gleichen windschleifen über den dünen über den / schaumkronen zeitlos eine körnung des lichts ein / grobwerden von luftpigmenten ein verblassen  ver- / blasen-werden von konturen ein zer- / fließen des nachmittags ins grelle

Andreas Pargger

Andreas ist Teil der 3. Babelsprech-Konferenz in Salzburg 2016

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