freiVERS | Leontine Köhn

Supermarktenttäuschung

Morgens reflektieren meine lackierten Nägel
{hellblau wie der Himmel}
die Frühsommerstrahlen.
Ich frage mich wann er kommt,
um die Kälte in Dir abzuholen.
{seit ein paar Wochen bist Du so still geworden}
Im Supermarkt,
zwischen den Sonderangeboten,
kann ich kein Weichspülmittel fürs Herz finden.
{meine Tasche wäre zu klein gewesen}

 

Leontine Köhn

 

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freiTEXT | Julia Knaß

Vergessene Orte

„Auf uns, hatte man ja vergessen, abgelegt, unser Tal, keine ordentlichen Straßen, hin, auf uns, da hat keiner geschaut, war allen egal, was mit uns passiert, wir waren ja nicht wichtig, früher, nichts haben wir gehabt, das können Sie sich jetzt gar nicht mehr vorstellen, da bleibt die Jugend dann nicht, wenn es keine Arbeit gibt, auf uns, haben sie vergessen und dann ist er gekommen, da hat sich dann was geändert, da wurde dann endlich was für uns getan. Da hatten wir dann jemand, ihn, der auch auf uns gedacht hat, das darf man nicht vergessen, das muss man auch verstehen, dass das nicht alles so einfach war. So wie sie ihn jetzt schlecht reden, dass stimmt ja so alles nicht, das muss man doch auch sehen, dass er jemand war, der auf uns gedacht hat, das darf man wirklich nicht vergessen, das nicht“, aber sonst, ja, sonst soll man die Vergangenheit ruhen lassen, so sagt diese Talbewohnerin, die sich mit ihrer Wehklage an das Dirndl in dieser Geschichte wendet, also an unser Dirndl. Sie sagt ihm auch, unser Dirndl sei noch viel zu jung, um das zu verstehen, die ganze Geschichte. Aber nicht nur die Talbewohnerin, nein, wirklich alle in diesem Land sagen, dass man das jetzt endlich alles vergessen solle. Wollen selbst nicht vergessen werden, ja, aber die Vergangenheit, die soll man doch bitte in Frieden ruhen lassen, nicht? Die hat doch schon genug mitgemacht, die muss man doch jetzt nicht immer und immer wieder ausgraben. Aber wo, wo ruht sie denn, die Vergangenheit? Ja, wo haben wir sie denn, begraben? Wir wissen es doch eigentlich alle ganz genau, wo, alle wissen wir es ganz genau, weil wir jeden Tag darüber gehen, jeden Tag von neuem über die Leiche. Aber wir versuchen, das zu vergessen, versuchen, uns genauso zu vergessen, so wie die Orte vergessen sind, die Orte, die wir unsere Herkunft, unsere Heimat, unsere Ursache nennen müssen.

„Wo hat es dich hinverschlagen?“,

schreibt der Thomas dem Dirndl und es antwortet: „It’s kind of a funny story“, obwohl es das nicht ist und „in deine Heimat“, obwohl sie das für ihn ja doch nicht ist. Es ist jetzt dort, wo man noch immer mit Stolz darüber singt, wie man damals mit Blut die Grenze schrieb und er glaubt dem Dirndl zuerst nicht, weil er es dann doch so gut kennt und weiß, dass das nicht so vorgesehen war, nicht der Plan vom Dirndl: seine Heimat. „Was machst denn in Kärnten? Was machst du denn?“ und es erzählt ihm, dass es nicht so einfach war, nach dem Studium einen fixen Job zu finden und dass es sich einfach überall beworben hätte und so wäre es hier gelandet.

Früher oder später müssen wir darüber reden, warum das Dirndl ihm wieder geschrieben hat und über das Verhältnis der beiden zueinander. Tatsächlich ist es so, dass es hin und wieder an ihn gedacht hat und dass es dann wissen wollte, ob er das auch noch tut: an es denken. Das weiß es nun, weil er dem Dirndl nicht nur geantwortet hat, nein, er hat ihm sofort geantwortet und er hat es auch sofort gefragt, ob sie sich wiedersehen können, weil er zufällig bald in seine Heimat fahren würde. Das freut das Dirndl und es versucht, die Spinnweben und die Weberknechte aus seiner Wohnung zu entfernen, weil die sich ausbreiten, alles einnehmen, sobald es mal nicht hinschaut. Sonst versucht es nicht einmal mehr, dagegen anzukommen, gegen die klebrig gespannten Fäden, gegen den Staub, gegen den Dreck.

Hier bleibt nichts

unbemerkt. Als der Thomas mit seinem Wagen die Auffahrt hochfährt, kann unser Dirndl beobachten, wie sich die Vorhänge der Nachbarin bewegen, gleich wie sich die Vorhänge bewegen, wenn es in der Früh zur Arbeit fährt, wenn es am Abend von der Arbeit nach Hause kommt, wenn es im Winter Schnee schaufelt. Keinen Schritt kann es hier setzen, ohne dass es jemand weiß. Für unser Dirndl geht es ja noch, es ist nur aus einem fremden Bundesland gekommen. Es wird nur mit Blicken verfolgt, das wird es wohl aushalten, unser Dirndl. Anders ist es, wenn man aus einem fremden Land kommt, dann bleibt kein Schritt undokumentiert, mit Fotos, mit Videos, mit Postings im Internet: „Haben’s das gesehen, jetzt war schon wieder die Rettung bei der Unterkunft“ – „Haben’s das gehört, die sollen junge Frauen angegriffen haben“ – „Das sind ja alles Kriminelle, die sie da ins Land gelassen haben, die sollten besser in ihren Heimatländern im Osten bleiben, wo genug Platz ist, aber das versteht das linke Gsindel in Wien ja nicht, dass man da was dagegen tun muss, als guter Bürger, als Österreicher. Die passen nicht in unsere Kulturlandschaft, die Flüchtlinge.“ – „Die Wölfe, die passen nicht in unsere Kulturlandschaft. Da muss man ja was tun, als guter Jäger, als Österreicher. Aber das verstehen die Gutmenschen in Wien ja nicht, dass man da was dagegen tun muss, das sind wilde Raubtiere, die sie da ins Land gelassen haben, die sollten besser in ihren Heimatländern im Osten bleiben, wo sie genügend Platz haben.“ – „Haben’s das gehört, die sollen junge Kälber auf der Alm angegriffen haben“ – „Haben’s das gelesen, jetzt war schon wieder ein Wolfsriss in dem Wald“. Wenn man von einem fremden Land kommt, dann wird jeder Schritt verurteilt, nichts bleibt hier, nicht? Auch der Thomas ist nicht geblieben, er hat es nicht ausgehalten, deswegen ist er nach Wien gegangen.

Sie haben nicht darüber gesprochen, wie lange er bleiben kann, aber er hat seine Tasche mit und später, als sie sich hinlegen, schaut er einen Film, während es einschläft, genauso als hätten sie einen gemeinsamen Alltag. Und am nächsten Tag richtet es das Frühstück am Balkon, weil es warm genug ist. Der Thomas fragt das Dirndl, wie es das aushält, weil er könnte das nicht mehr. Und es meint, naja, es ginge schon. Unser Dirndl weiß schon, es müsste viel stärker widersprechen, wenn die Leute hier sagen, dass Homosexuelle nicht heiraten dürfen sollten oder wenn sie witzeln, dass man nach #metoo ja nichts mehr sagen dürfe und dann einen sexistischen Schmäh nach dem anderen reißen. Am Anfang, da hatte es noch dagegengehalten und erklärt und dagegengehalten und erklärt. Aber seit es hier ist, verändert sich die Sprache schleichend, vergessene Wörter fluten vermehrt zurück in die Köpfe. Darin ertrinkenden Gehirnen ist es wieder möglich, laut zu sagen: „Meine Wohnung will ich aber nur an Inländer vermieten“, weil es ist ja auch möglich, laut zu sagen, dass man geflüchtete Menschen konzentriert halten wolle, nicht? Weil „dass ist ja schon so lange her, das hat ja nichts damit zu tun, da denkt doch keiner mehr dran, an diese Zeit, das haben doch schon alle vergessen, da wird man gewisse Wörter doch schon wieder sagen dürfen.“ Und geflüchtete Menschen, die werden schon nach wie vor untergebracht, aber am liebsten weit weg von den Ortskernen, abgelegen, sind ja gut um die sinkenden Bevölkerungszahlen aufzubessern, aber sichtbar wolle man sie nicht haben, vergessen wolle man, dass die da sind. Unser Dirndl hat längst damit aufgehört, den Mund aufzumachen, weil es zu mühsam ist, weil es ja doch nichts bringt, weil es dem Dirndl schon lange nur mehr ums eigene Überleben geht. „Manchmal hoffe ich, dass ich eines Tages laut schreien werde“, sagt es. Aber wir wissen alle, dass unser Dirndl keine Stimme hat dafür. Das Dirndl ist einfach keine Kämpferin, das Dirndl will das alle es mögen, das Dirndl ist schwach und ruhig und nett. Das Dirndl ist ja ein liebes Mäderl, „das viel zu gut ist für die Welt“. Immer will es allen gefallen, unser Dirndl, deswegen lässt es sich auch alles gefallen.

Er schaut in die Sonne,

während er unserem Dirndl zuhört, und dann fragt er es: „Was können wir tun, damit du nach Wien kommst, Lisa?“ Weil er weiß schon, dass das auch der Plan vom Dirndl war: seine Stadt. Und wir wissen noch immer nicht viel über ihr Verhältnis zueinander, aber wir wissen, dass er vorher zum Dirndl gesagt hat, „wenn du in Wien wärst, könnten wir jeden Tag miteinander verbringen, meine Liebe“, und wir wissen, dass das viel bedeutet. Unser Dirndl stellt sich diese Welt vor, in der es bei ihm ist, sieht sich mit ihm gemeinsam zur U-Bahn rennen und das Dirndl muss lächeln, weil es so schön wäre. Zugleich wissen wir, weiß es, das wird nicht geschehen, nur er weiß es in diesem Moment nicht und er weiß auch noch nicht, dass er es vergessen wird, so wie er seine Heimat vergessen will. Unser Dirndl wird so zum Vergessen sein, wie es diese Orte hier schon sind. Es gehört hier vielleicht nicht hin, aber es gehört eben auch nicht in seine Stadt, weil es eben nicht gehört und nicht gehört wird.

Auch Sie, geschätzte Lesende, 

werden unser Dirndl wieder vergessen, Sie werden vergessen, dass Sie je von ihm wussten, Sie werden vergessen, weil es ja „zum Vergessen ist“ werden Sie sich sagen, „es ist zum Vergessen“. Hin und wieder werden sie ans Vergessen erinnert, weil es in Österreich ja zum guten Ton gehört, dass Journalistinnen und Autoren und Journalisten und Autorinnen in regelmäßigen Abständen in die Peripherie fahren, mit dem Auftrag, sie wollen verstehen, mit dem Auftrag, das müsse man zeigen, wie schlimm das alles noch immer sei, sonst könne man es ja nicht verändern. „So schlimm ist das, unfassbar ist das, wie das 2019 noch immer möglich sein kann“. demographische Abwanderung, Alkohol, Rechtsruck, Alkohol, Hass auf Ausländer, Alkohol, Leerstände, Alkohol, Volksfeste, und dann schreiben sie vielleicht eine Reportage, nicht? Über vergessene Dörfer und Städte, am besten über einen Ort mit einem sehr, sehr rechten Bürgermeister, einem Nazi, nicht? Oder über ein Dorf, an dem es die meisten Rechtswähler, also sehr viele Nazis auf einem Haufen, in Österreich, dem Naziland, gibt, nicht? Dann erscheinen diese Reportagen, anschaulich bebildert, in Hochglanzmagazinen und die Leute, die sich von den Dörfern, also den Nazihorten, entfernt haben, können das lesen und sich moralisch erhaben fühlen, über die ganzen Nazis, und der Journalist oder die Journalistin bekommt einen hübschen Preis dafür verliehen, für diese detailgetreue Beschreibung der Nazis, für diese authentische Schilderung der Nazis, weil da muss man ja mal ganz genau hinschauen, auf die Nazis, nicht? Genauso zum guten Ton gehören Romane, in denen man sein Herkunftsland, also das Naziland, basht, in denen man ganz subtil Keller, am besten Nazikeller, einflechtet in die Geschichte. Und Nazis, Nazis, Nazis, Nazis und die katholische Kirche, also die Nazikirche, vergleicht. Man muss THOMAS BERNHARD IN A NUTSHELL sein, man muss die beste Bernhard-Imitation ever abliefern, in Österreich, dem Nazireich, man muss auf Nazi-Österreich herabsehen, man muss Nazi-Österreich verachten, und dann bekommt man auch dafür vielleicht einen feschen Preis verliehen, am besten den GROSSEN nazi-österreichischen Staatspreis, nicht? Weil staatliche Preise und Förderungen nimmt man dann schon trotzdem an, ja, man sagt sich, man leistet ja was für Österreich, das Nazireich, und für die österreichische Kultur, die Nazikultur. Man sagt sich, man trägt ja zur Bildung der Nazis bei, man trägt ja dazu bei, dass die Leute, also die Nazis, nicht aufs Vergessen vergessen. Man sei ein Bildungsträger, und dadurch ändert sich vielleicht ja was, wenn man die Bildung nur oft genug trägt, wenn man Bildung nur immer weiter anhäuft, solange bis die Leute, also die Nazis, darunter begraben sind. Da hat die Literatur dann plötzlich großen Einfluss auf die Wirklichkeit, wenn’s grad ins Konzept passt, nicht? Aber was die Beschreibung von Frauen und Beziehungen angeht, na, da schreibt der österreichische Autor dann doch lieber sexistisch und a bisserl übergriffig, weil wissen’s eh, alles andere, über moderne Beziehungskonzepte, über einvernehmlichen Sex, das wollen Sie, verehrte Leser, wollen die Leute, also die Nazis, ja net lesen. und ist doch gut, ist doch gut, wenn’s da dann drüber lachen können, wenn Mann Frauen wie Dinge benutzt, ist ja nur ein Text, ist ja nur ein Text, das hat ja nichts mit der Realität zu tun, das hat ja keinerlei, nicht die geringsten Auswirkungen auf die Wirklichkeit, nicht?

Wir sollten nie vergessen,

dass wir für Geld alles tun würden, ich, du, wir, jeder einzelne in diesem Land. Wir sollten nie vergessen, dass wir für Geld alles schreiben würden, ich, du, wir, jeder einzelne in diesem Land. Wir sollten nie vergessen, aber vergessen ist das Einzige, was wir gelernt, das Einzige, was wir wollen.

 

Julia Knaß

 

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freiVERS | Armela Madreiter

Sommerbeinkleidung

Strassenbahn.
Neben ihr ein blasser Manneskörper
teigmassig in knapper Sommerbekleidung,
Sommerbeinkleidung,

Die Sommerbeinkleidung ist voller Palmblätter,
die sich zu knapp und verrutscht um das Päckchen
Geschlecht,
um das Päckchen Mannesgeschlecht ranken.

Die Oberschenkel keck breit aufgespreizt,
damit das Päckchen Geschlecht gemächlich gemächtig
abgelegt werden kann am Straßenbahnsitz ,
damit die engbepalmten Teigmassehoden,
damit auch diese wie der restliche westliche Manneskörper
ihre gemütliche Auflagefläche am Sitz finden.

Daneben sie,
ein begehrter fremder Frauenkörper,
sitzt Bein an Bein gepresst,
einen Becher Morgenkaffee in der Hand,
sitzt eng an sich selbst und an den Rand gepresst,
sitzt klein im Kleid,
sitzt ohne Platz auf ihrem Sitzplatz gepresst,
damit sich keine zufällige Berührung mit der Masse Mann
ergeben kann,
damit die massige Manneshand,
die gewohnt ist zu nehmen und schwere Lasten zu tragen,
nicht zufällig etwas nimmt, nicht seine Hand zufällig wie eine kühle Sommerbrise
zufällig auf ihre Schenkel nicht fallen lassen kann.

Aber es hilft nichts:
Die unvermeidbare Manneshand ist schon gelandet,
gehandet auf dem Schenkel
unverhofft kommt oft und er zwinkert
diese Masse Mann muss man mögen, denkt er sich vielleicht
und greift mit der zweiten Hand unvermeidbar an das engbepalmte, eingesackte, angelegte Geschlecht –

Ihr wird schlecht.
Sie zuckt zufälllig und zufällig fällt der Becher,
der Becher mit dem guten, frischen, heißen Morgenkaffe
fällt ihm zu,
direkt aus der Frauenhand auf das abgelegte Päckchen Geschlecht.

Der Mann schreit, schreit weit in die Strassenbahn hinein, weil er ist das Opfer der zufälligen Kaffeverschüttung der Sitznachbarin
Oh weh oh ach.
„Es ist schlecht fürs Geschlecht die Sommerhitze, ist gefährlich, zu viel Hitze sollten niemals nicht auf die zarten Hoden einwirken.
Es tut mir Leid
um den Kaffee.“
Und sie steigt aus dem Mannesgeschrei hervor aus der Strassenbahn hinaus siegreich in den Sommertag hinein.

 

Armela Madreiter

 

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freiTEXT | Tessa Schwartz

Flocken

Rosalía setzt einen Fuß auf den Boden, sacht. Die winzigen Steinchen auf dem Zement erst wie Flocken an ihrer bloßen Sohle, dann körnig. Als der Fußboden Form unter ihrem Fuß annimmt, als die Kühle des Zements sich von der Zehenspitze zur Ferse hin ausbreitet, fest, hält sie in der Bewegung inne. Schon entfernt sich die Sohle wieder vom festen Grund, wird emporgehoben in eine Luft, die sich nach nichts anfühlt. Der Schaukelstuhl wippt zurück. Er hält Rosalías Füße in ständiger Bewegung, ruhelos, nur ihr Kopf bleibt still im Raum stehen. Ihr Blick fixiert die Wand. Inmitten des Gewirrs abblätternder Farbschuppen, neben dem Gemälde, das einzige Bild in der Wohnung, Benno hatte es vor Jahren einem Straßenkünstler abgekauft, auf halber Höhe ein schwarzer Punkt. Ein Loch im Putz oder ein Insekt. Rosalías Blick starr. Falls es ein Insekt ist und sich entschließt, seine sechs dürren Beinchen in einem fein aufeinander abgestimmten, nie durcheinander geratenden Rhythmus zu heben, vorwärts zu bewegen, wieder zu senken, dabei den plumpen Körper mit sich zu ziehen, falls sich der schwarze Punkt bewegt, wird Rosalía es sehen. Ihre Augen sind scharf. Benno hatte ihr stets Komplimente für ihre Augen gemacht, davon gesprochen, wie tief sie ihn mit sich hinab zögen, wie hoch mit sich hinauf, und sie hatte erwidert, dass er sich vorsehen solle vor ihren Augen, denn nichts, was er tue, würde ihnen entgehen, woraufhin er bekräftigte, dass er ihre Augen liebe und er niemals etwas tun würde, sie zu trüben, und ja, er sei froh, dass sie scharf seien, denn dann würden sie sehen, dass er ein guter Ehemann sei. Und setzte eine Miene auf, die Unschuld und Verschmitztheit auf eine Art miteinander verschmolz, wie nur Benno es vermocht hatte, und dann lachten sie beide, sie mit rauchiger, er mit kichernder Stimme, und auch sein Kichern hatte sie geliebt.

Ihre scharfen Augen sind der Grund, warum Rosalía nicht so leben könnte wie ihre Nachbarin Lucía. Lucía ist übrig geblieben wie Rosalía, die Kinder in der Stadt, und hätte eines von ihnen angeboten, zu Rosalía zurückzukehren, jetzt, hätte sie sich gefreut und ihm dann die Tür vor der Nase zugeschlagen. Lucías Tür steht immer offen, um einen verirrten Windhauch anzulocken, ihn dazu zu bringen, von der Tür durch die Küche durch das Schlafzimmer zum geöffneten Fenster hinaus zu wehen und dabei ein wenig von dem Flimmern der Hitze mit sich zu nehmen, von der Hitze und von den Staubkörnchen, die auf den Sonnenbalken tanzen, welche das rissige, schräg gestellte Holz der Fensterläden in die Wohnung lässt. Auch Rosalías Wohnungstür steht tagsüber offen, so dass sie, wenn sie sich im Schaukelstuhl weit nach vorn und zur Seite beugen würde, direkt in Lucías Küche blicken könnte. Lucía hat überall Fotos aufgestellt, Fotos von Manuel mit Lucía, Manuel allein, Manuel, als er jünger war, Manuel, wie er zuletzt ausgesehen hatte. Rosalía könnte das ihren Augen nicht antun.

Die trockene Luft riecht nach nichts. Sie bietet keinen Widerstand für Fußsohlen, keinen Reiz für die Nase. Nur den Augen gibt sie etwas. Tanzenden Staub und Hitzeflimmern. Ein Flimmern, das die Welt in Bewegung versetzt, als könnte es etwas aus dem Nichts der Luft hervorbringen. Da taucht Benno im Türrahmen des Schlafzimmers auf. Er betritt den Zementboden der Küche, seine Füße sind bloß, er muss in diesem Augenblick dasselbe sich von den Zehen zur Ferse hin ausbreitende Gefühl an den Sohlen haben wie Rosalía, im nächsten Moment schon hebt er den Fuß wieder an, macht einen Schritt, noch einen, ist am Küchentisch jetzt, dreht an den Knöpfen des Transistorradios, dreht, bis die vertrauten Töne von Gitarre, Trompete und Laute die Küche erfüllen, wendet sich zu Rosalía um, blickt sie an mit dieser Miene aus Unschuld und Verschmitztheit, die nur er aufzusetzen vermag, dann tritt er an den Schaukelstuhl heran, sie ergreift seine ausgestreckten Hände, und schon schwingt er sie durch die Küche, als wären sie jung, ihre Füße wirbeln über den Zementboden, so leicht, dass sie ihn kaum berühren, nur Flocken an den Sohlen, nichts Festes, sie drehen sich, bis sich das Radio, der Tisch, die Spüle um sie herum drehen, bis alles sich dreht, und dann sinkt Rosalía in den Schaukelstuhl zurück. Die Luft flimmert nicht mehr. Die Küche ist leer. Wenn Rosalía lang genug auf einen schwarzen Punkt starrt, fängt er irgendwann an, sich zu bewegen.

 

Tessa Schwartz

 

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freiVERS | Larissa Böttcher

Druckstellen

Es ist aus zwischen Inhalt und Tiefe
auch die verträglichen Sieger
werben für die Kriege der Wachmacher
wie zeitlos überzeugte Minuten ohne Krone
und unterwegs hilft nur der süße Sand
denn im Handumdrehen packt einen die innere Legende
und dieser spektakuläre Abstand zwischen einfach und gut
erwärmt das Gedächtnis ohne Merkzettel
wie ein eingespieltes Schlafproblem
das Spiegel und Bild konfirmiert

 

Larissa Böttcher

 

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freiTEXT | Franziska Wotzinger

derAndere

Gestern hab ich ihn gesehen, diesen Anderen. Er stand in einer Gruppe, mit ganz vielen. Viele Andere, hab ich noch gedacht. Was die wohl sagen, hab ich noch gedacht. Diese Anderen. Wie Zaunlatten standen sie da und zwischen den großen, runden Kaubewegungen meines Kiefers, pfiff ich leise Luft durch diese Latten. Als einer leicht zu schwanken begann und die anderen Anderen misstrauisch zu mir hinübersahen, hörte ich auf. Ich weiß noch ich habe mir gedacht, diese Anderen sind doch nicht so stabil, wie man gemeinhin denkt. So habe ich gedacht und meinen Apfel gegessen.

 

Franziska Wotzinger

 

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freiVERS | Florian Kranz

spekulationsblase

am anfang warst da du, und
ich war wohl auch irgendwo.

unsere gemeinsamen pläne waren bald schon zerplatzt wie
zu große seifenblasen, die durch die gegend wabern als
schwabblige, triefende luft und
derer es dieser tage ohnehin zu viele gibt.

wenn du unten lagst, half ich dir auf, was trotz einiger
anstrengung auf dem glitschigen
boden nicht immer so ganz gelang und man
muss ja auch aufpassen: ich hätte mich fast verhoben.

dann habe ich die fischstäbchen in den kühlschrank gelegt,
die ringelblumen noch einmal gegossen,
meine schuhe angezogen,
den seifenblasenring fachgerecht entsorgt und dann

warst da du. doch wo war
ich?

 

Florian Kranz

 

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freiTEXT | Anja Christ

Flughafen CDG

Ich stehe im Ankunftsbereich von Gate 2F. Ich habe noch nie jemanden vom Flughafen abgeholt. Mir kommen Filmszenen in den Sinn. Love actually. Ja, das war’s eigentlich, mir kommen nur Szenen aus diesem Film in den Sinn. Hat das automatisch eine romantische Konnotation, jemanden vom Flughafen abzuholen, am Gate auf ihn zu warten? Vielleicht hätte ich dann Blumen mitbringen sollen. Besser Kaffee. Mit zwei Papp-to go-Bechern in der Hand warten, das hat Filmcharakter. So ein Quatsch, ich will ja gerade vermeiden, dass es romantisch wirkt. Und ich bin gegen Einwegbecher. Also stecke ich die Hände in die Manteltasche und warte. Er schrieb, er stehe gerade bei der Sicherheitskontrolle an und dann müsse er noch auf sein Gepäck warten. Mich wundert die Sicherheitskontrolle, schließlich ist das ein innereuropäischer Flug. Ich denke an das Wort „Schengen“ und daran, dass ich seinen Klang lustig finde.

Hier sind viele Leute, die warten. Sie haben diese typischen Schilder dabei, wo ein Name oder eine Institution drauf steht, Abholserviceschilder. Sowas hätte ich basteln und mitbringen können. Natürlich nur aus Spaß, denn wir kennen uns und werden uns wiedererkennen, selbst wenn unser letztes Treffen schon etwa drei Jahre her ist. Ich bemerke, dass Papierschilder out sind. Die Meisten haben ein Tablet dabei und halten das hoch. Zuerst lache ich darüber und finde das ein bisschen bescheuert. Andererseits spart man so das Papier, das man für den nächsten to go-Becher aus Pappe verwenden kann. Hat also durchaus auch seine Vorteile.

Es macht ziemlichen Spaß, am Gate zu stehen, dort ankommende und wartende Menschen zu beobachten. Vielleicht komme ich nächste Woche mit einem Schild wieder (aber eins aus Papier) und da schreibe ich irgendeinen Namen drauf und stelle mich ans Ankunftsgate und warte. Und ich würde den ganzen Tag warten und niemand käme, aber ich hätte eine wunderbare Rechtfertigung, wieso ich da stehe: Ich warte auf die Person auf dem Schild, aber sie ist noch nicht angekommen. Ein anderer Wartender würde mich ansprechen: „Sie warten auch schon ganz schön lange, hat der Flug Verspätung?“ „Ich fürchte, ja.“ Und wir würden ein paar Minuten plaudern, solange bis seine Person ankommen und er mit ihr gehen würde. Irgendwann am späten Abend würde ich resigniert mein Schild einpacken und mich auf den Nachhauseweg machen. Der Flughafenangestellte (ich wüsste nicht genau, was sein Job ist, deshalb wäre er einfach „der Flughafenangestellte“) würde mich fragen: „Niemand gekommen?“ Und ich würde antworten: „Nein, ich fürchte ich wurde versetzt.“

Ich finde, man kann zwei Typen von Ankommenden unterscheiden: einerseits die Träumer, andererseits die Realisten. Die Träumer kommen durch die sich automatisch öffnenden Türen und schauen sich um, nehmen aber die Wartenden gar nicht richtig wahr, außer sie wissen, sie werden abgeholt. Ansonsten sehen sie leicht verpeilt aus, verschlafen, verstrubbelt, etwas neben sich stehend (das sind vielleicht die von den Langstreckenflügen mit Zeitverschiebung) und nun gucken sie in die Flughafenhalle, stolpern durchs Gate in sie hinein, sind aber im Kopf noch nicht ganz da. Die Realisten andererseits, die sind sich sehr bewusst, wo sie sind. Sie blicken die Wartenden entweder direkt an, oder sie schauen mit Absicht nicht hin, weil sie sich angestarrt fühlen und ihnen das unangenehm ist. Genauso wenn der automatische Türöffnenmechanismus nicht richtig funktioniert und ihnen die Tür, kurz bevor sie hindurchgehen wollen, wieder vor der Nase zuklappt. Wenn die Tür dann doch wieder aufgeht, nachdem sie abrupt abgebremst haben, verdrehen sie genervt die Augen und gehen hindurch. Es ist ihnen peinlich, dass sie fast gegen die Tür gelaufen wären und die Wartenden das gesehen haben. Die Realisten schauen sich auch ein wenig um, aber viel flüchtiger, denn sie wollen möglichst schnell weg, um nicht weiter angestarrt zu werden. Zugegeben, diese Einteilung ist etwas grob, aber im Großen und Ganzen tragfähig. Sie trifft aber nur auf Alleinreisende zu, die von niemandem abgeholt werden.

Gerade kommt ein Pärchen an und die beiden tragen das gleiche Shirt, rot und dunkelblau gestreift. Ich hasse sowas. Aber eigentlich ist es mir egal, ich sage nur deshalb, dass ich das hasse, weil ich gelernt habe, dass das cool ist, Pärchen nicht ausstehen zu können. Ich frage mich, ob die beiden häufiger dasselbe Outfit tragen und ob sie noch mehr gleiche Sachen haben. Zahnbürsten in derselben Farbe zum Beispiel.

Ich stehe nun schon fünfzehn Minuten hier und ein gleichmäßiger Singsang hat sich in mein Hirn gegraben. Jetzt höre ich zum ersten Mal aufmerksam hin: „Taxi officiel sortie 11.“ (Ja, wir sind in Frankreich. Und obwohl ich es für prätentiös halte, Dinge in Texten unübersetzt zu lassen, nur um die Folklore nachzuzeichnen und am besten noch damit anzugeben, dass man diverse Fremdsprachen spricht, lasse ich das so stehen.) „Taksiofisiel sortiõz.“ Ich drehe den Kopf und sehe den Flughafenangestellten. Er hat eine kleine Weste an und verweist alle Neuankommenden auf den offiziellen Taxistand bei Ausgang elf. Wie lange am Stück muss er das machen? Muss man bei solch repetitiven Aufgaben häufiger Schichtwechsel machen, um nicht aggressiv zu werden? Ich lache über meine eigene plötzliche Idee: wie lustig wäre das, sich ebenfalls eine kleine offizielle Weste anzuziehen und sich direkt neben ihn zu stellen. Und immer wenn neue Reisende ankommen und er sagt: „Taksiofisiel sortiõz“, würde man direkt hinterher sagen: „Taksiofisiel sortinöf“. Taxi officiel sortie 9. Fraglich wäre, ob man zuerst von dem Angestellten aufs Maul kriegen, oder vom Sicherheitspersonal entfernt werden würde. Ich muss diese zwei Ideen kurz aufschreiben, bevor er ankommt: „Schild hochhalten“ und „Taxi-prank“.

Wie schnell bekommt man Hausverbot am Flughafen? Würde es jemandem auffallen, wenn ich von nun an mehrmals die Woche hier wäre und am Gate Menschen beobachten würde? Wäre das verdächtiges Verhalten und sie würden mich anhalten und verhören? Fällt so etwas zuerst dem Wachpersonal, das durch den Flughafen patrouilliert, auf, oder der Person, die regelmäßig die Überwachungsvideos checkt? Gibt es eine Person, die regelmäßig die Überwachungsvideos checkt? Ich habe wieder Filmszenen im Kopf. Dieses Mal aber keine bestimmten, sondern mehr so generell als Topos. Der Typ, der vor dem Computer sitzt, in einem Raum ohne Tageslicht. Das bläuliche Licht des Bildschirms spiegelt sich in seinen Brillengläsern, deshalb sieht man seine Augen nicht richtig und ich weiß nicht genau, welcher Film es ist.

Nun müsst er eigentlich jeden Augenblick durch die Türen kommen, die Anzeigetafel sagt, dass die Gepäckausgabe seines Fluges beendet ist. Jedes Mal, wenn die automatischen Türen aufgehen und jemand herauskommt, bin ich für eine Sekunde lang aufgeregt. Um das klar zu stellen: Ich habe wirklich keine romantischen Gefühle für ihn und das hier ist auch keine Geschichte darüber, wie ich mir meine romantischen Gefühle für ihn zuerst nicht eingestehen will, sie am Ende aber doch ganz deutlich sehe. Es ist tatsächlich die Flughafenatmosphäre, die für diese Aufregung sorgt. Vielleicht passiert das nicht, wenn man das dauernd macht. Der Mann im Anzug neben mir, der mit einer Hand sein Tablet hochhält, in der anderen sein Handy hat und mit dem Daumen durch seinen Facebook-Feed scrollt, sieht nicht besonders aufgeregt aus. Geht das auf Dauer nicht ins Handgelenk, wenn er das Tablet nur mit einer Hand hochhält? Vielleicht ist es ultraleicht.

Ein kleines Mädchen kommt mit ihrer Mutter durch die Türen, sieht ihren wartenden Vater und rennt auf ihn zu, ruft freudig „Papa!“ und springt ihm in die Arme. Hat sie das auch in Love actually gesehen, oder hat sie das bei ihren Eltern gesehen, die es in Love actually gesehen haben? Oder ist das eine zutiefst menschliche Verhaltensweise?

In einer Ecke steht ein knutschendes Paar. Er hat seine riesige Reisetasche zwei Meter neben sich abgeworfen. Glückselig unterbrechen sie ihre Küsse immer wieder für lange Umarmungen. Ich habe leider seine Ankunft verpasst und frage mich, ob sie sich zuerst geküsst, oder zuerst umarmt haben. Nun starre ich auf seine Reisetasche. Schon etwas riskant, die achtlos zwei Meter neben sich liegen zu lassen. Ich würde sie gerne näher an seine Füße heranschieben, aber das würde die beiden eventuell irritieren. Der Mann unterbricht die Umarmung und bückt sich nach seiner Reisetasche. Ich kann beruhigt den Blick abwenden.

Wenn ich zu viel durch die Gegend schaue, verpasse ich den Moment, in dem er durch die automatischen Türen kommt. Ich habe ein bisschen Angst, dass sich ein breites Grinsen auf mein Gesicht legt, sobald ich ihn sehe. Schließlich ist das so eine Situation mit dem Warten und der Aufregung und wahrscheinlich ist ein besonders großes Lächeln dann eine physiologische Reaktion, um Stress abzubauen. (Ich habe keine Ahnung von biochemischen Körperprozessen.) Gleichzeitig warte ich aber seit einer halben Stunde genau darauf, dass er durch diese Tür kommt. Ich kann also gar nicht umhin zu hoffen, dass ich den Moment nicht verpasse. Ihn nicht durch die Tür kommen zu sehen, wäre unbefriedigend. Ich fixiere also die Türen, abwechselnd, denn es gibt vier davon. Es wundert mich, dass nicht tatsächlich regelmäßig Menschen dagegen knallen, denn dass sie kurz bevor jemand hindurch will wieder zu gehen, kommt relativ häufig vor. Wenn er gegen eine der Türen knallen und sich dabei die Nase brechen würde, dann müssten wir erstmal ins Krankhaus fahren. Das würde garantiert jegliche unerwünschte romantische Stimmung ersticken. Ah, ich sehe ihn, da ist er. Ich muss Stift und Papier wegpacken und ihn begrüßen.

 

Anja Christ

 

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freiVERS | Werner Weimar-Mazuhr

teheran

für Granaz Moussavi

eine wegwarte legten sie mir in den mund
die sich verlief
im schatten des waldes
fragte sie einen ziehenden wolf nach dem weg
über den glucksenden fluss sprang das tier mit mir
als sie mich fanden
später
im niemandsland
wunderte sich niemand über das büschel haare unter dem fingernagel
und den fetzen fell in der hand

 

Werner Weimar-Mazuhr

 

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freiTEXT | Sebastian Schmidt

Am Hackelklotz vom Meisenast                                                                     

Immer wenn draußen das Hupen losgeht fühle ich mich gemeint und renne zum Fenster.

In den meisten Fällen fahren die Autos vorbei als sei nichts gewesen.

Have you had your brain whipped, too?, tippe ich, zurück. Vielleicht mache ich das anstatt Sauna oder Hanteln heben. Tippen und zum Fenster rennen wenn es hupt. Wenn mir unter der Dusche etwas einfällt tippe ich manchmal sehr lange nackig.

Vor wenigen Tagen habe ich betrunken versucht, mit einem Radiergummie die Nachrichten von meinem Rechner zu radieren. Natürich war das Show und es sollte witzig sein und ich wollte damit meinen Kumpel Älex beeindrucken, weil der vielleicht bald wieder nach England muss. Den Brexit rubbern, lachten wir. Aber der Bildschirm ist nun kaputt. Mein Laptop ist erst vier Jahre alt. Idiet, hatte Älex gesagt.

Da bin ich 33. In meinem Gehirn steckt ein Stock, deshalb vielleicht die Frage mit der Peitsche. Vielleicht ist aber auch der Bademantel schuld, der unten im Hof immer wieder mit erbarmungsloser Härte auf den Betonboden eindrischt. Ich bin gespannt, wer das länger aushält.

Do you mean 'Have you had your brain wiped, too?' steht auf dem Monitor des anderen Computers, der im Nachbarzimmer steht, an einem improvisierten Schreibtisch. Der Weg zum Fenster ist nun länger, jedenfalls der Weg zum Fenster, durch das man sehen muss, um auf die Straße zu sehen. Ich bin zu bequem um den Computer in das andere Zimmer zu bauen. Ein richtiger Tower, tausend Kabel. Jedenfalls kann man in dem Zimmer jetzt besser aus dem Fenster rauchen wenn man will. Man sieht direkt in die Natur. Es ist eine andere Ecke des Hauses. Ich rauche nicht mehr.

When will your kids be back?, fragt Älex später am Telefon.

About six. We could meet in the park at half past?, sage ich.

Sounds okish mate. Would you bring your …?, fragt Älex.

'Course., sage ich.

Diesmal bin ich wirklich gemeint als es hupt. Ein schwarzer SUV hält direkt vor der Haustür. Ich setzte/schmeiße mein Basecap auf den Kopf über die Schmalzfrisur. Als ich unten ankomme winkt mir eine blonde Frau vom Fahrersitz aus zu, wirklich adrett, aber im Jogginganzug. Dann setzt sich das imposant große Auto in Bewegung. Meine Kinder begrüßen mich mäßig. Beim Hochlaufen kann ich durch das Fenster im Treppenhaus den Hackelklotz im Hof sehen, der sich hinter dem tiefhängenden Meisenast versteckt. Meisenast, weil da immer so viele Meisen draufsitzen. Fast immer zwischen zwei und vier. Kohlmeisen, wissen sogar schon die Kinder. Zwei Hippies sitzen auch im Hof, direkt neben dem Hackelklotz, und versuchen mit zwei Ästen Feuer zu machen. Indem sie die Äste aneinander reiben. Ein Stock höher läuft Hip Hop.

Wir treffen uns gleich mit Älex im Park., sage ich.

Jaaa!, sagt Jojo.

Friderike muss jetzt Abendessen, deshalb sind wir schon zurück, sagt Attan.

Ich weiß, sage ich. Wir essen etwas im Park. Älex bringt etwas mit., verspreche ich.

Ich packe heimlich Zigaretten ein. Eine schöne Decke. Außerdem ... . Zwei Biere. Am Fenster hupt es wieder aber diesmal ist nichts zu sehen. Karotten für die Kinder.

I mean whipped in the sense of torturing, in a masochistic way., tippe ich schnell, bevor es losgeht.

Älex hat nun einen dicken Bart. Er ist sehr weiß, der Älex, deshalb gibt ihm der Bart wirklich Farbe und er sieht gesünder aus als sonst. Er ist aber immer noch sehr dünn. Wir sind schon eine sehr lange Zeit Freunde, Älex und ich. Unsere Freundschaft ist älter als meine Kinder.

Wie gekt ez oiche, Kinder?, fragt Älex dann Jojo und Attan.

Es wird gelacht, vor allem weil Älex immer noch schlecht Deutsch redet. Wir spielen Federball und Fußball bis Attan nicht mehr will. Und essen zu Abend bis Jojo und Attan satt sind. Es ist ein kindischer Abend, weil es warm und sonnig ist. Älex macht Tier-Choreographien und springt über den Rasen. Es sieht scheiße und peinlich aus, aber wir lachen uns tot. Später lesen Älex und ich etwas auf der Decke vor und trinken Bier. Aus den Lautsprechern an den Bäumen verklingen die letzten Vögel und es dunkelt vor sich hin. Auch die Autos sind nicht mehr zu hören, schon eine ganze Weile nicht mehr.

Happy birthday mate, flüsterte Älex, und gibt mir einen Kuss auf die Wange.

And thin ice, why?, fragt er flüsternd, da waren die Kinder schon auf der Decke eingeschlafen. What did you mean with 'in between'?

Maybe because of the Hackelklotz and the SUV, flüstere ich. Sie sind alles Hackelklötze.

Da musste Älex lachen und prustete etwas Bier auf Jojos Bein.

Nice German word, but i don't understand., flüstert Älex als er sich erholt hatte. So du hazt wunsche für dein geburtztach? As a present?

Ich wünsche mir ein Signature T-Shirt von Clemens Setz, mit einer Figur drauf, oder ein Hemd, das von Christian Kracht designt wurde., sage ich, lache. Aber Älex versteht das nicht.

So bleibt es eine ganze Weile still in der wir Bier nippen und ich meine Zigaretten heraushole und mir eine anstecke. Älex biete ich auch eine an.

Oh, you brought some. How nice., sagt Älex.

Siehst du, was für eine Scheiße. It's a shit, a shame, sage ich.

Älex und ich lachen unanständig viel, denn es ging immerhin ums Rauchen. Mir fällt zum letzten Mal an diesem Tag der Hackelklotz in unserem Hof ein und die Hippies und als ich hinter den Busch gehe finde ich eine Stelle mit einem abgesägten Baumstumpf und ich stelle mir vor wie ich auf den Hackelklotz uriniere, während ich auf den Baumstumpf uriniere.

Heute trage ich Hemd obwohl ich nur zu Hause damit rumrenne, aber das ist gut so. Wenn ich ein Hemd trage kann ich mich besser konzentrieren, bilde ich mir ein. Natürlich ist das ein riesen Schwachsinn, aber es funktioniert. Gleich nach dem Duschen kleide ich mich an. Zum einen, weil ich unbedingt ein Hemd anziehen möchte, aber auch weil ich unter Dusche keinen Einfall hatte, der es Wert war nackt niedergeschrieben zu werden. Das ist kein gutes Zeichen, denke ich, aber ich habe ja das Hemd. Mit dem Hemd wird die Übersetzung fertig, wenn sie fertig werden muss, da bin ich mir sicher. Und alle werden zufrieden sein.

Ich öffne das Fenster und rauche frei mit Blick aufs Grüne. Als ein Auto hupt, lege ich die brennende Zigarette auf den Fenstersims und renne zum Fenster im Nebenraum. Es ist Anna, die mit beiden Händen wedelt. Ich wedele zurück. Anna wollte mir nur etwas in den Biefkasten werfen, das weiß ich. Das macht Anna oft so. Dann hupt sie, um mir Bescheid zu geben, dass sie etwas in den Briefkasten geworfen hat, so wie jetzt.

Ich muss weiter tippen!, rufe ich herunter zu Anna und lache dabei.

Dann fährt Anna weiter und ich gehe zurück. Meine Zigarette wurde vom Sims in die Natur geweht, was ich sehr bedauere. Jetzt liegt sie neben einer Baumwurzel und glimmt vor sich hin. Ich hoffe, dass sie einer der Hippies findet und fertig raucht. Aber sie verlassen ihren Platz so gut wie nie.

 

Sebastian Schmidt

 

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