freiTEXT | Clemens Gartner

Solche Antworten

Listenschreiben hat ja für viele was Kathartisches. Es ist so ein Allheilmittel für die kleinen Krankheiten im Kopf. Das hat schon vor tausend Jahren einer gewusst, und beim Begutachten seiner neusten Schöpfung unrund das Wichtigste aufgelistet.

Ich sehe mein halbdurchsichtiges Spiegelbild in einer Duschkabine stehen. Daneben eine Kloschüssel und daneben noch eine. BAD&SANITÄR WIMMER – ist mir bisher noch nie aufgefallen. Wahrscheinlich weil ich den Weg nach Hause sonst entweder nicht zu Fuß oder nicht alleine gehe. Beides bedeutet: nicht aufmerksam. Ich suche den Moment nach einem Thema ab. Eigentlich ganz logisch. Ich schiebe mein Handy aus der Hosentasche und öffne die Notiz-App.

sachen die meistens so sind aber nicht immer

  • das zusperrding an der innenseite von klo und badtüren steht waagrecht wenn zugesperrt ist
  • links heiß rechts kalt am wasserhahn
  • ich nehme die straßenbahn von alex zu meiner wohnung

 

Das Handy in der Hand und die Hand in der Jackentasche fällt mir auf, dass hinter der nächsten Ecke schon der Fruchtplatz liegt. Ich habe ihn so getauft, weil in seiner Mitte für gewöhnlich die Obstverkäuferin ihren Stand aufgebaut hat. Mit Sonnenbrand im Gesicht oder Frost auf dem Oberlippenbärtchen versorgt sie das ganze Jahr über Kundschaft mit allem, was gerade wächst, lächelnd unter ihrem ausgeblichenen Frucade-Sonnenschirm. Fest mit dem Asphalt verschmolzen seit Anbeginn der Zeit. Man hat den Platz und die Stadt und die Welt einfach um sie herum gebaut. Alex hat das nie verstanden.

  • habe mein handy in der hosentasche
  • die obstverkäuferin ist an ihrem platz
  • habe beim über den platz gehen alex an der hand

Ich bleibe an einer Bodenmarkierung stehen. Genau an der Stelle, wo ich Alex zum ersten mal gesehen habe. Erst traf mein Blick nur einen beliebigen Hinterkopf, dann Hände, die beim zahlen ein Büchlein aufgeschlagen auf den Tisch legten. Eine in zwei Spalten geteilte Einkaufsliste auf kariertem Papier. Links W rechts B in schwarzen, dicken Buchstaben. Ich stieß ein fragendes Geräusch aus, die hagere Gestalt zuckte zusammen und das kleine Buch fiel auf den Boden. Ich wollte mich danach bücken aber die Hände schossen sofort nach unten um es wieder an sich zu reißen. Ein altbekannter Trieb pochte versessen darauf, die Liste zu verstehen. Erst mit einem Nachdruck, der, wie mir Alex später einmal beichtete, nicht ganz unbedrohlich dahergekommen war, bekam ich eine Erklärung. Ich gehe weiter und ändere den Titel meiner Liste (oft statt meistens), schnaufe, und ändere ihn wieder zurück.

  • fange an zu lächeln wenn ich an alex denke

 

„In die linke Spalte schreibe ich Sachen die ich will, in die rechte, die ich brauche. Naturgemäß füllt sich die linke Spalte immer etwas leichter. Sind beide gleich auf, gehe ich einkaufen. Ich besorge alles was ich brauche, und die Hälfte der Sachen die ich will. Bei Ungeraden runde ich auf“

„Aber überschneiden sich die Spalten nicht manchmal? Man braucht doch auch Dinge die man will und umgekehrt?“

„Das entscheidet sich von ganz alleine. Wenn ich den Stift nehme, weiß meine Hand schon was sie wohin schreibt“

Solche Antworten waren es immer. Unbemerkte Widersprüche. Kleinste Bewegungen. Vor ein paar Wochen, als wir beim Schlafengehen einen unwichtigen Streit ausschwiegen, fragte er vorsichtig, ob die Obstverkäuferin so was wie eine Göttin sei. Ich antwortete ihm mit einem Kuss auf die Stirn.

  • alex geht alles rein pragmatisch an (und nervt mich damit)

Feiner Nieselregen tippt in die Notizen und knistert auf dem frischen Teer zu meinen Füßen. Ich lösche die Willkür vom Display und flüchte die Stufen runter zum Kanal, weil mir vom Straßendampf schlecht wird. Der Umweg führt mich einmal mehr an einen Wendepunkt. Vor dem Café, in dem Alex mir vorgeworfen hatte, in meine Küsse mische sich in letzter Zeit immer wieder eine gewisse Härte, die er nicht zuordnen kann, hole ich mein Handy heraus. Aber in Alex Welt gibt es keine Vorwürfe, nur unschuldige Beobachtungen. Allein mein Wissen ließ seinen Blick aus einem wertenden Winkel kommen.

  • teer riecht irgendwie gut
  • lasse mein handy bei regen eingesteckt
  • spreche offen über meine gefühle mit alex

In dem kleinen Park vor meiner Wohnung zerrupft eine Krähe irgendwelche Überreste, schüttelt sie mit dem Schnabel und verteilt Fetzen über die Wiese. Ein paar mehr gesellen sich dazu um sich an dem Spiel zu beteiligen. Als ich näher komme wird die Herde zum Schwarm und fliegt kreischend davon. Seit Generationen lebt hier dieselbe Krähenfamilie und teilt sich alles was im Gras zu finden ist. Ich vergesse Alex Zweifel daran, als die Vögel wieder von ihren Bäumen segeln. Im Aufzug sehe ich mein Spiegelbild, diesmal ohne Transparenz.

  • lift ist kaputt
  • bleibe kurz im park stehen und schaue den krähen zu
  • alex ansichten machen mich traurig

Das entfernte Rattern eines Presslufthammers erinnert mich an einen sonnigen, kalten Nachmittag auf Alex Balkon. Ich machte ihn auf einen morschen Balken im offenliegenden Dachstuhl an der Baustelle gegenüber aufmerksam. Er wies mich an, nicht mit dem Finger darauf zu zeigen, sondern seinen Blick mit einer Handbewegung zu führen. Es war ein guter Ratschlag. Ich ärgerte mich. Alex geht es nie darum Recht zu haben. Er möchte das Bestmögliche einer Situation. Ich führte seinen Blick mit einer Handbewegung auf meine Nase. Alex schaute auf den Boden. Ich versuchte mit der kalten Luft einen Ring zu blasen. Ich möchte meine Welt nicht optimieren lassen.

  • den ganzen tag baustelle
  • nehme mir alex ratschläge zu herzen

Gemeinsam mit der Liste ruhe ich bis zum Abend. Erst im Bett bekomme ich Mitleid mit den Punkten, die schon seit Wochen auf eine Form gewartet hatten. Ich gehe sie nochmal sorgsam durch, gebe jeder Silbe ihren verdienten Laut. Bei jedem Alex bemühe ich mich besonders. Ein Paar Autoscheinwerfer wandert langsam über die Wände, erhellt den Raum für Sekunden und lässt ihn finster zurück. Auch ich hatte Alex leuchtende Umrisse vor die Nase gezeichnet, zu vage um sie zu greifen, zu schnell um sie zu verstehen. Der Stein von meinem Herzen liegt jetzt schwer auf seiner Brust. Diesmal ist es der stinkende Dampf meiner Anmaßungen, von dem mir schlecht wird. Ich schalte mein Handy aus und lasse es auf den Teppich fallen. Zwei letzte Einträge drängen sich auf und lassen mich nicht einschlafen. Ich denke sie in das Dunkel an der Wand.

  • alex ist der kühle von uns beiden
  • beziehungen enden bei mir mit tränen

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Clemens Gartner

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