freiVERS | Mark Monetha
Streifzug durch Athína
Das Ferne sieht er mit inniger Vertrautheit an
je ferner das Schiff am Hafen der Horizont
und auf steinerner Mauer
Jahrtausende Marmor
gestreifte Katze im Schatten bald
Füße im Staub, bald Nase
Hinten im Hof der Bleiwurz
gewachsen durch Fensterläden
Parterre ein alter Hellas
zugewachsen die Stirn
die Lippen am Krug
sitzt er da
Grün ist es, grau und pastell
entlang der Straßen
Orangenbäume in Frucht
dass sie fallen und platzen:
brechen in süßem Saft
Das Pflaster poliert
von Sohlen Dekaden
Gedanken Jahrhunderte
achtsamen Fußes
drei Stockwerke hoch
die Wandmalerei:
ein Mädchen mit Vorschlaghammer
Die Wäsche frisch
auf dem Balkon
vor grauen Läden: hier wird gelebt!
mit allen Gliedern
Fremde Füße im Park
darin Olivenbäume
in silbergrünem Glanz
und Rascheln im Strauch
Von den Hügeln das Meer
weißer Teppich, Mosaik,
die Häuser gelegt auf das Land
und das Meer voller Blau
voller Meer
so nah das Fremde das Ferne
dass es wandert schon
in den Glanz zweier Augen
dahinter
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freiVERS | Moritz Reiffers
Gletschermusik
Die aneinander vorbeistreichenden
Ineinander sich verschiebenden
Gegeneinanderschlagenden noch
Vom ewigen Schnee halb bedeckten
Schrillflächen des Gletschers schillern
Erstarrt im schnellen Licht. Kein Geräusch
Noch. Später
Zirpt wohl alles immer schon knirscht schnarrt
Schurrt und plätschert unsichtbar
Hinter uns her hoffnungslos
Langsam durch die ungeatmete Luft.
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freiVERS | Fynn Bastein
Kuppelkirche
Wenn ich ganz genau hingucke,
läuft die Welt ein bisschen langsamer und Menschen steigen von ihren Fahrrädern,
als würden sie eine Kirche betreten.
Wenn ich ganz genau hinhöre,
ist es auch leiser.
In der Bibliothek wurden wir einmal ermahnt,
seitdem flüstern wir nur noch miteinander.
Manchmal flüstern wir so laut,
dass ich dich über einen ganzen Raum hinweg verstehen kann.
Du sagst du möchtest auch lernen wie man die Welt leise und langsam macht,
wie sie weich und sanft wird.
Es hilft
sich an Orte zu setzen, die sich nicht verändern,
die Augen zu schließen und die Vergangenheit vorbeilaufen zu lassen,
jeder einzelnen zu winken.
Es hilft
genau hinzuschauen,
so genau, dass die Grashalme vor deinen Augen verschwimmen
und du eigentlich gar nicht mehr genau guckst.
Es hilft
deine eigene Hand zu halten, als wäre sie eine andere.
Es hilft
Kirchen zu betreten, als würde man vom Fahrrad absteigen
und dort nicht zu flüstern
sondern nur in sehr lauten Räumen,
wenn man Schwierigkeiten hat sich zu finden.
Vielleicht hilft es auch die Zukunft vorbeilaufen zu lassen
und zu winken
aber nicht Hallo zu sagen.
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freiVERS | Sigune Schnabel
Winterkind
Über eine Wiese
mit Frostblumen laufe ich, weiß,
dass nur der Wohnzimmerboden blüht.
Im dumpfen Licht wachsen mir Gräser
über den Kopf.
Bäume versinken im Nebel.
Auf ihrer Haut keimt Moos.
Ich bin ein Tier
und nähre mich vom Winter,
grase ihn ab und klinge
nach Landschaften und Eis.
Ich singe leise.
Mutters Stimme hält den Schnee zusammen.
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freiVERS | Michael Spyra
Der Mond im Fernsehapparat
Wie ein Ballon, ein Lampion, so schwebt er
mal mehr mal weniger und widerstrebt der
Tendenz zu fallen, Erdanziehungskraft
und trotzdem immer da, in Geiselhaft.
Der Fremde also, Fremdling und Begleiter,
mit Staub bedeckt, meteoritbeschneiter,
derselbe immer, Einzelgängermond,
wie eben schon und gleich noch mal betont.
Der Pockennarbige, im All ergraute,
der immer von derselben Welt beschaute,
das Accessoire aus einer andern Welt,
bewundert, abgemalt und angebellt,
gesichtet und besichtigt, überwunden,
die immer gleiche Bahn auf seinen Runden.
Die scharfe Sichel und das volle Rund,
von Swinemünde bis nach Swapokmund.
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freiVERS | Manon Hopf
ich suche ein trauer
wort für den ausbleibenden
schnee
das unvollständigkeits
erleben ob es mehr als drei
generationen braucht
bis der schnee schnee ist
von gestern eine neue semantik
gefunden
wurde für die augen ob
zukünftige fluten
das jahr abschließen können
mitreißen wie eine decke
weißer schnee this too is
water ob wir neue metaphern finden
für winter über wintern
wenn selbst unsere leichen
nicht mehr erkalten
wenn das frösteln wie eine erinnerung
über uns kommt beim öffnen
der brummenden kühlschranktür
ich weiß nicht wo ich über
wassern werde die hand
ins eisfach gelegt dort habe ich
eine leere
krippe aufgebaut neben
einer handvoll baby cheeses
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freiVERS | Torsten Siche
letztlich nutzlos die Kraft
in den Fingern die Melodie
klebt an den Lippen kostbar
wie Brausepulver einst
und immer übrig geblieben
als jede jeden zum Essen rief
keine Vögel kommen vorbei
trotz Herbst keine Not auf dem Spielplatz
hocken die Krähen im Sand zwischen den Fingern
zerrinnen die Krümel eine Spur hinter der Scheibe
verschwimmen die Lippen zum Sumpf
da wo einst Wärme war und Wimpernschlag
kein Igel im Laub kein Scharren
im Dickicht lauert kein Trost
von der Schaukel tropft es
Tränen zäh oder zögerlich
nichts drängt sich auf
oder will willkommen sein
kein getretener Hund streunt
vor deiner Tür klafft keine Wunde
kein Wimmern hinter der Wand
nur das Kinderlachen scheppert
im Fahrstuhl hinab
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freiVERS | Magdalena Resch
EINS
Blätter kitzeln einander
und tanzen im
Windestakt
durch den
Nebelnieselregen.
Ader für Ader.
Wie oben so unten.
So halten die vergrabenen
Wurzeln
die flatternde
Leichtigkeit
die mit einer
nadeldicken Ader
an der Starrheit des
Stammes hängt.
EINS.
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freiVERS | Dörthe Huth
In Gesellschaft des Wassers
Du betest für Regen
in der Hoffnung
dass er singt
wie ein krächzender Vogel
während der Dürre des Sommers
im Tanz der Tropfen fühlt sich
das Leben leichter an
glaubst du
umschlossen von dumpfer Stille
halte ich das Gleichgewicht
und spiele toter Mann
mit geöffneten Augen
fixiere ich die Wolken
damit die Vorzeichen
nicht aus dem Blickfeld verschwinden
die schweren Wolken ziehen vorüber
Regen fällt nicht.
.
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freiVERS | Helmut Blepp
Novizen
Leben verstehen
den Dunst durchschauen
lieben ohne Not
Frost aufhalten
Einfach zuhören
bei triefendem Himmel
sich zurücknehmen
angesichts der Trauergesänge
Dauer ruht
in den Irrwegen
zwischen Tag und Nacht
Hilfe im warmen Wort
Da draußen
suchen sie uns
und wir suchen mit
noch unbeholfen
.
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