freiVERS | Chrischa Oswald

Was bleibt

nach den Sommern
in den Auslagen
ist immer das Blau

Augen liegen am Boden
und ich sammle sie
mit meinen Sohlen
wie süße Beeren

Was bleibt
nach den Sommern
ist immer das Blau

Und der Blick
der sich umstülpt
nach innen

.

Chrischa Oswald

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freiVERS | Mina Herz

bau mir ein haus

bau mir ein haus
in meinem körper aus glas
deine finger sollen die nägel
in meinem atem sein

bau mir ein haus
unter meinen nackten sohlen
dein lächeln soll der hammer
auf meinen knien sein

bau mir ein haus
für meine brüchigen arme
dein schweigen soll der zement
auf meinen handflächen sein

werde mein haus
bette mich in dir
wo mir bis zuletzt
alles fremd bleiben soll

.

Mina Herz

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freiVERS | Jan-Eike Hornauer

Ausblenden

Selenskyjs Schreie werden langsam stumm.
Denn wer will sie bloß immer weiter hören?
Ein neuer Schrei, der findet schon sein Publikum.
Doch Dauerschreien, ach, das kann nur stören.

Selenskyj rührt uns so nicht länger an.
Sein Schrei verharrt ja bloß im Ewiggleichen.
Wie man die Grenzen nur nicht sehen kann!
Und halfen wir nicht schon? Das muss auch reichen.

Selenskyj, ach, ist keiner, der versteht:
Er schreit ja weiter wirklich voll und ganz!
Aus Notwehr greifen wir zur Ignoranz.

Selenskyj wird von uns auf still gedreht.
Wir sehen bald nurmehr den lauten Schrei.
Und denken uns – vielleicht – noch ›Munch!‹ dabei …

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Jan-Eike Hornauer

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freiVERS | Philipp von Bose

Die kleinen Triebe

 

fast wie                 abdrücke der jungen jahre

liegen triebe zugewandt             im wachstum meiner

hände

 

aus der nähe angesehn                       scheint ein lichter wald

(aus dem stumpf und all dem warten) kraftvoll                    aus sich selbst

zu gehen

 

selbst im schatten                        diesem kalten haus

treibt sie der wunsch                     von zeit geführt

die decke grün

dem licht zu geben

.

Philipp von Bose

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freiVERS | Clara Dobbelstein

Das Nest

Sogar in meine hellsten Träume
Wirfst Du Dein grünes Schattenbild.
Und Deine Hände fahren durch das Laub
Wie früher – (damals beinah zärtlich) –
Durch Hecken meines Haargeästs.

Dein Griff wiegt schwer auf Lorbeerhaut,
Umschnürt wie Efeutaue meine Zweige,
Drückt mir die Luft aus den Organen.
Dein Kuss versickert als ein Bach
Im Labyrinth der Rindengänge.

Du warst schon immer halb ein Specht.
Doch als ich noch kein Lorbeer war,
Da ließ ich Dich in meinem Mund
Und meinen angewärmten Worten
Auch manchmal wie in einer Heimat nisten.
Ich baute Dir den Unterschlupf,
Die Welt blieb hinter einem Vorhang.

Durch meine Blätter blickst Du nicht
Nach draußen in die weite Ferne.
Du wartest immer weiter auf den Einlass.
Du pochst beharrlich, flehst und bittest –
Doch diesmal gibt es keine Tür für Dich.

So richte Dich im Schweigen ein
Und spanne Deine Blicke bis zum Morgen.
Vermische Deinen Schatten mit dem grünen Tag,
Und nicht mit mir und meinen hellen Träumen.

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Clara Dobbelstein

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freiVERS | Anna Lena Bercht

Zukunft
Zukunftsangst
Zukunftsangstunterdrückung
Zukunftsangstunterdrückungsstrategien
Zukunftsangstunterdrückungsstrategienmüdigkeit
Zukunftsangstunterdrückungsausbruch
Zukunftsangstkonfrontation
Zukunftshandeln
Zukunft

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Anna Lena Bercht

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freiVERS | Rosen de Almeida

alle tage

-1-
kochen
putzen
kissen sein
und was weh tut
den kopf den rücken die füsse nicht
anfassen
in der nacht steigt der pegel
ich dreh
den hals
und es knirscht
bis ich
im sand
eine position finde
in der ich von den zumutungen der alpen
träume

-2-
in der frühe lüften
bedeutet die nacht hereinzulassen
und damit die einladung sich vom tag
abzuwenden
vom aftershave des nachbarn
vom rauch der frühschicht
vom müden trab
der ersten
die den bus
noch erwischen
wollen
ich schüttle
kissen
decken
und mich aus
auf

-3-
auf einmal

schlägt der wind das fenster

zu

der rabe erschrickt

und fliegt davon

die wolken

bauen

türme

im                              letzten                            licht

während

das spülwasser

kalt

wird

ich schaue

in den himmel

dann

in jeden topf:

die

gurken kommen, der

basilikum

-4-
die nacht schaut zum fenster rein auf das sich
re
gen
trop
fen
ge
legt
ha
ben
wie
schup
pen
eines müden falters

es gibt nicht viel zu sehen: ein bett
ein lichtkegel
pantoffeln
ein ladekabel,
ein glas mit medizin

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Rosen de Almeida

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freiVERS | Fabian Lenthe

Wie lange wir wohl
Geradeaus hätten fahren können
Während wir einander geküsst hätten?
Und ich denke dabei an das Kleid
Und ihre Haare
An den Fahrtwind
Und die Zigarette
Die sie sich anzündete
Als wir knapp zweihundert fuhren
Dann fragt mich jemand
Ob dies die Linie
Richtung Friedhof sei
Und ich antworte ja
Und sehe auf die Uhr
Und sage
Kommt in zwei Minuten
Und wie immer
Beginnt es zu regnen

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Fabian Lenthe

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freiVERS | Sonja Paul

Sommerträge

Einer dieser Tage
Ganz still
Ein leiser Windhauch im Wipfel
Darüber ziehen
Tief und schwer
Bleigraue Wolken.
Flüsternd
Aus scheuen Ecken
Das Raunen der Zikaden.
Zurückgezogenes Licht
Legt sich schlummern
In sanfte Nachdenklichkeit.
Heute ist Sommer
Ein leiser, zurückgezogener.
Der Wolken liest
Und Schmetterlingen lauscht.

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Sonja Paul

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freiVERS | Malu von Marschall

wenn ich in den Himmel gucke
wenn ich über Berge fahre
wenn ich viel zu lange wach bin
denke ich an dich
wenn ich meine schwarzen Chucks anziehe
wenn ich am Meer bin und der Wind in meine Ohren saust
wenn ich einsam bin
wenn ich eine Kirche sehe
denke ich an dich

wenn ich Martinshörner höre
wenn ich barfuß über Wiesen laufe
wenn ich ein zwei Martinis später
immer noch die Sterne sehe
dann denke ich an dich und
frage mich
was du von mir halten würdest

so barfuß und im Regen
so erwachsen und anders
so planlos manchmal und
so allein

wenn ich mich frage, wie es weiter geht
wenn ich stolpere und fast falle
wenn ich alleine durch die Kirschplantage gehe
und die reifen dicken Kirschen
ganz oben in den Bäumen
einfach nicht runter fallen wollen
denke ich an dich

du hättest den Gabelstapler geholt wie immer
und einen Eimer natürlich
hättest mich hochgefahren
zu den überreifen Kirschen
hättest gesagt
„Sag das ja nicht deiner Mutter“
und wir hätten Kirschen gegessen
unsere Münder lila
hätten natürlich
Kirschkern-Weitspucken gemacht
und du hättest gewonnen
obwohl du mich sonst bei allem anderen
gewinnen hast lassen

wenn ich Old Spice rieche
wenn dein Wollpullover kratzt
wenn ich traurig bin
denke ich an dich

wenn ich durch das Haus wandere
wenn ich stolpere
über diese eine Kante vom Teppich
die sich nach Jahren der Abnutzung
nach oben wellt
dann denke ich an dich

wenn ich Anträge schreiben muss
wenn ich etwas nicht verstehe
wenn ich niemanden sonst fragen kann
denke ich an dich und weiß
du hättest alles irgendwie
gerichtet
hättest mich und mein Leben
wieder eingerenkt und hingebogen
so, dass ich wieder grade wäre
wieder nach vorne blicken kann

wenn ich merke wie die Tränen kommen
weil ich langsam verstehe
dass du nicht mehr da bist
wenn ich – vor allem nachts und im Dunkeln –
an dich denke
wenn ich mich frage
was du jetzt gesagt hättest
ob du gelacht hättest
ob du verstanden hättest
dann denke ich, die Welt ist ungerecht
es ist nicht fair
nichts ergibt Sinn
alles ist falsch

du hättest mir über den Kopf gestreichelt
hättest gesagt „Wird schon, Kleines“
hättest mir ein Glas gereicht
und eine von deinen Zigaretten
aber nur Benson & Hedges
hättest gesagt
„Sag das ja nicht deiner Mutter“
und wir hätten gelacht
abends zwischen den Sternen und
dem immer kalten Beton
der Treppe vom Gartenhaus
wo wir immer heimlich saßen
damit Mama uns nicht erwischt.

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Malu von Marschall

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